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Brennnesseltee
Tom stellt mir eine dampfende Tasse Brennnesseltee in mein Blickfeld.
„Ich finde, du solltest mal mit mir reden“, sagt er. „Es ist schon das dritte Mal in diesem Monat, dass du aufgestanden bist und nicht mehr ins Bett kommst.“
Es ist halb sechs morgens. Ich weiß nicht mehr, wann ich aufgewacht bin, aber die zerrauchten Zigaretten deuten an, dass ich schon etwas länger hier sitzen muss.
Geräusche des Morgens dringen in die Küche, die Sonne wirft frisches Licht in den Raum, dass sich das Holz des Tisches erhellt, und erste Straßenbahnen machen ihre Runden.
„Björn hieß er. Ich war von zu Hause ausgebüxt und traf ihn auf der Gleise, weitab der Siedlung, soweit mich meine jungen Beine getragen hatten.“
Ich nehme einen Schluck Tee. Tom richtet seinen Stuhl in meine Richtung, verschränkt die Arme und vergisst den Kaffee, den er aufgesetzt hat.
„Er rauchte und warf mit Steinen auf einen Baum. Ich traute mich nicht, an ihm vorbei zu gehen. Dann schaute er in meine Richtung und fragte, ob ich auch mal ziehen wolle. Schweigend setzte ich mich zu ihm und zog an der Zigarette. Ich versuchte nicht zu husten und es gelang. Wohlwollend grinsend beobachtete er mich und stellte erfreut fest, dass ich das ja nicht zum ersten Mal machen würde. Dann erzählte ich ihm meine, noch so kurze, Lebensgeschichte, von Mutter und meiner Flucht und von den Ratten in dem leerstehenden Haus, wo ich eine Nacht zuvor kaum ein Auge zubekommen hatte.
„Cool!“, sagte er, immer noch nickend. Dann verbrachte ich den Tag mit ihm. Wir kauften uns Drehtabak und Björn zeigte mir, wie man eine Zigarette „kurbelt“. Gegen Abend tranken wir Bier und lümmelten uns an einen Fluss.
Es war, als wären wir Gefährten, da auch er nicht den Anschein machte, Verpflichtungen zu haben oder zu bestimmten Zeiten zu Hause sein zu müssen.
Doch als die Sonne untergegangen war und mir kalt wurde, sagte auch er, dass er jetzt gehen müsse, da seine Mutter sonst wieder rummaulen würde und am nächsten Tag sei schließlich Schule.
„Jetzt komm schon! Ich kann dich ja da nicht so sitzen lassen!“, rief er, als er sich schon einige Schritte entfernt hatte.“
Tom hebt den Kopf. Ich habe ihm bisher noch nicht davon erzählt gehabt.
„Björn zeigte mir ein altes und zerfallenes Schaffnerhäuschen an der stillgelegten Gleise. Er sagte, wenn er es bei seinen Eltern nicht mehr aushalten würde, würde er hier übernachten. Mit Brettern hatte er ein neues Fenster gebaut und ein Sofa hatte er sogar und viele Decken und Pornoheftchen und Bier und Cola und Kerzen und ein Fahrradschloss, um die Tür zu verriegeln. Den Tabak teilten wir auf.
Am nächsten Tag hörte ich seine Stimme schon von weitem. Und Flaschen, die kaputtgeschmissen wurden. Er kam nicht alleine.
Jens hieß sein Freund, den er mitgebracht hatte. Die beiden hatten die Schule geschwänzt und sich besoffen. Sie machten mir Angst. Sie erzählten von den Mädchen aus ihrer Klasse und wie sie sie durchgefickt hatten und fuchtelten mit ihren Messern vor meinem Gesicht herum.“
Tom raucht. Dann sehen wir uns an und lachen verkrampft. Er raucht gar nicht. „Erzähl ruhig weiter!“, fordert er mich auf und drückt die Kippe in den Ascher.
„Die beiden tranken immer mehr und Björn war in der Gegenwart seines Freundes nicht mehr der verständnisvolle und coole Junge vom Vortag.
Als ich gehen wollte, hielten sie mich auf und schubsten mich wieder aufs Sofa. Ich begann zu weinen und die beiden übergossen mich mit Bier. Ich solle mich mal ausziehen, sie würden meine Titten sehen wollen, sagten sie, und während Björn mich festhielt, zerschnitt mir Jens mein T-Shirt und den BH. Ich wollte schreien, aber sie hielten mir den Mund zu und die Arme hinter den Rücken.
Jens war es, der mir zuerst seinen Schwanz ins Gesicht drückte und ...“
Morgendlicher Wind säuselt in die stille Küche. Tom sieht mich mit großen Augen an.
„Und dann wache ich für gewöhnlich auf. Denn den Rest der Geschichte möchte ich beim besten Willen nicht mehr träumen.“
„Es ist vorbei“, sagt Tom, und ich trinke den letzten Schluck meines Brennnesseltees.