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Das böse Blatt

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15.04.2002
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Das böse Blatt

Wenn der Irre nur wüsste, was er schreiben sollte.

Billy beugte sich über seine Schreibmaschine. Ja, seine Schreibmaschine. Billy konnte auf keinem Computer schreiben, da er ohne das Klackern der Tasten und dem Schlagen der Hämmer auf dem Papier keinen vernünftigen Satz niederschreiben konnte. Er starrte auf das leere Blatt, das er vor vier Stunden in die Maschine eingespannt hatte. Wieder einmal eine Schreibblockade. Dabei hatte sich die Geschichte so gut entwickelt, als er nachmittags bei Bruce Springsteen’s Tom Joad vergnügt durch sein Wohnzimmer tänzelte und sich im Kreis drehend die schärfste Geschichte seit langem in seinem Kopf zusammenbastelte. Die Ideen kamen wie von selbst. Im Takt der Musik plätscherten die Einfälle hervor und Billy konnte kaum mit sich selbst Schritt halten, so rasant purzelten die Ideen und Ereignisse durch seinen Kopf. Das war vor über vier Stunden. Jetzt, wo Billy vor seiner Schreibmaschine saß, war alles anders. Alles. Die messerscharfe Geschichte krallte sich irgendwo bilderhaft in seinem Gehirn fest und weigerte sich, von Billy in Worte gefasst, geschweige denn auf Papier geschlagen zu werden. Dabei liebte Billy das Hämmern seiner Schreibmaschine mehr als das meiste auf der Welt. Nicht, dass Billy besonders viele Dinge auf der Welt mochte, aber dieses flüssige Klackern, wenn die Worte aus seinem Kopf wie ein Bach das Papier hinunterflossen, da konnte man in Billy’s Gesicht eine endgültige Zufriedenheit sehen, an der man erkannte, dass hier ein restlos glücklicher Mann das tat, was er am liebsten machte. Jetzt, und die Stunden seit er vor der Maschine sass, war davon nichts zu sehen. Billy glotzte die Schreibmaschine an, als ob er sie fressen wollte. Das leere Blatt, das leere Scheissblatt machte ihn krank. Es wollte ihn krank machen. Und wenn etwas Billy krank machen wollte, dann erkannte er das sehr schnell. Er war ja ein schneller Denker und liess sich so einfach nichts vormachen. Billy konnte hören, wie ihn das leere Blatt seit einer halben Stunde schallend auslachte. Davor hatte es nur stumm zurückgeglotzt und Billy mit Schweigen genervt. Aber jetzt dieses verarschende Kichern, das war eine echt miese Tour von diesem Scheissblatt, dachte Billy. Nur ein totes Blatt ist ein gutes Blatt, zwinkerte ihm ein Gedanke von weit hinten in seinem Kopf zu. Töte es, Billy. Mach es kalt. Es ist sowieso ein böses Blatt. Ein dummes, böses, leeres Blatt, das gar nichts anderes verdient als zu sterben. Wenn es könnte, würde es mich auch umbringen, dachte Billy. Das dumme Blatt, das Billy nicht leiden konnte und ihn auslachte. Ihn, den großen Autor von fünf Romanen und drei Novellen. Was dachte sich dieses Blatt eigentlich? Was denkt diese Blatt eigentlich, tippte Billy in die Tasten. Was zur Hölle denkt sich dieses verschissene Blatt, was es sich mit mir erlauben kann, hämmerte Billy weiter. Du bist ein lausiger Schreiberling. Du verschwendest mich nur mit deinen nutzlosen Gedanken, die ohnehin keiner lesen will und ohne die die Welt weit besser dran wäre. Du bist eine Beleidigung für jedes Blatt auf dieser Welt. Fall tot um, Billy. Du bist Scheisse. Billy blickte auf das Blatt. Seine Finger tippten fleissig weiter. Nicht von ihm kam das. Aus dem Blatt. Das Blatt versuchte seine Gedanken zu übernehmen, ihn zu kontrollieren, dachte Billy. Nicht mit mir, tippte er. Du nutzloser Schreiberling, glaubst du wirklich du könntest auch nur einen einzigen vernünftigen Satz aus deinem nutzlosen Kopf herausbringen, wenn ich dir nicht jeden einzelnen Buchstaben vorkauen würde? Billy las das zweimal. Das bin nicht ich, tippte er. Schlaumeier! Spuckte das Blatt aus und zwang Billy, es für sich selbst aufzuschreiben. Okay, Billy, wir können das auf die gute oder die böse Art lösen. Weißt du, ich habe es nämlich endgültig satt, dass du mich mit deinem Müll volltippst. Bring dich um, Billy. Mach doch einfach Schluß. Würde uns beiden und dem Rest der Welt einen Riesengefallen tun. Warum gehst du nicht einfach raus und läufst vor einen Bus? Ich bitte dich, Billy. Billy dachte scharf nach. Er war ein scharfer Denker, der sich messerscharfe Geschichten ausdachte. Aber dieses Blatt irritierte ihn. Das war platt, hämmerte er in die Tasten. Und das auch, hämmerte das Blatt hintendran. Ach, ja, tippte Billy, und was tust du jetzt? Was bitteschön in deiner grenzenlosen Klugscheisserweisheit tust du jetzt du dummes Stück Scheißhauspapier? Billy lehnte sich triumphierend zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Wie willst du dich da jetzt rauswinden, sagte er laut zu dem Blatt. Grinste, und zog das volle Blatt aus der Maschine.​

19.4.2004

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peter Koller!

