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Brutpflege bei flugunfähigen Vögeln

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24.01.2003
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Brutpflege bei flugunfähigen Vögeln

Ich wäre gern im Krankenhaus bei meiner Frau gewesen. Stattdessen hatte ich zwei Stunden am Flughafen in Punta Arenas vergeblich auf den Flieger mit meiner Touristengruppe gewartet. Nun endlich sah ich sie: Die vier waren in der Masse der braungesichtigen Passagiere leicht als Europäer zu erkennen. Sie wuchteten ihre dicken, neuen Koffer vom Förderband und rollten sie durch die Glasschiebetür, die den Ankunftsbereich vom übrigen Terminal trennte.

Eine vielleicht siebzigjährige Frau, die ständig ihre Brille geraderückte, zog einen etwa gleichaltrigen Mann an der Hand hinter sich her. Ihnen folgte ein Pärchen um die Vierzig. Ich warf noch einen schnellen Blick auf die Uhr: Es war zehn nach zwölf Uhr mittags. Der Flieger war mehr als zwei Stunden zu spät angekommen. Jetzt musste ich die vier Touristen so schnell wie möglich zum Bus bringen, und dann ab zur Pinguinkolonie.

"Herzlich willkommen in Punta Arenas", empfing ich sie. "Mein Name ist Christian Müller. Ich bin Ihr Reiseführer hier in Patagonien. Sie werden mich in den nächsten Tagen ertragen müssen - oder Sie müssen den Weg selber finden."

Drei von meinen Touristen lachten über den Kalauer. Die vierte, die Alte mit der Nickelbrille, sah mich streng an.

"Ich bin heute etwas nervös", entschuldigte ich mich für den Scherz. "Ich werde gerade Vater. Bei meiner Frau wird heute ein Kaiserschnitt gemacht."

Ohne darauf einzugehen, stellte sich die Alte als Wilhemine Kipfer vor. "Das Flugzeug konnte in Santiago nicht rechtzeitig starten", sagte sie dann und rückte dabei ihre Nickelbrille mit zwei Fingern wieder in Position. "Wir werden sicherlich unser Besuchsprogramm kürzen müssen - eingedenk der Tatsache, dass wir einen dichtgedrängten Zeitplan haben."

"Machen Sie sich keine Sorgen", versuchte ich sie zu beruhigen und lud das Gepäck auf einen Wagen. Hier am Flughafen waren die Rollkoffer perfekt. Draußen im Nationalpark würde es anders aussehen. Aber irgendwie würde es schon gehen. Ich setzte den Gepäckwagen in Richtung Ausgang in Bewegung, doch Wilhelmine hielt mich am Ärmel zurück.

"Wir haben Verspätung. Wir können unmöglich die Pinguinkolonie sehen und noch vor Sonnenuntergang in Puerto Natales sein."

"Warum wollen Sie vor Sonnenuntergang in Puerto Natales sein?"

"Na wegen der Fotos selbstverständlich", fuhr sie mich an.

"Wir können den Sonnenuntergang doch noch fotografieren, oder?", fragte die jüngere Frau und stellte sich als Andrea Rennert vor. Eine senkrechte Angstfalte grub sich zwischen ihren Brauen ein. "Wir haben noch keinen Sonnenuntergang, und unsere drei Wochen sind schon fast um."

Ich musste lachen. "Keine Sorge, das klappt schon noch."

"So können Sie uns nicht abspeisen, Herr Müller", zischte Wilhelmine. "Wir haben eine Menge Geld bezahlt für diese Reise, und wir verlangen nachhaltige Kooperation."

"Die bekommen Sie. Und je früher wir von hier verschwinden, desto mehr Zeit bleibt uns für die Pinguinkolonie." Mit diesen Worten wollte ich die Gruppe hinaus zum Parkplatz lotsen. Drei von ihnen folgten mir, doch Wilhelmine blieb stehen und verlangte Aufmerksamkeit.

