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Das Spiel
Das Spiel
Unendlich viele, kleine Wellen brachen sich am Saum des Strandes. Ebenso winzige Schaumkronen tanzten darauf auf und nieder. Von Zeit zu Zeit schrie eine Möwe der Küste ihren Ruf zu. Sonst unterbrach nichts die seltsame Ruhe der sich brechenden Wellen. Der weisse Strand zog sich schier endlos in die Länge. Ins Landesinnere konnte man nicht sehen, denn riesige Felsvorsprünge versperrten den Blick.
Ein lauer Sommerwind wehte und kühlte die Luft ab. Von dort aus, wo die Felsen endeten und eine breite Strasse in den Strand mündete, konnte man das Dorf erkennen. Man hörte allerlei Geräusche aus dem Dorf. Fischer riefen einander zu, die Geräusche des Marktes drangen her. Hie und da konnte man das Knattern eines halbverrosteten Autos auf der ungeteerten Strasse oder das Rattern der Nähmaschinen, die von Näherinnen geführt über den rauen Stoff der Segel fuhren, hören. Doch all diese Geräusche drangen nur leise an den Strand.
An diesem Tag befanden sich keine Leute am Strand. Das war für ihn gerade richtig. Er spähte mit halb zugekniffenen Augen zum Dorf. Irgendwann würde jemand kommen. Irgendwann… Sein Gesicht war andersartig. Jeder, der mehr als zwei Wochen hier wohnte, wusste, dass er kein Einheimischer war. Seine Nase erinnerte an die der Kleopatra. Seine Augen blickten dunkler als andere. Er war stolz, nicht von hier zu sein. „Gesindel“, pflegte er zu sagen, „was hier lebt.“ Doch er hütete sich davor, das den Leuten zu sagen. Die Leute bemerkten trotzdem seine Einstellung. Sie waren ja nicht dumm.
„Was treiben Sie denn hier?“ fragte eine Stimme direkt neben ihm. Erstaunt drehe er sich um. So früh hatte er noch niemanden erwartet. „Das Meer beobachten.“ Erst jetzt betrachtete er sein Gegenüber. Es war ein Mann, dessen vom Salzwasser geprägtes Gesicht verriet, dass er ein Fischer war. Wieder ergriff der Dazugekommene das Wort. „Und warum machen Sie denn nichts Vernünftiges?“
„Was geht Sie das an? Ich wüsste nicht, dass ich irgendjemandem von euch Rechenschaft schuldig wäre.“
„Nun ja.“
Der Fischer drehte sich um und beschattete seine Augen. Er suchte das Meer ab. „Da ist nichts, was Sie beunruhigen könnte. Das Meer ist vollkommen ruhig. Also, was treiben Sie hier?“
„Na gut. - Ich habe auf Sie gewartet.“
„Auf mich?“
Er nickte. Jetzt konnte er mit seinem Spiel beginnen. „Ja. Kommen Sie.“
Der Fischer folgte ihm, skeptisch aber neugierig. Er führte ihn ein Stück den Strand entlang, bis zu der Stelle, wo einige Palmen wuchsen. Dort war ein Tisch, darauf zwei Gläser. Unter dem Tisch lag eine Kühltasche, darin eine Flasche mit Caipirinha – dem „Nationalgetränk“ der Einheimischen – und Eis gefüllt. Seiner Meinung nach war Caipirinha das Einzige, was die Leute hier zustande gebracht hatten. Den Tisch hatte er am Morgen hergebracht, die Getränke auch, nur in einer Kühltasche.
Er wies den Fischer an, sich zu setzen. Auch er nahm Platz. „So, nun können wir beginnen“, begann er geheimnisvoll. Der Fischer lauschte verwundert seinen Worten.
Er lächelte. Und zog einen Würfelbecher hervor. Eine Wolke schob sich vor die Sonne und kurz glaubte der Fischer im Gesicht seines Gegenübers ein siegessicheres Lächeln zu entdecken.
