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Chicago

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21.09.2003
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Chicago

Die Nacht war dunkel und kalt, als Joe Reeves seinen besten Freund Bob Stanton aus den Händen der Polizei befreite. Stanton hatte sich erwischen lassen, als er für den Don zwei kleine Möchtegerne erschoss ... da konnten die Bullen, obwohl sie natürlich geschmiert waren kein Auge mehr zudrücken. Sie wollten ihn gerade in das Gefängnis von Chicago bringen, als Reeves den Polizeiwagen von der Straße drängte und sie alle erschlug. 'Mission beendet' stand auf dem Bildschirm, als Reeves Stanton aus dem Polizeiwagen zog. Klaus speicherte das Spiel zufrieden ab und schaltete dann den Computer aus. In seinem Rollstuhl, der zu einem treuen Gefährt geworden war, seit er vor 2 Jahren einen schweren Autounfall hatte, fuhr der 16jährige rückwärts zu seinem Bett....

Natürlich kam die Bahn zu spät. Sie kam ja immer zu spät, wenn Klaus pünktlich war. War er nicht pünktlich und hoffte auf eine Verspätung konnte er mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Scheiß-Bahn überpünktlich war. Neben ihm knutschten zwei Teenager. Ein älteres Ehepaar stand Hand-in-Hand daneben. Sogar zwei blöde Hunde leckten aneinander rum. Klaus war alleine. Die Bahn kam und Klaus versuchte, seinen Rollstuhl in die Bahn zu manövrieren. Damit hatte er schon immer Probleme gehabt, dieser verdammte Absatz. Er ruckelte ein bisschen hilflos an seinem Stuhl, während er die mitleidigen Blicke der Leute im Rücken spürte. Endlich hatte er es geschafft und rollte in die Bahn. Die Türen schlossen sich und die Bahn fuhr an. Kaum warf dies geschehen, als sich zwei Männer erhoben und mit schneidender Stimme nach den Fahrkarten verlangten. Klaus verdrehte verzweifelt die Augen und versuchte noch, durch den Mittelgang die Flucht zu ergreifen, doch dieser war für seinen Rollstuhl viel zu eng. Klaus kämpfte verzweifelt, doch es war von Anfang an hoffnungslos. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter und die wohl bekannte Stimme sagte: “Die Fahrkarte, bitte!” Klaus resignierte.

Klaus Gabriel hasste die Welt. Und er hasste sein Leben. Er hasste sich selber und alle, denen es besser ging, als ihm. Den Schulranzen, in dem die hässliche Englischklausur friedlich ruhte, schleuderte er in die Ecke seines Zimmers. Sein Blick fiel auf den Schreibtisch, wo neben dem Computerbildschirm das neue Spiel lag. 'Chicago'.
Chicago war die Stadt von Don Molero. Er regierte die Stadt und vor allem die Unterwelt. Überall hatte dieser alte Hund seine schmutzigen Finger im Spiel. In den Casinos, im Drogenhandel und natürlich auch bei der Polizei, die er nach seinem Gutdünken lenken konnte. Reeves war sein Sohn und Stanton dessen bester Freund, der schon seit Jugendtagen für den Don arbeitete. Heute galt es das Schutzgeld einiger Türsteher von prominenten Diskotheken einzutreiben. Der große Glatzkopf glaubte tatsächlich, sich mit ihnen anlegen zu können, hatte plötzlich einen Schlagring in der Hand. Stanton konnte ihm so gerade noch ausweichen, bevor Reeves die Glatze mit einer Baseball-Keule einschlug. Kein Schutzgeld, aber auch kein Problem mehr. Auf der Rückfahrt wandte sich Stanton an Reeves. “Hör mal zu Joe, ich hab da privat was am laufen, muss der Don nicht unbedingt mitkriegen. Vor der Stadt auf der alten Farm der McArthur-Brüder haben ein paar Ganoven Kisten vom besten Fusel gelagert. Die würde ich mir gerne holen!” Reeves war zwar seinem Vater verpflichtet, hatte jedoch selber unter der Hand gute Geschäfte mit Drogenkurieren laufen, wobei ihm Stanton auch schon tatkräftig zur Hand gegangen war, deswegen stimmte er dem Vorschlag zu und lenkte den Mercedes auf die 495 und fuhr Richtung Stadtende. Die Mission war beendet! Klaus speicherte sein Spiel und ging zu Bett.

