Das Getränk
Haste mal ne Mark, kannst mir auch Euro geben. Mal wieder ging eine Menschentraube aus der U-Bahn, ohne mir einen Blick zu würdigen. Mist, nur 1, 20. Ich konnte es so oft zählen wie ich wollte, es wurde nicht mehr. Das reicht noch nicht mal für ne Pulle Wein. Wie fast jeden Tag verspüre ich den Drang nach dieser flüssigen Droge in Form von Bier, Wodka und dem ganzen anderen Zeug. Mit 1,20 bekomme ich ein Bier, aber wie soll dieses widerwärtige Getränke mein Verlangen befriedigen? Es war doch jeden Tag das gleiche. Zwar war ich obdachlos, doch eigentlich hatte ich ein so geordnetes Leben, wie ein Büroarbeiter. Irgendwo in einer Ecke aufwachen, ein wenig Körperpflege. Dann an einem belebten Ort , wie zum Beispiel vor einem Einkaufszentrum niederlassen und hoffen das es dort Menschen gibt die mal ein paar Mark übrig haben. An guten Tagen bekomme ich bis zu 30 Mark zusammen. Dann kann ich mir neben meinen Suchtstillern sogar noch was ordentliches zu Essen kaufen. Aber heute? Da wäre ich froh, wenn ich 5 Mark zusammen bekommen würde. Karl erzählt mir immer, wie leicht er an Geld kommt. Früher hat er immer geklaut, letztens hat er irgendwas angedeutet, von wegen er sei an eine tolle Geldquelle gekommen. Keine Ahnung was das für eine Geldquelle ist, aber es ist bestimmt nichts legales. Bis jetzt kam es mir noch nicht in den Sinn, das Geld für die Befriedigung meines Dranges anders als durch Betteln zu beschaffen. Viele Möglichkeiten hab ich ehe nicht. Ohne Wohnung bekomme ich keinen Job und ohne Geld verständlicher weise kein Dach unterm Kopf. Also klauen. Und in meiner Lage , kann man da nicht verstehen, wenn ich zu solchen Mitteln greife. Würde nicht jeder andere an meiner Stelle genauso handeln? Aber vielleicht werde ich erwischt. Nein, auf eine solche Stufe lasse ich mich nicht herab. Das denken die Leute doch nur. Die setzen einen Obdachlosen immer gleich mit einem Junkie oder Kriminellen. Während ich da so sitze, auf den kalten Beton der Bahnhofstreppen schaue ich in meinem Sammelhut und was sieht mir da entgegen: das grinsende Gesicht von Herrn Gauß. Ich hab gar nicht gemerkt, wie mir der Zehner in meinen Hut geflattert. Damit war der Tag gerettet. Aber es war nur ein Herauszögen des Ganzen, denn Morgen wird es wahrscheinlich von vorn losgehen, die Sehnsucht nach dem Alkohol.
[Beitrag editiert von: Rocker am 21.03.2002 um 08:56]