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Besuch aus dem Grab

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20.05.2004
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Besuch aus dem Grab

Die Front des Hochhauses ähnelte in der Dunkelheit einem Schachbrettmuster aus beleuchteten und schwarzen Fenstern. Über den Parkplatz rollte ein Wagen der gehobenen Klasse und reihte sich leise summend in die Kolonnen der parkenden Autos ein. Der Motor verstummte, die Scheinwerfer erloschen. Ein junger Mann, gehüllt in einen langen Kaschmirmantel, stieg aus und hob den Blick zielsicher zu einem Fenster in der achten Etage. Seine Vermutung bestätigte sich: Das Fenster war erleuchtet.
Aufrecht und gemessen schritt er auf das Eingangsportal des Hauses zu, unter dem Arm eine schwarze Ledermappe tragend. Er betätigte keinen der Klingelknöpfe, die in langen Reihen im Eingangsbereich angeordnet waren, sondern stand geduldig neben der Tür, bis sie sich von selbst öffnete. In einem so großen Haus gingen ständig Leute ein und aus, so daß er bald das Foyer betreten konnte.
Die Fahrstuhlkabine war ursprünglich grau gestrichen gewesen, inzwischen aber über und über zerkratzt und mit Hieroglyphen beschmiert. Er drückte einen der geschwärzten und teilweise zerschmolzenen Fahrstuhlknöpfe. Die Leuchtstoffröhre flackerte altersschwach.
Der Korridor in der achten Etage war angefüllt von Gerüchen, die aus dem Müllschlucker drangen. Die Schritte des Mannes hallten seltsam kalt von den Wänden wider. Vor einer Tür blieb er stehen und lauschte. Von irgendwoher drang das Geräusch eines Fernsehers. Ansonsten war es still. Das Schild an der Klingel trug den Namen Drömer. Er strecke mit einer fast schalkhaften Geste den Finger nach dem Knopf aus und drückte ihn. Die Klingel schrillte erschreckend laut; das Geräusch verklang singend. Zuerst geschah nichts, dann wurden auf der anderen Seite der Tür zögernde Schritte vernehmbar. Der winzige Lichtschein, der durch den Spion fiel, verdunkelte sich. Schließlich öffnete sich langsam die Tür, und das Gesicht eines schwerfällig wirkenden Mannes von etwa fünfzig Jahren mit kleinen mißtrauischen Augen wurde sichtbar.
„Guten Tag, Herr Drömer“, sagte der Besucher, während er den Mann von oben bis unten musterte, was dessen Mißtrauen sichtlich verstärkte.
„Was wollen Sie?“
„Erkennen Sie mich wieder?“
Nun war es der Besucher, der eingehend begutachtet wurde. In den Augen des anderen Mannes zeigte sich erst standfestes Nichterkennen, dann schwankende Unsicherheit, in die sich Furcht mischte. Seine Augen weiteten sich, die Farbe wich aus seinem Gesicht. Den Besucher schien dies zu befriedigen, er wirkte sogar leicht amüsiert.
„Erlauben Sie?“ sagte er und schob sich an dem perplex wirkenden Mann vorbei in dessen Wohnung. Er betrat das Wohnzimmer und sah sich abschätzig um. Offenbar hatte er Herrn Drömer bei einer Tasse Tee gestört, die halbvoll auf dem Tisch stand.
„Was wollen Sie?“ wiederholte Herr Drömer seine Frage. Er war seinem ungebetenen Gast ins Wohnzimmer gefolgt und schien zumindest einen Teil seiner Selbstsicherheit allmählich zurückzugewinnen. „Verlassen Sie meine Wohnung. Oder ich rufe die Polizei.“