"Die Pinguine sind laut Lonely-Planet-Guide jetzt im März sowieso nicht mehr zu sehen. Warum fahren wir überhaupt dorthin?"

"Sie sind gut informiert, Wilhelmine, das muss ich sagen", versuchte ich sie zu beruhigen. "Aber ich war vor zwei Tagen dort, und da waren noch genug Pinguine da. Ich schlage vor, wir gehen hinaus und setzen uns in den Bus. Dort ist dann genug Zeit, all Ihre Fragen zu beantworten."

Widerwillig folgte Wilhelmine uns hinaus auf den kleinen Parkplatz des Flughafens. Ich öffnete die Schiebetür des Kleinbusses und ließ die Touristen einsteigen. Dann setzte ich mich nach vorne neben den Fahrer, und wir fuhren los.

"Wir werden etwa anderthalb Stunden bis zur Pinguinkolonie brauchen", sagte ich, nach hinten gewandt. "Entspannen Sie sich erst mal und genießen Sie die Aussicht. Wir haben heute ungewöhnlich schönes Wetter für Patagonien."

"Gibt es morgen Abend auf der Berghütte warmes Wasser?" wollte Andrea wissen. "Ich habe mich etwas verkühlt."

"Natürlich, warmes Wasser, Duschen, Tee, Kaffee - was Sie wollen. Allerdings nur Duschen, keine Badewanne."

Auf der Stirn der jungen Frau bildete sich wieder die senkrechte Angstfalte.
"Keine Panik, wir werden Sie schon warm halten. Zerbrechen Sie sich jetzt nicht den Kopf deswegen. Heute Abend bleiben Sie ja erst mal im besten Hotel von Puerto Natales."

"Wir bekommen dort sicherlich auch Curanto", verkündete Wilhelmine. "Fisch, Muscheln, Huhn, Fleisch und Kartoffeln, im Muschelsud gegart", erklärte sie ihren Reisegenossen. "Isabel Allende erwähnt es in ihrem bekannten Buch 'Eva Luna'". Ich konnte mir gerade noch einen Seufzer verbeißen.

Im Bus hinter mir wurde es ruhig, die Touristen waren müde. Im Außenspiegel sah ich, dass Wilhelmine ihren Kopf ans Fenster gelehnt hatte: Sie war eingeschlafen. Die Alte begann, mir die Gruppe zu vermiesen. Aber ich brauchte die Kohle, die ich für die Führung bekam. Arschbacken zusammenkneifen, hatte mein Leutnant bei den Fallschirmspringern immer gesagt, das gibt einen straffen Hintern. Bald würde ich ja wieder bei meiner Frau sein und wissen, wie die Operation gelaufen war.

***************************************

Der Fahrer parkte den Kleinbus vor dem Ranger-Häuschen, das den Eingang zur Pinguin-Kolonie bewachte. Ich sprang heraus und sah nach oben. Ein wolkenloser Himmel spannte sich über den Otway-Sound. Vom Wasser her flutete nach Fisch und Salz schmeckende Luft herüber. Ich öffnete die Schiebetür des Busses und ließ sie donnernd zurücksausen.

"Vergessen Sie Ihren Sonnenschutz, Ihr Fernglas und Ihren Fotoapparat nicht", mahnte ich und reichte Andrea die Hand zum Aussteigen. Die junge Frau machte ein Gesicht, als müsste sie mit verbundenen Augen auf einem Drahtseil über einen Abgrund balancieren. Herausgeklettert, stand sie staunend vor einem Pick-up, der neben unserem Bus geparkt war.

"Warum ist das Auto so schmutzig?" fragte sie. "Ist es so tief durch den Schlamm gefahren?"

Ich musste lachen. Als alle ausgestiegen waren, entschuldigte ich mich für einen Moment und ging in das Häuschen, um die Eintrittsgebühr von viertausend Pesos pro Nase zu bezahlen. Dann übernahm ich die Führung. Der Holzsteg, der unter unseren Bergstiefeln wie ein stumpfes Xylophon klang, führte durch leicht wellige Dünen. Rechts von uns leckte das blaue Wasser des Otway-Sounds am Ufer. In einiger Entfernung vom Weg standen ein paar braune Magellan-Gänse unschlüssig in der Gegend herum.

