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Das Aneinandervorbei

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14.03.2002
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Das Aneinandervorbei

Hinweis: Bitte nicht kommentieren, eine neue Fassung ist in Planung (auch wenn das noch Monate dauern kann).

Last night you said I was cold, untouchable
a lonely piece of action from another town.
I just want to be free, I’m happy to be lonely.
Can’t you stay away?
Just leave me alone with my thoughts.

Marillion, Blind curve


Die Sonne, die tief und rot und kalt und klar am Himmel stand, ließ den Karlsplatz aussehen, als sei er mit einer dünnen Schicht Honig überzogen. Der Zauber dieses Anblicks zwang mich, bewegungslos schauend zu verharren, während hinter mir langsam die schwere Eingangstür des Verbindungshauses zuging. Ich sah und atmete und war sonst nichts als Sehen und Atmen. Als die Tür endlich mit einem mächtigen Krachen ins Schloß fiel, riß ich mich los und machte mich auf den Weg nach Hause, zur Wohngemeinschaft, zu Kathrin.

Mit federndem Schritt ging ich quer über den Platz. Mein Blick wanderte übermütig, gierig suchend umher, streifte Gesichter, die mich nicht zu sehen und die dem kalten Tag nichts Positives abzugewinnen schienen. Meine Gedanken wandten sich zurück zu dem gerade mit Frank geführten Gespräch. Zuerst waren da nur kleine Gesprächsfetzen, die aufflackerten, dann loderten Gesten und Argumentationsketten empor und entfachten ein Strohfeuer an Erinnerung und Wiedererleben. In meinem Kopf ein Feuerwerk, die Gesichter draußen auf der Straße wurden langweilig, und ich wußte: Sie waren es die ganze Zeit schon gewesen.

Die Souvenirbuden um die Heiliggeistkirche schlossen, bald würde es dunkel werden. Mein Kopf war erleuchtet, es wunderte mich, daß ich niemandem aufzufallen schien, daß kein Kind aufschrie: Mama, was ist das für ein Mann, sein Kopf ist so hell, er brennt ja. Frank hatte dieses Feuer in mir entzündet, hatte die brennbaren Stoffe darin entdeckt und aufgeschichtet. Und ich war froh darüber. Wir waren uns in einem Seminar begegnet, das die Staatstheorie von Kant behandelt hatte. Nach der zweiten Sitzung, ich war gerade beim Einpacken gewesen, war er auf mich zugekommen. Er hatte mir eine Frage zum gestellt, sich auf das Straf- und Begnadigungsrecht bezogen, ich hatte ihm mit Kant antworten können. Er hatte mich nicht gefragt, ob wir im Marstall einen Kaffee trinken gehen sollten, er hatte mich gleich zu sich eingeladen. Ich war nie zuvor in einem Verbindungshaus gewesen und fand alles etwas albern, die Gruppenbilder, die Fahnen, das antike Mobiliar im Eingangsbereich. Einen Moment lang hatte ich Angst gehabt, angeworben zu werden, aber Frank hatte den Eindruck vermittelt, als würde er gar nicht dazugehören.

Wir hatten in seinem Zimmer gesessen, klein aber schön, spärlich eingerichtet, die Wände nackt, und hatten diskutiert, kalten Tee getrunken, den er am Morgen gemacht hatte, Zigaretten geraucht. Ich meine selbstgedrehten, er gekaufte mit weißen Filtern. Wir hatten nur gesprochen, wir hatten nichts gebraucht, weder Musik, noch Alkohol, noch Nahrung.

Ich wußte nicht genau, weshalb ich ihm aufgefallen war. In der Veranstaltung, die knapp zwanzig Studenten belegt, und von denen gerade mal vier bis zum Ende durchgehalten hatten, war er derjenige gewesen, von dem die meisten Beiträge gekommen waren. Und seine Wortmeldungen waren durchdacht gewesen, er war jedesmal gut vorbereitet und hatte aus einem nicht versiegen wollenden Brunnen an Wissen schöpfen können. Vielleicht war er auf mich zugekommen, weil ich während seiner Darlegungen an den richtigen Stellen genickt oder gelächelt hatte, was mich von den übrigen Kommilitonen unterschieden haben mochte. Die anderen hatten meist ausgesehen, als verstünden sie nichts von dem was er von sich gab. Dabei waren seine Argumentationen so stichhaltig, war sein Engagement so faszinierend gewesen; seine Worte gewählt und nie ganz frei von einem humorvollen, leichten Zynismus.

Inzwischen war ich vor der Alten Universität angelangt und wartete auf den Bus, der mich zum Bismarckplatz bringen sollte. Das Gespräch hatte sich heute an der gerade bekannt gewordenen Spendenaffäre der CDU aufgehängt und von Korruption im Allgemeinen wie im Speziellen gehandelt. Ohne daß wir das Thema ausdrücklich vereinbart hätten, war uns der rote Faden trotz aller Exkurse nie verloren gegangen. Wir hatten uns gegenseitig bereichert und befruchtet, und den einzigen Punkt, in dem wir unterschiedlicher Ansicht gewesen wären, hatten wir heute nicht berührt: Unser Bild vom Menschen unterschied sich grundlegend.

Ein Bus der Linie 42 hielt. Während ich abwartete, bis die Fahrgäste ausgestiegen waren, fiel mir plötzlich auf, daß dies immer der einzige Punkt in unseren Erörterungen war, bei dem Frank vorwurfsvolle und zuweilen gar persönlich angreifende Argumentationsweisen gebrauchte. Wenn wir in unseren Gesprächen auf den Menschen und unsere Sicht von ihm kamen, wurde er ungeduldig, und es konnte passieren, daß er mich mitten im Satz unterbrach. Auch verschloß er sich in diesem Punkt gegen alles, was ich vorzubringen hatte.

Nur wenige waren mit mir eingestiegen, so daß ich einen Platz für mich alleine fand. Ich hätte im Bus die Aufsätze lesen können, die ich mir im Seminar kopiert hatte, doch überließ ich mich meinen Gedanken. Frank war ein außergewöhnlicher Mensch. Er hätte stundenlang sprechen können, wenn es ihm darum gegangen wäre. Nicht selten gewann ich den Eindruck, daß er sich auch selbst gerne sprechen hörte. Doch war er mir gegenüber ein geduldiger Zuhörer. Er schien ehrlich an meiner Sicht und Meinung interessiert, schwieg auch dann, wenn die Pausen, derer ich bedurfte, länger wurden, überdachte meine Aussagen, ließ sie auf sich wirken und ging darauf ein. In seinem Umgang mit mir lag ein Wohlwollen und eine Ruhe, eine Umgebung, die ich zur Entfaltung meiner selbst nötig hatte. Ungern sprach ich aufs Geradewohl, bevorzugte Äußerungen, die keine Korrektur verlangten, erschien deshalb oft schweigsam und schüchtern. Eigenschaften meines Charakters, die ich noch nicht lange erkannt hatte.

