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Bajazzo
Ich finde, mein Leben passt nicht zu mir. Ich finde mich dynamischer, weiser und vor allem sehr viel besser aussehend.
Dirk schlägt mit den Fingerspitzen gegen den Deckel der Cola-Dose.
„Das wird nix“, sage ich aus meinen schönsten Überlegungen gerissen, aber da höre ich schon das Zischen.
Dirk hängt mit der Schnute über der Dose und braune Brühe rinnt an seinen Fingern entlang auf den karamellfarbenen Boden. Irgendwie trifft er dabei noch die Maus, und der Bildschirmschoner verschwindet zitternd. Auf dem Monitor bohrt sich ein riesiger Schwanz in den behaarten Nikotinpflaster-Hintern eines –
Dirk springt auf, ich wende den Blick zur Seite und sage: „Ich hab dir doch gesagt, das wird nichts.“
„Du musst mir glauben, ich bin nicht-“, sagt Dirk.
„Ja, natürlich.“
„Schwul.“
„Ja, das mein ich.“
„Echt nicht.“
„Keine Frage“, sag ich.
„Also wenn du ne Muschi hättest, dann würde ich dich hier auf der Stelle. Oh“, sagt Dirk.
Ich drehe mich zu ihm. Die Cola hat einen Fleck auf den Teppich getropft. Wenn es doch nur Blut wäre, denke ich.
Wir lehnen am Kopierer, essen und starren auf die gut fünfzig Frauen hinter Glas. Ich beiße in ein Gurkensandwich. Dirk isst etwas, das seine Mundwinkel mit Remoulade beschmieren kann, und sagt: „Donnerstagsgeilheit.“
Ich finde, ich bin subversiver. Ich könnte eine Gurkenscheibe in die Innereien des Kopierers kleben, warten bis sie kompostiert und die Zahnräder mit grünem Schleim beschmiert. Und jede Frau, die dann den Kopierer benutzt, trägt meine Saat, trägt winzige Gurkenschimmelanthraxbazillen auf jeder einzelnen Papierseite in die Welt hinaus.
„Das ist doch ganz klar. Die meisten von denen kriegen’s doch nur einmal die Woche. Entweder von nem Fremden oder von ihrem-“ Dirk sucht ein Wort, das kann Stunden dauern.
„Lebensabschnittsgefährten?“, helfe ich aus.
„Von ihrem Hengst genau! Und wann? Am Samstag. Und am Freitag denken sie schon an den Samstag. Da ist nichts drin. Aber donnerstags, sag ich dir, da sind die Zahnräder schon fast ne Woche ohne Öl. Da geht was.“
Hinter der Scheibe haben sie auch keine Musik, denke ich. Da stehen sie und quatschen oder sitzen und tippen oder telefonieren oder tun, was immer Frauen tun, ganz ohne Musik, nur im Lärm ihrer eigenen Stimmchen und ihres Klapperns. Ein Meer von Köpfen. Dauerwellen, Ponys, Seitenscheitel. Wenig blond, viel braun, kein rot.
„Vielleicht denken sie am Mittwoch auch schon an den Samstag“, sage ich.
„Was? Quatsch“, sagt Dirk. „Du musst dich mal einkriegen. Ist ja nicht zum aushalten mit dir. Du guckst immer so in die Gegend und stierst irgendwohin. Meine Fresse, Mann. Da kriegt man ja ne Gänsehaut“, sagt es und verschlingt den letzten Happen mit gewaltigem Biss. „Ich geh mal die Schlange würgen, pass mir auf die Chicas auf.“
Ich schaue nach links und rechts, knie mich hin und fummel am Papierausgang herum, das Gurkensandwich wie einen Schraubenzieher zwischen meinen Zähnen.
Dann eine Frau in meinem Rücken. Ich spucke das Sandwich aus und lasse es in meine Hand fallen. Wirbel herum und rufe: „Papierstau! Papierstau!“
Bin auf der Höhe von zwei Jeans-Knien und schaue hoch zu einem braunen Gipfel in den Wolken an zwei Mäusebrüstchen vorbei und die Frau schaut mich an und ich denke: Ich sollte dringend aufstehen. Tue es aber nicht.
Sie beugt sich zu mir herunter und flüstert: „Dein Freund. Sag mal, hat der eine Freundin?“
„Schwul“, sag ich.
„Wirklich?“
„Stockschwul.“
Sie rümpft die Nase, fängt sich dann und sagt aus der Mäusebrust mit dem Vollklang einer Walküre heraus: „Hab ich mir gleich gedacht“, dann tippelt sie von dannen.
Ich lehne gegen den Kopierer und reibe meinen Hintern an der warmen Flanke. Dirk stellt sich neben mich, von den Händen tropft noch Wasser: „Na, was war mit der Kleinen? Hat nach mir gefragt, oder? Wollte dass der Dirkster mal nach dem Getriebe schaut, hä? Braucht wohl mal nen Ölwechsel, das Stütchen.“
„Klar“, sag ich und beiß in das Gurkensandwich. „Haben nur von dir geredet.“
„Arsch“, sagt Dirk und geht.
Dann kommt die Chefsekretärin. Dirk nennt sie den Königsfick. Ich finde, sie ist eine Melodie. Ihr Bass ist so laut, dass man ihn im Bauch spüren kann. Wenn sie an mir vorbeigeht, dann sehnt mein Körper ihr nach, wie sich Blumen der Sonne zu wenden. Und ich seufze jedes Mal. Ach, mache ich. Ich muss poetischer werden.
Sie hat einen Mp3-Player am Gürtel ihrer Jeans. Es ist eine ganz eigene Welt. Sie hat einen Soundtrack. Wenn sie sich bückt, macht der Mp3-Player: „Oops“ und wenn sie zornig ist, schreit er: „Exhale“ und wenn sie jemals in einer Verfolgungsjagd wäre, und Frauen wie sie gehören in eine Verfolgungsjagd, dann würde irgendetwas aus einem 30er Jahre Stummfilm dudeln. So ironisch, meine ich.
Sie hat schwarze Haare. Echte schwarze Haare, weit über die Schultern runter, die glänzen wie in einer Multicolor-Werbung und sie hat etwas so leichtes an sich, dass sie, wenn sie nur an mir vorbeigeht, mit den Fingerspitzen nach mir greift wie nach einem Kreisel und mich rotieren lässt. Sie hat dünne Hüftchen und einen mächtigen Hintern. Wenn man sie sieht, weiß man Bescheid. Sie gewährt einen Blick auf eine Wahrheit, zu der man keinen Zugang hat. Man weiß: Es ging in der Geschichte nicht um Land, sondern um sie. Man weiß: Es geht in der Wirtschaft nicht um Geld, sondern um sie. Und man weiß, es geht in der Musik nicht um Noten, sondern um die Melodie.
Wenn man die Chefsekretärin sieht, dann weiß man, warum der Kapitalismus siegt. Marx hätte sich die Haare gerauft, wenn er ihrer gewahr gewesen wäre. Er hätte sein Buch genommen, es in tausend Fetzen zerrissen und geschrien: Das kann nicht allen gehören. Das muss meins sein.
Ich will mich ihr in den Weg werfen, meine Existenz in die Welt herausschreien. Ich will ihr die Zeitung liefern, ihr die Haare kämmen, mit ihrer Mutter schlafen. Ich will, dass sie die Mutter meiner Kinder ist!
Dann macht sie die Tür zum Großraumbüro auf, das ganze Grau der Weiber weicht vor ihr zurück wie Schmutz in einer Werbung für Teppichreiniger. Und ich muss wegsehen, weil ich es nicht mehr ertragen kann.
Ich bin der rote Fleck auf dem schwarzen Schlips meines Chefs.
„Ich weiß gar nicht, woher der Virus schon wieder kommt!“, sagt er. „Sie haben doch gesagt: Sie haben das ein für allemal im Griff!“
Er steht vor seinem Schreibtisch und ich sitze auf seinem Platz, schaue den Rechner an wie ein Kinderarzt einen Jungen, der sich das Bein gestoßen hat, und sage: „Sind Sie auch wirklich von den Seiten weggeblieben?“
„Natürlich!“, sagt er. Mein Chef spricht nur in Ausrufezeichen. Er wirbelt mit der Hand eine riesige Geste in die Luft. Und schreit: „Bringen Sie das einfach in Ordnung! Ich will nichts mehr davon hören!“
„Ooh“, mache ich. „Ich seh schon. Trojaner. Backdoor-Trapdoor-Helix-Attacken. Sogar eine Hydra. Um Gottes willen, Chef. Wo waren sie denn da nur? Haben Sie versucht, das BKA zu hacken?“
Der Chef stürmt aus dem Büro. Ich lehne mich in seinem Sessel zurück. Dann tipp ich ein paar Befehle, damit sich mein kleiner Schatz für drei Tage still verhält und starre auf die Gegensprechanlage, die ins Paradies führt.
Den Rest des Nachmittages hab ich dann frei. Ich schaue aus seinem Fenster und denke: Hm. Ich suche auf Youtube nach einem dreißiger Jahre Verfolgungsjingle, kann aber keinen finden. Ich chatte ein wenig mit jemandem, mit dem ich öfter chatte, und schreibe, man könne unmöglich mit Frauen schlafen, für die man nicht ein Mindestmaß an Sympathie aufbringe. Vor denen man sich schäme. Dann lese ich, was ich geschrieben habe, und denke: Ich bin viel widersprüchlicher.
Ich stelle den Cache des Browsers wieder her, den mein Chef jedes Mal löscht, bevor er mich ruft, schüttle den Kopf und schaue mir normalere Pornos an. Dabei reibe ich mit der linken Hand über die Lederarmstütze des Sessels und hoffe, dass es mir Glück bringt.
Draußen regnet es. Das Vorzimmer ist leer. Die Chefsekretärin hat einen planen Arbeitsplatz. Keine Fotos, keine Pflanzen, und der Rechner ist auch schon heruntergefahren. Dirk sagt: Der Königsfick kann dir mit ihren Beinen das Kreuz brechen. Dirk sagt: Die kann dich leer saugen, bis sie den Mund voll mit Blut hat. Dirk sagt: Die kann schreien, bis dir das Trommelfell zerplatzt.
Ich muss taub werden.
Als ich in unser Büro komme, geht Dirk schon wieder. Er rempelt mich mit der Schulter an und zischt: „Wieder einen Donnerstag versaut.“
Ich reibe mir die Schulter und setze mich an meinen Platz. Ich muss robuster werden.
Der Regen donnert gegen die Scheibe und ich denke: Hm.
Fühle mich trocken und lege die Handflächen von innen gegen das Fenster. Sehr dumm, drinnen ist es ja auch trocken, aber das Fenster lässt sich öffnen und die Klimaanlage saugt einem das Leben raus, finde ich.
„Hallo“, sagt eine Stimme hinter mir. „Sie sind Smidt.“
Ich drücke die Hände gegen die Scheibe.
„Smidt, ich liebe Sie“, sagt die Stimme und es ist eine leise verschüttete Melodie darin. Als würde jemand versuchen, durch eine verstopfte Nase zu atmen. Man kann den Rotz hören. Die Stollen sind verstopft. Verkrustet.
„Ich kenne Sie“, sagt die Stimme. „Ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Ich kenne Sie gut, Smidt.“
Ich drehe mich zu ihr herum. Sie hat eine Nase wie wegpoliert. Das ganze Gesicht glatt. Die Brüste irgendwo in einer sackähnlichen Bluse versteckt. Und der Schoß, so weit unten, dass man ihn nicht einmal ahnen möchte.
„Das geht jetzt, glaub ich, zu weit“, sage ich.
„Ich kann dich nach Hause fahren“, sagt sie und es ist ein leiser Ton darin. Man hört nicht, dass sie sich dazu überwinden musste. Man hört keine Angst. Sie hat die Hände entspannt an ihrem Körper liegen. Hat eine leise Melodie in sich. Verschüttet und verrammelt, aber man kann ihn hören.
„Sagen sie das noch mal“, sage ich. „Genau so.“
„Ich kann dich nach Hause fahren“, sagt sie und der Ton schwingt in meinem Ohr. Ein solider Ton, guter Durchschnitt. Eine drei plus.
Sie ist, wer sie ist. Ich stehe ihr zu.
„Sie müssen mich verwechseln“, sage ich. „Sie kommen zehn Minuten zu spät für einen schnellen Fick.“
Sie macht eine lange Pause und dreht das Gesicht von mir weg.
Schließlich: „Dann kann ich Sie nicht nach Hause fahren?“.
„Nein“, sage ich. „Ich warte noch, vielen Dank.“
Sie geht. Ihre Schritte verhallen im Gang.
„Der Spruch mit dem schnellen Fick tut mir leid“, sage ich.
Ich finde, ich passe nicht zu mir.