„Seien Sie nicht so abweisend“, sagte der Besucher, die Drohung ignorierend. „Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, und Sie sollten dafür beten, daß ich Ihre geschätzte Gastfreundschaft recht lange in Anspruch nehme, denn sobald ich durch diese Tür hinausgehe, werden Sie sterben. Der Fairneß halber möchte ich Ihnen aber vorher erklären, weshalb Sie sterben werden, damit Sie nicht mit dem Gefühl aus dieser Welt scheiden, Ihr Tod sei sinnlos oder ungerecht gewesen. Bitte setzen Sie sich vorsichtshalber.“
Der Brustkorb Herrn Drömers hob und senkte sich nun deutlich sichtbar, aber seine Verwirrung schien so vollkommen zu sein, daß er der Aufforderung, sich zu setzen, schließlich folgte. Er gab nur ein undeutliches Grunzen von sich.
„Ausgezeichnet“, sagte der Besucher und begann nun, wie ein Dozent vor seinem Plenum langsam auf und ab zu gehen, wobei er den Blick gelegentlich über seine Zuhörerschaft schweifen ließ, und begann seine Erzählung: „Mein Vater war der in wissenschaftlichen Kreisen nicht ganz namenlose Biologe Professor Peter Burkhardt. Sie kennen ihn, wenn auch wohl nicht persönlich. Er hatte damals zusammen mit meiner Mutter – seiner Frau Luise – einen achtjährigen Sohn namens Fabian.
Eines Tages stand meine Mutter in der Küche ihres Hauses und kochte Fabians Leibgericht, Spaghetti mit Tomatensoße. Sie rechnete jeden Augenblick damit, daß er sich in die Küche beamen und der harte Lauf einer Phaserpistole sich in ihren Rücken bohren würde, verbunden mit der Aufforderung, sich zu ergeben und fürderhin in Frieden mit der Föderation zu leben, was sie auch täglich zu tun versprach. Dann würde er die Treppe hinaufstürmen, seine Schultasche in die Ecke werfen, sich die Hände waschen und seinen Computer einschalten, um nachzusehen, ob er neue Nachrichten von außerirdischen Lebensformen erhalten hatte. Minuten später würde ihr Handy, genannt Interkom, klingeln, und sie würde seine Stimme im Ohr hören: ‚Kirk an Brücke. Ist das Essen fertig?‘ Und sie würde ihm sagen, daß er schon mal herunterkommen könne. Uhura Ende.
An diesem Tag aber war das Essen fertig, bevor Fabian nach Hause kam. Sie stellte die dampfenden Nudeln auf den Tisch und wartete. Eine halbe Stunde später war das Essen kalt. Als die Nudeln an den Enden hart und gelblich wurden und die Tomatensoße Risse bekam, begann sie zu telefonieren. Nein, niemand wußte, wo Fabian war. Er hatte sich wie jeden Tag nach der Schule mit einigen Klassenkameraden auf den Weg nach Hause gemacht, der durch den Park führte, wo sie beim Eismann, der dort häufig mit seinem Wagen wartete, Eis kaufen wollten. An diesem Tag war jedoch der Eismann zu ihrer Enttäuschung nicht da, und sie mußten mit einem Wassereis aus dem Laden vorlieb nehmen. An derselben Straßenecke wie immer verabschiedete sich Fabian von den anderen. Er kam allerdings nie zu Hause an.
Als mein Vater von der Arbeit nach Hause kam, begannen er und meine Mutter gemeinsam, die Gegend abzusuchen, und als sie nach Sonnenuntergang immer noch keine Spur von Fabian gefunden hatten, meldeten sie ihn als vermißt. Die Polizei meinte, es wäre noch zu früh, um mit Sicherheit von einem Verbrechen ausgehen zu können, aber meine Mutter macht sich große Sorgen.
Am nächsten Morgen lag ein Erpresserbrief im Briefkasten. Sein Autor bestätigte, daß er Fabian entführt hatte, und verlangte als Gegenleistung für seine Freilassung eine halbe Million Euro, zu übergeben an einem Ort und auf eine Weise, die er noch mitteilen werde. Außerdem verlangte er kategorisch, die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Sollte eine seiner Bedingungen nicht erfüllt werden, würde er Fabian unverzüglich töten.
Die zuständigen Leute von der Polizei vermuteten einen Zusammenhang zwischen der Entführung und dem Verschwinden des Eismannes im Park. Man stellte fest, daß es in der Vergangenheit ähnliche Fälle im Umkreis von achtzig Kilometern gegeben hatte, und setzte darauf, daß es sich immer um denselben Täter handelte. Ein Polizeipsychologe erstellte ein Täterprofil und kam zu dem Schluß, daß der Täter nicht zum eigentlichen Bekannten- oder Verwandtenkreis unserer Familie gehörte. Er hatte uns einfach deshalb als Opfer auserkoren, weil er nach intensivem Ausspähen zu dem Schluß gekommen war, daß wir es uns leisten konnten, eine halbe Million an Lösegeld zu zahlen.
Das stimmte zwar nicht ganz, aber meine Eltern nahmen eine Hypothek auf das Haus auf und borgten sich den Rest bei Freunden zusammen, so daß sie die Summe schließlich aufbringen konnten. Die Polizei beschloß, dem Täter bei der Geldübergabe eine Falle zu stellen. Sie hielten es für wahrscheinlich, daß er Fabian auf jeden Fall nach erfolgter Lösegeldzahlung umbringen würde, um jegliche Spur, die zu ihm führen konnte, auszulöschen. Dasselbe war in den anderen Fällen, die man mit dem Täter in Verbindung brachte, geschehen.
Die Falle schnappte jedoch nicht zu. Der Täter entkam bei der Geldübergabe – zusammen mit dem Lösegeld. Eine Woche später fand man Fabians verkohlte Überreste in einem Waldstück. Offenbar hatte der Täter ihn zuerst getötet und anschließend verbrannt, um seine Identifizierung zu erschweren oder unmöglich zu machen. Meiner Mutter erschien es dagegen, als habe der Täter Fabian in Flammen aufgehen lassen, um seine kalte Seele an dem Feuer zu wärmen.
‚Bla bla bla‘, erklärte ihr dazu der Polizeipsychologe, ‚blah blah blah, blubber blubber, bla bla.‘ Und der Kommissar fügte hinzu: ‚Laber laber, fasel schwätz seier rhabarber.‘
Meine bedauernswerte Mutter erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch, von dem sie sich nur langsam wieder erholte. Man isolierte aus dem verkohlten Leichnam Fabians DNS, die seine Identität eindeutig bestätigte. Den Täter faßte man einige Wochen später. Es war tatsächlich der Eismann. Ihm wurden Reste eines Spinnennetzes zum Verhängnis, die an einer Jacke hafteten, welche man in seinem Wagen sicherstellte. Es war eine sehr seltene Spinnenart, und sie lebte ausgerechnet in dem Waldgebiet, in dem man Fabians Leiche gefunden hatte. Später fand man auch Teile des Lösegeldes, die er in seinem Garten vergraben hatte. Der Eismann wurde ein Jahr später für diesen Mord und drei weitere, die er schließlich gestand – sämtlich an Kindern –, zu lebenslanger Haft verurteilt.
Meine Mutter tröstete dies nur wenig. Sie saß in der Leere des Hauses, in der Stille, die wie ein Wasserfall in ihren Ohren toste, übertönt nur vom Ticken der Uhr. Die Zeit verging scheinbar völlig sinnlos. Eine Sekunde nach der anderen. Warum kannst du nicht rückwärts gehen, du verdammtes Ding? schrie sie in Gedanken die Uhr an. Aber sie ging weiter vorwärts, einen Schritt nach dem anderen; Fabians Zeit war abgelaufen, aber die Uhr lief unbeirrt weiter, ohne etwas Sinnvolles zu messen zu haben.