Im Seminar fiel ich selten auf; meist war es erst eine Hausarbeit gewesen, die einen Dozenten auf mich aufmerksam gemacht hatte. Durch eine solche war ich auch an die Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft gekommen. Ich hatte das erste Angebot angenommen, Frank hatte bisher alle abgelehnt. Er wartete auf die Aufmerksamkeit einer ganz bestimmten Lehrkraft, ich war sicher, daß er damit rechnen konnte. Er hatte bei der Professorin, die er sich ausgesucht hatte, bereits mehrere Vorlesungen besucht und nun auch ein Seminar bei ihr belegt, das er mit besonderem Eifer vorbereitete. Ich hatte schon mehrfach versucht, ihm klarzumachen, daß in seinem Fall wohl gewöhnliche Anstrengung ausreichen würde. Er hatte immer nur geschwiegen, nicht gelächelt, mich einen Moment lang ernst angesehen und dann, mit einem abschließenden, keine Fortsetzung zulassenden Räuspern das Thema gewechselt.

Am Bismarckplatz stieg ich aus und beschloß, die letzten Stationen, für die ich die Straßenbahn hätte nehmen müssen, zu Fuß zu gehen. Ich überquerte die Straße und bog vor dem Carré in die Querstraße ein, die mich, an der Stadtbücherei vorbei, in die Alte Eppelheimer Straße bringen würde, wo sich unsere WG befand.

Frank war der Überzeugung, daß Begriffe wie „gut“ und „Moral“ lediglich Konstrukte waren, und den Egoismus des Menschen nur verdeckten. Er behauptete, sie seien einzig deshalb kultiviert und anerzogen, weil sie sich als gesellschaftserhaltend erwiesen hatten. Diesen Standpunkt teilte ich nicht. Manchmal fragte ich mich, ob meine Sicht mehr Wunsch war, doch immer blieb ich bei der Ansicht, daß der Mensch zu selbstlosen Handlungen fähig war.

Man könnte zu glauben versucht sein, daß sich zwei denkende Menschen mit diesem Unterschied in der Auffassung zufrieden geben könnten. Doch war dem nicht so. Frank schien wie besessen von der Idee, mich von der Richtigkeit seiner Behauptung zu überzeugen. Waren wir erst bei diesem Thema angelangt, so fand er keine Ruhe mehr und kehrte unweigerlich immer wieder dahin zurück. Vielleicht sprach aus seiner Aggression nur die Angst, daß sein eigener Standpunkt falsch sein könnte. Ich wußte es nicht, aber hielt diesen Gedanken für nicht ganz abwegig. Es fiel mir schwer, ihn einzuschätzen. Ich wußte ohnehin nur wenig von ihm, was mir dabei hätte helfen können. Über persönliche Dinge sprachen wir nie, was ich schade fand, denn mich interessierte, aus welchem Umfeld er stammte, wie die Beziehung zu seinen Eltern war, oder ob er eine Freundin hatte. Er mied diese Themen, die ich nur sehr implizit von Zeit zu Zeit ansprach und verriet auch unbedacht nichts darüber. So war ich gezwungen, eigene Vermutungen anzustellen: Ich war überzeugt, daß der Kontakt mit seinen Eltern allenfalls lose zu nennen war, daß diese aus einem sehr niedrig angesiedelten sozialen Milieu stammten und daß es da keine Freundin gab und vielleicht auch noch nie gegeben hatte. Gerade über den letzten Punkt war ich mir völlig sicher, auch wenn ich meine Sicherheit in keinerlei Weise begründen konnte. Ich fragte mich, was der Grund dafür sein mochte, dachte manchmal: Vielleicht ist er noch nie einem Menschen begegnet, der ihm ebenbürtig erschienen ist.

Der Anblick des Schachfelds im Park, das tagsüber meist drei oder mehr Spieler umstanden, hinterließ einen eigentümlichen Eindruck bei mir; es wirkte seltsam entrückt, nicht von dieser Welt, von einer Konsequenz und Ordnung, die der Realität fremd zu sein schien. Ein König, der nicht verräumt worden war, stand daneben, als hielte er Wache. Ich blieb stehen, um meinen Eindruck zu analysieren, doch fand ich in meinen unzusammenhängenden Gedanken nichts, was mir darüber hätte Aufschluß geben können. Ich wollte weitergehen, doch dann ging ich auf die Figur zu und besah sie aus der Nähe. Sie war aus Plastik, weiß und schmutzig und fühlte sich kalt und unwirklich an. Ich kippte die Figur, die schwerer war, als ich erwartet hatte, dann warf ich sie um und betrachtete sie noch einen Moment, wie sie dalag auf dem zertretenen Rasen.

Ich nahm meinen Weg wieder auf, mir wurde langsam kalt und ich beschleunigte meine Schritte. Benji würde nicht da sein, da er montags mit seiner Band probte und selten vor elf Uhr zurückkehrte, und Layla war Freitag nachmittag für eine Woche zu einer Freundin nach Frankfurt gefahren. Ich würde also mit Kathrin alleine sein, in ihrem Zimmer, in ihrem großzügigen Bett, morgen konnten wir beide ausschlafen. Es war Zeit, die Duftkerzen zu entzünden, die sie vor einigen Tagen besorgt hatte, und ich malte mir aus, wie wir im Bett liegen und Kaffee trinken würden, vielleicht ließ sie mich in ihrem Zimmer eine Zigarette rauchen, womöglich rauchten wir auch gemeinsam etwas.

Inzwischen war ich vor unserer Wohnung angelangt, kramte das Schlüsselbund heraus und öffnete die Haustür. Im Treppenhaus schien es noch kälter zu sein als draußen. Ich ließ die Zeitung liegen, die Benji heute morgen vergessen haben mußte und rannte fröstelnd die Treppen zum zweiten Obergeschoß hinauf. Durch die Milchglasscheibe der Eingangstür konnte man erkennen, daß in der ganzen Wohnung die Lichter brannten. Wenn Kathrin abends alleine war, kam das oft vor; sie pflegte überall umherzugehen, dort etwas in die Hand zu nehmen, es anderswo gegen den nächsten interessanten Gegenstand einzutauschen, sie ging in alle Zimmer, oftmals als wandle sie im Schlaf. War irgendetwas abhanden gekommen, konnte es nahezu überall sein, Kathrin konnte sich nur selten erinnern, wohin sie die Sachen tat. Wir hatten uns daran gewöhnt, nur Benji ärgerte sich immer wieder. Mit einer gewissen Gereiztheit in der Stimme kam er immer dann zu Kathrin, wenn er irgendetwas in seinem Zimmer oder der Küche nicht finden konnte.

