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Das hässliche Licht der Welt

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21.04.2004
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Das hässliche Licht der Welt

Das Zimmer, in dem Sebastian wohnt, kennt er schon, seit er denken kann. Als kleines Kind verstaute er seine Spielsachen in dem Kleiderschrank, in dem sich jetzt seine Gedichte befinden. Sinnlos aneinander gereihte Worte, die er immer wieder hasst, wenn er sie in die Hand nimmt und liest.
Mit sechzehn hatte er die Schule aufgegeben. „Keinen Bock mehr“, erzählte seine Mutter den paar Menschen, die sich dafür interessierten. Nachdem die Schule in den Mülleimer gewandert war, saß er oft herum, sah fern - oder schrieb.
Die vielen Nächte vergehen nur mühsam. Sebastian sitzt auf seinem Stuhl, sieht aus dem Fenster, betrachtet die glühende Stadt, die sich wie ein Krebsgeschwür in die Landschaft gefressen hatte. Ab und zu sieht er einen Fußgänger, der, mit gesenktem Kopf, an seinem Haus vorbeigeht. Sebastian ist ihnen ähnlich, aber diese Menschen zeigen sich. Er verkriecht sich lieber hinter dicken Gardinen, macht das Licht aus und zieht die Decke über den Kopf.
Der Bildschirm seines Computers flimmert. Der Cursor blinkt grausam und fordernd, Sebastian betrachtet ihn lange. Seine Kreativität hat sich den Abfluss hinuntergespült. Die Wörter kommen nur langsam aus ihm heraus, kriechen aus der Kanalisation in seinen Kopf zurück, und er beobachtet sie, wie sie vermodern und stinken. Die Stunden ziehen nur so an ihm vorbei, er bekommt den Geruch nicht mehr weg.
Sebastian steht auf und streckt sich. Er sieht dabei sein Marilyn Manson–Poster an. Der Mann hat eine hässliche Fratze, denkt er sich; und genau da liegt seine Kreativität und Anziehungskraft verborgen. Ist das der Grund, warum Sebastian nicht mehr schreiben kann? Weil er nicht hässlich ist, sondern leer?
Er zieht seine Jacke an, danach die Schuhe, und nimmt den Schlüssel. Seiner Mutter sagt er nichts, so wie immer. Er sieht keinen Grund es ihr zu sagen, denn es kümmert sie wenig. Sie ist gefangen in einem Eisblock. Ihr kann nicht geholfen werden, am wenigsten von Sebastian.
Im Türrahmen bleibt er stehen. Seine Mutter hustet sich die Seele aus dem Leib, er hört deutlich, wie sie einen dicken Klumpen Schleim in das Waschbecken spuckt. Das Telefon klingelt. Sebastian hebt nicht ab. Er weiß, wer um diese Uhrzeit noch anruft. Seine Mutter bewegt sich wie ein Schatten aus dem Bad heraus und nimmt den Hörer in die Hand.
„Ja?“, hört er sie fragen.
Sekunden vergehen, bis sie den Hörer wieder auflegt.
„Dein Vater kommt wieder nach Hause“, ruft sie. Ihre Stimme ist auf Sebastian gerichtet, sie sieht ihn aber nicht an.
„Er ist nicht mein Vater“, antwortet er. „Er ist jemand, besser gesagt etwas, aber sicher nicht mein Vater.“
„Wie du meinst. Sieh zu, dass du für zwei oder drei Stunden verschwindest. Da liegt Geld.“
Sie zeigt mit zitternder Hand auf die Kommode neben der Tür. Fünf Euro.
„Ist dir mein Glück soviel wert?“, fragt er seine Mutter. Er wartet nicht die Antwort ab, sondern tritt aus dem Türrahmen und wirft den Schein zusammengeknüllt in den Flur.