Am schlimmsten war der Schmerz, der sie innerlich zu zerreißen drohte. Immer wenn sie an Fabians Tod dachte, glaubte sie, die Flammen, die ihn verzehrt hatten, am eigenen Leib zu spüren. Danach fühlte sie sich ausgebrannt, nur eisige Kälte blieb zurück. War früher das warme Blut lebensfroh durch ihre Herzklappen geströmt wie durch eine offene Schleuse, schien es jetzt zu feinen Eisnadeln geronnen und verharscht zu sein. Der Dolch, den man in ihre Brust gestoßen hatte, war abgebrochen, die kalte Klinge in ihrem Herzen schnitt mit jedem Pulsschlag tiefer in den Muskel. Und die Erstarrung bedrohte ihre Ehe. Sie konnte keine Wärme mehr empfinden, nicht für ihren Mann, nicht für andere Menschen, nicht für sich selbst. Der Eismann hatte ganze Arbeit geleistet.“
Der Zuhörer lauschte dieser Erzählung mit versteinertem Gesicht, den Blick ins Leere gerichtet. Gelegentlich hob er fragend oder zweifelnd eine oder beide Augenbrauen. Das einzige Geräusch, das für einige Sekunden hörbar war, war das Ticken einer Uhr. Es klang wie die Fortsetzung des Tickens, das Luise Burkhardt vernommen hatte.
„Lediglich die Erinnerung wärmte sie noch ein wenig. Fabian war tot, aber ein kleiner Teil von ihm lebte noch. Sein Lachen war in Fotos eingefroren. Auf Videoaufnahmen konnte sie ihn laufen sehen und sprechen hören, auch wenn er wie ein Seemann auf einem Gespensterschiff zwanghaft immer dieselben Dinge tat und sagte.
Käpt’n Kirk war von einer Mission nicht zurückgekehrt. Sein Phaser lag immer noch griffbereit neben seinem Bett. Leider war er nur aus Plastik und hatte ihm nichts genützt. Meine Mutter hatte Fabians Zimmer unverändert gelassen. Es befand sich noch in demselben Zustand, in dem er es am Morgen seines letzten Tages in diesem Haus verlassen hatte. Befanden sich nicht noch Moleküle seines Atems in der Luft? Mußten nicht noch – wenn auch unmeßbar kleine – Echos seiner Stimme von den Wänden wiederhallen? Haftete nicht sein Geruch noch an den Gegenständen, mit denen er in Berührung gekommen war? Fabian war tot, aber immer noch präsent. Es war, als wohnte sein Geist noch immer in diesem Haus, als könnte Fabian jeden Augenblick wieder zur Tür hereinspaziert kommen.
Und in gewisser Hinsicht geschah genau das. Luise Burkhardt brachte ein Jahr nach Fabians Tod ein zweites Kind zur Welt. Wieder war es ein Junge, und im Gedenken an seinen verstorbenen Bruder wurde auch er Fabian genannt. Wie Sie sich vermutlich denken können, bin dieser zweite Sohn ich. Man hoffte allgemein, daß dieses Ereignis sich auf meine Mutter heilsam auswirken würde, daß das zweite Kind ihr über den Verlust des ersten hinweghelfen könnte. Doch die Hoffnung war nur von kurzer Dauer. Die Flamme im Herzen meiner Mutter war erloschen. Die Ehe meiner Eltern zerbrach. Bedenken Sie: Ich verbrachte meine Kindheit, indem ich orientierungslos zwischen einer kalten Mutter und einem vielbeschäftigten Vater hin und her taumelte. Das hatte zur Folge, daß auch ich mich zu einer ziemlich kalten und wenig mitfühlenden Persönlichkeit entwickelte.
Als ich zehn Jahre alt war, starb meine Mutter. Sie bekam zuerst Schüttelfrost, dann hohes Fieber und war zwei Tage später tot. Die Ärzte sagten, es sei eine Spätfolge von Fabians Tod gewesen. Posttraumatisches Syndrom. Sie hatte den Verlust nie wirklich verwunden, ihr eigener Überlebenswille war erloschen.
Die Ereignisse um Fabians Entführung liegen nun knapp zwei Jahrzehnte zurück. Der Eismann, mein Freund, waren, wie Sie wissen, Sie. Sie bekamen lebenslänglich, wurden aber nach fünfzehn Jahren infolge guter Führung und einer günstigen Sozialprognose entlassen. Wie es scheint, hat sich die Prognose bewahrheitet. Sie leben seither als…nun ja, anständiger Mensch in dieser Gesellschaft.