Direkt vor uns flatterte etwas von einem Busch auf. Ein Vogel von der Größe einer Bergdohle, mit rotem Hals und grauen Flügeln, flüchtete auf ein rund zehn Meter entferntes Gebüsch.

"Was war das?" Klaus hatte den Vogel gesehen. Er löste sich von Andrea, schob die Brille auf die Nasenspitze und hielt sich das Fernglas vor die Augen. Dabei fiel ihm die Brille auf den Boden. Er kicherte über seine Ungeschicklichkeit. Ich bückte mich nach der Brille und gab sie ihm zurück.

"Ein Langschwanz-Soldatensterrling, und zwar das Männchen. Da drüben sitzt das Weibchen." Ich zeigte ihm den dürren Busch auf der anderen Seite des Stegs, in dem ein Vogel saß, der aussah wie das Männchen, nur dass ihm die auffällige rote Musterung fehlte. Zufrieden nickend nahm Klaus meine Erklärung zur Kenntnis und legte seinen Arm wieder um Andrea. Den Namen des Vogels hatte er sicher im nächsten Moment wieder vergessen. Manchmal fragen meine Klienten nur, weil sie für die Antworten bezahlt haben.

Ein paar Minuten später entdeckten wir die ersten beiden Magellan-Pinguine. Die schwarzweißen Vögel standen zehn Meter weit vom Steg entfernt in den grasigen Dünen. Genießerisch streckten sie ihre weiße Brust in die milde Herbstsonne und säuberten gemächlich ihr Gefieder von den Resten des Sommerkleids. Nicht einmal von den hektisch surrenden Zoomobjektiven der Touristen ließen sich die Vögel aus der Ruhe bringen.

"Pinguine sind, wie Sie wahrscheinlich wissen, flugunfähige Vögel", erklärte ich. "An Land wirken sie eher plump und tollpatschig, aber im Wasser, beim Schwimmen, bewegen sie ihre Flossen ähnlich wie Flügel."

"Pinguine konnten noch nie fliegen", rief Wilhelmine herausfordernd und fuhr mit dem Zeigefinger durch die Luft, als wollte sie sie in Scheiben schneiden.

"Stimmt. Aber sie stammen von flugfähigen Vögeln ab", erklärte ich und sah zu einer Möwe hinauf, die wie an einer Schnur gehalten fast reglos im Seewind schwebte. Unwillkürlich musste ich an die stabile X-Position der Springer denken - daran, wie es gewesen war, schwerelos zu fallen, bewegungslos inmitten des Sturms. Die Möwe machte eine kleine Bewegung; es sah aus, als zuckte sie mit der Achsel. Das ließ sie auf die See zudriften. Sie bremste flatternd ihren Flug ab, und landete auf dem Wasser.

Die stabile X-Position - das war Vergangenheit. Von nun an musste ich Geld verdienen. Mein Kind sollte auf die Privatschule in Punta Arenas gehen, und die war nicht billig.

Ich kramte mein Handy aus der Anoraktasche, aber es fand kein Netz. Erst von Puerto Natales aus würde ich Yasmina wieder erreichen können.

"Sie haben sicher nichts gegen eine schöne Tasse Kaffee einzuwenden. Ich kenne in Puerto Natales ein nettes Café", schlug ich vor.

"Zuerst sollten Sie uns noch etwas zu den mannigfachen Feinden der Magellan-Pinguine sagen. Der Lonely-Planet-Guide erwähnt Orcas, die früher oft zu Unrecht als Killerwale bezeichnet wurden", meinte Wilhelmine und rückte ihre Brille gerade.