Ich schloß auf, stellte die Tasche auf den Boden und warf die Jacke in mein Zimmer. In der Wohnung war es warm, ich rieb meine Beine und ging in die Küche, wo Kathrin saß, den Kopf über ein Buch gebeugt.

Die nackte Glühbirne an der Decke tauchte den Raum in ein hartes Weiß. In diesem unfreundlichen Licht sah Kathrin älter aus, was die Zärtlichkeit, die ich empfand, nicht beeinträchtigte, sondern eher noch verstärkte. Ich stellte mir vor, wie wir in der Küche sitzen würden, beide vierzig Jahre älter, beide lesend, nur ab und an aufblickend, den anderen verträumt anlächelnd. Automatisch suchte ich auf ihrem Kopf nach grauen Haaren, das Bild war mit solcher Macht erschienen, daß es mir so vorkam, als sei diese Zeit bereits vergangen: wir beide ein greises Paar, in einer Küche, die es ein halbes Menschenleben lang benutzt hatte. Meine Suche blieb erfolglos, wehmütig kehrte ich in das Jetzt zurück.

Zwar erzählte sie mir immer wieder, daß sie schon mehrere Haare hatte ausreißen müssen, doch leider war es mir nie gelungen, welche zu entdecken. Irgendwann einmal würde Ausreißen nicht mehr funktionieren, und ich hoffte, sie würde sie dann nicht färben. Still zu Boden blickend lächelte ich, ich war vom Gegenteil überzeugt.

Die Wärme des Raums, die langsam in meine kalten Glieder kroch, mischte sich in meine sanfte Empfindung. Ich beugte mich von der Seite über sie und hauchte einen Kuß auf ihre rötlichdunklen Haare, sie lächelte, ohne den Kopf zu heben. Ihre Augen glitten langsam über die Zeilen und sie bewegte beim Lesen ihre Lippen.
„Hallo Du“, flüsterte ich.
„Hallo Jimi.“

Sie knickte die Seite ein, schlug das Buch zu, reckte sich und drehte ihren Kopf mit geschlossenen Augen im Kreis. Ich sah und atmete, betrachtete ihren Hals, ihr Schlüsselbein, in Gedanken bereits mit meinen Lippen auf den Ihren. Der Kühlschrank brummte, das Radio auf dem Küchenschrank spielte ganz leise einen gleichbleibenden, einfallslos-idiotischen, nebensächlichen Rhythmus. Kathrin verharrte mit ihrem Blick auf der Tischplatte, dann legte sie das Buch darauf ab.

Ich empfand eine wohlige Spannung, es bedurfte nun nur noch einiger Worte. Kathrin schwieg. Ich fragte, und in meine Stimme mischte sich zärtliche Vorfreude:
„Bist Du fleißig?“
„Ich weiß nicht, ob es von Fleiß zeugt, ein Buch zu lesen, das einen wirklich interessiert. Hast Du Hunger?“
Ich lächelte, betastete theatralisch meinen Magen, was unnötig war, da sie nicht zu mir herblickte, und antwortete erwartungsfroh fragend:
„Nein?“

Kathrin nahm ihr Buch wieder in die Hand, blätterte einige Seiten zurück und setzte ihr Lesen fort. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, eine kostbare Vase fallen gelassen zu haben, und einen Augenblick lang stand ich unschlüssig da. Ich hätte gerne etwas gesagt, doch fühlte ich mich leer. Ganz weit entfernt fühlte ich eine Schuld, doch es war mir unmöglich zu sagen, woher diese rühren mochte.
„Magst Du einen Tee?“ begann ich vorsichtig.
„Gerne.“

Das Wort war tonlos aus Kathrins Mund gefallen, der sich alsbald wieder in die Bewegungen ihrer Augen ergab; ich wollte mehr Worte aus diesem Mund vernehmen, eine Melodie, irgendetwas, an dem ich ihre Stimme hätte erkennen können:
„Schwarztee oder Kräutertee?“

Ich wußte nicht, weshalb ich die Frage gestellt hatte. Kräutertee konnte ich nicht ausstehen, Kathrin wußte das:
„Egal.“
Egal. Ich haßte dieses Wort, fand kein häßlicheres Wort in meiner Sprache, wandte mich zur Spüle, damit Kathrin mein Gesicht nicht sehen konnte. Mich abzuwenden zwar völlig unnötig, da sie mich gar nicht ansah. Ich füllte den Wasserkocher zur Hälfte und holte aus dem Küchenschrank den Kräutertee heraus. Ich griff nach einer Kanne, hängte die Beutel hinein und sah dem Kocher aufmerksam zu, wie er seine Arbeit verrichtete. Als ich das kochende Wasser in die Kanne schütten wollte, blickte Kathrin auf und mich an:
„Du mußt kurz warten, bis das Wasser nicht mehr brodelt.“

Ich hielt das Gerät in der Hand, schaute sie an, sie hatte wieder zu lesen begonnen. Ich wäre am liebsten in mein Zimmer gegangen. Mein Herz schlug, ich empfand so etwas wie Wut auf sie und schämte mich dafür. In meinem Kopf rasten die Gedanken durcheinander; die Situation überforderte mich. Hatte sie das sagen müssen? Von allen Dingen, die sie hätte sagen können, war das das Unnützeste und Unwichtigste. Sie saß nur da und blickte in ihr dämliches Buch, was für einen Schwachsinn las sie denn da, der wichtiger sein konnte? Aber sie las, ich hätte mich darüber freuen sollen, vernachlässigte sie ihr Studium doch viel zu oft. Aber warum beachtete sie mich nicht? Warum konnten wir nicht auf dem Bett liegen? Ich wollte sie schlagen und davongehen, und gleichzeitig wollte ich sie in den Arm nehmen und von ihr geküßt werden.

Inzwischen hatte das Wasser aufgehört zu brodeln und ich goß den Tee auf. Meine Hand zitterte dabei. Ich hätte jetzt gerne geweint, vielleicht wäre sie gekommen und hätte mich in den Arm genommen? Aber ich weinte nicht, konnte nicht, und sie kam nicht. Was konnte ich tun, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken? Oder war ich vollkommen egoistisch? Hätte ich es nicht respektieren sollen, was sie tat? Tat sie mir etwas Böses? Mußte das etwas bedeuten? Meine Enttäuschung war doch unbegründet, beruhte doch nur darauf, daß sie mir nicht meine Wünsche von den Lippen abgelesen hatte. Was wollte ich, und was wollte sie denn gerade? Lesen? Und dann?