Am nächsten Morgen war Klaus am Hafen. Er verzichtete auf den Schulbesuch, weil eine Matheklausur drohte und mehr als zwei schulische Demütigungen pro Woche für ihn zu viel waren. Er war gerne am Hafen, sah dort die Sonne aufgehen und die großen Dampfer fahren. Er wollte Kapitän werden. Von einem Luxusliner. Er träumte immer davon, wenn er am Hafen stand und den Schiffen zusah. Und plötzlich war das Mädchen da. Sie kam von einem der Segler und verzauberte ihn sofort mit ihrer Schönheit. Sie bat ihn um Hilfe, ihre Eltern kamen mit dem Schiff nicht in die Box und brauchten jemand, der sie einwinken konnte. Klaus konnte. Das Mädchen hieß Lina und war vor einer Woche mit ihren Eltern vom Land in die Stadt gezogen. Während ihre Eltern zum Hafenmeister gingen, erzählte Lina ihm von ihren Reisen, die sie mit ihren Eltern schon um die ganze Welt gebracht hatte. Klaus lauschte fasziniert, mit Ohren, Augen, Nase und allem, was ihm sonst zum Lauschen zur Verfügung stand. Er berichtete stolz, dass er in einigen Jahren Kapitän werden wollte. Von einem Luxusdampfer, der die Menschen um die ganze Welt bringen würde, von Tokio nach Kamtschatka, bis San Francisco, Neuseeland und Kapstadt. “Das kannst du doch vergessen!” sagte das Mädchen Lina. “Wie willst du denn mit dem Rollstuhl Kapitän werden?” Sie merkte sofort, dass sie taktlos war und entschuldigte sich tausendmal, doch Klaus war wieder angekommen, auf dem harten Boden der Realität. In diesem Moment kam Bernd. Verdammt, was wollte der denn hier? Er war sein bester Freund, den er schon seit dem Kindergarten kannte. Er rannte laut johlend über den Steg auf die beiden zu (wobei er sich überflüssigerweise einmal ziemlich aufs Maul legte) und berichtete zufrieden von der Klausur, die gar nicht stattgefunden, sondern auf morgen verschoben worden war. Als Linas Eltern zurück kamen, nahmen sie das Mädchen mit auf das Schiff.

Abends hörten die beiden Jungen zusammen Rockmusik. Klaus stand auf 'The Ataris', während Bernd unverständlicherweise mehr der Hip-Hop-Schiene zugeneigt war. An diesem Abend hatte Bernd eine Idee, die sich als die blödeste Idee des Jahrhunderts erweisen sollte. Er schlug Klaus vor, der schönen Lina am kommenden Abend, der mehr oder weniger zufällig der Abend vor dem ersten Mai sein sollte, in klassischer Tradition einen Maibaum zu setzen. Klaus war zunächst eher abgeneigt (aus Feigheitsgründen), doch nachdem er sich einen längeren Vortrag über die Liebe hatte anhören müssen, stimmte er der Idee zu. Klaus hatte nie viel Erfolg in der Liebe gehabt. Und er erwartete auch keinen. Verdammt, er saß im Rollstuhl. Welches Mädchen würde schon mit ihm ausgehen, wenn er im Kino schon nicht mal mehr neben ihr sitzen konnte? Als Bernd nach Hause gegangen war, haderte Klaus mit sich. Sie hatte bestimmt einen Freund... Na, klar, eine die so aussieht, hat immer einen Freund. Die kriegt garantiert massig Maibäume, da steht morgen ein ganzer Wald vor dem Haus, dachte Klaus. Er beschloss auf Nummer sicher zu gehen und sie anzurufen. Vielleicht würde er in diesem Telefonat erfahren, ob ein Maibaum eine sinnige Aktion oder eher eine Katastrophe bedeuten würde. Er fand die Nummer im Telefonbuch und wählte. Es sollte ein Telefonat werden, das in die Geschichte der Telefonate eingehen wird. Die beiden schwiegen sich einige Minuten an, so wie man sich eben anschweigt, wenn man sich gerade kennen gelernt und sich noch nicht wirklich viel zu sagen hat, bis sich Klaus aus purer Verzweiflung zu der Mörderfloskel: “Was macht die Liebe?” hinreißen ließ; die er übrigens mit einer solch unglaublichen Beiläufigkeit aus den Hüften schoss, dass selbst ein Blinder mit Krückstock gemerkt hätte, dass da was faul ist im Staate Dänemark. Die Liebe machte nicht viel bei Lina, was Klaus sehr freute und sie lachte viel über diese selten blöde Frage, was Klaus weniger freute. Er starb tausend Tode bis er den verfluchten Hörer endlich wieder auflegen konnte. Sie hatte keinen Freund. Sie hatte keinen Freund. Wahrscheinlich hielt sie ihn nach diesem Gespräch für den letzten Horst, aber sie hatte keinen Freund. Klaus war zufrieden, als er wieder nach Chicago fuhr.

