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Das Monster

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27.07.2003
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Das Monster

Auf dem Weg zum Keller vergewisserte er sich, daß die Wohnzimmertür nur einen Spalt offen stand. Jonas kannte die Regeln. Er wußte, daß etwa zwei Zentimeter perfekt waren. War sie mehr als eine Handbreit offen, fiel genügend Licht hinein, um das Monster zu blenden und zu verärgern. Es würde dann die nächsten Tage schmollen und unkontrollierten Unsinn anstellen. Nein, in seiner Situation konnte er es sich nicht leisten, das Monster zu verstimmen. Machte er die Tür ganz zu, dann verfiel das Monstrum in einen wochenlangen Schlaf, was wiederum keine gute Sache für Jonas war. So sehr er das Monster hasste, es war das einzige, was ihn noch am Leben hielt. Er dachte kurz nach und kam zu dem Entschluß: Es war sein ganzer Lebensinhalt gewesen. Schon immer. Leise ging er an der leicht offenen Tür vorbei und stieg die steile Treppe in den Keller hinab.

Unten öffnete er eine Tür, die in eine riesige Tiefgarage führte. Jonas wußte mit dem Wort "Tiefgarage" eigentlich nichts anzufangen; es muß etwas gewesen sein, daß die Menschen vor dem großen Atomkrieg benutzt hatten. Wozu es gut war, wußte er nicht und es war ihm auch egal. Lesen konnte er jedoch. Das, so glaubte er, hatte ihm das Monstrum irgendwann beigebracht, damals als er noch ganz klein war. Jedesmal, als er hier reinkam, um seinen Proviant zu holen, starrte ihn aus metergroßen Lettern das Wort "Tiefgarage" an. Es hatte sich ihm mit der Zeit tief ins Gedächtnis gebrannt und war für ihn zum Synonym für Nahrung geworden. Nahrung, davon gab es hier reichlich. Millionen von grünen Plastikkisten stapelten sich auf über einhundert Quadratmetern Fläche. Woher oder wie sie herkamen, das war Jonas nur bruchstückhaft klar. Zunächst einmal war da die Aufschrift auf den Kisten: Holsten Pils. Lange Zeit hatte er die Bedeutung dieses Wortes nicht gekannt, bis er einmal das Monster darüber sprechen hörte. Es schien, daß die Leute froh über dieses Nahrungsmittel gewesen waren. Aber noch wichtiger schien Jonas das Wort zu sein, das sie sagten, wenn sie es einnahmen: "Prost". Plötzliche Einsamkeit übermannte Jonas und zwang ihn, seine Gedankengänge abzubrechen. Er nahm eine braune Flasche aus einer der Kisten und lief zurück zum Keller.

Er blieb vor der Wohnzimmertür stehen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Die letzte Rasur hatte er erst vorgestern und die Stoppel waren noch nicht ganz aus ihren Löchern gekrochen, so dass er sich sicher sein konnte dass es OK war. Das Monster haßte es, wenn er längere Zeit unrasiert war. Er öffnete die Flasche mit der blossen Hand und trank sie mit einem Schluck leer. Ins Zimmer mitnehmen konnter er sie nicht, das war nicht gut, und lange warten wollte er auch nicht- die plötzliche Einsamkeitsattacke hatte in ihm den starken Wunsch geweckt, sofort ins Wohnzimmer zu gehen. Er stellte die leere Flasche in die Mitte vom Flur, öffnete die Tür und kam herein. Das Zimmer war abgedunkelt, nur zwei feuerrot glühende Augen schauten ihn aus der Tiefe des Raumes an. Er schloss die Tür wieder, achtete aber peinlichst darauf, daß sie genau so weit wie zuvor offen stand. Dann machte er einen Schritt ins Zimmer hinein und es ging los. Die roten Augen fingen an, stroboskopartige Lichtimpulse auszusenden, die den ganzen Raum ausfüllten. Der Strahl vom linken Auge bewegte sich mit großer Geschwindigkeit von links nach rechts, um jedesmal ein Stückchen weiter oben wieder von links anzufangen. Der andere Strahl lief ihm genau entgegengesetzt von oben-rechts nach unten links. Wenige Sekunden lang war das ganze Zimmer in rote Laserfäden getaucht, dann hatten die Strahlen das Gesicht von Jonas erfaßt und konzentrierten sich darauf. Zwischen den roten Augen vor ihm ging ein grünes Licht an. Das bedeutete für Jonas, das er sich setzen konnte. Er tastete sich in der Dunkelheit vorwärts, bis er auf den Sessel stieß. Langsam ließ er sich in den Sitz fallen, jederzeit von den zwei Strahlen im Gesicht fixiert. Er saß da und wartete geduldig, während ihm die Laserabtaststrahlen über die Gesichtszüge tanzten. Irgendwas war noch nicht richtig, dachte er. Wahrscheinlich hatte er die Flasche zu spät geleert und war noch nicht bereit. Er war noch nicht glücklich und es war sehr wirchtig, daß er glücklich war, bevor die Vorstellung begann. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis das Holsten-Pils seine Wirkung getan hatte und das Ding da vorne mit seinem Gesichtsausdruck zufrieden war.
Minuten vergingen bis Jonas die Wirkung des Alkohols spürte. Wohlige Wärme breitete sich über seinen Körper aus und löste in ihm eine seltsame Zufriedenheit aus. Unbewußt entspannten sich seine Gesichtszüge. Die Augenbrauen rutschten nach oben genauso wie die Mundwinkel. Er lehnte den Kopf zurück und lächelte. Das Monster schien offenbar auch zufrieden zu sein. Das grüne Licht zwischen den zwei roten ging wieder aus und die Laserstrahlen hörten mit ihrem Spiel auf. Eine rechteckige weisserhellte Fläche wurde nun sichtbar. Kurzes statisches Rauschen, dann erschien der Kopf einer Frau auf dem Bildschirm.
"Herzlichen Glückwunsch, daß sie das Interaktiv-Programm von PMTV eingeschaltet haben. Unsere Sensoren haben festgestellt, daß Sie glücklich sind. Wir haben uns deshalb erlaubt, für Sie unseren Werbeblock auszustrahlen. Wir wünschen gute Unterhaltung!"