Ich nahm zwei Tassen vom Küchenbord, füllte sie mit Tee. Als ich Kathrin eine der Tasse hinstellen wollte, fiel mir auf, daß der Tee noch eine Weile ziehen mußte. Also schüttete ich den Inhalt in die Kanne zurück und hörte Kathrin hinter mir seufzen. Scheu blickte ich zu ihr hinüber. Sie schüttelte den Kopf, dann schien sie sich wieder auf ihr Buch zu konzentrieren.

In diesem Moment spürte ich einen Stich in meiner Brust, plötzlich hatte ich Angst. Angst, eine Arterie könnte geplatzt sein, Angst, ich könnte innerlich verbluten, Angst, in meinem Körper verteilten sich gerade die letzten Tropfen meines Lebens - ich war bei vollem Bewußtsein vollkommen panisch und völlig wahnsinnig.

Ich dachte kurz darüber nach, ob sie vielleicht gar nicht wegen mir geseufzt hatte, doch das Andere war stärker. Das Andere hatte längst Besitz von mir ergriffen und ich mußte seinen Befehlen jetzt folgen. Jetzt. Ein kleiner Rest von aufmüpfigen Gedanken erwog noch kurz, ob ich vor ihr auf die Knie fallen, meinen Kopf in ihren Schoß legen sollte. Ich machte einen Schritt auf sie zu, wissend, daß dies der letzte Ausweg sein würde und daß es gut wäre, ihn zu nutzen. Würde sie mich auslachen? Ich ging sehr langsam, Kathrin bemerkte das, schaute mich an, verwundert.

’Entschuldige, daß ich dich noch gar nicht richtig begrüßt habe. Wie war dein Tag? Warst du im Seminar? Hast du Frank besucht?’
Ich lächelte, gab ihr einen Kuß, brachte den Tee und begann zu erzählen.

’Was ist mit dir, geht es dir nicht gut?’
Ich setzte mich auf einen Stuhl, sie beugte sich über mich und drückte meinen Kopf an ihre Brust.

’So, jetzt ist es genug. Ist der Tee schon fertig? Komm, setz dich, ich sorge für den Rest.’
Ich setzte mich auf einen Stuhl, sie brachte mir Tee, gab mir einen Kuß und ließ sich auf meinem Schoß nieder.

Lachend fragte sie:
„Was ist mit dir?“
„Nichts. Es war nur alles sehr anstrengend heute.“

Kathrin stand auf, schnappte den Tee, stellte mir eine Tasse hin, blickte auf ihr Buch:
„Ziemlich interessant.“

Ich schwieg, sie schlug das Inhaltsverzeichnis auf und überflog die Kapitelüberschriften. Meine Stimme monoton, mein Entschluß gefestigt:
„Ich bin müde, ich glaube, ich lege mich eine Weile hin.“
„Ist gut. Ich gehe auch bald ins Bett.“

Ich stand auf, ohne den widerlichen Tee anzurühren, und ging aufrecht und zielstrebig und unbeirrbar und tot in mein Zimmer, verschloß die Tür, zündete eine Kerze an, hatte keine Eile. Ich löschte das Deckenlicht. Meine Augen gewöhnten sich automatisch an das Halbdunkel, ich mußte nur stehen und atmen. Dann kramte ich aus dem Schubfach im Schreibtisch den Tabak, den kleinen Plastikbeutel hervor. Ich klebte drei Papers zusammen, riß von einem Buch aus der Uni-Bibliothek ein Stück des Einbands ab, bröselte viel ab, zuviel für eine Person. Ich hatte Zeit. Ich ließ mir Zeit, schließlich betrachtete ich mein Werk: Es war gut. Alles war gut. Ich hatte alles unter Kontrolle

 

Hi cbrusher

Ich wusste gar nicht, dass Du aus Hd kommst, jedenfalls ist das ganze sehr gut beschrieben.
das einzige was mir das Lesen etwas erschwert hat, waren die langen Schachtelsätze.Vielleicht denkst Du nochmals über eine Vereinfachung nach.
Die Dialoge könntest Du auch in Anführungszeichen setzen, dann sparst Du Dir die Absätze.
was den Titel angeht, ist das ganze aber eher irreführend, weil Du mehr über Frank redest auf dem Weg zu Kathrin, das tatsächliche Aneinandervorbei auch nur durch Schilderung streifst und die Gründe oder Schlüsse daraus nicht offenlegst und mich als Leser somit etwas Fragend :confused: zurücklässt.
Alles in allem denke ich, Du solltest da nochmal etwas straffendes einbringen-sprich-überarbeiten.

Lord ;)

 

@Marius Manis:

Sorry, so einen Mist habe ich noch nie gelesen.

Das ist deutlich. Aus der Länge Deines Kommentars und der Zahl der Zitate schließe ich, daß Du Dir wirklich Mühe gegeben hast, dieses Urteil zu begründen. Allerdings bezweifle ich, daß du "dazu verdammt gewesen [bist], sie gefunden zu haben". Aber wenn Du denkst, daß sie nicht hierhergehört, dann wende Dich doch bitte an einen mod.

Wenn Du mir Selbstdarstellung, gar übersteigerte, vorwirfst, so weiß ich nicht recht, woraus Du diesen Vorwurf ziehst. Der Text ist Figurensicht, ich habe versucht, der Figur ihre Sprache zu verleihen und ich identifiziere mich nicht mit ihr. Wenn Du das als mißlungen betrachtest, dann kann ich dem wenig entgegenhalten. Doch werde ich den Verdacht nicht los, daß Du den Fehler begehst, "Autor und >>Held<< total zu identifizieren" (Böll).

Was die Schachtelsätze betrifft, so ließe sich vermutlich wirklich an der einen oder anderen Stelle ein Punkt setzen. Ich halte das allerdings nicht für gravierend.

Was den Vorwurf "kramphaft gewählt[er]" Ausdruck und "Schnörkel" betrifft, bitte ich dann doch noch um Beispiele. Vielleicht als pm, damit die Geschichte wieder dort verschwindet, wo Du sie gerne sehen willst.

 

Hallo cbrucher,

ach, wie gut, dass so viele Dinge im Leben Ansichtssache sind :) Mir hat deine Geschichte nämlich gut gefallen - und das lag in erster Linie an deinem Schreibstil. Okay, bei dem ein oder anderen Satz hätte auch ich mich über einen Punkt mehr gefreut, aber ansonsten mochte ich deine Art zu schreiben.

