Was ist neu

Das Glück der Werbung

Joh

Mitglied
Beitritt
28.07.2003
Beiträge
163
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Das Glück der Werbung

Das Glück der Werbung

Es war einmal ein Mann, der hieß Hans und lebte glücklich und zufrieden in seinem Häuschen. Jeden Tag schritt er fröhlich pfeifend zur Arbeit und sein Meister war so zufrieden mit ihm, dass er nach zwanzig Jahren einen großen Beutel voller Gold als Abfindung erhielt, wie dies in Märchen so üblich ist.

Nun lebte der liebe Hans noch glücklicher und zufriedener allein in seinem kleinen Häuschen. Da er nicht mehr arbeiten musste, schaute er den lieben langen Tag in einen flimmernden Kasten, der ihm die herrlichsten Bilder und Filme zeigte.

Doch wie es im Leben so ist, sollte sein Glück nicht ewig währen. Eines Tages, als Hans müde die letzten Nachrichten des Abends sah, tauchte plötzlich ein junges Mädchen in dem großen Kasten auf.
Sie blickte ihn voller Liebreiz an, zeigte blendend weiße Zähne und sprach: „Sind Sie glücklich und zufrieden? Glauben Sie, alles im Leben erreicht zu haben, wovon sie träumen?“ Hans nickte ihr freundlich zu.
„Sind Sie wirklich sicher?“ Hans überlegte eine Weile, dann nickte er dem himmlischen Geschöpf in dem schwarzen Kasten erneut zu.
„Wir haben etwas für Sie, dass Ihr Leben noch schöner und aufregender macht!“ Laute Musik erklang und Hans beugte sich nach vorne, damit er die junge Dame besser sehen konnte. „Kaufen Sie sich ein Pferd und erleben Sie die unendliche Freiheit der Edelmänner.“
In diesem Moment saß das Mädchen plötzlich auf dem Rücken eines feurigen Araberhengstes und Hans glaubte, er selber würde neben ihr stehen und jede ihrer geschmeidigen Bewegungen genau beobachten können.
„Ross- und Rinderhandel Ehrlichmann hat für Sie das passende Pferd,“ verkündete nun der Kasten und zeigte zu Hans Enttäuschung nicht mehr das Mädchen, sondern das grinsende Gesicht eines älteren Mannes, der genüsslich an einer Zigarre sog.
„Ross- und Rinderhandel Ehrlichmann – wir nehmen auch ihr altes Pferd in Zahlung. Ross- und Rinderhandel Ehrlichmann – uns können Sie vertrauen.“

Während der Kasten schwarz wurde und verstummte, saß Hans schweißgebadet auf seinem Stuhl und starrte vor sich hin.
War es nicht das, was ihm in seinem Leben noch fehlte? Diese Frau auf ihrem Pferd – und er selber neben ihr reitend Hand in Hand in den Sonnenuntergang?
Rasch schrieb er die Anschrift vom Ross- und Rinderhandel Ehrlichmann auf, und am nächsten Morgen nach einer viel zu kurzen und schlaflosen Nacht stand Hans pünktlich um acht Uhr vor dem Tor.

Ein freundlicher Verkäufer mit glatten Haaren und lächelndem Gesicht kam auf ihn zu und fragte nach seinen Wünschen.
„Ich möchte gerne ein Pferd kaufen,“ antwortete Hans zögernd. „Und wenn es möglich ist, die Frau aus ihrer Werbung kennen lernen.“
Der Verkäufer nickte verständnisvoll. „Ein Pferd kann ich Ihnen gerne zeigen. Die Frau aus der Werbung ist die Tochter des Besitzers und leider nicht anwesend. Aber ich kann sie sicherlich genau so gut beraten.“
Hans ging enttäuscht mit dem Verkäufer auf den Hof und nach einer halben Stunde war er stolzer Besitzer eines wundervollen schwarzen Hengstes und der Verkäufer hielt den Sack mit seinem ganzen Gold in Händen.

Als Hans im strömenden Regen nach Hause kam, war aus dem Hengst mittlerweile eine weiße, leicht hinkende Stute geworden, die sich standhaft weigerte, von ihm geritten zu werden.
Nun war der liebe Hans nicht mehr so zufrieden, doch schon am Abend tauchte das junge Mädchen wieder im schwarzen Kasten auf und versprach jedem Glück und Wohlstand, der eine der fleißigen und überall im Land geliebten Kühe vom Ross- und Rinderhandel Ehrlichmann kaufen würde.

Dem geneigten Leser ist der weitere Fortgang der Geschichte sicherlich vertraut und so kam es, dass einige Tage später unser Hans abends vor seinem schwarzen Kasten saß und traurig auf den Mühlstein blickte, der schwer und unnütz in der Ecke seines Wohnzimmers stand. Da erschien wieder das Mädchen und berichtete froh von der unendlichen Freiheit, die man auf dem Rücken eines Pferdes habe.

Da wurde Hans sehr traurig und dachte an all die Dinge, die er einst besessen und Ehrlichmann gegeben hatte und voller Wut nahm er den schwarzen, flimmernden Kasten mit dem davon reitenden Mädchen und warf ihn aus dem Fenster seines kleinen Hauses.

Soll die Geschichte wirklich so enden? Gewiss nicht, den Hans schlief zum ersten Mal in dieser Nacht ohne Verlangen nach Ehrlichmann`s Gütern und schon kam ihm eine Idee.

Er verkleidete sich als reicher Mann und lauerte Ehrlichmann`s Tochter vor dessen Hof auf. Dort gab er sich als erfolgreicher Geschäftsmann aus und galant umgarnte er sie, bis sie sich schließlich zu seinem großen Genuss von ihm schwängern ließ und Papa Ehrlichmann mit gebrochenem Herzen ihrer Hochzeit zustimmen musste.