Krank, dieser Kampf zwischen Blatt und Autor. Mal was spezielles. Hätte auch in Seltsam gepasst - aber damit sag ich nicht, dass du es verschieben solltest.
Ich bin mir momentan grad am überlegen, wie krank man sein muss, um das Gefühl zu haben, das Blatt hätte einem unter Kontrolle.
Indem dieser Blatt-Autor Kampf stattfindet, löst sich automatisch auch die Schreibblockade des Prots. Und man kann es gar so sehen, dass du selbst der verrückte Autor bist, der sich die furiose Wortschlacht gelierfert hat :D.
Also für Zwischendurch eine ganz nette Story!

Und wenn Billy etwas krank machen wollte
Und wenn etwas Billy krank... würde ich schreiben, da sonst hier Billy das Subjekt ist.

mfg,

Van

Edit: Ah, du bist ja der Autor der 'ewig Toten' das war wirklich ne verdammt geile Story...

 

Hi Peter,

das ist doch mal eine nette Idee und ich wette, fast alle Mitglieder können das nachempfinden. Wer hat noch nie verzweifelt vor einem leeren Blatt oder weißen Monitor gesessen?

Die formale Umsetzung macht mir etwas Kopfzerbrechen. Das ließe sich aber mit einigen Absätzen beheben. Wenn dann noch die geschrieben Zeilen, zumindest die von dem Blatt, kursiv gestellt würden, ließe es sich viel leichter lesen.

Viele Grüße,
Xenomurphy.

 

Danke für die Blumen!

@ Van Horebeke

... dass der kranke Autor und ich enge Nachbarn sind, da liegst du gar nicht so weit daneben :D
Ich wusste nicht wohin mit der Geschichte, deswegen hab ich sie in Horror gepostet, erstens, weil ich mich da "zuhause" fühle und zweitens hab ich grad ein neues Subgenre erfunden, den "Autorenhorror" :D

@Xenomurphy
Ja, das Formale hat mir schon beim Schreiben Kopfzerbrechen besorgt. Hab mir dann gedacht, ich lass den Text einmal so in einem durchfliessen, weil so offener bleibt, ob das Blatt wirklich gemein war oder nur der Autor plemplem. Aber ich schau mir das am Abend nach der Arbeit mal an. Optimal ist es ja wirklich nicht gerade.

LG, Peter

 

hallo
also auch ich kann dir nur loben für diese idee! dieses thema ist wohl jedem irgendwo bekannt, deshalb identifiziert man sich auch so gut mit billy. wenn ich mich an meine papierschlachten erinnere... jaja, kranke gedanken, und doch so wahr.
und ich finde, dass sie sehr gut in horror passt. ist mal was neues.
jeled

 

Servus,

ich kann mich dem Lob meiner Vorposter nur anschließen! Die Idee ist zwar total irrsinnig, aber es fällt wirklich SEHR leicht, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren.
Auch, dass du alles in einem Absatz stehen hast, hat was: Dadurch fällt es dem Leser schwer, zu erkennen, dass es sich um einen Dialog handelt, was ja durchaus im Sinne der Geschichte liegt. Wenn du wirklich noch editieren willst, dann mach das ganz perfide: Setze die Zeilenumbrüche so, dass der Leser total aufs Glatteis geführt wird und glaubt, dass Billy immer noch nachdenkt, aber eigentlich das Blatt schon wieder das Wort ergriffen hat. :rolleyes: Aber dann gehört die KG schon fast wieder in "Experimente", wo sie doch in Horror echt gut steht...

Grüße,
Artnuwo

P.S.: Dass die Idee irrsinnig ist, meine ich von einem allgemeinen Standpunkt aus. Ich selber finde sie sehr vertraut, da ich auch mal eine Geschichte (die allerdings noch unfertig und viel zu lang zum posten ist) geschrieben habe, in der etwas ähnliches passiert, allerdings mit einem magischen Füllfederhalter. Kein Wunder, dass ich doppelt begeistert war :)

 

Ich habs mir Kursiv und Absätzen probiert, aber das schaut zu offensichtlich, zu aufs Auge gedrückt aus. Ich werd es wohl so lassen, wie es ist. :D

 

He-he, das ist mir mal 'ne Art, seine Krisen zu bewältigen und noch was vernünftiges dabei zustande zu bringen.