Zum Inhalt:
Der Zusammenhang zwischen der Geschichte mit Frank und der Beziehung zu Kathrin leuchtete mir nicht so recht ein. Vielleicht hilfst du mir etwas auf die Sprünge, im Moment habe ich noch das Gefühl, als handelt es sich um zwei getrennte Handlungsstränge. Ich hab die ganze Zeit darauf gewartet, dass Frank nochmal auftaucht und du diese Sache weiter verfolgst, es hätte mich interessiert wie es weitergeht mit den beiden. Frank hast du übrigens sehr anschaulich beschrieben, ich konnte mir diesen beeindruckenden Menschen, der anders ist als andere, gut vorstellen. Ich hatte nur am Anfang den Eindruck, als ob der Tag, an dem dein Prot das Verbindungshaus verlässt und zu Kathrin fährt, der selbe ist, an dem er Frank kennengelernt hast. Dass die zwei sich schon länger kennen wurde mir erst bei den detaillierteren Beschreibungen von Frank deutlich. Ansonsten hast du mit dem Inhalt das Lebensgefühl des Studenten gut eingefangen, finde ich - er ist irgendwie orientierungslos, auf der Suche, passiv und hat trotzdem das Bedürfnis, alles im Griff zu haben. Als er nicht auf Kathrin zugeht, nicht das Gespräch mit ihr sucht sondern davonläuft, hätte ich ihn am liebsten geschüttelt ;)

Und natürlich fand ich es toll, die Orte meiner schönen Nachbarstadt Heidelberg in der Geschichte wiederzufinden :)
Ich hab deine Geschichte auf jeden Fall gerne gelesen.

Liebe Grüße
Juschi

 

@Juschi: Vielen Dank für Deinen Kommentar. Was die Interpunktion angeht, ja!, ich gebe es ja zu, es ließe sich da doch noch das eine oder andere Komma ersetzen. Ich wollte Jimi, von Frank kommend, als einen durch diese geistige Nahrung Schwebenden darstellen. Eine Erfüllung, die er bei Kathrin nicht findet. Und wo er, aus seinen persönlichen Unzulänglichkeiten heraus, auch nicht in der Lage ist, die Situation nach seinen Wünschen zu verändern. "Flug" und "Absturz", etwas verkürzt. Das ist vielleicht nicht ganz so toll gelungen, aber wenn Du schreibst:

Frank hast du übrigens sehr anschaulich beschrieben, ich konnte mir diesen beeindruckenden Menschen, der anders ist als andere, gut vorstellen. [...] Ansonsten hast du mit dem Inhalt das Lebensgefühl des Studenten gut eingefangen [...] Als er [Jimi] nicht auf Kathrin zugeht, [...] hätte ich ihn am liebsten geschüttelt.

dann denke ich doch, daß ich mein Ziel zum größten Teil erreicht habe.

Wegen der zwei Handlungsstränge: Ja, es sind leider zwei. Wenn Sie auch in direkter Verbindung zueinander stehen, sich gegenseitig beeinflussen. Und jetzt kommt die peinliche Entschuldigung: Frank taucht wieder auf, aber nicht in dieser Geschichte. Die anderen Sachen habe ich hier aber nicht veröffentlicht, will ich auch nicht wirklich. Sind alle schon zu alt. Und kann ich dem Forum auch nicht zumuten.

 
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Hallo cbrucher!

Also mir hat Deine Geschiche auch recht gut gefallen, was vor allem den Inhalt betrifft und eigentlich auch den Stil, allerdings nicht so manche zu langen Sätze und daß Du den ersten Teil über Frank eigentlich nur erzählst*. – Auch, wenn die Gespräche mit Frank hier ja nur in der Erinnerung von Jimi stattfinden, könntest Du Teile davon als direkte Rede schreiben, zum Beispiel bei dieser Stelle würde ich mir das sehr wünschen:

Frank war der Überzeugung, daß Begriffe wie "gut" und "Moral" lediglich Konstrukte waren, und den Egoismus des Menschen nur überlagerten, einzig, weil sie sich als gesellschaftserhaltend erwiesen hatten. Und ich blieb bei der Ansicht, daß der Mensch zu selbstlosen Handlungen fähig sei.
Gerade diese Stelle finde ich besonders wichtig, durch die direkte Rede könntest Du sie quasi unterstreichen, und Du würdest auch Frank dadurch lebendiger machen – im Moment wirkt er mehr wie ein Geist. Hol ihn aus der Flasche. ;-)

*Wobei ich nicht meine, daß Du die Teile mit Frank und Kathrin stilistisch aneinander angleichen solltest – ich glaube, Du hast bewußt parallel zum Kontrast der beiden Gesprächspartner Jimis den stilistischen Unterschied gewählt –, aber ein Eutzerl an Zeigen könntest Du schon einbauen, so wie beim Yin und Yang das Yin auch im Yang vorkommt und umgekehrt, bei Dir kommt das Yang zwar im Yin vor, aber das Yin nicht im Yang, ich denke, Du verstehst, was ich meine. ;)

Ich weiß nicht, ob es Deine Absicht war, Kathrin gar so negativ darzustellen, wie sie bei mir ankommt. Das mit dem Aneinandervorbeireden und -leben ist schon klar, aber die Sache mit dem Teewasser macht sie in meinen Augen schon besonders unsympathisch. (Und natürlich muß Teewasser richtig kochen, jeder echte Teetrinker weiß das…:lol: )
Also, falls Du sie eine Spur sympathischer machen willst, dann laß wenigstens Jimi den Fehler machen, daß das Wasser nicht brodelt, sodaß sie zumindest nicht falsch liegt mit ihrer zurechtweisenden Behauptung. :D

Die Stelle finde ich besonders schön formuliert:

Meine Gedanken wandten sich zurück zu dem gerade mit Frank geführten Gespräch; zuerst waren da nur kleine Gesprächsfetzen, die aufflackerten, dann loderten Gesten und Argumentationsketten empor und entfachten ein Strohfeuer an Erinnerung und Wieder-Erleben. In meinem Kopf ein Feuerwerk, die Gesichter draußen auf der Straße wurden langweilig, und ich wußte, sie waren es die ganze Zeit schon gewesen.