Der Frauenkopf verschwand, es tauchte eine grüne Berglandschaft auf. Glückliche Menschen in kurzen Hosen sprachen lachend miteinander. Dann kam eine Kuh in Sicht, die von einer strahlenden blonden Frau gemolken wurde. Die Frau sang ein Lied, das von der Kuh mitgesungen wurde. Sie sagten dann schließlich gemeinsam, sich zur Kamera umdrehend:
"Glückliche Milch von glücklichen Kühen. Nur bei Maier-Milch!"

Das Bild wurde schwarz während der kurzen Unterbrechung, dann lief die nächste Botschaft.

Ein Auto fuhr halsbrecherisch die Serpentinen hoch. Links jagten weisse Pfosten vorbei, gleich dahinter der Abgrund. Der Fahrer drückte aufs Gas und beschleunigte nochmal das Tempo. Während die Reifen mit einem ohrenzerreißenden Quietschen Gummi auf der Asphaltbahn liessen bemerkte der Fahrer in letzter Sekunde einen vor sich hintuckernden Traktor. Gleichzeitig löste sich ein gewaltiger Felsbrocken vorn über ihm und drohte das Auto zu zermalmen. Kurz bevor es zur Katastrophe kam, hielt das Bild an. Ein vertrauenserweckender Mann mit grauen Schläfen kam ins Bild, ging unter dem in der Luft hängenden Felsbrocken hindurch und sagte:
"Gefahr lauert überall, auch im Urlaub. Wir von der Tübinger Versicherung stehen Ihnen auch in heiklen Situationen zur Seite."

Der Spot war zu Ende und eine längere Pause trat ein. Jonas war glücklich. In dieser Welt, die das Monster ihm zeigte war alles so wunderschön. Die Frauen immer jung und strahlend, die Männer immer charmant und hilfsbereit. Er kannte zwar jeden dieser kurzen Filmchen in- und auswendig, aber das Glücksgefühl übermannte ihn jedesmal von neuem. Als er so in der Dunkelheit auf den nächsten Werbespot wartete, glaubte er, das hier sei das Paradies. Er merkte wie eine Träne der Rührung seine Wange herunterrollte. Dann eine weitere. Er schlug die Hände vors Gesicht, als er in spasmatisches Schluchzen verfiel. Er zwang sich zur Vernunft, aber es ging nicht. So durfte ihn das Monstrum nicht sehen. Schnell wischte er sich das Wasser vom Gesicht und versuchte wieder wie nach dem ersten Bier auszusehen aber es war zu spät. Die Laser schossen auf seinen Kopf und umspielten ihn. Jonas verzog das Gesicht zu einem Grinsen aber das Monster liess sich nicht täuschen. Die Lichter gingen aus und der Bildschirm erstarb. Er sass allein in der Dunkelheit und weinte.