Ich bestätigte ihre Information, sprach von der kühlen Strömung, die von der nahen Antarktis herauskam, und versuchte, die Gruppe auf dem kürzesten Weg zum Bus zurückzubringen. Aber Wilhelmine bestand darauf, jeden Meter der Kolonie zu erkunden. Immer wieder blieben die vier Touristen stehen, um Fotos von Pinguinen zu schießen oder um die Gänse zu betrachten, die zwischen den Dünen umherwatschelten.

Innerlich kochte ich, aber ich zwang mich zur Ruhe. Die Touristen hatten schließlich eine Reise bezahlt. An einem grasbewachsenen Hügel entdeckte ich eine Bruthöhle direkt neben dem Holzsteg. Ich kauerte mich nieder und wies auf das Loch im Sand.

"Die Magellan-Pinguine brüten in den Höhlen, die Sie hier überall sehen. Männchen und Weibchen kümmern sich aufopfernd um die Jungen. Sie füttern sie abwechselnd." Wilhelmine hatte sich neben mir hingekniet und spähte neugierig in das Loch hinein. Als sie die Hand ausstreckte, warnte ich sie: "Sie sollten da auf keinen Fall hineinfassen, es sei denn, Sie haben einen Finger zuviel an der Hand."

Gegen zwei hatte ich die Gruppe wieder im Bus, und wir fuhren nach Puerto Natales. Dort musste ich die vier nur noch im Hotel abliefern. Gleich danach rief ich im Krankenhaus an. "Nein", hieß es dort, als ich Yasmina verlangte, "Ihre Frau braucht jetzt Schlaf." Es war alles gut gegangen. Ich hatte eine Tochter. Erleichtert legte ich auf.

Gleich nach dem Essen legte ich mich ins Bett. Wilhelmine hatte mich ziemlich geschafft. Wie sollte ich noch einen Tag mit ihr überstehen?

***************************************

Am nächsten Morgen holte ich die Gruppe nach dem Frühstück im Hotel ab. Die 110 Kilometer zum Nationalpark Torres del Paine bewältigten wir in rund zwei Stunden. Wir checkten am Refugio Lago Pehoé ein und machten uns wenig später auf die Socken zum Grey-Gletscher.

Obwohl Andrea und Klaus völlig neue Wanderstiefel hatten, und unterwegs ihre wunden Füße verarztet werden mussten, kamen wir nach rund zwei Stunden am Rastplatz gegenüber dem Gletscher an. Wir ließen uns auf den glatten, grauen Steinplatten nieder und packten unsere Brotzeit aus.

Links, tief unter uns, lag der grüne Gletschersee, auf dem vereinzelte Eisberge dahintrieben. Eine kühle Brise zog von dort herauf und kühlte unsere verschwitzten Oberkörper. Rechts türmten sich majestätisch die Cuernos, die Hörner, wohl die spektakulärsten Felspfeiler des Torres-Massivs. Und uns gegenüber, rund zwei Kilometer entfernt, brach der Gletscher 50 Meter tief in den Lago Grey ab. Dahinter lagen, hingebreitet wie ein sauberes, weißes Deckbett, die weiter entfernten Firnfelder der patagonischen Anden.
Ruhig sah ich hinüber auf die Abbruchkante des Gletschers. Meine Laune hatte sich gebessert. Auf der Wanderung hatte ich es geschafft, Wilhelmine so weit als möglich aus dem Weg zu gehen. Doch hier war ich ihr wieder ausgeliefert.

"Die Gletscher in Island sind zweifellos imposanter", fand sie. "Man kann dort das Kalben ganz unmittelbar miterleben. Sie waren gewiss noch nie in Island."

Ich überhörte die Bemerkung.

"Können Sie uns wenigstens etwas zur Entstehung dieses Gebirges erzählen, oder hat das nicht zu Ihrer Ausbildung gehört?"

"Aber sicher: Die Cuernos entstanden, als ein von unten kommender Lava-Pfropfen langsam unter enormem Druck zu Granit erstarrte. Das ist die helle Schicht. Darüber sehen Sie braune Schichtformationen; das ist Schiefer. Ich finde, es sieht aus wie Vanille- und Schokoladeneis."