So, den Rest aber der Reihe nach – Stilistisches mit Schwerpunkt Sätze-Kürzen, Fehler und Sonstiges bunt gemischt – und außer den Fehlern sind natürlich alles nur Vorschläge: :)

»Die Sonne, die tief und rot und kalt und klar am Himmel stand«
– Vorschlag: »die tief, rot und kalt am Himmel stand«

»ließ den Karlsplatz aussehen, als sei er mit einer dünnen Schicht Honig überzogen.«
– irgendwie beschäftigt mich diese Schicht Honig, seit ich die Geschichte gelesen hab, weil die Sonne doch rot ist, Honig aber (gold-)gelb, ohne rötlichen Stich – aber ich weiß, daß das jetzt schon haarspalterisch ist… ;)

»bewegungslos schauend zu verharren, vor dem Eingang des Verbindungshauses stehend,«
– würde ich kürzen auf »bewegungslos vor dem Eingang des Verbindungshauses zu verharren«

»Ich sah und atmete und war sonst nichts als Sehen und Atmen.«

»Als die Tür schließlich mit einem mächtigen Krachen ins Schloß fiel«

»Mein Gang war leicht, mit federndem Schritt ging ich quer über den Platz,«
– (ein federnder Schritt ist üblicherweise ein leichter Gang, ist also doppelt gemoppelt)

»mein Blick wanderte übermütig, gierig suchend über die wenigen Gesichter,«
– Wiederholung übermütig/über, Vorschlag: mein Blick streifte übermütig und suchend die wenigen Gesichter

»Mein Kopf war erleuchtet, es wunderte mich, daß ich niemandem aufzufallen schien, daß kein Kind aufschrie:«

»Mama, was ist das für ein Mann, sein Kopf ist so hell, er brennt ja.«
– vom Inhalt her würd ich das eher nur einem kleinen Kind zutrauen, dazu paßt aber die Sprache nicht, oder vielmehr erscheint es mir unlogisch, daß bei einem »Aufschrei« erst die Frage, dann die Begründung und erst am Schluß das eigentliche Entsetzen kommt. Vorschlag: »Mama! Der Mann brennt ja am Kopf!«

»Ich wußte noch genau, er hatte mir eine Frage nach dem Straf- und Begnadigungsrecht gestellt,«

»Er hatte mich nicht gefragt, ob wir im Marstall einen Kaffee trinken gehen sollten.«
– heißt es so, oder sollte es doch »Marshall« heißen?

»Ich war nie zuvor in einem Verbindungshaus gewesen«
– ich weiß nicht einmal, was das ist, aber vielleicht erklärst Du es mir als Ausländerin ja ;)

»rauchten Zigaretten, ich Selbstgedrehte, er Gekaufte mit weißen Filtern, sprachen, brauchten nichts.«
– nachdem es sich auf die Zigaretten bezieht: »ich selbstgedrehte, er gekaufte« (und war der Tabak für die selbstgedrehten nicht gekauft? :p)

»In der Veranstaltung, die knapp zwanzig Studenten belegt,«
– die Veranstaltung belegt die Studenten?
– im selben Absatz sind zwei Und-Satzanfänge, das ist eventuell einer zuviel

»seine Worte nie ganz frei von einem hurmorvollen, leichten Zynismus.«
– ein verirrtes r in humorvollen

»Und ohne daß wir das Thema ausdrücklich vereinbart hätten, hatten wir trotz aller Exkurse den roten Faden nie verloren«
– »hätten, hatten«, vielleicht kriegst Du´s ja weg
– würde »trotz aller Exkurse« und »den roten Faden« vertauschen

»… hätte überzeugen können: wir hatten ein unterschiedliches Bild vom Menschen.«
Wir hatten (alte RS: Großschreibung nach Doppelpunkt u.a., wenn darauf ein selbständiger Gedanke folgt, der im vorangehenden Satz noch nicht angedeutet ist)

»Diesen Unterschied hatten wir schon mehrfach diskutiert, und keiner von uns schien nachgeben zu wollen.«
– evtl. »aber« statt »und«?

»Ein Bus der Linie 42 hielt und während ich abwartete, bis die Fahrgäste ausgestiegen waren, fiel mir auf, daß dies immer der einzige Punkt in unseren Erörterungen war, bei dem Frank unfaire, vorwurfsvolle und bisweilen gar mich persönlich angreifende Argumentationsweisen gebrauchte.«
– ein Beistrich weniger: während ich die aussteigenden Fahrgäste abwartete
– noch einer: fiel mir dieser Punkt als einziger in unseren Erörterungen auf, bei dem …
– »unfaire« würde ich weglassen, weil »persönlich angreifend« das ja eh sagt, dann fällt noch ein dritter Beistrich weg: bei dem Frank vorwurfsvolle und bisweilen gar mich persönlich angreifende …

»Wenn wir in unseren Gesprächen auf den Menschen und unsere Sicht von ihm kamen, wurde er ungeduldig und es konnte passieren, daß er mich mitten im Satz unterbrach. Auch verschloß er sich in diesem Punkt gegen alles, was ich vorzubringen hatte.«
– ein bisschen direkte Rede hier wäre ein Hit, die Argumente interessieren mich

»Es war Montag und nur Wenige waren mit mir eingestiegen, so daß ich sogar einen Platz für mich alleine fand.«
wenige

»Der Bus fuhr los, ich hätte die Aufsätze lesen können, die ich mir im Seminar kopiert hatte,«
– ginge kürzer: Ich hätte im Bus die Aufsätze lesen können, die … (ich gehe als Leser nicht davon aus, daß der Bus nicht losfährt, also müßtest Du es nur erwähnen, wenn es anders wäre)

»Er hätte stundenlang sprechen können, wenn es ihm darum gegangen wäre, und nicht selten hatte ich bereits den Eindruck gewonnen, daß er sich selbst auch gerne hatte sprechen hören, doch war er mir gegenüber ein geduldiger Zuhörer, er schien ehrlich an meiner Sicht und Meinung interessiert, schwieg auch dann, wenn die Pausen, derer ich bedurfte, länger wurden, überdachte meine Aussagen, ließ sie auf sich wirken und ging darauf ein.«

»In seinem Umgang mit mir lag ein Wohlwollen und eine Ruhe, eine Umgebung, die ich zur Entfaltung meiner selbst nötig hatte, denn ungern sprach ich aufs Geradewohl, bevorzugte Äußerungen, die keine Korrektur verlangten, erschien deshalb oft schweigsam und schüchtern, Eigenschaften meines Charakters, die ich noch nicht lange erkannt hatte.«
– Vorschlag: »In seinem Umgang mit mir lagen ein Wohlwollen und eine Ruhe, welche ich zur Entfaltung meiner Selbst nötig hatte. Ungern sprach ich aufs Geratewohl, sondern bevorzugte Äußerungen, die keine Korrektur verlangten. Ich erschien deshalb oft schweigsam …«

»Gnothi seauton, erkenne Dich selbst.«
dich

»Im Seminar fiel ich selten auf; meist war es erst eine Hausarbeit gewesen, die einen Dozenten auf mich aufmerksam gemacht hatte.«
– Vorschlag: »meist waren es Hausarbeiten gewesen, durch die ich Dozenten auf mich aufmerksam gemacht hatte.«

»Durch eine solche war ich auch an die Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft gekommen, ich hatte das erste Angebot angenommen, Frank hatte bisher alle abgelehnt.«
– würde nach »gekommen« einen Punkt machen

