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Das Ufo

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09.09.2004
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Das Ufo

Das UFO


Olli wollte mir im Park eine Stelle zeigen, wo angeblich giftige Knollenblätterpilze wuchsen. Es war einer der letzten sonnigen Tage im Frühherbst. Die Woche zuvor hatte es Bindfäden gepisst. Ergo war es die ideale Zeit zum Pilze sammeln und auf berauschend qualvolle Weise Selbstmord zu verüben.
Dito war es ein passabler Tag zum Rumgammeln, einen relaxten Nachmittag zu genießen & sich die vielleicht letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf den Wanst brennen zu lassen. Zumindest sollten es die letzten warmen Sonnenstrahlen für uns werden. Warum also nicht das Angenehme mit dem Nutzlosen verbinden? (Natürlich nicht ohne eine dem würdigen Anlass gebührende Bedröhnung. Zu diesem Zweck hatten wir 3 Liter-Pullen Rotwein und eine angemessene Menge Gras im Gepäck.)
Vom Zentrum des Stadtviertels latschten wir die lange Ameisenstraße hoch bis zur Ecke Termitenburgstraße. Dann das kurze Ende der Termitenburgtraße runter, wo sie abrupt endete und in den Parkweg zum Wasserläuferbach mündete, der nur für Fußgänger und Radfahrer erlaubt war. Links vom Weg lagen Spielplätze, auf denen sich reichlich Bälger mit ihren tratschenden Müttern tummelten. Rechts von uns weitläufige Rasenflächen, braun getupft mit Maulwurfshügeln und Köterscheiße.
Ein kurzes Stück vor uns bemerkten wir eine schlanke, etwa 40-jährige Frau – sie sah eigentlich ganz normal aus: Bluejeans, olivgrünes Sweat-Shirt, adrette Frisur, hochhackige, elegante Schuhe –, die ständig hin- und hertänzelte, etwa 5 Meter vor, dann wieder zurück. Auf und ab kickten ihre zuckelnden Knie, in seltsam abgehackten, irgendwie grandiosen und ganz & gar nicht geschmeidigen Bewegungen. Wie der makabere Tanz eines Skeletts im Horrorfilm.
Sie trug keinen Walkman, und es war auch sonst keinerlei Begleitmusik zu hören. Und wie besessen zog sie beim Tänzeln an ihrer Zigarette, nicht etwa wie man eine Tüte raucht, in langen tiefen Zügen; sondern sie hyperventilierte den Rauch, während sie die Kippe zwischen zwei Fingerspitzen an ihren Mund hielt: Saugte ihn sich hinein. Setzte kurz ab. Pustete ihn stoßartig hinaus. Setzte schnell wieder an und zog erneut. Im Akkord. Wie eine geisteskranke Dampfmaschine. Ihre schmalen Wangen kollabierten bei jedem Zug. Flappten nach innen, gerade so, als würde die Zigarette an ihr ziehen. Ihr Mund lächelte dabei immer wieder affektiert. Schmallippig hysterisch entstellt. Ihr Teint war wächsern, fast transsparent; und der Blick ihrer Augen war leer und stumpf und trostlos. Ihre Pupillen wie winzige Schwarze Löcher.
„Schau mal, wie die unterwegs ist“, bemerkte Olli. „Auf was die wohl drauf ist?“
„Auf nix, was es zu kaufen gibt, Alter“, sagte ich. „Das sind nur ihre körpereigenen Drüsensäfte, auf denen die drauf ist. Glaub mir, ich kenn das ..., letztes Jahr, als ich so richtig gut gelaunt war, wollte ich mich mal wieder vor nen Mähdrescher stürzen, aber anstatt dem Mähdrescher haben mich die Bullen erwischt, und ich landete für drei Tage in der Klapse, zur ‚Beobachtung‘. Dort hab ich etliche Bräute gesehn, die so drauf waren. Glaub mir ich kenn den Typ.“
„Aha. Wie das wohl ist, so ne Verrückte zu pimpern?“
„Vom Allerfeinsten! Als hättest du nen kalten, toten Fisch im Bett! Es gibt nix Besseres! Glaub mir, ich hab die drei Tage in der Klapse gut genutzt, wo doch so viele von den Fotzen über Nacht in ihren Betten festgeschnallt wurden. Mann, jetzt guck dir doch bloß mal die Augen dieser Braut an. Was toteres gibt es gar nicht. Nicht in einem Körper, der noch lebendig ist.“
„Nach richtig gutem Sex ist mir heute aber gar nicht zumute“, beendete Olli das Thema lakonisch.