"Aber wie das Schiefergestein auf den Granitpfropfen kam, das können Sie uns nicht erklären. Ihre Ausbildung beschränkt sich wohl auf die Lektüre von zwei oder drei Reiseführern", keifte Wilhelmine. Ich schnappte nach Luft, und eine Zeitlang antwortete ich nicht.

"Ich bin vielleicht kein Fachmann in Geologie", sagte ich dann. "Aber ich arbeite hart daran, Ihnen etwas zu bieten."

"Uns etwas bieten! Dass ich nicht lache. Nichts wissen Sie, gar nichts! Aber das eine kann ich Ihnen sagen, bei mir wären Sie im Abitur durchgefallen."

"Ach", murmelte ich, "Sie sind Lehrerin."

"War ich. Bis sie mich in Pension geschickt haben, von einem Tag auf den anderen. Nach 30 Jahren! Dabei war ich die beste Kraft im ganzen Kollektiv."

Ich schwieg und sah mich nach den anderen um. Wilhelmines Mann stand ein paar Meter weiter am Abhang und starrte zum Gletscher hinüber. Andrea sah mich mit ihrem Sorgengesicht an, und Klaus kicherte leise vor sich hin. Ich nahm ein Pfefferminz aus meinem Blechschächtelchen und schob es in den Mund.

"Ich glaube, allmählich wird es Zeit, umzukehren", meinte ich ruhig und stand auf.

Die Gruppe packte ihre Sachen ein und folgte mir. Wilhelmine, die gleich hinter mir ging, schimpfte weiter auf mich ein. Unwillkürlich wurde ich immer schneller, aber sie hielt Schritt. An einem abschüssigen Wegstück hörte ich dann ein ungewöhnliches Geräusch hinter mir, ein Rascheln.

Ich drehe mich um und sehe gerade noch, wie Wilhelmine über die Böschung den Abhang neben dem Weg hinabrollt. Ich springe ein paar Meter die Böschung hinunter und fange ihren Körper ab. Um ein Haar wäre sie in die spitzen Splitter eines umgestürzten Baumstamms geraten.
Ein paar Sekunden lag Wilhelmine völlig bewegungslos da, zusammengekrümmt, nur von meinen Armen am Boden festgehalten, ein hilfloses Bündel alten Fleisches. Sie blieb länger liegen, als ich brauchte, um wieder Atem zu schöpfen, und nach einer Zeitlang spürte ich, wie wild ihr Herz schlug. Schließlich jedoch rappelte sie sich auf, und ich half ihr auf den Weg zurück.

Sie konnte stehen, aber ich sah, dass sie blass geworden war.

"Was ist passiert?" fragte ich sie.

"Bin umgeknickt und da runter gestolpert."

"Tut der Fuß weh beim Auftreten?"

Sie setzte die Stiefelsohle auf den Boden, erst vorsichtig, dann fester. Schließlich bog sie den Fuß abwechselnd nach links und nach rechts. Es ging, und kaum hatte sie das festgestellt, lief sie schon vorneweg, schneller als zuvor. Es dauerte eine halbe Stunde, bis mir klar wurde, dass sie einen leichten Schock hatte. Das geschah manchmal bei überraschenden Stürzen. Aber ich konnte sie auf dem Weg weithin sehen, und so ließ ich sie alleine vorauslaufen.

Dann bemerkte ich, dass Wilhelmine wieder langsamer wurde. Schließlich blieb sie stehen und wartete auf uns. Sie reihte sich hinter mir in die Gruppe ein.

"Ich hätte mir sicher ziemlich weh getan, wenn ich in den Baumstamm gerollt wäre. Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen bedanken", sagte sie zu mir.

"War doch selbstverständlich."

"Und ich möchte mich auch entschuldigen, Christian. Manchmal bin ich mehr mit meinen Problemen beschäftigt als mit dem, was um mich herum passiert. Zum Beispiel das mit Ihrer Frau."

"Ist ja alles gut gegangen."

"Aber in der ganzen Zeit mussten Sie mit uns herumlaufen."