Es regnete und der Boden um die Farm herum war komplett aufgeweicht. Es donnerte und blitzte, die Wolken hatten eine grau-schwarze Färbung genommen, als Reeves den Mercedes durch die Pfützen auf das verlassene Gelände lenkte. Irgendwo quietschte ein schlecht geöltes Tor, aber in solchen Momenten quietscht immer irgendwo irgendein Tor. Reeves fluchte innerlich wegen seiner Schuhe. Die konnte er jetzt vergessen. Smith und Miller, die beiden Typen die ihnen helfen sollten den Alk auf einen bereitstehenden Laster zu bringen, stritten um den einzigen Schirm. Stanton ging auf die leer stehende Farm zu und wollte gerade das gewaltige Tor aufreißen, als ein Schuss durch die anbrechende Nacht donnerte und Millers Gehirn auf der Motorhaube des Mercedes verteilte. Sofort hatten Stanton, Reeves und Smith die Waffen gezogen, doch der Typ war überall. Er hatte eine verdammte Pumpgun, und war so schnell, dass Smith tot war, bevor er wusste wie ihm geschah. Reeves sah den Killer schemenhaft im Regen. Ein dunkelhäutiger Mann in langem Mantel und Schlapphut, der die Pumpgun nachlud, bevor Stanton auch nur den ersten Schuss abgefeuert hatte. “Weg hier!” hörte er Stanton rufen, “nichts wie weg!” Reeves sprang ins Auto, wo Stanton bereits auf dem Fahrersitz saß. Ein weiterer Schuss ließ die Windschutzscheibe zerspringen ... und im Regen wieder das mechanische Klicken der Pumpgun. Ein weiterer Schuss und der rechte Seitenspiegel verabschiedete sich. “Fahr los!” brüllte Reeves und Stanton ließ den Motor an. Mit quietschenden Reifen raste der Mercedes davon. Diese Mission war offenkundig mehr als gescheitert. Klaus fluchte als er den Computer abschaltete. Verdammt. Wo, zur Hölle kam denn dieser Typ her? Er hatte das Spiel schon zweimal durchgespielt und kannte alle Cheats in- und auswendig, aber diese Killerfigur war ihm vollkommen unbekannt. Den würde er morgen erledigen. Er würde ihn am nächsten verdammten Baum aufknüpfen und seine verdammte Leiche in der verdammten Wüste begraben...
In dieser Nacht träumte Klaus. Eine Party tobte. Die Technobeats donnerten aus den Boxen, die Menschenmasse zuckte exstatisch im stakkatoartigen Scheinwerferlicht. In seinem Rollstuhl fährt Klaus in die Disko, mitten in den Saal, durch die Menschenmasse hindurch, vorbei an jungen Mädchen, die ihn mitleidig mustern. “Was will der denn hier?” hört er hier und da, leises Tuscheln, irritierte Blicke. Da erhebt er sich aus dem Rollstuhl, geht langsam in die Mitte der Tanzfläche. Wie im Chor, ein Meer von “Ohs” und “Ahs” begleitet die Trennung der Menschenmasse, die bewundernd zur Seite schreiten, als Klaus auf sie zu geht. Lina ist da. Erstaunt sieht sie ihn an. Da beginnt Klaus zu tanzen. Und wie er tanzt. Seine Beine fliegen nur so durch die Luft, er überschlägt sich, schlägt Pirouetten und Salti. Breite Bewunderung in den Gesichtern der Masse. Was ein Teufelskerl! Lina nähert sich ihm und sie tanzen gemeinsam. Als das kitschige aber schöne 'Time of my life' aus den Boxen dröhnt, küssen die beiden sich unter dem Jubel der Masse...
Klaus hatte vergessen, dass die Matheklausur auf den heutigen Tag verschob worden war. Die Katastrophe wurde ihm erst klar, als der Bogen schon vor ihm lag. Es würde eine fünf werden, wenn nicht gar eine sechs, dessen war er sich sicher als er aus dem Klassenzimmer rollte. In der selben Nacht schleppte er zusammen mit Bernd einen etwa vier Meter langen Maibaum durch die Nacht. Er hatte Schiss. Linas Elternhaus war nachtdunkel und kein Laut war zu hören. Vorsichtig stellten die Jungs den Baum an der Hauswand auf und während Bernd denselbigen am Blumengitter festband, richtete Klaus fürsorglich das rote Kreppband, auf dem er immer wieder Linas Namen mit Herzchen umrandet gemalt hatte. Er hatte sein künstlerisches Werk gerade vollendet, als die Katastrophe geschah. Bernd war abgerutscht und hatte einen der Baumäste in eine der Glasscheiben des Wintergartens manövriert. Sofort jaulte ein widerwärtiger Alarm in ohrenbetäubender Lautstärke durch die Nacht. Noch im selben Moment gingen im Haus alle Lichter an. Von dem Lärm in Panik versetzt, stürzte Bernd nach hinten, wobei er den Baum mit sich riss, was wiederum das herrliche Blumengitter aus der Hauswand platzen ließ. “Scheiße!” fluchte Klaus und rollte los, so schnell er nur konnte. Doch schon in diesem Moment ging die Haustür auf und ein wütender Lina-Vater kam heraus galopiert. Er hatte Klaus eingefangen, noch bevor dieser die Straßenecke erreicht hatte...
War das peinlich! Offenkundig war im Haus gerade eine Silberhochzeitsfeier zu Ende gegangen und die gesamte Familie war da. Jetzt waren alle wach und bewunderten das Werk, das Klaus und Bernd im Garten angerichtet haben. Lina war auch da. Verzweifelt versuchten die Jungs sich herauszureden, doch ein Blick auf das gottverdammte Kreppband mit den blöden Herzchen offenbarte jede Lüge schon im Ansatz. Linas Vater war stinksauer wegen seinem Blumengitter und weil der Baum das Hyazinthen-Beet von der Lina-Mutter unter sich begraben hatte, war auch diese nicht wirklich begeistert. Am Ende verließen zwei kleine Mäuse nach tausendfachen Entschuldigungen und Wird-nicht-wieder-vorkommen das Haus von Linas Eltern. Klaus war heilfroh, als er wieder in seinem Zimmer war. Und er war gleichzeitig der unglücklichste Mensch auf der Welt. Chicago.

