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Das kostbarste Gut
Das kostbarste Gut
Es war einmal ein Dorf, das kannte große Armut, denn seine Felder waren steinig und seine Minen verbraucht. Niemanden gab es dort, der über das Gesetz wachte, denn niemand besaß etwas, das ihm der andere neiden konnte. So lebten die Menschen ärmlich, und nur selten verirrte sich eine Menschenseele in das kleine, abgeschiedene Dorf von dem in der Welt nur wenig gesprochen wurde.
Eines Abends jeoch galoppierte ein Reiter in die Stadt, stieß dreimal kräftig in ein silbernes Horn und hielt schließlich auf dem Dorfplatz sein feuriges Roß an. Neugierig kamen die Menschen aus ihren armseligen Hütten um den Fremden zu sehen und zu erfahren, was seine Absichten seien. Als sich viel Volk versammelt hatte, warf jener die Kapuze seines kostbaren Umhangs zurück, so daß jeder auf dem Platz ihn sehen konnte. Da erschrak das Volk und wich zurück, woran sich der Reiter sichtlich weidete.
„Hört mich an! Woher ich komme, da habe ich von Euch Rede gehört! Ihr singt und lacht zur Mittagsstunde, sprecht unverblümt und frei von Furcht, tadelt nicht bösen Spott wider Euch, sondern buckelt vor dem geistreichen Possenreißer! Ihr liegt noch lang im Bette, obwohl der Hahnenschrei schon längst ertönt und denkt vielmehr an das Auf und Ab der Welt als an das Hin und Her des Geldes! Mir ist diese Freiheit lange schon ein Graus und so biete ich euch für den dritten Teil eurer Freiheit Wohlstand und Luxus!“
Da beriet das Volk lange und sprach ganz heftig über die Art, wie man mit dem Teufel selbst Geschäfte machen sollte und ob da nicht doch ein Pferdefuß wäre. Dennoch lockten die Worte von weichen Kissen und vollen Bäuchen, so daß man mit dem Teufel übereinkam.
Rasch erblühte das Dorf unter den Weisungen des Teufels. Wohlstand und Luxus kehrten ein, wo Poeten zu Buchmachern, Tänzer zu Boten, Musikanten zu Bauern und Gaukler zu Bergleuten wurden. Das Gold der Mine füllte die Säckel der Dörfler und die üppigen Felder ihre Bäuche. Doch wo auch immer Licht erstrahlt, finden Schatten neue Nischen. So trug sich die Kunde vom Reichtum des Dorfes bis in ferne Länder und lockte Bettler und Diebe und Raubritter an.
Der größte Luxus ist nicht sehr genehm, wenn man beständig um ihn zu bangen genötigt ist, deshalb riefen die Menschen den Teufel herbei. Eines Abends kam er herangeprescht auf seinem ungestümen Roß und stieß erneut dreimal in sein silbernes Horn. Da eilten die Leute, auf dem prächtigen Marktplatz zu erschienen und berichteten dem Teufel von ihrer Sorge. „Habe ich nicht mein Wort gehalten? Sind nicht die Felder erblüht? Ist die Mine nicht ertragreich? Da mein Wort sich erfüllte, ist es nicht recht, an mir zu zweifeln! Dennoch verstehe ich eure Furcht und biete euch daher einen weiteren Handel: Ich will euch beschützen gegen alle Beutelschneider, Vagabunden und Plünderer, aber dies kostet euch ein weiteres Drittel eurer Freiheit!“
Wieder berieten die Menschen, und weil ihre Furcht so groß war, nahmen sie das Angebot an.
Schon am nächsten Tag hatte der Teufel sein Wort erfüllt:
Um die Stadt herum war eine große Mauer gezogen und auf allen Häusern hatten sich Gargylen niedergelassen. Von den Dächern spähten sie in die Gassen herab und belauerten jeden Schritt, den einer tat, und lauschten jedem Wort, das einer sprach.
Obwohl nun kein Unrecht mehr verborgen blieb, rasch jedem Schurken seine Strafe angedieh und auch die Feinde der Stadt fern blieben, begannen die Dörfler, sich unwohl zu fühlen.
Oft fürchteten sie sich, daß sie ihre Arbeit nicht zur Genüge verrichteten oder ein falsches Wort über ihre Lippen käme. Angst überfiel sie besonders, wenn sie eine Wahl treffen sollten, denn wäre diese nicht im Sinne der Gargylen, so erwartete sie eine harte Strafe.
So dauerte es nicht lange und ein jeder wünschte sich den Teufel herbei, und als ihm dies die Gargylen berichteten, da ritt er abermals in das Dorf und stieß dreimal in sein silbernes Horn. Lange wagte niemand aus seinem Hause heraus zu treten und erst als der Teufel weitere dreimal in sein Horn stieß, kamen die ersten Dörfler heraus. Als schließlich alle Menschen des Dorfes auf dem Marktplatz waren, da sprach der Teufel:
„Meine Gargylen trugen mir zu, daß einige von euch wünschten, mich zu sehen und ich erkenne, daß eine Sorge auf euch lastet. Sprecht also!“ Doch keiner wagte ein Wort zu sagen und der Teufel lächelte und fuhr nach kurzer Zeit fort: „Eure Entscheidungen bedrücken euch, weil ihr nicht wißt, wie sie nützlich zu treffen sind. Eure Arbeit bekümmert euch, weil sie zu schwer für euch geworden ist. Das verstehe ich nun freilich und biete euch für den letzten Rest eurer Freiheit, diese Sorgen von euch zu nehmen! Oder ist es nicht das, was ihr euch wünscht?“
Da schwieg das Volk und keiner traute sich dem anderen ins Auge zu blicken aus Angst, dies könne seine Gedanken verraten. Da lachte der Teufel laut und nahm, ob ihrer stummen Zustimmung, auch den letzten Rest der Freiheit von ihnen. Fortan trafen sie keine Entscheidungen mehr, denn alles war geregelt durch ihren neuen Herrn und ihre Arbeit erledigten dienstbare Geister, welche sie, unter Aufsicht der Gargylen, beaufsichtigten.
Nun waren die Menschen des freien Dorfes ihrer Freiheit entbunden und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.