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Das Freundliche Alte Haus
"Wir haben einen Geldgeber!"
Der froschbeinige Museumsdirektor, der sonst nie vor dem zweiten Mittag sein Büro verließ, stand in der Tür und wedelte mit einem Streifen Papier. Die Techniker sahen ihn erstaunt an. Sie hatten gerade ihre Blaustundenmeditation beendet und waren noch etwas dösig.
"Einen Geldgeber, Hoda! Für dein Projekt! Gerade hab ich den Vertrag unterschrieben!"
Mox Hoda erhob sich schwerfällig und schob die Arme des bulligen Apparats beiseite, hinter dem er gekauert hatte. Er streckte sich und schüttelte ein gutes Pfund Metallstaub aus seinem Fell.
"Zeig mal her."
Er durchquerte das Labor und nahm den Papierstreifen, überflog ihn und lächelte spöttisch.
"Ein Privatmann! Das gibt doch wieder Ärger!"
Das strahlende Gesicht des Museumsdirektors fiel förmlich in sich zusammen und legte sich in weiche Kummerfalten.
"Er will es nicht für sich. Das ist ein wahrer Kulturliebhaber! Er wird den Transport bezahlen, und wir dürfen das Objekt trotzdem behalten. Steht alles hier drin!"
Mox setzte sich auf die Tischkante des Zeitbiegers, der halblaut protestierte und mit einer raschen Bewegung sein Butterbrot in Sicherheit brachte, und las den Vertrag noch einmal, diesmal aufmerksamer, während der Museumsdirektor neben ihm seine warzigen Hände knetete und mit den Kniegelenken knackte.
"Stell dir doch mal vor, was das bedeutet! Kein Gebettel mehr beim Kulturrat, keine Rechtfertigungen mehr, wir könnten endlich die Ausstellung komplettieren, und du bekommst deinen Agenten zurück!"
Mox ließ das Papier sinken und sah seinen Vorgesetzten an.
"Ich denke, das ist der richtige Moment, um dir zu sagen, daß ich von meinem Agenten seit Wochen nichts gehört habe. Ich weiß nicht einmal, ob er sich noch im Objekt befindet."
Die Glubschaugen des Direktors wurden tellergroß.
"Hast du versucht, ihn zu erreichen?"
Mox seufzte.
"Selbstverständlich. Er antwortet nicht. Du kannst es selbst versuchen, wenn du mir nicht glaubst."
Seine Kollegen wandten sich ab, um ihr Grinsen zu verbergen. Einer hüstelte. Die technische Unbeholfenheit des Direktors war Thema vieler betriebsinterner Witze.
"Das werde ich auch! Sofort! Und du kommst mit und bedienst die Anlage."
Einer der Restauratoren pfiff leise durch die Zähne, als Mox mit dem Direktor das Labor verließ.
"Armer Kerl! Der wird sich noch ins Versorgungsamt zurückwünschen."
Die Kommunikationszentrale des Museums für Aussterbende Architektur war im Keller untergebracht und nicht sehr repräsentativ. Mit geübten Handgriffen und Befehlen erweckte Mox die Anlage zum Leben, während der Direktor sich angewidert im Raum umsah.
"Von wem sind denn all diese leeren Flaschen? Das ist doch dein Staub da, oder?"
Mox hielt ihm das Sprechgerät hin.
"Wir wären jetzt soweit."
Rahuu hörte das Signal und schreckte hoch. Leise, um die schlafenden Fuchskinder nicht zu wecken, verließ er das Zimmer und setzte sich aufs Dach.
"Hier spricht der Direktor, bitte kommen!"
"Hier Rahuu, ich höre dich klar und deutlich, hörst du mich auch?"
"Hallo, hier spricht der Direktor, bitte antworten!"
"Ich höre! Ich bin hier!"
"Hier ist der Direktor! Bitte melden!"
"Ich höre dich! Mit der Verbindung stimmt was nicht!"
Nach einer kurzen Pause hörte Rahuu Hodas Stimme:
"Ich hab dir gesagt, daß er nicht antwortet. Vielleicht hat er das Objekt verlassen."
"War es denn vollständig geräumt?"
"Ich denke schon. Auf Rahuu ist Verlaß."
"Verlaß, ha! Er meldet sich ja nicht!"
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Rahuu gestattete sich einen Moment blinder Wut und hackte mit dem Schnabel auf sein Sprechgerät ein.
Dann besann er sich, wiegte seinen Kopf und sah zu den Sternen hoch. Zu Hause ging wohl wieder alles schief, was schiefgehen konnte. Der arme Hoda war jetzt gewiß nicht zu beneiden.
Aber Rahuu tat sich auch selbst leid. Alles hatte so gut angefangen, und dann hatte der Kulturrat den Geldhahn zugedreht. Mit der fadenscheinigen Ausrede, es sei nicht gesichert, daß die Architektur der Erde aussterbe. Dabei konnte man das seit Jahren beobachten.
Darum saß er nun hier fest, guckte sich einen einzelnen Mond an und unterhielt sich mit Tieren. Zwar rührte ihn deren Einfachheit und Herzenswärme, andererseits fiel es ihm von Tag zu Tag schwerer, die seltsamen Dinge zu essen, die sie ihm so respektvoll darboten. Sie hatten eine solche Freude daran, wenn er aß, sie brachten sogar ihre Jungen zu ihm, damit er ihnen Geschichten erzählte, aber verflucht, der Himmel war ihm fremd. Rahuu hatte Heimweh, und seit vor ein paar Wochen das Sprechgerät kaputtgegangen war, fühlte er sich einsam wie nie zuvor. Das war auch der Grund, warum er die Tiere immer noch nicht fortgeschickt hatte; das und die Tatsache, daß bei den Problemen, die Hoda daheim hatte, in absehbarer Zukunft wohl kaum mit einer Transportgenehmigung zu rechnen war. Dabei drängte die Zeit mehr denn je, denn das Freundliche Alte Haus sollte abgerissen werden. Die Tiere, die noch darin hausten, konnten das nicht verhindern, und Rahuu durfte nicht eingreifen. Man konnte die Bagger schon sehen, täglich kamen sie näher; wenn sie arbeiteten, bebten die alten Dielen, und Kornspelzen rieselten aus der Zwischendecke.
