Das Tier
Das Tier
Es ist wahrhaft ein seltsames Tier, doch wie könnte ich ohne es leben?
Es gehört mir jedoch keineswegs, wie es überhaupt niemandem gehört, vielmehr gehöre ich ihm, wenn es denn mal wieder bei mir zu Besuch ist und wir mit jedem Tag, mit jeder Nacht vertrauter werden. Wie lange jene Besuche dauern ist schwer zu sagen; manchmal verschwindet das Tier bereits nach einem Tag, und eine Woche später kann ich schon gar nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob es überhaupt wirklich dagewesen war.
Es kann jedoch auch vorkommen, dass es Monate, manchmal sogar Jahre bei mir bleibt und ich einen Abschied schon fast nicht mehr für möglich halte; dann beweist es mir aufs Neue wie unberechenbar und grausam es ist: Ich wache auf, rufe es, als ich sehe, dass es sich nicht in meinem Zimmer (das unseres geworden ist) aufhält; erschrecke, als es nicht kommt, rufe lauter, springe auf, wie ein wildes Tier renne ich durch die Wohnung – „es ist weg, es ist weg“, so schießt es mir durch den Kopf, und ein Traum, den ich schon fast für Realität glaubte halten zu dürfen, zerbricht und Leere, so kalt wie eine Nacht im tiefsten Winter, hält Einzug.
Das Tier draußen zu suchen ist sinnlos, und dennoch tut man es, obwohl die Tatsache, dass man es nicht findet, schmerzt wie ein stumpfes Messer, das sich langsam und beständig tief im Innern des Herzens dreht und dreht und dreht. Doch das vergebliche Suchen hat auch seine positiven Seiten; mehr noch, es muss sein, denn die folgende unvermeidliche Ernüchterung ist die einzig wahre Bedingung der Möglichkeit, gefunden zu werden. Denn das kann sehr wohl geschehen, während das Suchen stets vergebens ist. (Hin und wieder sieht man zwar ein Tier aus weiter Ferne, meint manchmal auch, es wäre das Gesuchte, doch das Näherkommen, ein genaueres Beäugen zerstört die Hoffnung, die eigentlich nie wirklich existiert hat.)
Es geschieht stets unerwartet, wenn ich von dem Tier wiedergefunden werde – doch was heißt gefunden? Hat es mich überhaupt gesucht oder ist es mir nur zufällig über den Weg gelaufen? Fragen dieser Art zu klären ist wohl unmöglich; vielleicht würde man an solchen Überlegungen sogar zugrunde gehen.
Jedenfalls ist es plötzlich da; ich versuche zunächst, es gar nicht zu beachten, obwohl ich merke, wie mein Herz schneller pocht und meine Gedanken Wege einschlagen, die ich schon für längst verschüttet gehalten habe – die Angst vor einer erneuten Enttäuschung (die größer als alle bisherigen wäre) umgibt mich wie eine hohe Mauer.
Vorsichtig, aus den Augenwinkeln (es soll nichts bemerken) betrachte ich das mich begleitende Tier: Es hat sich verändert, das ist gut, dennoch erkenne ich es; sein Auftreten ist ein anderes, und doch bin ich mir sicher, denn es umfängt mich ja schon, es ist ja schon zu einem Teil von mir geworden.