Das Schloss
Treten Sie doch näher heran an diese Pforte, die die menschliche Hand abweist, wenn sie sie ergreift. Aus dunklem Holz, doch kalt als wäre sie ein Eisblock, der aus dem kühlsten Eismeer stammt. Doch seien Sie gewiss, ich stoße sie auf- allein für Sie, kostbarer Gast. Mein Reich ist auch das Ihre, Ihr Besuch ist ein Geschenk, dessen Wohltat meine Seele kaum erfasst. Ich sehne mich von Zeit zu Zeit nach etwas... Abwechslung. Bitte genießen Sie meine Gastfreundschaft, edler Besucher, und finden Sie das, was Ihnen vor langer langer Zeit schon verloren gegangen ist. Vielleicht ist es ein Schatz. Vielleicht auch nicht. Wer weiß? Es ist Zeit. Waldhorn und Trompeten künden von dem nahen Sieg und der Erlösung von den Qualen, schon sind die Türme mannshoch drohend zu sehen. Die Fahnen hängen pendelnd träge im Wind, wie Fetzen zerlumpten Segeltuchs an einem Geisterschiff und winken dem müden Wanderer aus der Ferne. Der weiße Glanz von weitem war nichts als eine Illusion, eine schöne Täuschung herrlich in Gedanken, die sich als schroffe Lüge erweist und lockt und weiterlockt auch wenn der Glanz schon längst gebrochen ist und mit ihm jeder Widerstand in unserem Gemüt. Im Sand der Wüste vor den schweren Toren glitzern geheimnisvoll die Splitter und Scherben der zerbrochenen Fenster. Wie leere Augenhöhlen glotzen starr und dumm und ohne jede Anmut die Fenster zurück in glücklichere Zeiten. Die Landschaft schimmert schemenhaft hinter den dunklen Löchern. Ganz so, als wären sie das Tor zu einer fernen Welt. Wände sind längst dahinter nicht mehr vorhanden, die den Blick des Betrachters auf sich lenken, denn nichts bleibt für die Ewigkeit. So mancher, der diesen Ort gesehen hat, wird sich fragen, wer die Menschen waren, die hier einst so königlich ihr Leben verbracht haben. Unvorstellbar scheint es und doch so fassbar, als wäre es zu begreifen, zu verstehen, wie sich das Leben in den längst verfallenen Gemäuern zu jenen Tagen zugetragen hat. Die Streitigkeiten, die Versöhnungen, die Liebe, den Betrug, den Hass, den Kummer, die Freude, den Schmerz, die Rache und das Leid, scheint es, könnte man beinahe mit eigenen Augen sehen, wenn nicht die sinkende Sonne das Auge blendete. Und nun? Nun ist aller Reichtum vergangen, all die Pracht und der Prunk, stolze Besitztümer, so bedeutsam für das menschliche Geschlecht. Jetzt versteckt sich unter den rostigen Dächern furchtsam die Vergangenheit und lässt die Zukunft walten. Menschen kamen und Menschen gingen, doch das Haus ist geblieben. Viele Geschichten weiß das alte Gemäuer zu erzählen von längst vergangenen und begrabnen Zeiten. Tun Sie mir den Gefallen und begleiten Sie mich auf den Weg hinein. Die Lichter sind soeben aufgeflammt in den leeren Hallen und Gewölben und flackern im dumpfen Schein des Abendlichts wie ein falsches Leuchtfeuer, um den Schiffen den Weg ins Felsenriff zu weisen. Die Mauersteine bröckeln und knirschen leise wie Zähne und das Dachgebälk knarrt zaghaft dazu, doch wird das Haus dem müden Wandersmann genug Platz und eine Zuflucht bieten, vielleicht sogar Geborgenheit, um die Geschichte zu ergründen und neu zu entfachen. Sehr alt ist dies Gemäuer, es scheint fast älter als die Erde. Vieles hat es bereits erlebt und träumt davon in magren Zeiten, um davon ein traumerfülltes Lied zu murmeln auf Lippen, die man sich nur bewegen sieht, wenn man empfänglich ist für die Magie. Dieses Haus stand schon auf der öden Erde auf seinem kalten Fundament, als der Mensch noch nicht geschaffen war und sah all die Schwärme von brennenden Meteoriten glühend am nächtgen Himmel ziehen und stürzend einschlagen mit unvorstellbarem Getöse, so dass die Welt in ein Kleid aus Staub und Schutt gehüllt war. Es erblickte die Geburt der Sonne, wie sie freudig und das erste Mal erstrahlte, um der Erde Leben zu spenden und Wärme. Es erlebte Hunger und Kriege, Leid und Pein, den Wechsel der Fürsten und Herrscher, bis hin zum Wunder der Technik. Die erste Eisenbahn kroch keuchend - ein betagtes Monstrum - durch die Lande und frass sich Stück für Stück seinem Ziel entgegen. Daraufhin das Automobil, das die Umwelt verpestete, bis der Mensch sich selbst in den Himmel schwang, um fliegen zu lernen und die Sterne zu besuchen, um auch sie zu begrüßen mit ihrem Untergang. Folgen Sie mir stumm und denken Sie nicht nach, über das, was Ihnen begegnet.