Der Fernseher hatte offenbar beschlossen, daß es genug für heute sei. Das passierte immer wenn das System feststellte, daß er nicht glücklich genug aussah. Sowas war nicht gut für den Verkaufserfolg. Er durfte es am nächsten Tag wieder probieren. Und das einzige, daß er zu sehen bekommen würde, wäre das Werbeprogramm.

Jonas begab sich in sein kleines Zimmer, in dem ein rostiges Bett aufgestellt war und legte sich hin. Vom heutigen Tag hatte er nichts mehr zu erwarten. Was sollte er auch sonst tun, als Werbung zu gucken? Das Fernsehen war sein Alles. Die Werbung war sein Alles, die lachenden Gestalten mit den perfekten Gebissen seine Freunde. Und dennoch haßte er es.
An seine Kindheit konnte er sich nicht mehr richtig erinnern; außer daran, daß er irgendwann mal in dieser Wohnung aufgewacht war, allein. Früher hatte das Programm noch aus verschiedenen Sachen bestanden, nicht nur Commercials. Es gab Filme, Sport, Talkshows. Und natürlich die
Berichte über den Atomkrieg. Er wußte nicht mehr genau, warum in den letzten Jahren nur noch Werbung lief, aber er vermutete, daß es mit seinem Gemütszustand zusammenhing. Die Maschine war ursprünglich darauf programmiert worden, sich der momentanen Verfassung des Zuschauers anzupassen. Nach einem kurzen Gesichtsscan war dem Ding klar, ob der Zuschauer traurig, wütend, fröhlich oder gelangweilt war. Dementsprechend bekam man Horrorfilme, Heimatfilme, Erotikfilme, Musiksendungen oder was man sonst wollte geboten. Alles nur für den Zuschauer. Irgendwann, als es viele Jahre nicht mehr gewartet wurde, weil die Wartungstechniker längst tot waren, verlor es seine Vielfalt. Als Jonas den Fernseher das erste mal eingeschaltet hatte, konnte er sich nur mit zwei Gesichtsausdrücken einloggen: Fröhlich oder undurchdringlich. "Undurchdringlich"-war der Gesichtsausdruck, der verwendet wurde, wenn das System die Laune des Zuschauers nicht klassifizieren konnte. Dann wurde ein Zufallssimulator gestartet und einfach irgendwas gesendet.

Damals war es für ihn noch kein Problem gewesen, undurchdringlich zu gucken. Es war eine Gabe, die er von seinen Eltern geerbt hatte. Soweit er sich erinnern konnte, waren sie Schauspieler gewesen. Er hatte sich damals immer hingesetzt, an etwas bestimmtes Gedacht und schon sah er wie ein professioneller Pokerspieler aus. Das Monster hatte ihn akzeptiert und er zappte sich durch tausende von Filmen hindurch. Mit den Jahren ging ihm die Kunst des Undurchdringlich-guckens flöten, er wusste auch nicht warum. Vielleicht lag es an dem vielen Bier, das er täglich in sich hineinschüttete. Es war das einzige Nahrungsmittel, das er hatte und es hatte jahrelang scheinbar keinen großen Einfluss auf ihn ausgeübt. Momentan kannte er aber höchstens zwei Zustände:
Himmelhoch jauchzend, wenn er besoffen war und zutode betrübt zu allen anderen Zeiten.

Er lag auf dem Bett, das Gesicht noch immer feucht von Tränen. Hin- und wieder versuchte er so anteilnahmslos wie möglich zu schauen; er fürchtete jdedoch, das Ergebnis war nicht das erwartete. Irgendwas stach ihm in den Rücken, machte das Liegen unbequem. Nach mehrfachem Umdrehen beschloss er unter die Matratze zu gucken. Er fand eine Din-A-3 Mappe, zerbeult und zerknüllt. Er öffnete das Stoffband, das sie zusammenhielt und spähte hinein. Zeichnungen von Strichmännchen auf jedem Bild. Ein Strichmännchen dekoriert den Weihnachtsbaum, auf dem nächsten Bild putzt eins ein Auto, woanders führt ein Strichmännchen seinen Strichhund spazieren. Jonas fiel nicht auf Anhieb ein, wo er das schon mal gesehen hatte. Er blätterte weiter. Dann blieb sein Blick auf einem Blatt mit Strichgesichtern haften. Smilies in allen Gattungen und Arten. Lachende, weinende, böse, überraschte- das ganze Blatt war mit Smilies übersät. Als er darauf hinabschaute erinnerte er sich. Sein Lehrer in der Schauspielschule- es war mehr ein Schauspiel-Kindergarten, in den er ging- hatte ihm mal den Auftrag gegeben, soviele Stimmungen wie möglich auf einer Seite aufzulisten. Und er hatte es geschafft. Damals hatte er es stolz seinem Vater gezeigt. Dieser hatte Jonas zufrieden gelobt, war aber bei dem letzten Strichmännchen unsicher gewesen, was es bedeuten sollte. Jonas schaute auf das Smilie, das ganz unten in der Ecke sein Dasein fristete. Es war das Unbestimmtes-Gesicht-Männchen.