Der Platz, den wir auswählten, war eine von hohen Laubbäumen umsäumte Anhöhe, die erfahrungsgemäß mit weniger Köterscheiße bepflastert war als der komplette Rest des Parks. Darüber hinaus hatten wir die gesamte Anlage im Überblick, während niemand uns beim Fabrizieren eines Joints oder beim Picheln beobachten konnte – oder später, wenn wir uns ein schmackhaftes Pilzgericht genehmigen würden. Wir pflanzten uns also auf eine halbwegs trockene Parkbank. Denn wenn es erstmal geregnet hatte, dauerte es gewöhnlich einige Tage, bevor man sich auf diesen Holzbänken keinen nassen Arsch mehr holte. Und es gab nichts Blöderes als einen berauschend qualvollen Tod mit einem nassen Arsch. Der nasse Arsch war wirklich eine äußerst unwillkommene und lästige Ablenkung, wenn man sich in wilden konvulsivischen Zuckungen und Krämpfen wand.
„Apropos Arsch!“ fiel Olli dazu ein. „Ist dir schon mal die neue Bedienung im ‚Simplicissimus‘aufgefallen? Ich find, die hat den geilsten Arsch, den ich je gesehn hab.“
„Hmm, hmm.“ Ich nickte nur zustimmend. Eigentlich fand ich, dass ihr Arsch ewas zu flach im Profil und viel zu breit in der Totalen war, wollte deswegen aber keinen Disput aufkommen lassen. Olli stand nun mal mehr auf den fülligen Typ; das war für mich schon ein alter Hut. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Olli das Thema Sex gerade eben noch für erledigt erklärt hatte. Schließlich wollten wir uns ja – wie gesagt – vorerst einen relaxten Nachmittag machen.
„Neulich sitz ich im Simpli hinter der langen Theke“, fuhr Olli fort, „und seh ihr zu, wie sie das gute Stück beim Gäste-Bedienen so hin und her schlenkert. Und stell dir vor, da wächst mir so ein Mords-Rohr, dass es mir fast schon zum Hosenbund rausschwillt ...“
„Und? Was hast du gemacht?“
„Na, ich hab mir unterm Tresen tierisch einen runtergejuckelt. Ich hab so gespritzt, mir sind die ganzen Eingeweide durch die Bauchdecke rausgeplatzt. Und meine beiden Augäpfel sind dabei rausgequollen und in mein Bierglas geplumpst.“
„Und? Hat sie es gecheckt?“
„Ich glaub schon. Die übrigen Gäste haben mich schließlich die ganze Zeit über wild angefeuert. Und als ich endlich fertig war, haben sie applaudiert. Es gab standing ovations! Und nachdem ich meinen ganzen körperlichen Kram wieder dorthin zurückgestopft hatte, wo er hingehört, konnte ich sehen, wie sie mich mit ängstlichen großen Kuhaugen anglotzte; und beim Bedienen sind ihr einige Bierhumpen übergeschwappt. Ich glaub, sie war ein bisschen zittrig. Das war fast so, als wärs uns gemeinsam gekommen. Jedenfalls war Ricardo nicht da, und so hat sie sich nix zu sagen getraut.“
Ricardo war der Inhaber und Wirt des „Simplicissimus“. Ein geldgieriger, schmieriger Südländer, der grundsätzlich alle seine Bedienungen mit dem Beil zerhackte, um ihre Mösen aufzufressen. (Sein Gesicht sah selber aus wie eine überdimensionale Möse – mit einem riesigen, wild wuchernden, schwarzen Zottelbär.) Ein kiffender, koksender, Geld scheffelnder, Bedienungen zerhackender, schmieriger Südländer, der an seine Gäste aber die höchsten moralischen Ansprüche stellte, was den Konsum harter wie weicher Drogen oder das Zerhacken seiner Bedienungen (sowie das Verschnabulieren ihrer Mösen) anbelangte. Soviel Selbstdisziplin, wie er sie von seinen Gästen abverlangte, brachte er selbst nur auf, wenn es darum ging, Letztere bei der Rechnung übers Ohr zu hauen. Ein Kotzbrocken, wie er im Buche stand, dieser Ricardo, und ein guter Grund, dort regelmäßig einzukehren ...