Der Eingang ist ein schwarzes Loch, das in die Landschaft gebrannt sich zu öffnen und zu schließen scheint wie das klaffende Maul einer Bestie, welche nur auf den Augenblick wartet, uns Menschengestalten zu verschlingen. Lange hat sie geruht, doch nun ist sie erwacht! So sinnentleert versucht sie alles zu erheischen, was sich ihr entgegenstellt. Die Angst kriecht langsam unter meine Haut und beisst sich fest, wenn ich daran denke, was dort drinnen auf mich lauert und meine Ankunft lange schon erwartet. Denn es weiss, dass ich eines Tages kommen werde, um es zu besuchen. Denn an diesem Tage werde ich meine Beine nicht davon abhalten können, mich dem finstern Orte zu nähern. Die Panik hält mich fest umschlungen und würgt so sehr, dass ich fürchte zu ersticken. Das schwarze Loch wird größer noch und dunkler und unheimlicher. Ich trete ein in das schwarze Tor, der Rückweg ist auf ewig versperrt und kein Zurück in die Tagwelt. Still nimmt das Herz noch Abschied von der Sonne. Gefangen. In der Falle. Auf ewig. Jetzt sind wir allein. Ich frage mich, ob die Stimmen, die ich höre, nur aus meinem Kopf dringen. Es hört sich an wie der Gesang von Frauen, nur noch verlockender. Sirenengesang schallt durch die leeren Hallen. Und bevor ich die Schatten bemerke, die mich umtanzen, hört mein Herz auf zu schlagen. Stille. Blut pulsiert mir im Hals und hinter den Augen. Ich weiß, ich bin allein. Werde ich ohnmächtig werden? Alles wie ein Traum. Ich schwebe weiter und gleite durch die Dunkelheit dem Licht entgegen, als die Fackeln, die die Räume kaum erhellen, eine nach der andern erlöschen. Luft durchweht die Kammern anscheinend schon seit Jahren. Hier gibt es keine Zeit. Habe ich das laut gedacht? Meine Gedanken hallen an den Wänden wider und flattern in Wellen und wandeln und suchen, bis sie sich in Spinnweben verwirren. Ich sehe nur noch das helle Licht am andern Ende des Ganges, das mich fesselt und ganz von mir Besitz ergreift. Doch ich nähere mich ihm nicht, so sehr ich es auch versuche. So sehr ich es ersehne. Das Haus lebt. Die Wände zittern sanft, als ich sie mit den Händen berühre, etwas wie Lachen dröhnt durch den weiten Saal. Kühler Atem haucht mir entgegen und die Luft rauscht zwischen den alten Mauern. Ich weiss, ich muss mich verstecken, denn es wird mich suchen. Ich weiss, ich kann mich nicht verstecken, denn es wird mich finden. Überall. Ich schwitze, etwas kühles streicht mir über die Stirn, um an den Schweiß zu gelangen. Denn es lebt von der Angst. Und es lebt vom Hass. Das Licht ist jetzt näher. Viel näher. Dort wartet der Tod. Unmittelbar wird mir das bewusst. Gedanken hämmern auf mich ein. Unerbittlich. Ich will umkehren, will nur fliehen. Hart stürze ich auf die Knie. Schmerz durchfährt meine Glieder. Etwas heult über meinen Kopf hinweg und rauscht durch die Dunkelheit. Ich kann es spüren. Es ist überall. Ich schreie, doch ich kann meine Stimme nicht hören. Die Stimmen singen wieder, nur