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Dürre
Gleißende Sonne brannte über Byblos. Glühend heißer Wind fegte durch die staubigen Straßen der Stadt. Kein Regen kam. Die Stadt verdorrte, die Hügel und Berge des Umlandes, die im Frühjahr grün, satt und fruchtbar zu sein pflegten, darbten in der unbarmherzigen Glut. Das Frühjahr war schon beinahe zu Ende und kein Tropfen Wasser fiel vom Himmel. Die Ernte im Umland der Stadt wurde dürr und starb. Im Gebirge waren die mächtigen Zedern durch unversehens aufkommende Feuer bedroht. Der Stadt drohte Hunger.
Dem Gesandten des Pharao schwante Fürchterliches. Er sandte Depeschen an seinen Gottkönig mit dem Anliegen, dass der Stadt von der Schutzmacht Ägypten geholfen werden müsse. Doch das königliche Außenamt verweigerte die Lieferung von Hilfsgütern, da der Staatsschatz dies nicht verkraften würde. Unruhe machte sich unter den ägyptischen Garnisonen, die der Pharao zum Schutz der Stadt Byblos stationiert hatte, breit. Ein Aufstand wurde befürchtet, Grausamkeiten und viele Tote auch unter ihren Reihen. Würden sie in der Fremde sterben, ohne nochmals vom süßen Wasser des Nils getrunken zu haben?
Die Gesandtschaften der anderen Reiche waren ebenfalls sehr besorgt, schickten Bittgesuche um Nahrung und Geld für die darbende Stadt an ihre Herrscher, die abgelehnt wurden. Viele der ausländischen Händler machten sich für eine Reise in ihre Heimat bereit. Sie wollten nicht mitansehen, was unvermeidlich kommen würde.
Die Dürre wurde schlimmer. Die Ernte war fast zur Gänze vernichtet. Nahrung musste teuer eingeführt werden. Da fiel eines Morgens des Königs Entschluss. Der Oberpriester hatte ihn die Nacht zuvor aufgesucht und meinte, dass der Gott Baal seiner Stadt zürnte und man ihn zu besänftigen habe. Der König befahl, in einer religiösen Zeremonie den Gott der Stadt durch großzügige Opfer zu besänftigen.
Unruhe machte sich in Byblos breit. Aus den bis zu acht Stockwerken hohen Häusern war oft Wehklagen zu hören. Die Geschäfte im Hafen hatten geschlossen. Es blieben auch die meisten Schiffe aus dem Ausland aus, jene der Stadt schaukelten leer und unbemannt an den Molen. Der Handel war zum Erliegen gekommen, der Staatsschatz der Stadt verbraucht für die Einfuhr von Nahrung. Am gemarterten Ort gab es nichts mehr zu handeln. Die ganze Stadt klagte. In den sonst überaus belebten, engen, gewundenen Gassen waren kaum Menschen zu sehen. Besorgt und ernst waren die Gesichter der wenigen, die sich durch die brennend heißen Straßen schleppten.
Am frühen Morgen des folgenden Tages begann man mit den Vorbereitungen. Die Priesterschaft hatte sich im Tempel des mächtigsten Stadtgottes versammelt und vollzog unter dem Gesang einer eintönigen Litanei die rituellen Tänze. Der Oberpriester hatte die Maske des Stieres aufgesetzt und begab sich in den Raum des Allerheiligsten, wo die mächtige aus Stein gehauene Statue des Baal stand. Das Dach des Raumes lief stufenförmig nach oben, wo eine kleine Luke in der Mitte die Sonnenstrahlen durchließ, die direkt auf den schwarzen Opferstein fielen. Im Sockel der Statue klaffte eine enorme Öffnung, in welche der Oberpriester die Fackel mit dem heiligen Feuer warf. Von der Öffnung führte ein steinerner Röhrenkanal hinab in eine unterirdische Höhle. Die Priester warfen Holz hinab, bis das Feuer in der unterirdischen Höhle vollends entbrannt war und man die Flammenzungen von der Sockelöffnung aus sehen konnte.
Soldaten des Königs holten Gefangene aus den Kerkern. Ausgermergelte, bleiche Körper wurden nackt und mit Fußfesseln aneinandergekettet durch die Straßen zum Tempel gepeitscht. Unbarmherzig schnalzten die Geißeln der Soldaten auf die blasse Haut der Rücken, auf der sich die Rippen der Unglückseligen abzeichneten. Wehgeschrei und Weinen hallte durch die Straßen. Hinter den Gefangenen schritten die Sklaven, welche die reichen Familien der Stadt auf Befehl des Königs dem Tempel überlassen mussten. Auf den Stufen der Vordertreppe des Tempeltores standen Familien mit Kindern. Manche der Kleinen waren noch kein Jahr alt. Sie wimmerten und weinten in den Armen der Mütter, die sie unter Wehgeschrei hin und her wiegten. Manche waren bereits Knaben, die angstvoll und unter Tränen an den Händen ihrer Eltern in der Reihe standen.
Die Gefangen wurden als Erste in den Tempel geleitet. Zitternd folgten sie den rohen Befehlen der Soldaten. Die Fußketten klirrten. Von den Priestern wurden ihnen die Fußfesseln abgenommen. Dann duckte man sie mit dem Kopf gegen den Opferstein. Vier Priester hielten den Hals und die Arme des Wimmernden. Dann kam der Priester mit dem heiligen Messer und öffnete dem Gefangenen die Halsschlagader. Das Blut rann vom Opferstein in einen kleinen, offenen Kanal, der in den Boden des Allerheiligsten eingekerbt war, zu einem Auffangbecken aus blauem Edelstein neben der Statue des Gottes. So ließ man einen Gefangenen nach dem Anderen ausbluten und warf den Körper durch die Öffnung des Sockels ins Feuer. Nach den Gefangenen mussten die Sklaven dem Gotte geopfert werden.
Dies bereitete den Priestern größere Mühe, denn viele der Sklaven wehrten sich, schlugen um sich, schrien, brüllten, traten mit den Füßen gegen die Priester. Doch die Soldaten kamen den Peinigern zu Hilfe und so wurde auch den Sklaven, einem nach dem anderen, die Schlagader geöffnet. Der schmale Kanal und das Becken waren bereist übergelaufen. Überall am Boden des Allerheiligtsten war Blut. Die Priester wateten darin und verfielen in einen seltsamen Rausch. Geruch von Blut und menschlicher Asche verbreitete sich in der Umgebung des Tempels. Die Hitze des Feuers, der faulige Blutgeruch, der sich mit dem süßlichen Gestank der verbrannten Leiber vermischte, versetzte die Priester in extasische Raserei. Als die Familien mit ihren Erstgeborenen an der Reihe waren, kannten die Priester keine Gnade. So sehr waren sie im Blutrausche versunken, dass sie ihnen oft die Köpfe abtrennten. Die meisten der älteren Erstgeborenen hatten zuvor betäubenden Sud zu trinken bekommen. Doch als sie von den Priestern ergriffen und gegen den Opferstein gebeugt wurden, war ihnen doch bewusst, was sie erwartete. In schnellen Atemzügen vor Angst röchelnd, richteten sie ihre letzten tränenerfüllten Blicke der Verzweiflung zu ihren weinenden, wehklagenden Eltern, die oft ihre Gesichter in den Händen vergruben, um die Tötung ihres erstgeborenen Kindes nicht mitansehen zu müssen. Die kleinen, noch in ihren Windeln wimmernden Kinder, wurden von den Müttern vorher heimlich erstickt. Das Feuer verschlang Hunderte von Leibern. „Baal schicke uns Regen, Baal nimm unser Opfer an!", klagten die Betenden, die der Opferung beiwohnten. Der Rauch qualmte aus dem Abzug der unterirdischen Höhle, der hinter dem Tempel auf einem kleinen Platz unscheinbar aus dem Quaderpflaster ragte. Die Rauchsäule qualmte dicht und allmählich überzog sich der Himmel über der Stadt mit Rauch. Die Stadt war erfüllt mit dem Geruch menschlicher Asche.
Der ägyptische Gesandte hatte die meisten in Byblos ansässigen Landsleute in seiner geräumigen Wohnung versammelt. Die dicken Vorhänge hatte man trotz der großen Hitze zugezogen und die Türe verriegelt. Man sprach nur mit gedämpfter Stimme, hielt sich in Duftwasser getränkte Leinentücher vor die Nase, um den Gestank nicht einatmen zu müssen. Einige weinten und meinten, dass man den Pharao doch dazu bringen müsste, diesem Grauen ein Ende zu bereiten. Ein Händler meinte sogar, dass die Truppen des Pharao diese schreckliche Weltgegend zur Gänze befrieden müsse, um den Barbaren den edleren ägyptischen Glauben aufzuzwingen. Der Gesandte schüttelte den Kopf. Ägypten, meinte er, brauche den Handel und die Handelshäuser, wo man Silber mit großem Gewinn in Schiffe anlegen konnte. „Und woher", seufzte er, „denkst du kommt das Holz für unsere Möbel, die Farbe für unsere Stoffe? In welchen Häfen, wenn nicht den Syrischen beziehen wir die Luxuswaren aus Babylon?" „Wenn wir sie völlig besetzen und unterwerfen werden sie sich auflehnen und Krieg ist dem Handel schädlich!", ächzte er, während seine Frau hinaus ging, um sich zu übergeben, denn der Gestank, der sich immer dichter über die Stadt ausbreitete, wurde ihr unerträglich. „So sind wir eben nur Schutzmacht und mengen uns nicht ein", meinte er leise und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
Der Gesandte des Königs von Babylon hatte sich einen Becher Wein, der mit Mohnsaft vermengt war, bringen lassen, um nichts von den schrecklichen Ereignissen mitzubekommen. Unerträglich war ihm der Gedanke, Zeuge eines derartigen in seiner Gedankenwelt unvorstellbaren Gräuels zu werden.
In der Nacht verwehte der heiße Wind allmählich den Gestank. Die Stadt war gespenstisch still. Der Gott hatte seine Opfer bekommen. Sklaven reinigten den Tempel. Wochen vergingen und es fiel immer noch kein Regen.