Olli hatte die 1.Tüte fertig gebaut und zündete sie an. Währenddessen drückte ich mit meinem Daumen den Korken der 1.Weinflasche in deren Hals. Der rote Nektar spritzte ringsum auf das grüne Gras. Ich setzte die Flasche senkrecht an und ließ etwa ein Viertel des Inhalts in mich hineinblubbern. Ahhh. Der erste Schluck war doch immer der beste. Dann tauschten wir Weinflasche und Joint.
„Wenn du weiter so pichelst, müssen wir bald Nachschub holen“, sagte Olli.
Ich ging nicht näher darauf ein: „Wenn das dein letztes großes Sex-Abenteuer war“, sagte ich, „dann solltest du erst mal hören, was mir passiert ist.“
„Wieso? War dein letztes Erlebnis etwa noch deprimierender?“
„Kann man wohl sagen.“
„Erzähl!“
„Ist ne längere Geschichte.“
„Egal. Der Nachmittag ist noch lang. Die Pilze laufen uns nicht weg.“
Ich zögerte. Einerseits war mir die Angelegenheit peinlich, andererseits brannte sie mir schon seit Tagen auf der Seele. Olli wäre wohl nicht gerade meine allererste Wahl als Ansprechpartner und Beichtvater gewesen. Aber wenn alles so laufen würde, wie wir es geplant hatten, war er meine letzte Gelegenheit, diese Scheiße loszuwerden. Psycho-Müll konnte genau so ein Wermutstropfen sein wie ein nasser Arsch, wenn schön langsam die Lähmung der Lungen einsetzte und endlose Minuten dauernde Herzkrämpfe einem den Brustkorb zusammenschnürten.
„Ich hab letzte Woche meine Jugendliebe wiedergetroffen“, sagte ich schließlich – so, nun war es heraus – „die Liebe meines Lebens, falls du verstehst, was ich meine. Wir hatten uns seit siebzehn Jahren nicht mehr gesehn ...“
„Ach, du heilige Scheiße! Das hört sich aber herrlich qualvoll an!“
„Wars aber nicht. Es war deprimierend. Übrigens war sie Radikalfeministin.“
„Eine Radikalfeministin? Und die hast du vor siebzehn Jahren sausen lassen? Ja, bist du denn total belämmert? Mit der hättest du alt werden können, und das wär für dich eine viel herrlichere Qual geworden und ein viel langsameres, grausigeres Sterben als jetzt diese Knollies reinzudrücken!“
Nun, ich hatte ja gewusst, dass Olli es nicht verstehen würde.
„Ist dir schon aufgefallen, dass Olli sich auf Knolli reimt?“ fragte Olli.
„Verstehst du denn nicht, dass ich sie geliebt habe? Jeden einzelnen Fleck an ihrem Körper, jeden Zentimeter, jeden einzelnen Charakterzug, jede kleinste Eigenart?“
„Na, bestens! Umso qualvoller!“
„Eben nicht! Das waren die allergrößten Höhepunkte sexuellen Glücks, die wir zusammen hatten! Wir konnten kaum eine Minute voneinander lassen! ... Dadurch entstand für mich ein Interessenkonflikt. Eine Dilemma-Situation. Unvereinbar. Ich musste mich trennen ...“
„Na ja, was ist jetzt eigentlich letzte Woche passiert?“ Olli fragte beiläufig, machte dabei ein gelangweiltes Gesicht und begann sehnsüchtig in Richtung des kleinen Fichtenhains zu schielen, wo angeblich die Knollies wuchsen – die von der weißen Sorte mit der langsameren Wirkzeit.
Ich köpfte die 2. Weinflasche, setzte sie an.
„Wenn du jetzt soviel säufst“, sagte Olli „kriegst du nachher nur die Hälfte mit. Du solltest lieber mehr kiffen, das intensiviert und steigert die Erfahrung.“
Ich ging nicht näher darauf ein.