"Das ist mein Job. Da kann man sich die Tage nicht aussuchen."

Wir schlenderten weiter auf die Berghütte zu, von der wir einige Stunden vorher aufgebrochen waren. Auf dem Weg kamen wir an einem kleinen See vorbei. In der glatten Oberfläche spiegelten sich die Cuernos. Ich blieb stehen und betrachtete eine Zeit lang still das klare Spiegelbild. Normalerweise tosten hier Stürme, so stark, dass man sich fast nicht aufrecht halten konnte. Die Härte, die diese Landschaft sonst auszeichnete, war jetzt nicht zu spüren. Es war ein wunderbar stiller Nachmittag geworden.

(Danke fürs Lesen)

 

Hallo,

klingt alles sehr authentisch. Selbst erlebt?

Schön geschrieben, gefällt mir.

Gruß
Heinz

 

Hallo Rainman,

danke für das Lob. So ähnlich hab ich das erlebt. Nur zieh nicht den falschen Schluss, dass ich mal in Chile Fremdenführer war...

Grüße,
Stefan

 

Hallo leixoletti,

ich fand die Geschichte ebenfalls schön geschrieben, hatte teilweise das Gefühl selber mitgegangen zu sein. Nur die Geschichte überzeugt mich nicht so...Ich hatte ein bisschen das Gefühl, du wolltest die Landschaft Chiles beschreiben und brauchtest dafür eine Geschichte, die Handlung kommt mir dabei eher ein wenig nebensächlich vor. Ich glaube du hättest noch mehr daraus machen können...
Gruß Andrea

 

Hallo drea,

danke fürs Lesen - bei so einer langen Geschichte keine Selbstverständlichkeit.

Zur Landschaft: Vielleicht habe ich mit der Schauplatz-Beschreibung etwas übertrieben. Generell find ich es gut, wenn man sich den Schauplatz vorstellen kann. Ich werd mal drüber nachdenken.

Grüße,
dein Stefan aka leixoletti

 

Lieber Stefan!

Also, um es kurz zu machen: Deine Geschichte gefällt mir – vor allem, weil Du eine eigentlich perverse Situation so nebenbei darstellst und fast bis zur Unkenntlichkeit ausschmückst (was keinesfalls negativ ist). :)

Das Perverse ist die Entmenschlichung, die Du aufzeigst. – Daß ein Mann, während er Vater wird, nicht dort sein kann, wo sein Kind geboren wird, sondern um des Geldes willen arbeiten muß.
Wie wichtig sind oft die Tätigkeiten, die uns davon abhalten, unser Mensch-Sein zu leben? Wie weit haben wir unsere Natürlichkeit schon längst verkauft?
Dein Protagonist muß Touristen herumführen, die den Tag genausogut anders verbringen könnten bzw. an einem anderen Tag ebenso die Pinguin-Kolonie besichtigen könnten. Die Aussage von Wilhelmine ist vielsagend: „Wir haben eine Menge Geld bezahlt für diese Reise, und wir verlangen nachhaltige Kooperation.“
Besonders ätzend fand ich auch: „Die Gletscher von Island sind zweifellos imposanter. Man kann dort das Kalben unmittelbar miterleben. Sie waren gewiss noch nie in Island.“ – Mit dem Hintergrund der Geschichte ist diese Aussage einfach :thumbsup: !

Eventuell könntest Du ein bisschen kürzen, um die Aussage deutlicher zu machen. Aber zu viel würd ich gar nicht wegstreichen, eher nur einzelne Wörter, die vielleicht nicht notwendig sind, da gerade durch die vielen Beschreibungen der Landschaft und der Touristen die Geschichte nicht zu einem Holzhammer wird. Die Beschreibungen dienen sozusagen als Tarnung...:cool:

Ein bisschen was ist mir noch aufgefallen:

»Dann setzte ich mich nach vorne neben den Fahrer, und wir fuhren los.«
– der Beistrich muß da nicht hin (Beistrich = Komma)

