Das Kloster der Sadraki
Ich stolperte den Pfad entlang. Ausgezehrt vor Hunger nahm mein Geist nunmehr wenig wahr. Den Proviant hatte ich seit drei Tagen aufgebraucht und mein Magen lag mir wie ein Stein im Körper.
Der Weg war länger als angenommen gewesen und so war mein Vorrat an Nahrung nach dem Aufbruch von meiner Heimatstadt Miko aus, bald aufgebraucht. Die Strecke war schwierig, doch ich musste durchhalten, bis das Kloster in den Bergen zu sehen war.
Zunächst folgte der Weg der staubbedeckten Ebene, die sich von der Küstenstadt Miko bis zum Hügelland erstreckte. Ein paar Tage darauf schlängelte sich ein steiler Pfad in die Höhe. Der Ausblick von dort war atemberaubend. Im Gebirge wurde es anstrengender zu Atmen und bei größeren Mühen musste man keuchen. Ich ließ mich auf einen großen Fels nieder.
Mein Lederrucksack wurde ein zweites Mal durchsucht, aber auch jetzt stieß ich nicht auf das Geringste zu essen. Verzweifelt dachte ich an meine wertvolle Ausrüstung und wie sie mir jetzt noch helfen konnte.
Mit meiner rechten Hand fasste ich mir unter mein Hemd und bekam die silberne Kette zu fassen. An ihr befand sich eine kleines Medallion mit dem Bildnis meiner Frau.
Ach Tira, hätte ich auf dich gehört. Aber mein Wille war stark gewesen, das Kloster des Gottes Sadraki aufzusuchen. Ich konnte nicht zulassen wie die heimtückische Krankheit, an der du gelitten hast, dein Leben verwelken ließ.
Durch einen Reisenden erfuhr ich, dass die Mönche in diesem Kloster ein Heilmittel herstellen konnten, das dich wieder gesunden lassen würde. Die Jünger des Sadraki stellten es angeblich aus seltenen Pflanzen aus den Harododer Berg her.
Doch mittlerweile stand ich selbst an der Schwelle zum Tod. Ich zwang mich aufzustehen um den, mit Geröll bedeckten Pfad zu folgen. Zum Umkehren war es bereits zu spät, wollte ich nicht auf der Rückreise verhungern.
Die Sonne stand hoch am Himmel und hüllte alles am Boden in eine glühende Hitze. Nach einiger Zeit wurde der Hunger unerträglich. Im Fieberwahn dachte ich an einen saftigen Braten und einen schweren Wein bei uns zu Hause. Mein Vater wäre zum Essen vorbeigekommen. Danach hätte er seine Pfeife angezündet und Tabak von der fernen Insel Trentasdan geraucht. In seinem Leben war er viel umhergereist.
Hatte er nicht auch erzählt wie er auf Trentasdan fast verhungert wäre? Er war damals in einem sehr entlegenem Winkel der Insel gewesen, auf der Suche nach einer verlassenen Goldmine. Von seinen Kameraden war niemand mehr am Leben, und auch er hatte seit Tage nichts gegessen. Er mußte Wurzeln ausgraben und verspeisen.
Vielleicht gab es hier im Gebirge ebenfalls diesen verkrüppelten holzigen Strauch, von dem, wie Vater erwähnt hatte, die Wurzeln essbar waren? Ich blinzelte umher konnte aber nichts außer Steinen sehen. Ich fühlte wie mir auf einmal schwindelig wurde und plötzlich kippte ich vornüber.
Es dämmerte bereits als ich wieder zu mir kam. Ich schlug die Augen auf und war einigermaßen frisch und ausgeruht. Mein Magen schmerzte furchtbar. Ausgezehrt wie ich war, konnte ich mich kaum aufrichten. Mein Blick schweifte umher.
An einem Felsen in der Nähe wuchsen lange Gräser. Ohne zu Zögern robbte ich hin, riss den Büschel heraus und kaute ihn. Wie zu erwarten hatte das Gewächs keinen Geschmack, dämpfte aber meinen Hunger.
Mit dem Messer machte ich mich daran die Wurzeln freizulegen. Die Gier nach dem Leben setzte in mir die letzten Kräfte frei.
Nachdem ich die vielen, kleinen Wurzeln gegessen hatte, grub ich tiefer und stieß auf eine faustgroße Knolle. Ich aß das saftige Fleisch der Knolle und konnte nach einiger Zeit wieder mich erheben. Mein Magen war für das erste befriedigt.
