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Das Ende des Weges
„Wer weiß schon, was die Zukunft bringen wird? Die Zukunft ist ein Weg, der in eine Richtung zu führen scheint, die du dir vorstellst. Doch der Weg liegt im Nebel, du weißt nicht, welche Art Weg er ist. Wo du unbeschwert gehen kannst, wo Löcher im Boden sind oder Steine dir das Weitergehen erschweren. Ob der Weg eben ist oder steil einen Berg hinaufführt, der ein Problem oder eine Probe oder Schicksal sein kann. Oder eine Motivation. Welche Gabelungen und Wegkreuzungen mögen kommen? Entscheidungen müssen wir treffen, immer dann, wenn wir an solchen Stellen angelangen.
Wir können nur kurz stehen bleiben, denn es muss weitergehen.
In dieser kurzen Zeit des Verweilens werden Entscheidungen getroffen, die unseren Lebensweg bestimmen.
Zurückzusinnen und zu denken: Hätte ich doch einen anderen Weg eingeschlagen, bringt dir meistens nichts als schwermütige Gefühle.
Weißt du noch, damals- jetzt spreche ich schon wieder von der Vergangenheit- damals in Spanien?
Wir gingen am Strand entlang, als der Tag sich in die Dämmerung senkte und die Sonne den Horizont blutrot färbte. Wir schauten über die Wellen, über das Meer, hin zum Horizont und sanken dort mit der Sonne ins Meer. Was für Träume wir damals noch hatten!
Wir dachten, dass dies, diese Urlaube unser wahres Leben wären. Die Momente der Sinnlichkeit sollten ewig dauern, das schworen wir uns. Was waren wir für Träumer, wie liebten wir unsere Naivität! Sonnenuntergänge und ausgedehnte Spaziergänge am Strand, den weichen, weißen Sand unter unseren Füßen, zwischen unseren Zehen, unser erster Kuss, der so eine Ähnlichkeit mit der sinkenden Sonne und der Berührung des Meeres hatte. Wie der Wind mit deinen Haaren spielte, so leicht, so unbeschwert.
Dieser Moment lebt gerade in mir zu neuem Leben auf, vielleicht der letzte Funken schmerzhaften Lebens, den ich verspüre.
Ich stehe an einer dieser Weggabelungen. Wohl an der entscheidenden. Stehe und sinne diesen Zeiten nach, die mir so gut, so quälend in Erinnerung sind, eben diese, wo dir der Moment alles bedeutete. Damals hätte ich mir nie träumen lassen, einmal zwischen den Ufern zu treiben und in Schwermut zu ertrinken. Der letzte Teil des Weges, mit schweren Mut beladen, der mich hinunter zieht, in die tobenden Wasser meiner selbst, in die Abgründe der Einsamkeit, den irren Wahnsinn elementarer Eifersucht!
Du hast mir deine Liebe geschworen, mir die Welt versprochen und gemeint, dass sie sich ohne mich nicht mehr weiter drehen würde. Lügnerin! Du lebst dein Leben, deine Welt drehte sich um dich und deinen neuen Freund. Schau ihn dir an, wie ein Sonnenuntergang liegt er da!
Es hätte niemals so weit kommen müssen, niemals hätte ein unschuldiger sich in unsere Welt drängen dürfen. Du hättest ihm Sand in die Augen streuen können. Dann wäre er nicht vor Liebe blind gewesen und hätte heute noch die Möglichkeit, ihn sich aus den Augen zu reiben. Deine Augen, Julia, sie versprachen die Ewigkeit. Einst waren sie der ruhende Pol in meiner Welt, in die ich nur zu schauen brauchte und alles um mich herum vergessen konnte. Sie waren für mich wie das wogende Meer, beruhigend und doch so lebendig. Nichts hatten sie von ihrem jetzigen Ausdruck, so verkrampft, so angstvoll geweitet, als tobe ein Sturm in ihnen!
Warum sagst du nichts?
Früher lauschte ich deiner Stimme nächtelang, du erzähltest die wundervollsten Geschichten aus deiner Vergangenheit und unserer Zukunft. Ihnen lauschte ich, wie ich dem Rauschen des Meeres lauschte. Du warst immer schon eine gute Geschichtenerzählerin, konntest einem die Illusion geben, ein Teil davon zu sein.