Hallo Peter Koller!

Man kann natürlich irre viel reinlegen in die Geschichte, wenn man will. Aber was mich interessiert hat: Wie geht's dem Blatt jetzt? :cool:
Ich freu mich, dass du die Geschichte hier in Horror gepostet hast, obwohl sie meiner Meinung nach nicht hierher gehörte. Aber so kam ich auch in ihren Genuss, wo ich doch kaum woanders hinkomme.

Hat mir also gut gefallen, weil du eine nette Idee (vielleicht auch mehr?) ziemlich professionell umgesetzt hast. Der Stil ist angenehm und recht routiniert, du hast einige hübsche Sprünge drin, die Lust auf mehr machen(war jetzt scheiße ausgedrückt, was? :dozey: )

Ach ja, das mit den Absätzen und dem Kursiv geschriebenen. Während des Lesens habe ich mich geärgert, weil es mühsam war. Je länger ich darüber aber nachdenke, schließe ich mich dir an und meine, dass ein wenig Aufmerksamkeit nicht schaden kann. Ich hab' sie schließlich auch in dieser Form richtig verstanden, oder? :susp:

Bis zum nächsten Mal also und

Viele Grüße von hier!

 

Hallo Peter Koller

Gute Idee, toll umgesetzt.
Nur bei einer Stelle bin ich zuerst gestolpert.

Okay, Billy, wir können das auf die gute oder die böse Art lösen.
Wie würde das Blatt es auf die gute Art lösen?
Allerdings, wenn man diesen Satz Billy sagen lässt funktioniert es.


Ja, das Formale hat mir schon beim Schreiben Kopfzerbrechen besorgt. Hab mir dann gedacht, ich lass den Text einmal so in einem durchfliessen, weil so offener bleibt, ob das Blatt wirklich gemein war oder nur der Autor plemplem.
Genau!

:cool:
Klasse Geschichte. Weiter so.

LG dot

 

@Hanniball

Dem Blatt geht es blendend. Eigentlich wollte ich ja ein böseres Ende, wo ihn das Blatt auslacht, nachdem es vollgeschrieben ist, weil neben der Schreibmaschine noch ein Stapel von 500 leeren Blättern liegt und der Schreiberling nur verlieren kann. Mir ist aber kein halbwegs passender Satz eingefallen und deswegen gibts dieses halbe Happy End, wo er das Blatt quasi besiegt. Aber die anderen Blätter liegen gleich neben ihm. In Griffweite. Glaub mir. :D

@ Dotslash

Wer sagt denn, dass das Blatt "Okay, Billy..." sagt und nicht er zu sich selbst? :D Nein, wie ich es geschrieben habe, war es schon das Blatt, aber der gute Billy hat ja einen schweren Knall, man kann also nie wissen..


Das Lustige beim Schreiben war, das ich absolut keine Ahnung hatte, was ich schreiben sollte. Darum auch der erste Satz. Ich hatte bloß Lust Irgendwas zu schreiben, hab also einfach zu tippen begonnen. Dass ich über einen Kampf irrer Autor vs. böses Blatt schreibe, hat sich erst während des Tippens ergeben. Ist bei mir aber meistens so, ich hab nicht wirklich unter Kontrolle, was mir einfällt, ich schreibe einfach drauflos und lass mich dann einfach davontragen.

Wär eigentlich eine interessante Frage, was ein Werk bzw. Literatur wert ist, wenn der Autor keinen Einfluß darauf hat, was er schreibt. Wäre das dann nicht einfach eine instinktive Handlung für die keinerlei Geistesleistung vonnöten ist? :drool:

LG, Peter

 

Hallo!

Deine Geschichte hat mir gut gefallen!
Sie war nett zu lesen, humorvoll und auch das Thema ist wohl jedem bekannt! ;)

Greetz
:) Zith

 

So jetzt pushe ich mal ganz ungeniert dieses Ding da wieder ganz nach oben.

@Zith

Vielen Dank für die Blumen. :huldig:

@Jo_oder_so

Vielen Dank für den Beton. :bonk:

Wenns wenigstens so wäre, dass die Story zwischen zwei anderen KGs liegen würde... ich geniesse nämlich die herrlich schreiblose Zeit einer exquisiten Einfallsblockade. Ich kann zwar jederzeit was tippen, aber die Stories sind.. naja.. nichtexistent. Drum kommt da alle paar Monate nur ein kurzer, sinnleerer Cartoon, damit ich wenigstens sagen kann, ich hätt es versucht. :D

Aber in zwei Wochen ist meine FH zu Ende und dann bin ich ein freier Mensch, vielleicht fällt mir dann auch wieder was Brauchbares ein.

LG, Peter

 

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