Die Stadt leuchtet. Es liegt nicht nur am Licht, es liegt auch an den Menschen. Vielleicht ist das in kleineren Städten anders, aber Berlin leuchtet in der Nacht. Sebastians Gesicht wird von vielen kleinen Flecken aus künstlich – grellem Licht angestrahlt. Er nimmt eine Zigarette in die Hand, die er manchmal zum Mund führt und kräftig daran zieht. Zigaretten sind schlecht für seine Gesundheit, das weiß er, das weiß jeder; er hört jeden Tag seine Mutter fast schon mit dem Tod kämpfen, er kann es aber nicht sein lassen. Es ist keine Sucht, sagt er immer, es ist sein freier Wille. Wann aber kommt die Grenze, wann bricht die Nacht herein, wann ist man wirklich süchtig? Ein Freund hatte ihm einmal gesagt, Sucht bedeute, dass man nachts in seinem Bett liegen und nur noch an das denken könne, wonach man süchtig ist.
Plötzlich hat er eine Idee. Er bleibt stehen und nimmt aus seinem Rucksack eine Spraydose heraus, die er eine ganze Minute lang schüttelt. Dann sprüht er auf eine alte Mauer:
„Realität ist Mangel an Kreativität“
Er betrachtet die Schrift. Die Buchstaben sind nicht besonders schön geformt, der Text an sich nicht verständlich. Aber es ist ein Stück von ihm, das an der Mauer klebt. Es fehlt noch etwas, eine Erklärung. Er beugt sich tief hinunter, bis zu den untersten Ausläufern seines Werkes, und sprüht in dünner Schrift:
„Ein Lyrikjunkie auf Entzug“
Er hat sich verewigt. Solange jedenfalls, wie diese Mauer bestand haben wird. Er weiß, dass keine Hand und keine Seele den Text jemals berühren werden. Das ist ihm auch nicht wichtig. Hauptsache ist, dass wenigstens ein Hund gelegentlich an die Wand pinkelt, und das Werk vollendet.

Auf dem Weg ins Nirgendwo sieht er ein Mädchen weinen. Er setzt sich neben sie und legt seinen Arm und ihre Schultern. Sie wehrt sich nicht, ganz im Gegenteil, sie schmiegt sich an ihn. Während sie ihm ihre ganze Geschichte erzählt, denkt er nur an ihre Brüste; sie sind schön geformt, jedenfalls das, war er von ihnen sehen kann. Ihr Körper ist zierlich, ihr Gesicht wunderschön. Sie hört auf und fängt erneut an zu weinen. Seine Hand rutscht langsam ihren Rücken hinunter – während er ihre Tränen warm durch sein T–Shirt spürt – und er fragt sie, ob er sie ausziehen darf.
Er spürt nichts, während er sie fickt. Nachdem es zu Ende ist, steht er wortlos auf und fängt an, sich anzuziehen. „War’s das?“, fragt sie ihn. „Was erwartest du denn?“, fragt Sebastian zurück. Ihre Augen treffen sich. Sie dreht ihr Gesicht weg und fängt an, sich, die Wand, und ihn, anzuschreien. Als er nach Hause geht, hört er sie wieder weinen. Er weiß, was er ihr angetan hat, es kümmert ihn nicht.

Die Sonne geht auf. Vögel fangen an zu zwitschern. Ein lautes, schrilles Orchester. Er geht in die Küche. Als er sich ein Sandwich macht, hört er seine Mutter weinen. Sebastian geht dem Geräusch nach und bleibt vor dem Schlafzimmer stehen.
Er klopft an.
„Einen Moment“, sagt seine Mutter. Er hört hastige Bewegungen, Trampeln, etwas fliegt um. Dann geht die Tür auf. Eine tote Hülle steht vor ihm, mit zusammengefallenen Augen, aufgeplatzten Lippen und einem Gesicht, das Blut weint.
„War er das?“, fragt Sebastian.
Sie nickt.
„Hilf mir“, zittert sie leise. „Ich kann das nicht mehr aushalten.“

 

Hallo Dust!

Irgendwie, finde ich, fehlt Deiner Geschichte etwas, das verständlich macht, warum der Junge so mit dem Mädchen umgeht, obwohl er sich doch von seinem Vater offensichtlich distanziert; diese Art also selbst ablehnt und trotzdem nicht anders handelt.
Wobei ich gut verstehen kann, daß er es tut. Aber dann, denke ich, würde er es am nächsten Tag doch vielleicht bereuen, oder? Würde sich ärgern darüber, daß er nicht besser als sein Vater ist, möglicherweise daran verzweifeln, daß es ihm nichts nützt, seinen Vater zu verleugnen, solange er sein Abbild in sich trägt.

