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cyberkiss

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12.08.2003
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cyberkiss

Cyberkiss

Er saß am PC. Das Chaos, das ihn umgab, störte ihn nicht: die leeren Tassen mit den Resten aus undefinierbarer Flüssigkeit, zum Teil schon mit Schimmelpilzen garniert, auch nicht der überquellende Aschenbecher. Seine Geruchsnerven waren wohl schon abgestorben, denn der Gestank in seinem Zimmer schien ihn nicht zu erreichen. Fasziniert, hypnotisiert starrte er auf den Bildschirm. Mit seinem Stuhl eins geworden konnte er einen stattlichen Sitzbauch vorweisen.
Seine kurzen dicken Finger tippten in einer Geschwindigkeit, die man ihnen nicht zutraute, auf die Tastatur ein. Er war wie in Trance.
"Da bist du ja, du ...!" murmelte er vor sich hin und seine Lippen wölbten sich vor, zuckten schmatzend und verzogen sich zu einem Kussmund.
"Na, da werd ich dir mal einheizen."
Die, die ihn in diesen Gefühlsrausch versetzte, war "sommer-rose".
Sie hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Ihr Profilbild erinnerte ihn irgendwie an Helga, seine Ex. Helga hatte ihn verlassen. Ohne Vorwarnung. Sozusagen aus heiterem Himmel. Danach folgten für ihn nur Schlechtwetterperioden mit Frost und Eisglätte.

Um dem Alleinsein zu entfliehen, suchte er nun nach einer neuen Partnerin per Internet.
Einige Male hatte er den Mut zu einem Date aufgebracht, aber Helga, sein Trauma, ließ keine wahre Nähe zu einer Frau mehr zu.
Da entdeckte er "sommer-rose". Zunächst kontrollierte er nur akribisch genau ihre Aktionen auf der "suche-dich" Site. Mit wem sie Kontakt hatte, welche Sticker sie setzte und bekam usw. Um ihren Messenger-code zu knacken, war er zu einem PC-Freak geworden.
Ach, was war das für ein Hochgefühl, als er zum ersten Mal - heimlich - ihre Mails lesen konnte! Was für eine extrem prickelnde Erregung!
So seltsam nah fühlte er sich ihr dabei, aber zugleich schlich sich ein Gefühlmix aus unbändiger Wut und Hass, ja fast Eifersucht in sein fiebriges Gemüt. Mit der Zeit nahm dieses Gefühl immer mehr Raum in ihm ein.

So kam es, dass er sich etwas Besonderes für "sommer-rose" überlegte.
Etwas, das ihrer Beziehung würdig war, ihr quasi den krönenden Rahmen gab.

Er war ein begeisterter Kleist-Leser. Als Abiturient wollte er sogar seinetwegen Germanistik studieren. Als fast genial empfand er Kleists Idee seine Liebe zu seiner Geliebten mit dem gemeinsamen Freitod zu krönen.

Mit jedem ihres Online-Seins hatte "sommer-rose" von nun an ein "heimliches virtuelles Date" mit ihm. Bei diesen Berührungen war er immer von leidenschaftlichen Emotionen aufgewühlt.
Derart aufgewühlt, dass er schwitzend und keuchend auf den Bildschirm starrend ihr seine Art der Zuneigung bewies mit einem leidenschaftlichen Cyberkiss und ihr dabei behutsam eine Dosis seines "Liebestrankes" einflößte - sonderbar zärtlich, fast liebevoll lächelnd: PC-Viren.
Virenplagen und ähnliches sollten ihren PC zum Kollaps treiben. Je langsamer, schleichender, quälender dieser Zusammenbruch sich vollzog, desto größer würden seine Gefühle für „sommer-rose“ sein.