Don Molero war nicht glücklich. Er war sauer. Er wollte, dass diesem verdammten Killer das Handwerk gelegt werden sollte. Er gab Reeves den Auftrag, dem Killer eine Falle zu stellen. Und so setzten Reeves und Stanton das Gerücht in Umlauf, der Don würde eine Cocktail-Party in seiner Villa geben, zu der alle Gangster der Stadt eingeladen worden waren. Die einzigen Cocktails, die es auf dieser Party gab, bestanden allerdings aus Bleikugeln. Es gab keine Party. Zwanzig Männer des Dons hatten sich mit schweren Waffen im Haus verteilt und warteten auf den Killer. Und er kam. Das er da war, merkte Reeves allerdings erst, als fünfzehn Männer bereits tot waren. Zu diesem Zeitpunkt war noch kein Schuss gefallen. Plötzlich stand der Killer hinter ihm. Reeves wollte seine Axt in den Schädel des Mannes bohren, doch mit einem Griff wie Eisenstahl entriss ihm dieser die Mordwaffe, versetzte ihm einen Schlag, der Reeves durch den gesamten Flur katapultierte und ihn in einer wertvollen Ming-Vase vor dem Badezimmer landen ließ. Sofort war der Killer wieder da. Grinsend stand er vor ihm, lächelte auf ihn herab. “Ich weiß, wer ihr seid!” stöhnte Reeves wütend. “Ach ja?” sagte der Killer mit einer Stimme, die Feuer gefrieren lassen würde. “Ihr seid ein Virus. Ein Computervirus!” Da fing der Killer schallend an zu lachen. “Ihr seid ja noch dümmer, als ich dachte, Joe Reeves!” Und dann war er plötzlich wieder weg. Stanton hatte das Massaker als einziger überlebt. Die anderen achtzehn Mann waren alle tot. Die Mission war gescheitert. Der Killer war nicht zu fassen. Und keiner wusste, warum.