Ich finde, da solltest Du noch ein wenig dran feilen. ;) Was denkt er zum Beispiel, als er die Mutter in der Früh weinen hört? Wäre das nicht ein Moment, sich über das eigene Verhalten am Vorabend Gedanken zu machen?
Ich meine nicht, daß Du ihn unbedingt einen ganzen Absatz lang über seine Situation reflektieren lassen solltest, aber vielleicht wenigstens sowas wie: »Mann, was war ich gestern wieder für ein mieses Arschloch…«

Ohne einer zumindest ganz kleinen Einsicht muß ich ihn tatsächlich mit seinem Vater auf eine Stufe stellen.
Du sagst ja auch mithilfe der Gedichte aus, daß er sich von seinen Gefühlen entfernt hat, aber hier zeigst Du auch, daß es ihm bewußt ist und er sich wünscht, wieder schreiben zu können. Dieses Bewußt-Werden und die Trauer nach den Gefühlen, die gleichzeitig ja auch Sehnsucht bedeutet, zeigt in meinen Augen, daß doch noch Gefühle da sein müssen, sonst wäre ihm das auch egal, er hätte dann nicht das Bedürfnis, wieder schreiben zu können… – Und eben diese Sehnsucht, die eigenen Gefühle (wieder) zu finden, fehlt mir in Deiner Geschichte, wo es um die Gefühle anderen Menschen gegenüber geht.

Ich hoffe, das liest sich jetzt nicht wie ein Wollknäuel und Du kannst meine Gedanken halbwegs nachvollziehen – wenn nicht, einfach nachfragen. ;)

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»kennt er schon seitdem er denken kann«
– besser fände ich »kennt er schon, seit er denken kann«

»Er verkriecht sich lieber hinter dicke Gardinen«
– hinter dicken Gardinen

»Ab und zu sieht er einen Fußgänger, der, mit gesenktem Kopf, an seinem Haus vorbeizieht. Sebastian ist ihnen ähnlich, aber diese Menschen zeigen sich. Er verkriecht sich lieber hinter dicke Gardinen, macht das Licht aus und zieht die Decke über den Kopf.

Der Bildschirm seines Computers flimmert. Der Cursor blinkt grausam und fordernd, Sebastian betrachtet ihn lange. Seine Kreativität hat sich den Abfluss hinuntergespült. Die Wörter kommen nur langsam aus ihm heraus, kriechen aus der Kanalisation in seinen Kopf zurück, und er beobachtet sie, wie sie vermodern und stinken. Die Stunden ziehen nur so an ihm vorbei«
– sicher kannst Du da in zwei Fällen Synonyme heranziehen… ;) (Einen Absatz weiter zieht er dann auch noch seine Jacke an.)

»Er sieht dabei sein Marilyn Manson – Poster an.«
– ein Bindestrich verbindet zwei Wörter, daher ohne Leertaste: Marilyn Manson-Poster

»Er beugt sich tief herunter, bis zu den untersten Ausläufern seines Werkes«
– hinunter

»während er ihre Tränen warm durch sein T – Shirt spürt«
– T-Shirt

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Danke an euch beide fürs Lesen!

@ Red: Erstmal vielen Dank fürs Lesen. Es hat mich sehr gefreut, dass dir die Geschichte gefallen hat und du sie so aufgefasst hast, wie sie gemeint war.

@ Susi: Hi du, an dich auch vielen Dank fürs Lesen und die (größenteils?) gut aufgefasste Geschichte. Zu deinen Einwänden:
Sebastian hatte einmal das Schreiben, in das er sich flüchten konnte. Es war wie eine kleine rosa Welt, die er sich damals mit seinen Gedanken aufgebaut hat. Dann aber, wieso auch immer, zerplatzte diese Seifenblase und er musste sich mit seinem beschissenen Umfeld (Eltern...) abgeben. Das war schon oft der Fall, durch dieses "Sich-Mit-Der-Realität-Abgeben" konnte er dann wieder schreiben... Jetzt aber blieb das Schreiben so lange aus, es ging einfach nicht mehr, dass er sich lange mit der Realität abgeben musste und einfach im Laufe der Zeit abstumpfte. Seine Gefühle sind tot. Er kann sein Umfeld wahrnehmen, aber er EMPFINDET es nicht mehr, deswegen kommt das Schreiben nicht wieder (er ist nicht "hässlich" genug zum Schreiben). Deswegen auch: er spürt nichts, als er sie fickt. Er hat dieses Mädchen wie Dreck behandelt, obwohl sie Hilfe von ihm erwartet hat und er das wusste. Du hast Recht, genauso wie Red, dass das Sebastian mit seinem VAter, den er hasst, auf eine Stufe stellt. Aber es ist ihm ja auch egal, weil er keine Empfindungen hat. Am Ende will dann seine Mutter Hilfe von ihm. Red hat damit Recht, wenn er sagt: Sebastian sollte in erster Linie geholfen werden.
Deine Rechtschreibverbesserungen und Wortwiederholungen habe ich gleich umgesetzt. Vielen Dank dafür. Ich hoffe, ich habe das, was ich meine, nicht zu kompliziert/verwirrend ausgedrückt. Wenn doich, dann schrei bitte, ich werd versuchen es anders zu formulieren.