Was Sie jedoch nicht wissen – oder nur zum Teil wissen –, ist, wer ich bin. Wie ich Ihnen gesagt habe, bin ich Fabian Burkhardt. Das stimmt auch. Bis vor kurzem wußte ich selbst nicht mehr, als daß ich Fabians jüngerer Bruder war. Doch vor einem halben Jahr, zu meinem achtzehnten Geburtstag, übergab mir ein Notar einen Brief, den meine Mutter einige Monate nach meiner Geburt bei ihm hinterlegt hatte mit der Anweisung, ihn mir im Falle ihres vorzeitigen Ablebens am Tage meiner Volljährigkeit zukommen zu lassen. Und aus diesem Brief erfuhr ich staunend und fassungslos, wie sich meine Genesis wirklich abgespielt hatte.
Mein Vater ist auf dem Gebiet der Biotechnologie eine Kapazität. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß er bahnbrechende Arbeit geleistet hat. Meine Mutter hatte keinen tieferen Einblick in seine wissenschaftliche Arbeit, aber sie verstand doch immerhin genug, um zu wissen, daß die konkrete Materie, aus der der menschliche Körper besteht, für seine Identität keine wesentliche Bedeutung hat. Der Körper besteht aus Atomen, Atome aber sind nicht lebendig. Sie besitzen keine Individualität und sind beliebig gegeneinander austauschbar. Sie werden auch ausgetauscht. Man nennt das Stoffwechsel. Alle soundsoviel Jahre sind praktisch sämtliche Atome des menschlichen Körpers durch andere und trotzdem identische ersetzt worden. Die Materie als solche spielt keine Rolle. Wichtig ist nur ihre Struktur. Sie ist es, die die Individualität ausmacht. Und die Struktur ist eindeutig und unwiderruflich festgeschrieben in der DNS, der menschlichen Erbsubstanz, von der sich eine Kopie in jeder einzelnen Zelle befindet.
Meine Mutter wußte, daß die DNS des ermordeten Fabian noch nicht von der Welt verschwunden war. Sie existierte noch. Man konnte sie zum Beispiel aus Haut- oder Haarresten, die sich noch an seiner Kleidung befanden, isolieren. Und sie wußte, daß es im Prinzip möglich war, die DNS einer befruchteten Eizelle im Labor durch Fabians DNS zu ersetzen und diese Eizelle von ihr – Luise Burkhardt – austragen zu lassen. Sie wußte außerdem, daß mein Vater die Fähigkeit hatte, genau dies zu tun.
Ich weiß nicht, wie es ihr gelungen ist, ihn zu überreden. Es war nicht nur illegal, sondern für den Ungeborenen auch riskant. Man wußte aus Experimenten mit Tieren, daß viele Klone tot zur Welt kamen oder ihre Geburt nicht lange überlebten. Ich vermute, sie wünschte sich so sehr, ihr ermordeter Sohn möge wieder lebendig werden, daß er schließlich nachgab.
Und so geschah es. Der Klon wurde wider Erwarten ein gesunder Junge, und das Ergebnis sehen Sie vor sich.“
Sein Zuhörer blickte ihn nun direkt und mit offenkundigem Grauen an. Sein Unterkiefer war heruntergeklappt, sein Gesicht aschfahl.
„Jaah, Herr Drömer“, sagte Fabian Burkhardt gedehnt. „Ich bin es. Ich bin Fabian Burkhardt, der Mensch, den Sie damals entführt und getötet haben. Ich bin zwar nur die zweite Auflage, aber das macht keinen Unterschied. Ich bin wieder da, auferstanden von den Toten.
Wäre ich ein genauso fröhliches Kind geworden wie der ursprüngliche Fabian, dann wäre meine Mutter heute vielleicht noch am Leben. Aber es war irgendwie ein Teufelskreis: Dadurch, daß meine Mutter kalt war, wurde auch ich kalt und konnte ihr keine Wärme und keine Freude zurückgeben.