Sein Herz schlug von einem zum nächsten Augenblick schneller. Er sah darauf hinab und konnte sich erinnern, wie das "Unbestimmte Gesicht" ging. Er entspannte seine Gesichtszüge und war sich hundertprozentig sicher, daß er es jetzt machen konnte. Schnell rannte er zum Spiegel, um es gleich zu probieren. Herzpochend stand er da und grimassierte... Aber er schaffte es nicht. Sobald er das Bild in dem Malblock nicht mehr ansah, konnte er es nicht mehr nachmachen. Verdammt, dachte er.

- - -

Jonas Baumeister übte. Er hatte wieder ein Ziel. Wenn er in seinem Bett lag, hatte er seinen Block. Wenn er unterwegs zum Bierholen oder Werbunggucken war, starrten ihn die Unbestimmtheits-Smilies von den Wänden an, die er mit roter Farbe in Kopfhöhe aufgemalt hatte. Er hatte ein Dutzend von ihnen strategisch in der ganzen Wohnung verteilt. Wo immer er sich ab jetzt aufhielt, er übte unbestimmt-gucken. Er würde sicher nicht mehr lange dauern, bis er es konnte. Dann würde er sich mit einem Pokerface vor das Monster setzten, während ihn Abtastungsstrahlen von allen Seiten trafen und keine merkliche Gemütsregung feststellen könnten. Der Fernseher würde den Zufallsgenerator anwerfen und dann...
...dann würde er wie ein wilder loszappen und die ganzen Jahre nachholen die er saufend und werbungschauend verschwendet hatte.

 

Hallo Megarat,

ich finde deine Geschichte richtig MIES! War nurn Witz, ich find die Geschichte richtig klasse, die Idee und die Atmosphäre, auch deine Schreibe ist sauber, mal abgesehen von ein paar Fehlerchen. Einzige Anmerkung: Deine Story schwankt zwischen ernst und düster, und lustig und heiter. Da würde ich mich wirklich entscheiden. Und meine Bitte: MACH SIE DÜSTER!!!! (Also lass das mit dem Holsten raus und Ausdrücke wie saufend...)

Liebe Grüße

Dante_1

 

Hi megarat

Er blieb vor der Wohnzimmertür stehen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
"über das" oder "über sein"
übers klingt etwas umgangsprachlich und passt mE nicht zum Rest.

jo, ich werd mich dann mal Dante anschließen. Die Geschichte hat mir gefallen :) . Jedoch fehlt etwas die Spannung, zumindest hätte ich die Begegnung mit dem "Monster" etwas ausgebaut (unheimliche Geräusche, oder so etwas in der Art...).

Kerberos

 

Hi Dante && Kerberos.
Hab mich kurz erschrocken, wegen dem richtig MIES. Gott sei Dank wars bloss ein Joke. (für Dich, Dante) Hast noch mal glück gehabt :D , denn grad wollte ich anfangen, deinen PC mit einem DOS-Angriff zu belegen, hast grad echt noch mal die Kurve gekriegt.
(Auch nur ein kleiner Witz meinerseits höhö :D )

Die Story düsterer machen... hmm da muss ich noch mal tief tief in mich gehen. So wie sie ist, kommt halt der Wahnsinn des Prots halt gut raus ... muss überlegen (Die Story hat schon Monate auf dem Buckel, mal sehn ob wir die Kurve noch kriegn :D )
Die Fehler werd ich mir vorknöpfen (übers passt nicht? *insichgeh*)
Die Spannung fehlt ein bisserl, damit die arge Langeweile besser rüberkommt, der Typ glotzt bloss fern, sonst nix (ok er säuft noch nebenher :D ), und zwar die letzten Jahre nur Commercials, da ist halt das, was ihm gelungen ist, für ihn sensationell. Wenns spannend werden soll, werd ich ne andere Stroy schreiben müssen :D

thx

G

megarat

 

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