„Sie machen mit?“
„Wobei?“
„Sie werden sehen.“
Er fragte sich, ob der Fischer wirklich ohne irgendeine Erklärung mitmachen würde. Gespannt beobachtete er ihn. Der Fischer schien mit sich zu ringen, doch schliesslich obsiegte seine Neugier, denn wie alle Leute aus der Gegend lockte ihn Geheimnisvolles und er nickte.
Er liess zwei Würfel in den Becher fallen. „Wir spielen um dein Leben. Aussteigen kannst du, doch das würde dasselbe bedeuten wie verlieren.“ Sichtbar rang der Fischer nach Luft. Er aber schlürfte genüsslich an seinem Caipirinha. Der Fischer konnte nicht mehr zurück. Nun breitete sich wirklich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
„Beginnen wir.“
Die Angst des Fischers wurde grösser, seine Augen schreckensstarr.
„Höhere Zahl, gewonnen. Tiefere Zahl, verloren. Fünf Spiele.“
Der Fischer konnte nur nicken.
„Mein Wurf, dann du.“
Er schüttelte den Würfelbecher, die Würfel klapperten fröhlich. Dann klatschte er ihn mit einem lauten Knall auf den Tisch. Der Fischer zuckte zusammen. Langsam hob er den Becher an. Der Fischer klammerte sich an seiner Stuhllehne fest.
„Sechs, Fünf. Jetzt bist du dran!“
Der Fischer liess die Stuhllehne los, zögernd, als würde er, liesse er die Lehne los, in ein tiefes Loch stürzen. Er griff vorsichtig nach dem Becher. Schluckte.
Auch er schüttelte den Becher, setzte ihn dann vorsichtig ab. Seine Hand verweilte auf dem Becher. Nur langsam hob er ihn an.
Sechs, Eins.
Ein mitleidiges Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Eins zu Null.“
Wieder war er dran. Diesmal verlor er.
Das dritte Spiel gewann er, das vierte der Fischer.
Der Fischer war kalkweiss im Gesicht. Er griff nach dem Glas und trank den Alkohol in einem Zug aus. Auch sein Herausforderer war nun etwas beunruhigt. Aber äusserlich liess er sich nichts anmerken.
„Letzte Runde.“
Er griff nach dem Würfelbecher und schüttelte ihn. Das Klappern der Würfel erschien unnatürlich laut, wohingegen alles andere leise war. Die Augen des Fischers fixierten den Becher.
Wieder knallte er den Becher auf den Tisch, wieder zuckte der Fischer zusammen.
Er hob den Becher an.
„Vier, drei.“
Es wurde knapp. Der Fischer griff abwesend nach dem Becher. Vielleicht würde er gewinnen…
Die Würfel klapperten, berührten die Hand des Fischers.
Er befeuchtete seine trockenen Lippen nervös.
Der Fischer stellte den Becher ab.
Hob ihn an.
Stille.
Die Würfel lagen auf dem Tisch. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Vier, zwei. Er hatte wieder einmal gewonnen. Der Fischer schrie auf und stürzte vom Tisch. Langsam stand er auf und folgte dem Fischer. Dieser rannte blind auf das Meer zu und lief in die Wellen. Die Schaumkronen machten erschrocken Platz.
Der Fischer lief immer weiter, bis er schwimmen musste. Und dann schwamm er, seine Kleidung aber zog ihn hinunter in die Tiefen des Wassers. Um Hilfe rufend ruderte der Fischer verzweifelt mit den Händen. Doch er machte keine Anstalten, ihm zu helfen. Genüsslich betrachtete er den Ertrinkenden.
Bald war wieder dieselbe Ruhe wie vor dem Spiel da. Die Nähmaschinen ratterten von weit her, Autos holperten über unebene Strassen und die Möwen schrieen ihr Klaglied. Er aber lächelte und ging zurück. Morgen würde wieder jemand vorbeikommen.