Es ist wahr, Sie haben Ihre Strafe für den Mord an Fabian Burkhardt abgesessen. Nicht dafür werden Sie nun bezahlen. Sie werden dafür bezahlen, daß auch ich, nach meiner Wiederauferstehung, ein Leben in Kälte – der Kälte eines Grabes – verbringen muß. Sie haben mein Leben zweimal zerstört. Sehen Sie her.“
Er blieb in der Mitte des Raumes stehen und öffnete den Reißverschluß der ledernen Mappe, die er bei sich trug. Herr Drömer befürchtete wohl das Schlimmste und wollte aufspringen, aber Fabian Burkhardt gebot ihm mit einer Geste seiner Hand Einhalt – und sein Zuhörer blieb gehorsam sitzen.
„Nach dem Tod meiner Mutter lebte ich allein bei meinem Vater. Da er kaum Gelegenheit hatte, sich außerhalb seiner Arbeitszeit mit mir zu beschäftigen, ließ er mich, so oft es ging, bei seiner Arbeit dabeisein, und ich gewann als Jugendlicher einen faszinierenden Einblick in eine neue Welt: die Welt unserer eigenen Existenz.“
Er beförderte aus der ledernen Mappe ein Reagensglas zutage, das mit einem Korken verschlossen war. Er entfernte den Korken mit einem vernehmlichen Plöpp und hielt das Reagensglas seinem Gastgeber zur Begutachtung hin.
„Schauen Sie.“
Herr Drömer betrachtete mißtrauisch das gläserne Röhrchen. Es war zu einem Drittel mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt.
„Diese Flüssigkeit enthält ein Virus, das zu hundert Prozent im Labor entworfen und hergestellt wurde. Es ist ein völlig synthetisches Produkt, ein sogenanntes Designer-Virus, eines der neuesten Erzeugnisse aus der Giftküche meines Vaters. Sie haben es bereits eingeatmet. Das Virus wird spezifische Zellen Ihres Nervensystems befallen – welche es genau sind, dürfte Ihnen vermutlich gleichgültig sein –, dort seine DNS einschleusen, sich von diesen Zellen in großem Maßstab vermehren lassen und immer neue Nervenzellen befallen. Gleichzeitig wird die DNS der betroffenen Zellen so umprogrammiert werden, daß Sie, Herr Drömer, innerhalb der nächsten Wochen und Monate einen immer stärkeren und unwiderstehlicheren Drang zur Autoaggression oder Selbstverstümmelung entwickeln werden, der schließlich in einer Art blindwütiger Raserei zu Ihrer Selbsttötung führen wird. Sie können diesem qualvollen Vorgang entgehen, indem Sie Ihrem Leben vorher ein Ende setzen.
Kein Arzt der Welt wird Ihnen übrigens ein Mittel dagegen verschaffen können. Mir selbst kann das Virus nichts anhaben, weil ich mich vorher dagegen geimpft habe. Ob Sie zur Polizei gehen oder nicht, ist mir egal, da mein Leben ohnehin verpfuscht ist.“
Er verkorkte das Reagensglas wieder und verstaute es sorgfältig in seiner Ledermappe.
Herr Drömer konnte sich nicht erinnern, wie lange er starr und wie betäubt auf der Couch gesessen hatte. Als er den Kopf hob, war er allein in der Wohnung.
Er sprang mit einem Ruck auf, holte aus der Küche ein Brotmesser, öffnete die Wohnungstür und spähte nach beiden Seiten in den Korridor. Von Fabian Burkhardt war nichts zu sehen. Laut schreiend und fluchend rannte er den Korridor entlang zum Fahrstuhl, der sich jedoch gerade auf seiner Reise zwischen den Etagen befand. Er stürmte, immer noch fluchend und schreiend, mit dem Messer in der Hand die Treppen hinunter und stand kurz darauf im Freien vor dem Haus. Eine junge Frau kam ihm entgegen und starrte ihn furchtsam an. Herr Drömer sah sich hilflos nach allen Seiten um. Es hatte keinen Zweck. Fabian Burkhardt war verschwunden.

