Das rote Feuerzeug
Das rote Feuerzeug (2006)
Laut und voll war es, genauso wie man es von einem Club wie diesem erwartete. Die Musik war bis zum Anschlag aufgedreht worden und an diesem Abend war es auf der Tanzfläche nahezu brechend voll, sodass wir beide entspannt an der Bar standen. Michael lehnte sich lässig gegen die Theke und verfolgte das Geschehen auf der Tanzfläche, während ich es mir auf einem Barhocker gemütlich gemacht hatte und damit beschäftigt war, gut auszusehen und gleichzeitig den Barkeeper dabei zu beobachten, wie er gerade einen Drink mixte. Heute hatte ich nämlich keine Lust zu tanzen.
„Willst du ’ne Kippe?“, fragte mich Michael auf einmal und hielt mir seine Zigarettenschachtel vor die Nase. Angewidert schielte ich sie an und schüttelte prompt den Kopf. „Hast du schon vergessen, dass ich nicht rauche?“, fragte ich ihn ein wenig eingeschnappt und sah ihn stirnrunzelnd an, „Außerdem ist Rauchen verdammt ungesund.“ – „Ich weiß es noch, aber ich bin der Meinung, dass deine schlechte Laune darauf zurückzuführen ist, dass du nicht rauchst. Du solltest es echt einmal mit Frustrauchen probieren.“ Er kratzte sich gespielt nachdenklich am Kinn und musterte mich eingehend. Die dümmliche Miene, die er dabei aufgesetzt hatte, brachte mich zum Lachen. Dies konnte er gut, denn meine Verärgerung hatte sich wie immer bereits in Nichts aufgelöst. Grinsend wandte er sich wieder zur Tanzfläche um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Na also, geht doch.“ – „Ja, ja“, winkte ich lachend ab und riss mich zusammen, sodass meine Miene wieder etwas ernster wurde. Michaels triumphierendes Grinsen verschwand wieder und er wechselte das Thema: „Willst du heute eigentlich noch ’was anderes machen außer hier ’rumzustehen?“ – „Ich hab’ keine Lust, muss nachdenken.“ Michael zuckte mit den Schultern. „Na, wenn du meinst… Nur heul’ mir nachher nicht die Ohren voll, wenn du meinst, den Abend mit Nachdenken verschwendet zu haben.“
Geschickt fischte er eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie sich in den Mund, ehe er ein rotes Feuerzeug aus seiner Hosentasche angelte und sie anzündete. Auf den ersten Blick sah das Feuerzeug wie jedes andere aus, aber es war nicht irgendein Feuerzeug. Ich hatte es wieder erkannt. Es war das Feuerzeug, das ich ihm einmal gegeben hatte. Auf einem Jahrmarkt hatte ich an einer Losbude die meiste Zeit nur Nieten gezogen und als Trostpreis nur ein Feuerzeug gewonnen. Doch da ich nicht rauchte, hatte ich es Michael in die Hand gedrückt. Es war ein schlichtes, rotes Feuerzeug und dieses besaß er – wie es schien – immer noch, obwohl es nicht einmal ein richtiges Geschenk gewesen war. Ich war überrascht, wie sehr ich mich über diese Tatsache freute, doch warum sollte ich mich auch nicht freuen?
Gelangweilt begann ich mich umzuschauen, dabei entgingen mir nicht die Blicke einer Gruppe von jungen Frauen, die auf uns gerichtet waren. Sie blickten ab und zu uns herüber und steckten anschließend ihre Köpfe wieder zusammen, um miteinander zu tratschen. Michael hatte sie inzwischen auch bemerkt und zwinkerte ihnen zu, als sie uns wieder ansahen. Wären sie Dreizehnjährige gewesen, so hätten sie vor Freude aufgekreischt, doch eine von ihnen warf ihm stattdessen einen Handkuss zu. Michael grinste selbstzufrieden zurück, während ich ihnen nur abweisend den Rücken zudrehte. Ich bewunderte wirklich sein Selbstbewusstsein, das ich im Gegensatz zu ihm nicht besaß, doch ich konnte nicht verstehen, wie er auf solche aufgetakelten Weibsbilder stehen konnte. Er stieß mich plötzlich in die Seite, drückte die Zigarette aus und nickte in Richtung der Tanzfläche, ohne dabei die Frauen aus den Augen zu lassen. „Hey, ich geh’ mal tanzen…“ Ich nickte stumm und folgte ihm mit meinem Blick. So wie er tanzte, konnte man glatt denken, dass die Tanzfläche sein Revier war. Es war wirklich beeindruckend, wie gut er tanzen konnte. Aus den Augenwinkeln konnte ich wahrnehmen, wie noch mehr Frauen auf ihn aufmerksam wurden. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Michael grinste selbstsicher und sein strahlender Blick verriet alles: Er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Er erinnerte mich an einen Löwen, der mit stolz geschwellter Brust in seinem Revier auf und ab schritt und seine mächtige Mähne zur Schau stellte. Ich mochte Löwen.
Während ich ihn so musterte, bemerkte ich, wie sich der Neid langsam in mir breit machte. Weil ich sein Freund war und gleichzeitig neidisch auf ihn war, fühlte ich mich jedoch nicht schlecht. Man sagte schließlich, dass Neid die aufrichtigste Form von Anerkennung sei. Ich sah, wie er begann mit einer jungen Frau zu tanzen, die sich ihm angenähert hatte, und er schien von ihr sichtlich angetan zu sein.
Ich drehte mich um und bestellte mir einen Drink. Es sollte irgendetwas Alkoholisches sein, denn ich verspürte gerade große Lust, mir die Kante zu geben. Vielleicht würde Michael mich dann nach Hause bringen. Als der Barkeeper mir gerade den fertigen Drink zuschob, klopfte mir jemand auf die Schulter. Es war Michael, er hatte seinen Arm um die Hüfte des Mädchens gelegt, mit dem er eben gerade noch getanzt hatte. Ich ließ meinen Blick von oben nach unten langsam an ihnen herunterwandern. „Ich mach’ mich dann mal aus dem Staub“, sagte er mit einem vielsagenden Grinsen. Ich hob bloß die Hand zur Verabschiedung und schon sah ich sie in Richtung Ausgang gehen. Er flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, sodass sie lachen musste. Menschen zum Lachen bringen, ja, das konnte er gut. Ich schloss kurz die Augen und blickte zu Boden, wo ich auf einmal das rote Feuerzeug entdeckte. Michael hatte es wohl verloren und vergessen. Ich hob es auf und fragte dann den Barkeeper: „Wo ist denn hier der Zigarettenautomat?“