Gute Nacht an euch,

Dust

 

Hallo Dust!


Ich hoffe, ich habe das, was ich meine, nicht zu kompliziert/verwirrend ausgedrückt. Wenn doch, dann schrei bitte, ich werd versuchen es anders zu formulieren.

Ich glaub schon, daß ich Dich richtig verstanden hab, aber einen Punkt seh ich etwas anders, und das würd ich Dir auch gern noch näher erklären. Vielleicht kann ich Dich ja überzeugen...;)

Du hast Recht, genauso wie Red, dass das Sebastian mit seinem VAter, den er hasst, auf eine Stufe stellt. Aber es ist ihm ja auch egal, weil er keine Empfindungen hat. Am Ende will dann seine Mutter Hilfe von ihm. Red hat damit Recht, wenn er sagt: Sebastian sollte in erster Linie geholfen werden.

Ja, auf alle Fälle sollte Sebastian in erster Linie geholfen werden, und das, meiner Ansicht nach, in erster Linie deshalb, weil ja noch Gefühle in ihm drin sind. Die sind nämlich für mich eindeutig da, denn solange jemand Sehnsucht nach etwas hat (wie z.B. das Schreiben), muß ja ein fühlendes Ich vorhanden sein. So abgestumpft, daß man innerlich wirklich tot ist, ist meiner Ansicht nach jemand erst, wenn keine eigenen Wünsche mehr vorhanden sind und er sich nur mehr seiner Lethargie hingibt. Das tut Dein Protagonist aber nicht, sondern er teilt seinen Wunsch, wieder schreiben zu können, sogar mit, wenn auch nur an eine Mauer gesprayt...
Und deshalb kann ich nicht so ganz glauben, daß ihn der Rest so ganz kalt läßt. Daß er handelt, wie er handelt, will ich nicht kritisieren, das find ich schon richtig so, aber von Zeit zu Zeit findet man dann doch sein Inneres wieder und macht sich Gedanken, warum und wieso man so gehandelt hat. Und einen guten Auslöser für so einen Gedanken, der dem Leser noch einmal deutlich macht, daß sein Handeln nicht ganz mit seinem Inneren übereinstimmt, fände ich das Weinen der Mutter. Daß er also das Weinen der Mutter auf das Mädchen projizieren könnte und sich zumindest kurz bewußt werden, daß er wieder wie sein Vater gehandelt hat. (Mehrere solche Gedanken können dann zur Bewußtwerdung und Suche nach sich selbst führen, womit Du die Geschichte eventuell fortsetzen könntest...) ;)

Ist wie gesagt nur meine Meinung, die ich noch einmal deutlicher ausführen wollte, damit Du mich nicht mißverstehst. ;)

Liebe Grüße,
Susi :-)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Susi,

ich verstehe jetzt, was du meintest wirklich besser. Es ist so: eigentlich wollte ich nach dem letzten Satz noch weiter schreiben, und Gefühle von Sebastian deutlich werden lassen. Vielleicht nicht eine Projektion des Weinens der Mutter auf die Frau, die er letzte Nacht gef... hatte, aber etwas in der Art. Das habe ich auch gemacht. Hat aber nichts genützt. Viele Leute meinten, die GEschichte sollte so enden, wie sie es jetzt tut. Du bist die erste, die einen anderen Schluss verlangt, einen, wie er geplant und geschrieben war. Mittlerweile habe ich mich aber so sehr mit dem Schluss beschäftigt, dass ich denke, er ist wirklich besser so. Aber ich werde über deinen Vorschlag nachdenken. Mal sehen, was dabei rauskommt.


Viele Grüße,

Alex

 

Vielen Dank für das Lob :-) Hat mich sehr gefreut. Ich wollte über das Mädchen nicht mehr schreiben, weil es der Geschichte nicht gut getan hätte: die Szene sollte schockieren (wenigstens etwas), wenn sie länger beschrieben worden wäre, würde dieser Effekt nicht so gut rüber kommen. Außerdem würde die Szene zu realistisch werden, was ich auch nicht wollte.

Nochmals danke

cu
Dust

 

hallo

eine erschütternde story, die du uns da auftischst, brutal ehrlich und psychologisch nachvollziehbar. so brutal kann pubertät sein, und man bleibt doch das spiegelbild seines umfelds, auch wenn man ihm am liebsten den kopf ins genick drehen will...

 

Freu mich über deine sehr positive Kritik :D

Mit der Pubertät hast du sicherlich Recht, es ist einfach nicht möglich, so total anders als seine Umgebung zu werden (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Gruß

dust

 

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