(c) g-ps-d 2004

 

Hallo glasperlenspielerin,

Du erzählst Deine Geschichte aus der Distanz. Wenn die Reste in den Tassen „zum Teil schon mit Schimmelpilzen garniert“ sind, dann wirkt das ironisch, ebenso wie der „stattliche(n) Sitzbauch“.
Später scheint der Beobachter Anteil an den Seelenqualen des Prot. zu nehmen, eine eindeutige, entschiedene Sichtweise des Erzählers fände ich wirkungsvoller.
Den gemeinsamen Selbstmord könnte man auch ohne die Erwähnung von Kleist darstellen, wenn diese Idee seiner Psyche, als ursprünglicher Ideenquelle, entspringen würde, könnte der Prot. mehr in den Mittelpunkt gestellt werden.
Am Schluss geht es nicht mehr um einen gemeinsamen PC-Viren-Selbstmord, seinen PC scheint er nicht zu schädigen.
„aber Helga, sein Trauma“ man sagt das zwar umgangssprachlich so, aber eigentlich ist Helga nicht das Trauma, sondern sie fügt ihm die Verletzung zu.
Anstelle von „quasi“ finde ich `gewissermaßen´ günstiger.
Eigentlich eine gute Idee, gemeinsamer `Selbstmord´ durch `PC-Mord´. Wenn das `Selbst´ der Computer ist...

LG,

tschüß... Woltochinon

 

cl

Marius Manis schrieb:
Ich finde das Ende viel zu flach. Es verleiht der Geschichte so den Nachgeschmack "Diese Virenprogrammierer sind so kopfkranke, in ihrem eigenen Dreck lebende Spinner."

Nur geht es Dir hoffentlich nicht darum, die Virenprogrammierer und "Hacker" allgemein aufs Korn zu nehmen?


Mir geht es darum, die psyche eines emotional gestörten mannes „ aufs korn zu nehmen“, eines beziehungsunfähigen mannes, der seine krankheit in der virtuellen welt „auslebt“

Zum ende – du findest es „flach" – na ja das kommt auf den standpunkt an – der protagonist empfindet es sicherlich anders, da für ihn die grenze von rl und cl verschwimmen, oder das rl vom cl bestimmt wird


Marius Manis schrieb:
Lass ihn doch auf eine andere Weise eifersüchtig sein.

Es geht hier nicht um eifersucht

Marius Manis schrieb:
Wozu Kleist und den Freitod erwähnen, wenn das Ende so undramatisch ist? Oder wolltest Du nur erwähnen, dass Du selbst Kleist gelesen hast / liest?

Ich muss im übrigen dazu sagen, dass die "Nebenbei-Erwähnung" eines bekannten Schriftstellers in einer Kurzgeschichte - und auch in längeren - Schriftstellern mit ähnlichem Rang vorbehalten sein sollte. Es wirkt sonst so, als schmückte man sich mit fremden Federn.


wenn du es als undramatisch empfindest, dass der protagonist sich nicht real auf sie stürzt und mit ihr vereint den freitod sucht, sondern dies nur cl-mäßig durchspielt, kann ich nur darauf hinweisen, dass „alles relativ ist“ – oder willst du andeuten, dass deiner meinung nach - das cl irgendwie zur „flachheit der gefühle“ führt?
Beim protagonist verschwimmt die grenze zwischen rl und cl – das rl-ich wird vom cl-ich bestimmt, vielleicht kann man sogar sagen aufgesaugt, mit jedem buchstaben, den er in den pc tippt löst sich sein rl-ich immer mehr auf und wird zum cl-ich – in all den vielen buchstabenketten liefert er sich dem cl immer mehr aus …

Marius Manis schrieb:
Oder wolltest Du nur erwähnen, dass Du selbst Kleist gelesen hast / liest?

Ich muss im übrigen dazu sagen, dass die "Nebenbei-Erwähnung" eines bekannten Schriftstellers in einer Kurzgeschichte - und auch in längeren - Schriftstellern mit ähnlichem Rang vorbehalten sein sollte. Es wirkt sonst so, als schmückte man sich mit fremden Federn.
Diese Angewohnheit zeigt sich schon durch Deine "ständige" Anspielung auf Hesse...LG

J. Knecht


Dazu fällt mir nur ein:
Du scheinst ja ein recht witziger zeitgenosse zu sein

*g*

 

konstruktives

hi woltochinon,

thanx für deine konstruktive kritik, werde die von dir angesprochenen punkte bei der überarbeitung aufnehmen

Woltochinon schrieb:
Am Schluss geht es nicht mehr um einen gemeinsamen PC-Viren-Selbstmord, seinen PC scheint er nicht zu schädigen.

das denke ich mir, werde ich ändern

so long :)

 

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