Nun besitzt Hans hundert Goldsäcke und unzählige Pferde und Kühe und jeden Tag reitet er mit seiner Frau in den Sonnenuntergang.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so schauen sie heute noch gemeinsam am Abend die bunten Bilder im schwarzen Kasten an und lachen über die dummen Menschen, die am nächsten Morgen vor dem Tor ihres Hofes stehen.

 

hi joh,

tolles märchen. besonders die beiläufige erwähnung "aus dem schwarzen hengst war mittlerweile eine weiße, leicht hinkende stute geworden"... muahaha!
ich habe gut gelacht. eine gelungene, flapsige persiflage auf ein märchen :)
aber - wie kommt der fernseher da rein?
egal, ich will nicht meckern. ich fand die geschichte naemlich toll.

glg, das vita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Joh,

eine schöne, unterhaltsame und fast schon satirische Geschichte.
Es hat mir sehr gut gefallen, wie Du den Einfluss des Werbefernsehens auf die Menschheit in Deine Märchenwelt übertragen hast. Auch der Seitenhieb auf die Autohändler, die ja gerne mal einen Wagen besser darstellen, als er ist, ist gelungen.:)


aber - wie kommt der fernseher da rein?

Ich denke, dass es nicht wichtig ist, wo der Fernseher herkommt. Er ist halt einfach da, und ohne ihn würde die Geschichte ja nicht funktionieren. Generell denke ich, dass man in einer fantasy-Story nicht alles erklären muß.

Gruß
Jörg

 

Vielen Dank für die Reaktionen.
Tja, zu "Hans im Glück" fiel mir halt die Macht der Werbung ein - und dies ging leider nicht ohne Fernseher. Zumindest habe ich versucht, das Wort zu vermeiden, damit es noch ein wenig märchenhaft bleibt.

Liebe Grüße

Joh

 

Für den Kritikerkreis geschrieben von Woltochinon (19)

Hallo Joh,

es war einmal - und schon wissen wir, was uns erwartet: Ein Märchen.

Ein Märchen schildert eine irreale Situation, der Leser weiß dies, lässt sich natürlich trotzdem gerne dazu verführen, die geschilderte Welt zu seiner eigenen zu machen. Dies geschieht nur vorübergehend, mehr wäre einfach zu märchenhaft.
Zitat:
"Doch wie es im Leben so ist"

dies verstärkt den Bezug des Lesers zu der dargestellten Fantasiewelt, die Fortsetzung

"sollte sein Glück nicht ewig währen" stellt den typischen Bruch in einem Märchen dar: Die Unbeständigkeit einer Lebenslage. Die anfangs geschilderte, glückliche Lage von Hans wird von einem Mädchen in Frage gestellt (Zweifel säen - ein erprobtes Mittel), welches aus einem fremd wirkenden "großen Kasten" auftaucht.
Doch zum Glück kennt das Mädchen auch die Lösung der Probleme, die Hans ohne sie nicht hätte - wer könnte dem Angebot eines Herrn Ehrlichmann vertrauen - nein, natürlich misstrauen; das `Trauen´ kommt dann später, auch die Miss.
Nun folgt die Leidenszeit unseres Helden, das Mitleiden wird dem Leser leicht gemacht, ist doch klar, dass die Rosstäuscher doch nur die Vorläufer der Gebrauchtwagenhändler sind.

Zitat:
"Dem geneigten Leser ist der weitere Fortgang der Geschichte sicherlich vertraut und so kam es, dass einige Tage später unser Hans abends vor seinem schwarzen Kasten saß und traurig auf den Mühlstein blickte, der schwer und unnütz in der Ecke seines Wohnzimmers stand."

Selbst wenn dem Leser "der weitere Fortgang der Geschichte vertraut" ist, könnte der Autor um die Eigenständigkeit seines Textes darzustellen eine neue Fassung der Unglückskaskade von Hans beschreiben. (Oder es bei dem geschilderten Unglück belassen).
Die oben genannte Ansprache des Lesers und die Folgende
"Soll die Geschichte wirklich so enden?"
bewirken eine Distanz zu der Märchenwelt, mit der man sich (trotz ihrer Irrealität) doch identifiziert hat. Ob die Geschichte "so" endet, soll und wird der Text schon zeigen.

Das Austricksen von "Papa Ehrlichmann" wäre normalerweise der Schwerpunkt eines Märchens, soll man sich doch die Heldentaten des Protagonisten zu Eigen machen. Hier wirken die Ausführungen fast ein wenig gehetzt, als wenn ein schneller Schluss gewünscht würde.
Schön, dass die Geschichte nicht mit dem gemeinsamen Ritt in den "Sonnenuntergang" aufhört, das Lachen "über die dummen Menschen, die am nächsten Morgen vor dem Tor ihres Hofes stehen" gibt der Geschichte zusätzliche Würze, entzaubert auch (gar nicht märchen- oder schmeichelhaft) den Protagonisten. Hans sollte doch wissen, wie man sich fühlt, wenn man reingelegt wird.
Der Schluss verstärkt den schon bei "Soll die Geschichte ..." gewonnenen Eindruck einer Märchen-Persiflage. Dieser Effekt ist durchaus ansprechend und rundet das positive Gesamtbild der Geschichte ab.

(Der Titel ist übrigens doppeldeutig, ein netter Effekt).


LG,

tschüß... Woltochinon

 

Diese Geschichte wurde im Kritikerkreis besprochen.
Wir würden uns über weitere Anmerkungen zu diesem Text freuen.

Das Kritikerteam.

 

Hallo Joh,

auch mir hat die Geschichte gut gefallen.
Eigentlich bin ich kein Märchenfan, aber Deines - modern - satirisch - gut.

Gruß
Sylvia

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom