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Das Märchen von dem U und dem N
Es waren einmal ein U und ein N, die waren die besten Freunde. Sie waren im Showbusiness tätig, sehr erfolgreich sogar. Sie waren bei einer sehr populären Sängerin unter Vertrag, und genossen den Ruhm und all die Annehmlichkeiten, die der Erfolg so mit sich brachte.
Eines Abends, als die beiden an der Hotelbar noch einen Absacker zu sich nahmen, sagte das U: „Weißt du, das ist ja alles ganz schön, der Ruhm und all die Annehmlichkeiten, die der Erfolg so mit sich bringt, aber mal ehrlich, was haben wir davon? Außer Flughäfen, Hotels und Konzertsälen sehen wir doch gar nichts von den Städten, in denen wir auftreten.“
„Na ja, wir bleiben halt nie lange genug in einer Stadt, um mehr zu sehen“, antwortete das N.
„Genau, aber doch nur, weil wir von einem Auftritt zum nächsten hetzen. Und das für die lächerliche Gage, die sie uns zahlt. Ich hab’s satt, ich steig’ aus“.
„Aber das kannst du doch nicht machen“. Das N war so erschrocken, dass es sich an seiner Bloody Mary verschluckte. „Du hast doch einen Vertrag unterschrieben“.
Das N war schon immer der ängstlichere der beiden gewesen.
„Ich pfeif auf den Vertrag, ich hau ab. Ich will mehr von der Welt sehen als drittklassige Absteigen und überfüllte Wartehallen. Was ist, kommst du mit?“
Das N sträubte sich erst, aber nachdem ihm das U lange genug von der Welt, die es zu entdecken gäbe, vorgeschwärmt hatte, willigte es, wenn auch ängstlich, ein.
Sie warteten, bis es im Hotel einigermaßen ruhig wurde, packten ihre Ränzlein und verschwanden in die sternenklare Frühlingsnacht.
Ihr Verschwinden fiel erst auf, als die Sängerin auf der Bühne stand, und ihren größten Hit anstimmte. Die Klavierbegleitung setzte ein, die Sängerin nahm das Mikrofon in die Hand und fing an zu singen:
„Mein Fre..d der Baum ist tot, er starb im frühen...“
Obwohl sie instinktiv spürte, dass an dem Text etwas ganz und gar nicht stimmte, wollte sie, ganz Bühnenprofi, die Nummer trotzdem durchziehen. Das Publikum jedoch fing an zu toben und zu schreien, wollte den vollständigen Text hören und buhte die Sängerin schließlich von der Bühne.
Der Manager tobte: „Das ist mir in meiner zwanzigjährigen Laufbahn noch nie passiert. Wo zum Teufel sind die beiden Versager. Ich will sie auf der Stelle hier sehen. Die schmeiß ich raus, die kriegen nie wieder einen Job in diesem Business“. Und so weiter und so fort. Man kennt das ja.
Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, besorgte der Manager über eine Künstleragentur Ersatz, damit die Tournee fortgesetzt werden konnte. Aber da das Ersatz U und das Ersatz N längst nicht so gut eingespielt waren wie unsere beiden Freunde, bekamen das sogar die Kritiker mit, und nach einigen entsprechenden Artikel in den Zeitungen wurden die Zuschauerzahlen von Konzert zu Konzert geringer. Wieder tobte der Manager, verfluchte die Abtrünnigen, wünschte ihnen die Pest, die Cholera und noch weitere ekelige Krankheiten an den Hals und engagierte schließlich einen Spürhund, um die beiden aufzutreiben und zurück zu bringen, notfalls mit Gewalt.
Der Spürhund machte sich sofort auf die Socken, zunächst jedoch ohne Erfolg. Schließlich, nach mehreren Tagen der Schnüffelns und Suchens, quartierte sich der Spürhund in einem kleinen Hotel in der Eifel ein. Hier irgendwo waren das U und das N zuletzt gesehen worden. Tatsächlich befanden sich die beiden schon seit drei Tagen just in diesem Hotel. Sie mussten sich von ihrer Reise quer durch Deutschland ausruhen, und zu allem Überfluss hatte das U auch noch eine Magenverstimmung. Dies alles wusste der Spürhund nicht, er war müde, ihm taten die Füße weh, und er wollte nur noch schlafen. Das D am Ende des Spürhundes war zwar auch müde, spürte jedoch, dass die beiden Gesuchten ganz in der Nähe waren, aber da es schon lange keine Lust mehr hatte, hinter untreuen Ehemännern, verschwundenen Teenagern und sonstigen Kleinganoven herzulaufen, schlich es sich in der Nacht zu unseren beiden Freunden, warnte sie und beschloss, mit den beiden auf Wanderschaft zu gehen.
Am nächsten Morgen erwachte der Spürhund und merkte, das ihm was wichtiges fehlte. Da es jetzt nur noch ein Spürhun war, und man noch nie davon gehört hatte, das ein Spürhun einen Verbrecher aufgespürt hatte, wusste es erst mal nicht, was es tun sollte.
Unsere Freunde, nunmehr zu dritt, machten sich fröhlich singend auf die Wanderschaft durch die sonnendurchflutete Eifel. Sogar die Magenverstimmung des U war verschwunden. Und wie sie so wanderten und sangen, sahen sie am Wegesrand ein großes H liegen.
Langsam gingen sie zu dem H und fragten, was es denn hier tue.
„Ach, das ist eine traurige Geschichte“, sagte das H, „früher war hier einmal eine Haltestelle, doch vor einiger Zeit wurde der Busverkehr zwischen hier und dort eingestellt. Und so war ich plötzlich arbeitslos und langweilte mich den ganzen Tag. Gestern habe ich mich dann vor lauter Langeweile fallen lassen. Ich wollte weg, mir die Welt anschauen, vielleicht andere Haltestellen besuchen, aber irgendwie schaffe ich es nicht, die alte Stelle zu verlassen. Ach, es ist einfach zu traurig“. Ein paar Tränen rannen an ihm hinab.
Da sagte das U und das N und das D: „Dann komm mit uns. Etwas besseres als die alte Stelle findest du überall“.
Und da leuchteten die Augen des H und es schloss sich den dreien an, und so wanderten sie schließlich als HUND weiter.
Nachdem sie die Eifel durchquert hatten, erreichten sie eines Tages das Ruhrgebiet. Als sie in Bochum um die Ecke bogen, kam ihnen das Spürhun entgegen. Erst war der Schrecken groß, doch als das Spürhun ihnen erzählte, das es gar nicht mehr als Spürhun arbeite, feierten sie ihr Wiedersehen. Eigentlich konnte ja nur das D ein Wiedersehen mit dem Spürhun feiern, aber sie nahmen es nicht so genau.
Schließlich fragte das Spürhun, was sie denn jetzt weiter unternehmen sollten. Der HUND hatte keine Ahnung, wusste nur, dass sie irgendwie zu Geld kommen mussten, da all ihre Ersparnisse aufgebraucht waren. Und da sagte das Spürhun, lasst uns doch nach Bremen gehen, ich habe gehört, die suchen noch Stadtmusikanten. Wir mit unserer Erfahrung sind doch genau die richtigen für diesen Job.
Sie zogen also gen Bremen, bekamen den Job, und wurden als Bremer Stadtmusikanten so berühmt, dass ihnen die Stadt Bremen ein Denkmal bauen ließ. Dem Bildhauer waren ein Hund und ein Spürhun als Denkmal jedoch etwas mickrig, und so nahm er noch einen Esel und eine Katze dazu.
Falls irgendwer eine andere Geschichte der Bremer Stadtmusikanten erzählt, so kann die nur erstunken und erlogen sein.