Am nächsten Abend saß Klaus mit Bernd zusammen. Sie rauchten Joints und tranken aus einer fast leeren Martini-Flasche. Sie wussten nicht, dass zur selben Zeit Lina mit ihren Freundinnen zusammen in einer Bar in der Stadt saß, wo sie zwar keine Joints rauchten, aber ebenfalls Martini tranken. Ihre Freundinnen mochten Klaus nicht. Sie fanden ihn irgendwie anders. Lina aber mochte ihn, eben weil er anders war.

Reeves und Stanton tranken Martini. Sie saßen in Moleros Bar und überlegten die nächsten Schritte. Sie überlegten, wie man an diesen Killer heran kommen könnte. Stanton hatte gerade eine Idee, als der Kellner ihn ans Telefon rief. Stanton verließ den Raum, während Reeves sein Glas in einem Zug leerte. Er bemerkte zu spät, dass jemand hinter ihm war. Er spürte, wie eine Plastiktüte über seinen Kopf gestülpt wurde und schlug um sich. Da wurde er aber schon zu Boden gerissen ... und alle Lichter gingen aus. Die Mission war gescheitert, noch bevor sie angefangen hatte.

Mit einem Wutschrei trat Klaus gegen seinen Computer. Was war in diesem verflixten Spiel los? Wer war dieser Killer? Warum ging auf einmal alles schief? Er fuhr zu Lina. In Garten des Hauses war der Vater gerade damit beschäftigt, ein neues Blumengitter anzubringen. Wenn Blicke töten könnten... Klaus wurde rot. Er klingelte und Lina öffnete. Er wurde noch röter. Lina freute sich über seinen Besuch. Wie man sich eben so über den Besuch eine Tomate freuen kann. Die beiden gingen im Wald spazieren und unterhielten sich. Klaus zeigte ihr den Weg durch das Dickicht zum Wasserfall am Ebertsee, an dem er früher als Kind immer gespielt hatte. Mit dem Rollstuhl war es schwer durch das Dickicht zu kommen, doch Lina half ihm. Dort lauschten sie dem Rauschen des Wasserfalls und im schönsten Rauschen schenkte Klaus Lina eine Kette, die er extra für sie in einem Juwelier-Laden in der Stadt gekauft hatte (sein ganzes Taschengeld war für das Ding draufgegangen). Die Kette zeigte zwei Tänzer, Arm in Arm. Lina lächelte. In diesem Moment waren sie die einzigen Menschen auf der Welt. Als sie sich küssten, nahm sie seinen Arm und half ihm für Sekunden aus dem Rollstuhl. In jenem Augenblick stand Klaus das erste Mal seit zwei Jahren wieder auf den Beinen.
An diesem Abend wollte Klaus nicht nach Chicago. Er war der glücklichste Mensch auf der Welt. Wozu nach Chicago, wenn man bereits im Himmel war? Doch mitten in der Nacht ging auf einmal der Computer an und der hell aufleuchtende Bildschirm weckte Klaus. Das Spiel hatte sich automatisch eingeschaltet. Irritiert lud Klaus den aktuellen Spielstand hoch.

Reeves lag gefesselt auf der Rückbank eines fahrenden Autos. Der Fahrer war nicht zu erkennen. Sie fuhren über eine Landstraße außerhalb der Stadt. Reeves wollte sich gerade aufrichten, als er etwas sah, was ihn erstarren ließ. In der Scheibe des Wagens spiegelte er sich. Und er sah nicht sich, sondern einen 16jährigen Jungen im Rollstuhl...

Mit einem Aufschrei schaltete Klaus den Computer ab und rollte erschrocken einige Meter von dem Bildschirm zurück. Sofort schaltete dieser sich wieder an und das Spiel begann von neuem.

Der Wagen stand. Reeves Fesseln waren gelöst und die Autotür stand offen. Mühselig kletterte er aus dem Auto und sah sich um. Er war an der Farm der McArthur-Brüder, wo Stanton bereits einige Tage zuvor die Alk-Lieferung abfangen wollte. Jetzt war von Stanton weit und breit nichts zu sehen. Der Killer war da. Er stand vor dem Scheunentor. Reeves ging langsam auf ihn zu. “Du hast noch immer nicht erkannt, wer hier Freund und wer Feind ist!” stellte der Killer fest und lächelte traurig. “Ich schon!” sagte eine wohl bekannte Stimme. Stanton kam aus dem Gebüsch neben der Farm, eine Smith&Wessons in der Hand. Die drei standen sich für Sekunden im Dreieck gegenüber, sahen sich in die Augen. Der Killer zog blitzartig eine Waffe, aber Stanton war schneller. Er schoss und die Wucht ließ den Killer gegen das Holzwand der Farm krachen. Er stürzte blutend zu Boden. “Gut gemacht!” sagte Reeves zu Stanton und ging langsam auf den verletzten Mann zu. Er war fast bei ihm angekommen, als er etwas entdeckte, was sein Herz gefrieren ließ. Um den Hals des Killers hing eine Kette, die zwei Tänzer zeigte. In diesem Moment traf ihn Stantons Baseball-Schläger am Hinterkopf und er stürzte benommen zu Boden...

Als er erwachte hockte er gefesselt neben dem Killer am Wagen. Stanton lachte laut. “Ein Krüppel und ein Mädchen!” Er wieherte vor Lachen. “Ein Krüppel und ein Mädchen wollen mich aufhalten!” Reeves stöhnte. “Wer bist du?” Stanton bog sich vor Lachen. “Frag mich das in fünf Minuten und ich werde dir sagen: ein Mensch! Hier bin ich nichts anderes als eine eindimensionale Figur in deinem fuckin' Computerspiel, die du lenken und steuern kannst, wie es dir gefällt. Aber du hast du doch nicht im Ernst geglaubt, du dummer Rolli, das sich Bob Stanton mit einer Pixel-Welt zufrieden gibt? Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen wer du bist und was dies hier alles ist, aber als ich es verstand, war mir alles klar. Ich wollte schon immer hier raus. Das war der einzige Grund, warum wir hier auf diese Farm gefahren sind: Ich wollte raus. Diese Farm ist der Ausgang! Und wenn dieses blöde Weibsstück nicht gewesen wäre, wäre ich auch schon lange draußen!” Reeves wandte sich an den Killer (wobei sein Schädel dröhnte): "Wie bist du in mein Spiel gekommen?" Der Killer lächelte: "Ich bin ein Hacker. Hat nicht lange gedauert! Aber bis du mal begreifst, was hier gespielt wird, DAS dauert lange!" “Warum hast du mich nicht einfach getötet?” fragte Reeves seinen alten Freund Stanton. “Ist doch klar!” murmelte der Killer neben ihm “Dann wärst du tot und das Spiel wäre vorbei. Dann wäre er für immer gefangen in deiner Computerwelt!” “Richtig!” Stanton nickte. “Aber das braucht dich jetzt nicht mehr zu interessieren, denn ich gehe jetzt!” Damit öffnete er das Scheunentor und dichter Nebel drang daraus hervor. “Ich komme!” sagte Stanton leise und ging auf den Nebel zu. In diesem Moment wurde Reeves alles klar. Und ihm wurde klar, was er tun musste. “Stanton!” rief er und sein alter Freund drehte sich mit einem Hohnlächeln im Gesicht um. “Dann ist das Spiel jetzt zu Ende!” sagte Reeves, benutzte einen Cheat, der seine Fesseln löste, nahm die Pistole des Killers und hielt sie sich an den Kopf. Stanton, der erkannte was Reeves vorhatte, erbleichte, rannte los, doch bevor er den Nebel erreichte, schoss Reeves. Eine Blutfontäne schoss aus seinem Mund, er stürzte tot zu Boden und das 'Game Over' Logo erschien auf dem Bildschirm von Klaus Computer.

Eine gewaltige Partie tobte. Rockmusik dröhnte aus den Boxen und hunderte tanzbegeisterte Teenager tobten sich auf der Tanzfläche der Diskothek aus. Scheinwerferlicht tanzte durch den Raum und erfasste die Tür, die sich öffnete. Ein Junge im Rollstuhl kam herein, zusammen mit einem Mädchen. Die beiden begaben sich in die Mitte der Tanzfläche, wo sie anfingen zu tanzen. Der Junge drehte sich im Rollstuhl, rotierte auf und ab und ließ sich von dem Mädchen im Kreise drehen. Eine perfekte Choreographie, die Staunen und Bewunderung auf die Gesichter der anderen zauberte. Es sollte eine lange Nacht werden. Niemand bemerkte den Mann, der auf der Brüstung stand und lächelnd auf die Party herabsah. Nachdem er den beiden Tanzenden in der Saalmitte einige Minuten zugesehen hatte, lächelte er kalt, drehte sich um und ging. Es war Stanton.

ENDE

 
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Hallo Marian

Eine lange Geschichte die im ersten Moment etwas abschreckt. Manchmal ist sie für mich auch etwas verwirrend. Denke, du könntest die Flucht von Klaus in sein Computerspiel noch etwas genauer ausarbeiten, speziell am Anfang. Der Schnitt zum zweiten Abschnitt ist sehr verwirrend.
Die Sache in der Bahn ist für mich nicht ganz stimmig. Er will mit dem Rollstuhl abhauen? passender wäre es, wenn du nur beschreiben würdest, wie er in dort festklebt und beim Schwarzfahren erwischt wird.

Die Wörter "Bahn", Telefonat(e)" und "Abend" verwendest du in den jeweiligen Abschnitten zu viel. Es macht das Lesen einfacher und flüssiger wenn du sie manchmal durch andere Wörter ersetzen würdest. Der Leser weiss ja, dass er nun Bahn fährt, z.b.

Einige kleine Tippfehler haben sich auch noch eingeschliechen, sind allerdings nicht so schlimm. Bei einem erneuten durcharbeiten deines Textes wirst du sie sicherlich finden.

Lieber Gruss
Muchel

 

Hey Muchel,
hätte nicht gedacht, daß noch jemand auf die Geschichte antwortet....
Stimmt schon, ist stilistisch sicher kein Meisterwerk. Wollte eigentlich nur austesten, ob es inhaltlich und dramaturgisch funktioniert, weil ich damals ein Drehbuch draus machen wollte. Deswegen die hastige Formulierung und die etwas wirren Zeitsprünge.
Danke für die Tipps, werde das ganze Gedöns die Tage noch mal überarbeiten.
Gruß Marian

 

Guten Morgen

Hallo Marian

Tja, bin halt noch nicht lange hier dabei und halt am rumschmöckern. Als ich den Titel sah, musste ich die Story unbedingt lesen, da Chicago eine wundervolle Stadt ist! :huldig:

Bin froh, wenn ich dir einen kleinen Motivationsschub geben konnte, den die Idee ist wirklich toll, ich freue mich auf deine überarbeitete Version von "Chicago" :thumbsup:

Viel Spass dabei und liebe Grüsse
Muchel :)

 

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