Um Tiere abzuhalten musste ich ein Feuer entfachen. In der Nähe wuchs eine Kiefer, deren herabgefallene knorrige Äste brennbar aussahen. Mit Feuerstein und Zunder war schnell ein kleines Feuer entfacht. Ich legte noch etliche Äste nach und wickelte mich in eine Wolldecke um zu schlafen. Wann würde ich endlich genügend Essen finden? Würde ich überhaupt noch lebend im Kloster ankommen? So schlief ich in schlechten Gedanken versunken ein.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel als ich erwachte. Es war kein Lebewesen in der Nähe zu hören. Ohne Bogen würde es schwer sein, einen der selten vorrüberfliegenden Vögel zu erlegen. Aber etwas Nahrung mußte her. Also setzte ich mich wieder in Bewegung.
Nach einiger Zeit des Marsches kam ich an einem Rinnsal vorrüber, das zwischen den Felsen hervorquoll. Gierig trank ich das kühle Nass. Es schmeckte etwas bitter, stillte aber meinen Durst.
Ein Schrei ertönte durch das Felsental, in dem ich mich gerade befand. Am Himmel flog ein Adler vorrüber. Das konnte die Möglichkeit sein an Nahrung zu kommen! Schnell sprang ich hinterher. Vor einer Steilwand aber, endete die Verfolgung vorrübergehend.
Ich entschloss mich die Wand zu erklimmen, was sich aber als schwerer herausstellte, als zuerst vermutet. Endlich kam ich oben an, nicht ohne etliche Hautabschürfungen erlitten zu haben. Schnell war ich wieder in der Richtung, die der Adler geflogen war. Sein Weg führte über ein Felsplateau, auf dem ich so manches Mal über einen Abgrund springen musste um weiter zu kommen.
Auf einen Felsbrocken schließlich konnte ich den Horst des Adlers ausmachen.
Vorsichtig versuchte ich zu dem Nest zu kommen. Ich warf einen Blick hinein. Zwischen Federn und Ästen sah ich fünf große Eier. Das würde ein Festessen werden!
Hinter mir hörte ich ein gellenden Schrei. Der Vogel kam wohl zurück zu seinem Gelege. Voller Angst fuhr ich herum. Mit einer Sturzattacke kam das Vieh auf mich zugeflogen.
Flink warf ich mich auf den Felsboden. Die messerscharfen Krallen fuhren trotzdem über meinen Rücken, rissen das Hemd auf und drangen in mein Fleisch ein. Schmerzerfüllt sprang ich empor und zog mein Kurzschwert aus der Scheide am Gürtel. Schon war der tolle Vogel mit seinem spitzen Schnabel über mir. Von einigen Treffern im Gesicht gezeichnet, konnte ich endlich seinen Nahkampfattacken ausweichen. Warmes Blut lief in meine Augen und nahm mir die Sicht. Das wilde Gekreische des Tieres war die einzige Orientierung, die ich hatte.
Anscheinend ließ es wieder von mir ab und stieg in den Himmel. Schnell wischte ich mir das Blut aus den Augen und blickte umher. Es kam bereits erneut im Sturzflug auf mich zu. Mein Fuß rutschte rückwärts, Steine fielen hinter mir einen Abhang hinab. Gerade hatte ich neuen Halt bekommen, als der Adler schon fast bei mir war. Instinktiv hob ich mein Schwert und schlug zu.
Tödlich am Kopf getroffen schleuderte der Adler einige Meter weit von mir entfernt in die Tiefe.
Schwer atmend fiel ich auf die Knie. Nur knapp hatte ich überlebt. Ich untersuchte und reinigte meine Wunden, die zum Glück nicht sehr tief waren, und verband sie. Dann nahm ich mir die Eier und schlürfte sie bis auf den letzten Tropfen genüßlich aus. Nach einer Rast kamen meine Kräfte wieder, und ich konnte mich wieder auf den Weg machen.
Am Abend erreichte ich endlich das Kloster, wo ich freundlich aufgenommen und gepflegt wurde. Ich spendete für die Klosterkirche des Sadraki eine beträchtliche Summe Goldmünzen und erhielt im Gegenzug dafür von den Mönchen das Heilmittel für meine Frau. Voller Hoffnung, sie würde wieder gesund werden, trat ich den Heimweg an.
(c) Marcus Fetsch 5.8.2004