»Entspannen Sie sich erst mal und«
– „erst einmal“ wäre schöneres Deutsch…;)

»"Gibt es morgen Abend auf der Berghütte warmes Wasser?" wollte Andrea wissen.«
– Wasser?“, wollte

»"Warum ist das Auto so schmutzig?" fragte sie.«
– ebenfalls der Beistrich

»Direkt vor uns flatterte etwas von einem Busch auf. Ein Vogel von der Größe«
– zweimal „von“, vielleicht läßt sich eins vermeiden? (Ist aber nicht tragisch, wenn nicht. ;))

»Ein Langschwanz-Soldatensterrling«
– -sterling

»das Kalben ganz unmittelbar miterleben.«
– zweimal „mit“, vielleicht findest Du eine andere Formulierung?

»Ich schnappte nach Luft, und eine Zeitlang antwortete ich nicht.«
– eine Zeit lang (auseinander nach neuer RS)

»Nach 30 Jahren!«
– wäre schöner ausgeschrieben: dreißig

»Ich nahm ein Pfefferminz aus meinem Blechschächtelchen und schob es in den Mund.«
– Ein Pfefferminzblatt? Oder vielleicht doch ein Pfefferminzbonbon? Tatsächlich ist das Kauen von frischen Pfefferminzblättern ein guter Kaugummiersatz. Nur der grüne Mund danach … :D

»Ich drehe mich um und sehe gerade noch, wie Wilhelmine über die Böschung den Abhang neben dem Weg hinabrollt. Ich springe ein paar Meter die Böschung hinunter und fange ihren Körper ab.«
– hier hast Du die falsche Zeit erwischt ;)

»und nach einer Zeitlang spürte ich, wie wild ihr Herz schlug.«
– noch einmal „Zeit lang“

»Schließlich jedoch rappelte sie sich auf, und ich half ihr auf den Weg zurück.«
– hier ist der Beistrich meiner Meinung nach überflüssig

»"Was ist passiert?" fragte ich sie.«
– hier gehört er aber hin (der Beistrich)


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,

danke für deine Kritik an meiner schon etwas angestaubten Geschichte. Jetzt würd ich das alles anders schreiben - und vielleicht mach ich das auch noch mal.

Man kann dort das Kalben unmittelbar miterleben
Mir war gar nicht bewusst, dass man das in Bezug zur Geburt des Kindes sehen kann. Aber es passt, da hast du Recht.

da gerade durch die vielen Beschreibungen der Landschaft und der Touristen die Geschichte nicht zu einem Holzhammer wird.
Ich würde jetzt die Landschaftsbeschreibungen radikal kürzen, und nur das stehenlassen, was für die Atmosphäre wichtig ist.

Danke auch für die sprachlichen Details, vor allem das mit dem Komma.

Pfefferminz
Mein Duden-Universalwörterbuch sagt: Pfefferminz, das : Bonbon o.Ä. mit [einer Füllung mit] Pfefferminzgeschmack. Das Wort gibt es also. Ich dachte an Vivil oder Fisherman's Friends (blaue Packung, glaube ich)

Der Vogel heißt Langschwanz-Soldatenstärling, ich habs nochmal nachgeschaut. Hier wären Bilder von ihm:
http://images.google.de/images?hl=d...ngschwanz-Soldatenstärling"&btnG=Google-Suche

Genug offtopic. Jetzt noch was Literarisches oder Sprachliches:

hier hast Du die falsche Zeit erwischt
Nein, find ich nicht. Das ist der Höhepunkt, wo sich die Ereignisse überstürzen. Da ist m.E. das dramatische Präsens ein Mittel, um etwas besonders spannend darzustellen, um anzudeuten, dass jetzt alles ganz schnell hintereinander passiert.

Beispiel: Plötzlich steht der Einbrecher vor mir und bedroht mich mit der Pistole.

Dazu folgender Link:
http://www.udoklinger.de/Grammatik/Temp.htm

Grüße und nochmal Danke,
Stefan

 

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