Geschichten waren es! Trugbilder! Warum nur hast du es soweit kommen lassen? Wir waren die Hauptfiguren in deinem Märchen, wie Prinzessin und Prinz. Naiv und kindlich zugleich lebten wir in einer Traumwelt. Du hast es geschafft, aus diesem Traum auszusteigen, Julia. Und mich hast du zurückgelassen in einem Alptraum. Nächtelang lag ich in meinem Bett, hatte die Bilder unserer gemeinsamen Zeit vor Augen, die brannten wie Salzwasser. Qualen litt ich ohne dich, denn du warst immer noch in mir und ich wollte, konnte dich nicht loslassen.
Er wollte dich bestimmt auch nicht loslassen, ihm hast du bestimmt die gleichen Geschichten erzählt wie mir. Geschichten gehen nicht immer gut aus, das weiß ich und nun siehst auch du es. Es war für mich wie ich es dir am Anfang erzählte, eine Weggabelung, eine Entscheidung, die ich zu treffen hatte.
Getroffen habe ich, das siehst du ja. Warum weinst du? Das Leben ist nun einmal ein Weg, der zu einem Ziel führt. Jeder Weg muss das. Unsere Beziehung war wohl mit der schönste Gang meines Lebens. Bis er sich mit deiner verhängnisvollen Gabelung kreuzte, an der du dich entschlossen hast, von mir zu gehen. Ich fühlte mich, als stünde ich auf einer Hallig und die Flut kam immer näher, stieg an, bis zum Hals. Ich ertrinke immer noch, Julia, jede Nacht, jeden Tag, jeden Atemzug meines Lebens!
Weißt du, wie sich so etwas anfühlt?!? In Einsamkeit zu ertrinken?“
„Du bist betrunken! Mach dich doch nicht noch unglücklicher!“
„Betrunken? Ja, das kann sein. Der Alkohol wurde zu einem Lebensabschnittgefährten.
Ich versuchte, dich zu vergessen. Doch versuche einmal, das Liebste, was du jemals hattest, zu vergessen! Es geht nicht. Es ist in dir, ein Teil von dir, der nicht einfach von der Ebbe mit hinausgezogen wird!
Du warst mein Leben und bist, nachdem du mich verletzt hast, wie ein Tumor in mir gewachsen.
Glaubst du, es ist Zeit, ihn zu entfernen? Ja, ich glaube es, denn er war lange genug quälend für mich. Weißt du, ein altes Sprichwort sagt, man kann nur das hassen, was man einmal geliebt hat. Nur das, an dem dein Herz hing, kann es zum Bluten bringen und schließlich zerreißen!
Wie fühlst du dich eigentlich?
Siehst du sein Herz bluten?
Er hat es hinter sich, aber was ist mit dir, die es noch vor sich hat? Stimmt es, dass der ganze Lebensweg an einem vorbeizieht, wenn man kurz vor dem Ziel steht? Was mögen das für Bilder sein? Schöne Bilder, die an eine Zeit erinnern, in der man glücklich war? Ich weiß nicht. Eher doch solche, die der Situation angemessen sind. Bilder des Schmerzes, des Leidens, der Qual. Solche Bilder, die ich Nacht für Nacht erleben muss. Und du bist schuld daran! Glaubst du eigentlich immer noch an Gott? An den Schöpfer der Natur, des Meeres, der Sonnenuntergänge, der Lebenswege? An den Schöpfer des Menschen. ER hat uns doch die Fähigkeit beiseite gestellt, zu fühlen. Fühlst du den Schmerz in mir?
Bald nicht mehr, bald wird keiner von uns noch irgendetwas fühlen. Bald wird die Sonne im Meer versunken sein und die Nacht wird unser Begleiter, der Weg wird bald begangen sein. Weißt du noch, als wir in Spanien am Strand einschliefen. Es wird bestimmt ähnlich sein, Julia; gute Nacht…“
Sirenen hörten, Blaulicht sahen sie nicht mehr.
Man fand sie regungslos.
Auf Urlaubsfotos klebte Blut.