Es dämmerte schon, als Rahuu durch das zerbrochene Fenster ins Haus zurückflog und auf seinem Schlafplatz landete. Die kleinen Schleiereulen schmiegten sich an ihn. Die alte Katze öffnete ein Auge und sah ihn freundlich an, bevor sie wieder in ihre Träume zurückkehrte.
Als Mox von seiner Besprechung mit dem Direktor zurückkam, war Kleinblau bereits versunken, und das rötliche Licht Dickzwillings drang durch die Vorhänge ins Labor. Die Techniker hatten schon die Purpurstundensuppe gelöffelt, und wie üblich hatte niemand daran gedacht, ihm etwas mitzubringen. Jetzt hatte die Kantine geschlossen, und Mox mußte auf die Notknollen aus dem Wandspender zurückgreifen. Lustlos kaute er daran herum, während er die Fragen seiner Kollegen beantwortete.
"Er will den Transport trotzdem durchführen. Er sagt, das Risiko sei so gering, daß man es vernachlässigen könne."
Am nächsten Tag wurde alles für den Transport vorbereitet. Mox ging selbst hinaus in den Park und überzeugte sich, daß der Platz für das neue Objekt eingerichtet und die Energiefelder stabil waren.
Der Direktor kam am Abend und brachte den Geldgeber mit, einen dicken, gutmütig lächelnden Glatzbartel, der seine Augen wohlgefällig über die Ausstellungsstücke wandern ließ. Besonders angetan hatte es ihm der Wachturm vom Planeten Rims.
"Dort habe ich Urlaub gemacht, damals, als Rims noch in Ordnung war", schnarrte er, klopfte Mox jovial auf die Schulter und nieste, als der Staub ihm in die Nasen geriet.
Mox entschuldigte sich und ließ ihn stehen, um dem Transporterteam bei den letzten Handgriffen zu helfen. Der Raumfalter war ein alter Freund von ihm und teilte seine Sorgen.
"Du solltest wirklich nochmal versuchen, den Agenten zu verständigen. Nicht, daß womöglich jemand genau am Richtpunkt sitzt, wenn es losgeht."
"Ich habe heute schon mindestens zehnmal die genauen Koordinaten durchgegeben. Wenn er mich hört, weiß er Bescheid. Aber ich glaube, daß das Objekt leer ist. Rahuu hat immer sehr darauf geachtet, daß niemand beim Transport zu Schaden kommt."
"Na, dein Wort in Frinows Flimmertrichter! Und wenn das Sprechgerät kaputt ist?"
"Hast du je gehört, daß eins kaputtgegangen wäre?"
"Nein."
Rahuu saß mit den Tieren zusammen. Sie sprachen über die Bagger, die heute besonders laut gewesen waren. Rahuu hörte mit geschlossenen Augen zu und verfluchte das Sprechgerät, das heute morgen endgültig den Geist aufgegeben und sich in seine Einzelteile aufgelöst hatte. Was sollte er jetzt unternehmen? Zu Hause glaubten sie wohl, er sei längst auf und davon. Vielleicht sollte er einfach mit den Tieren gehen und für immer auf der Erde bleiben. Lohnte sich das Warten noch?
"Es wird Zeit", meinte der Fuchs gerade und betrachtete sorgenvoll seine beiden Jungen. "Wir müssen hier weg."
In diesem Moment fühlte Rahuu, wie sich das Energiefeld aufbaute. Diese Irren!
Er riß ein Auge auf.
"Nein!", krächzte er.
"Ja!", schrie der Direktor. "Da ist es! Wir haben es!"
Der Transport war geglückt. Das Freundliche Alte Haus von der Erde stand genau auf dem ihm zugedachten Platz, umgeben von hübsch gestalteter Landschaft, zwischen der Bierkirche von Malafina und dem Ritualhüttchen von B'Dryxcs.
"Da guckt doch jemand aus dem Fenster! Das Objekt war nicht geräumt!"
Der Direktor erbleichte.
"Was sind das für Geschöpfe? Verständigt sofort die Zentrale, wir brauchen ein Entseuchungskommando, einen Ethnologen und einen Dolmetscher! Hoda, nicht reingehen!"
Aber Mox achtete nicht auf das Geschrei. Er betrat das Haus und sah mit einem Blick, was geschehen war.
Viel später saß Mox mit seinen Kollegen in der Kantine und schüttelte, immer noch fassungslos, den Kopf.
"Meinen Agenten hat's erwischt! Und wir haben Zivilisten entführt! Wenn das die Presse mitkriegt, können wir das Museum dichtmachen."
"Du kannst nichts dafür. Das Sprechgerät muß eben doch kaputt gewesen sein."
"Es war kaputt. Man hat die Reste gefunden. Aber darum geht es gar nicht."
"Worum geht es denn dann?"
"Ich fürchte, ich habe meinen Glauben verloren. Ich weiß nicht, wie ich hier weiter arbeiten soll. Vielleicht sollte ich zurück ins Versorgungsamt gehen."
"Wie kommst du denn darauf?"
"Der Direktor hat einem der Erdlinge Rahuus Posten angeboten."
"Ja, und? Der Direktor war doch schon immer ein komischer Frosch."
"Der Erdling war einverstanden."