»Er wartete noch auf die Aufmerksamkeit einer ganz bestimmten Lehrkraft.«

»Er hatte bei der Professorin, die er sich ausgesucht hatte, bereits mehrere Vorlesungen besucht und nun auch ein Seminar bei ihr belegt, das er mit besonderem Eifer vorbereitete, gleichwohl ich überzeugt war, und diese Sicht hatte ich ihm auch schon mehrfach zu verstehen gegeben, daß auch sein gewöhnlicher Fleiß ausreichen würde, ihn an sein Ziel zu zu bringen.«

Er hatte nur geschwiegen, hatte nicht gelächelt, mich nur einen Moment angesehen und dann, mit einem abschließenden, keine Fortsetzung zulassenden Räuspern das Thema gewechselt.«
– zweimal »nur«, Vorschlag: mich einen kurzen Moment angesehen
– keinen Beistrich nach »dann«

»Waren wir erst bei diesem Thema angelangt, so fand er auch keine Ruhe mehr«

»Vielleicht sprach aus seiner Aggression nur die Angst, daß sein eigener Standpunkt falsch sein könnte, ich wußte es nicht, aber hielt diesen Gedanken für nicht ganz abwegig. Ich wußte ohnehin nur wenig von ihm.«
– nach »falsch sein könnte« wäre ein Fragezeichen ganz gut, außerdem hast Du ziemlich viele daß-Sätze, den hier könntest Du zum Beispiel durch »die Angst, sein eigener Standpunkt könnte falsch sein?« vermeiden könntest; ich finde, als Frage wirkt es auch eher wie der Gedanke des Protagonisten als eine Erzählung über diese ;-)
– zweimal »wußte«, Vorschlag statt »ich wußte es nicht«: »Ich war mir nicht sicher« oder »war mir nicht klar darüber«

»Ich war überzeugt, daß der Kontakt mit seinen Eltern allenfalls lose zu nennen war, daß diese aus einem sehr niedrig angesiedelten sozialen Milieu stammten und daß es da keine Freundin gab und vielleicht auch noch nie gegeben hatte.«
– das mit dem sozialen Milieu würd ich weglassen, denn als Grund für den (möglicherweise) losen Kontakt finde ich es nicht zum Charakter passend, und eigentlich hat es mit dieser Geschichte ja nichts zu tun, wo Frank herkommt, eigentlich der Kontakt zu den Eltern insgesamt nicht, da es ja um seine Sichtweisen geht

»Ich fragte mich, was der Grund dafür sein mochte, dachte: vielleicht war er noch nie einem Menschen begegnet, der ihm ebenbürtig erschienen war.«
– würde auch das, wie oben, weglassen

»Der Anblick des Schachfelds im Park, das tagsüber meist drei oder mehr Spieler umstanden, nicht selten mit Bierdosen in der Hand, hatte eine eigentümliche Wirkung auf mich; es wirkte seltsam entrückt, nicht aus dieser Welt, von einer Konsequenz und Ordnung, die der Realität fremd zu sein schien.«
– eigentlich beschreibst Du nicht, welche »Wirkung« der Anblick auf Jimi hat, sondern wie das Schachfeld auf ihn wirkt, das ist nicht dasselbe (außerdem eine Wortwiederholung) – eine Wirkung wäre, wenn es ihn zum Beispiel beruhigen würde. Vorschlag: »…mit Bierdosen in der Hand, schien so seltsam entrückt, …«, wobei ich mich auch frage, wie wichtig die Bierdosen sind


So, hier mach ich erst einmal Pause, sonst kriegst Du eh einen Schock wegen der Länge und die Smilies gehen mir auch schon aus…
Morgen mach ich dann da weiter, mit einer neuen Portion Smilies.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo cbrucher,
mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen, ich mag lange und verschachtelte Sätze :-) auch wenn sie den Lesefluss für andere erschweren..
An einer Stellen schreibst Du "unsere Sicht von ihm kamen", müsste das nicht unsere Sicht von ihnen kamen heißen?
Die Überschrift finde ich für das Ausmaß und die Gedanken in der Geschichte etwas wenig aussagekräftig, eine Überschrift soll einen doch dazubringen eine Geschichte aufjedenfall lesen zu wollen, sie sollte ein bißchen Inhalt verraten und Anreiz sein, vielleicht fällt dir ja noch etwas anderes ein.
Geschichten sollte man lesen und man sollte etwas mitnehmen, man sollte darüber nachdenken, das hat deine Geschichte bei mir aufjedenfall bewirkt, Kommunikationsprobleme und die eigene Unzulänglichkeit Gefühle auszudrücken im Gegensatz zu Fachgeplänkel?!
MFG
Rike

 

Hallo cbrucher,

mir hat deine Geschichte auch sehr gut gefallen.

Allerdings bin ich auch kein Fan von zu langen Sätzen, obwohl dir die denoch
sehr gut gelungen sind.
Die beiden Handlungsstränge haben mich auch etwas gestört.
Schade, dass du nicht alles veröffentlichen möchtest, denn ich hätte auch sehr gerne noch mehr über Frank gelesen...

Bella

 

Ich fand die Geschichte gut, lange Sätze machen mir nichts aus. Interessante Handlung an sich und gute Beschreibungsweise. Man konnte sich alles vorstellen wenn man sich Mühe gab sich hineinzuversetzen.
Also :thumbsup:

 

Hallo cbrucher!

Also, auf zur Fortsetzung. :)

Zu den langen Sätzen will ich noch sagen, daß ich an sich auch nix gegen lange Sätze hab. Es passen ja hier eigentlich auch fast alle, nur ein oder zwei fand ich wirklich zu künstlich aneinandergereiht und nur bei wenigen im ersten Abschnitt fand ich, daß überflüssige Nebensätze stehen.
Aber man kann auch manches betonen, indem man ihm einen eigenen Satz gibt. In so langen Sätzen kann so manches untergehen, und das war für mich öfter der Grund für den Vorschlag, einen Satz zu teilen. ;)


»Ich blieb stehen, um meinen Eindruck zu analysieren, doch fand ich in meinen unzusammenhängenden Gedanken nichts, was mir darüber hätte Aufschluß geben können. Ich wollte weitergehen, doch dann«
– zweimal »doch«

»Langsam wurde mir kalt und ich beschleunigte, als ich den Weg nach Hause wieder aufnahm, meine Schritte.«
– ich hatte eigentlich den Eindruck, als wäre er bei den Schachfiguren stehengeblieben, dann wäre beschleunigen der falsche Ausdruck, da eine Beschleunigung ja eine zuvor langsamere Bewegung voraussetzt. Aber vielleicht habe ich das Stehenbleiben ja tatsächlich dazugedichtet? Schöner fände ich hier »und nahm schnellen Schrittes den Weg nach Hause wieder auf«, oder zumindest »meine Schritte« nach vor: »beschleunigte meine Schritte, als ich …«