 

Hallo erstmal.

Ist meine erste Geschichte, die ich in Spannung lese. Und anscheinend deine erste Veröffentlichung. Premierenparty!!! ......... Naja, lassen wir das.

Dein erster Satz hat mich gefesselt. Ein prima Metapher.

Erstmal Kritik:

Über den Parkplatz rollte ein Wagen der gehobenen Klasse und reihte sich leise summend in die Kolonnen der parkenden Autos ein
Der Wagen summte? Ist es ein Elektroauto???

Aufrecht und gemessen schritt er auf das Eingangsportal des Hauses zu,
Wie schritt er gemessen? Gemessen gerade? Ich würde schreiben: Aufrecht und angemessen langsam oder ruhig oder so. Klingt zwar auch nicht so toll, aber... :Pfeif:

Die Fahrstuhlkabine war ursprünglich grau gestrichen gewesen
Besser: hatte ursprünglich einen grauen Anstrich gehabt...

Er drückte einen der geschwärzten und teilweise zerschmolzenen Fahrstuhlknöpfe
Zerschmolzen passt nicht. Schreib verschlissenen oder so.

Den Besucher schien dies zu befriedigen, er wirkte sogar leicht amüsiert.
"Dies zu befriedigen" klingt zu geschwollen. Besser: Die Reaktion von Drömer schien den Besucher zu befriedigen...

„Erlauben Sie?“ sagte er und schob sich an dem perplex wirkenden Mann vorbei in dessen Wohnung
sagte er und schlüpfte in die Wohnung, indem er sich an dem perplex wirkenden Mann vorbei schob.

Er betrat das Wohnzimmer und sah sich abschätzig um
Nicht eher abschätzend? Oder meinst du neugierig?

und borgten sich den Rest bei Freunden zusammen
zusammen weg.

Der Dolch, den man in ihre Brust gestoßen hatte, war abgebrochen, die kalte Klinge in ihrem Herzen schnitt mit jedem Pulsschlag tiefer in den Muskel.
Sehr schönes Metapher

Sie konnte keine Wärme mehr empfinden, nicht für ihren Mann, nicht für andere Menschen, nicht für sich selbst. Der Eismann hatte ganze Arbeit geleistet.“
Find ich cool: Sie konnte keine Wärme empfinden...der Eismann hatte ganze Arbeit geleistet.
(keine Wärme - Eismann)

wenn er wie ein Seemann auf einem Gespensterschiff zwanghaft immer dieselben Dinge tat und sagte.
gefällt mir gut

mein absoluter Liebling:

Die Front des Hochhauses ähnelte in der Dunkelheit einem Schachbrettmuster aus beleuchteten und schwarzen Fenstern.
Das ist mal ein Satz.

Ich muss sagen, du schreibst echt spitze. Teilweise formulierst du etwas zu kompliziert, aber ich habe diese Geschichte in einem Rutsch gelesen.
Du hast das Thema klasse rübergebracht.
Am Anfang waren noch ein paar kleine Fehler (siehe oben), aber das Ende dann, war gut geschrieben.

Noch was kleines:
Als der Unbekannte in Drömers Wohnung geht und sagt, Drömer soll sich setzen, tut er das. Obwohl der Unbekannte ihm gesagt hat, er wird sterben.
Ich würde da durchdrehen. Brüllen und was auch immer, mich vielleicht verkriechen. Aber ich würde mich nicht still auf die couch setzen.
Lass Fabian doch erst etwas später sagen, dass Drömer sowieso sterben wird. Fänd ich etwas besser.

cu

Tama

 

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