lauter als vorher, als wollten sie mich verhöhnen. Ich will weg. Raus. Ich kann nicht. Ich liege auf dem Boden und das Licht nähert sich. Nein! Der Wahnsinn schwebt heran auf flatternden Schwingen. Ich will noch die Augen schließen, aber meine Augenlieder gehorchen mir nicht mehr. Schritte hallen langsam drohend an mein Ohr. Als würde jemand eine Treppe hinuntersteigen. Doch es kommt niemand. Niemand! Die Wände existieren nicht. Ich kann durch sie ins Universum schauen. Das Licht kommt näher. Keuchend versuche ich mein Entsetzen zu fassen, doch ich kann es nicht fassen, niemand kann es fassen! Das Schicksal naht, die Hörner der Jäger erschallen im Raum. Ist die Unendlichkeit ein Raum? Ich schreie wieder. Es kommt. Gleich ist es da. Dann wieder Stille. Ist es überstanden? Ist es vorüber? Langsam versuche ich aufzustehen, da ich mich in Sicherheit glaube. Ich stehe wieder auf meinen Beinen, es ist ein wundervolles Gefühl. Ein Schrei. Etwas kreischt hinter mir. Die Lichter flackern über meinem Kopf. Jagdhörner, Sirenengesang, der Wind reisst alles fort. Vorhänge wehen hinaus in die Galaxie. Keine Orientierung mehr. Wo bin ich? Es ist da. Es ist gekommen, um mich zu holen. Licht blendet mich. Meine Augen sind nichts weiter als Schlitze. Dort steht sie. Ein Mädchen. Man kann nicht sagen, wie alt sie ist. Sie besitzt kein Menschenalter. Mit langsamen Schritten kommt sie auf mich zu. Die Angst ist wie fortgeblasen. Plötzlich bin ich wieder ganz ruhig. Sie wandelt barfuss durch ihre Sphäre, durch Raum und Zeit. Das Haar ist wie aus goldenen Fäden geflochten. Ein samtenes Gewandt verhüllt ihren Körper, fast so zart wie ihre Haut. Sie leuchtet in der Dunkelheit und lenkt meine Blicke auf sie, so dass ich nicht wegschauen kann. Nur noch ein Schritt, bis sie mich erreicht. Ich schaue sie an. Und schreie. Ich habe meine Stimme wieder. Doch das ist jetzt nicht wichtig. Sie hat keine Augen! Dunkle Löcher thronen in ihrem Gesicht, als sie auf mich niederschaut. Rot glüht es auf darin, und taucht ihr Gesicht in tanzende Schatten. Ich bin in ihrem Bann. Es hat mich gefunden. Ich bin verloren. Schutzlos ausgeliefert. Es reisst den Umhang fort, denn es besitzt keinen Körper. Ich weiß, dass ich verloren bin, als sich das Wesen über mich beugt. Die Sinne schwinden und fliehen vor dem Fleisch, ich taumle in die Schwärze, wie im Tanz umstürmt mich noch ein letztes Mal die Welt, bis ich zusammenbreche. Es ist gekommen belehrt mich ein Gedanke. Die Nacht, das Schattenmeer, ist um ein Opfer reicher. Es neigt sich über mich und küsst mich. Ich reiche der Gestalt meine Hand, um immerfort weiterzuschweben in der Unendlichkeit. Und als ich mein fremdes Gesicht im Spiegelsaale betrachte, bemerke ich, dass ich wohl froh sein muss. Denn meine Augen lodern wie kleine Flammen, glühende Kohlen, um mich selber zu verzehren. Und mein Gesicht eine verzerrte Fratze, dessen Mundwinkel gen Himmel deuten, ganz als wollte ich grinsen.