»Im Treppenhaus schien es noch kälter zu sein als draußen, ich ließ die Zeitung liegen, die Benji heute morgen vergessen haben mußte, und rannte fröstelnd die Treppen zum zweiten Obergeschoß hinauf. Durch die Milchglasscheibe der Eingangstür konnte man erkennen, daß in der ganzen Wohnung die Lichter brannten, wenn Kathrin abends alleine war, kam das oft vor, sie pflegte überall umherzugehen, dort etwas in die Hand zu nehmen, es anderswo gegen den nächsten interessanten Gegenstand einzutauschen, wir hatten uns daran gewöhnt, nur Benji ärgerte sich noch manchmal, auch hatte er begonnen, zuerst Kathrin zu verdächtigen, wenn er etwas in seinem Zimmer nicht finden konnte.«
– würde nach »draußen«, »brannten« und »manchmal« je einen Punkt machen, zwischen »einzutauschen« und »wir« würde ich einen Gedankenstrich setzen

»was die Zärtlichkeit, die ich empfand nicht beeinträchtigte,«
– empfand, nicht

»und automatisch suchte ich auf ihrem Kopf nach grauen Haaren, das Bild war mit solcher Macht erschienen, daß es«
– eventuell nach »Haaren« einen Punkt?

»sie würde sie dann nicht färben und lächelte still zum Boden blickend, da ich vom Gegenteil überzeugt war.«
– soweit ich mich erinnern kann, heißt es »zu Boden blickend«

»das Radio auf dem Küchenschrank spielte ganz leise einen gleichbleibenden, einfallslos-idiotischen, nebensächlichen Beat.«
– zumindest »idiotischen« würd ich rausnehmen, oder wenigstens nicht so direkt sagen – eigentlich ist es ja schon durch »gleichbleibend« und »einfallslos« gesagt –, aber wenn Du es denn betonen willst, dann würd ich das eher durch eine Aussage als durch ein plumpes Adjektiv machen, zum Beispiel »einen gleichbleibenden, anspruchslosen Beat, gerade noch als Hintergrund geeignet, wenn man eigentlich gar keine Musik hören möchte.« (einfallslos hab in anspruchslos verwandelt, weil gleichbleibend ja auch einfallslos ist ;))

»und in meine Stimme mischte sich die zärtlich Vorfreude:«
– das »die« scheint mir fehl am Platz, und evtl. ein -e an »zärtlich« (kommt drauf an, wie es gemeint ist)?

»Bist Du fleißig?«
»Hast Du Hunger?«
»Magst Du einen Tee?«
du (auch in der alten RS gehört das »du« klein, wenn es keine direkte Anrede [also ein Brief, oder ein Posting in dem ich Dich direkt anspreche] ist)


»Ich hielt den Wasserkocher in der Hand, schaute sie an, die wieder zu lesen begonnen hatte und wäre am liebsten in mein Zimmer gegangen.«
– hatte, und wäre

»Ich wollte sie schlagen und davongehen und gleichzeitig wollte ich sie in den Arm nehmen und von ihr geküßt werden.«
– gehts nicht ohne schlagen? Wie wärs mit »Ich wußte nicht, wohin mit meiner innerlich kochenden Wut, wollte davongehen …«?

»Inzwischen hatte das Wasser aufgehört zu brodeln und ich goß den Tee auf.«
– die kurzen Sätze in diesem Absatz passen gut zur Stimmung, ich würde auch nach »brodeln« noch einen Punkt machen, dann fällt auch das »und« weg

»Ich blickte scheu zu ihr herüber und sah, wie sie den Kopf schüttelte,«
– zu ihr hinüber

»in meinem Körper verteilten sich nun die letzten Tropfen meines Lebens--- ich war ja völlig wahnsinnig!«
– was ist das denn: »---«? :D Ähm, wie wärs mit einem ganz normalen Gedankenstrich? »meines Lebens – ich …« Wenn Du es mehr trennen willst, als durch den Gedankenstrich, dann mach doch einen Punkt nach »Lebens«: meines Lebens. – Ich …« ;)

»Ich ging sehr langsam, Kathrin bemerkte das, schaute mich an, verwundert.«
– »verwundert« wirkt so hintendrangehängt, warum nicht »schaute mich verwundert an« oder »schaute mich mit verwundertem Blick an«, oder »schaute mich an, ich las Verwunderung in ihrem Blick/Gesicht.«

»Entschuldige, daß ich Dich noch gar nicht richtig begrüßt habe. Wie war Dein Tag? Warst Du im Seminar oder bei Frank?«
»Was ist mit Dir, geht es Dir nicht gut?«
»Komm, setz Dich, ich mache den Rest«
dich, dein, du, dir

»Ich lächelte, gab ihr einen Kuß, holte den Tee und begann zu erzählen.«
– irgendwie ist das ein seltsamer Sprung von »begann zu erzählen« zum darauf folgenden »Was ist mit dir …«, es kommt für mich nicht heraus, ob sie ihn da unterbricht, oder wie das geht, daß er zu erzählen beginnt und sie dann diese Frage stellt – konnte er vielleicht plötzlich nicht weiterreden? :susp:
Wenn ich weiterlese, kommt es mir vor, als wolltest Du die Stelle schon einmal korrigieren, da sie ihm nämlich zweimal den Tee bringt und auch die Frage »Was ist mit dir« noch einmal stellt:

»Ich setzte mich auf einen Stuhl und sie brachte mir Tee, gab mir einen Kuß und ließ sich auf meinen Schoß nieder.

Sie fragte lachend: Was ist mit Dir?
Ach nichts, war nur alles sehr anstrengend heute.

Kathrin stand auf, holte den Tee, stellte mir meine Tasse hin, blickte auf ihr Buch:«

»So, ich habe keine Lust mehr. Ist der Tee schon fertig?.«
– überflüssiger Punkt nach dem Fragezeichen

»Ja, erhol' Dich gut. Ich gehe auch bald ins Bett.«
– »erhol« ohne Apostroph

»hervor. Ich klebte drei Papers zusammen, riß von einem Buch aus der Uni-Bibliothek ein Stück vom Einband ab, bröselte viel ab, zuviel für eine Person,«
– da sind zwei Leertasten zwischen »hervor.« und »Ich«
– würde »zuviel« in dem Fall nicht zusammenschreiben
– Das mach ich jetzt auch. :D

Alles Liebe,
Susi :)

 

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