„Jedenfalls haben wir uns letzte Woche wiedergetroffen.“ erzählte ich weiter. „Es war zuerst wie in alten Zeiten. Ich bin schließlich mit zu ihr gegangen. Und genau wie in alten Zeiten haben wir uns gegenseitig zärtlich und wild zugleich entblättert. Dann kam der große Schock.“
„Was war los? Hat sie sich umwandeln lassen?“
„Nein. Viel schlimmer. Ihre Schläuche hingen runter bis zum Bauchnabel. Und ihre Brustwarzen erst! Früher waren es kleine rosa Knospen gewesen. Aber jetzt waren sie riesengroß und bräunlich. Eine Brustwarze machte praktisch die ganze Brust aus, weil die Warze nicht mehr klar umgrenzt war. Ein völlig fließender Übergang zwischen Warzenhaut und normaler Haut. Brrrrr. Und dann ihr Bauch: ein einziger Lappen! – Ich glaub, sie hat mittlerweile zwei- bis dreimal gekalbt. Ist in ihrer Mutterrolle völlig aufgegangen. Da war auch nix mehr mit Radikalfeminismus. – Und ihre Fotzenhaare erst! Einstmals ein lieblicher Bär. Aber jetzt mit grauen Strähnen drin und ineinander verknotet wie Ricardos Bart. Mit Klabusterbeeren, die darin baumelten wie reife Äpfel! Ich will für den Rest meines Lebens nicht erfahren, von welch stofflicher Beschaffenheit diese Klabusterbeeren waren ... Na ja, das Ende vom Lied war jedenfalls, dass wir uns gegenseitig vor unseren gealterten Körpern geekelt haben. Bin ja selber in den letzten Jahren ein ganz schöner Fettsack geworden. Ich hab mich dann angezogen, bin gegangen, und das wars.“
„War gar keine so lange Geschichte.“
„Mir kommt sie lange vor, weil sie inhaltlich schwerer für mich wiegt.“
„Häh?“
„Na ja, ich hab eben meinen Glauben verloren an die Liebe zwischen Mann und Frau ...“
„Wirst du jetzt schwul?“
„Quatsch, ich red nicht vom Ficken! Ich red vom Glauben! Das Leben erscheint mir jetzt plötzlich so sinnlos und leer ...“
„Dass es dir schon wieder lebenswert erscheint?!“
„Nun, ... ja ...“
„Na, und damit rückst du jetzt raus.“ Olli schüttelte den Kopf, krustelte in seiner Hosentasche rum und begann eine 2. Tüte zu bauen. Ich hielt mich weiter an den Rotwein.
„Soll das jetzt heißen, dass du nen Rückzieher ...“, setzte Olli an, aber weiter kam er nicht, denn im selben Moment hörten wir auf dem kleinen Pfad hinter uns das Staccato eines vertrauten Tripel-di-trappel und wandten uns gleichzeitig um.
Da kam doch tatsächlich die weggeschossene Alte von vorhin angetänzelt. Nur hatte sich etwas verändert: sie rauchte nicht mehr, und sie lächelte nicht mehr, ihr Blick war starr nach oben, gen Himmel gerichtet, und dieser Blick schien erstaunlich, ja fast beängstigend klar und wach und lebendig präsent, als wäre er aus dem Reich der Toten wiedergekehrt. Dasselbe galt für ihre mittlerweile gesunde Gesichtstönung.
„Schau an, da kommt ja unsere gute, alte Disco-Helene.“ sagte ich, eigentlich nur, um meinen ersten Schrecken und meine Verlegenheit zu überspielen.
„Und sie sucht offenbar nach Baumpilzen.“ fügte Olli hinzu. „Auf den Bäumen da oben wachsen keine Knollies, Disco-Helene!“
Die Frau erblickte uns erst jetzt, schaute uns nacheinander in die Augen. „Von wegen Baumpilze!“ sagte sie dann. Auch ihre Stimme, die wir jetzt zum 1. Mal hörten, klang erschreckend hell und klar und intelligent, und ich würde sogar sagen: ausgesprochen sexy!
Abrupt stoppte sie das Tänzeln und näherte sich unserer Bank mit eleganten, wiegenden Schritten und in fließenden Bewegungen, trotz der spitzen Stöckelschuhe auf dem holprigen Grasboden.
„Na, Jungs, was würdet ihr wohl sagen, was das dort oben ist?“ Sie deutete mit ihrem Finger auf einen bestimmten Himmelsabschnitt.
Ich blickte nach oben, suchte und fand – nichts. Nur weiße Kumulus-Wolken, angeordnet wie Schaum brechender Wellen, dahinter ozeanisch tiefe Himmelsbläue im Pastellton.
„Ich seh nix“, sagte Olli.
„Ich auch nicht“, sagte ich.
„Schaut genau hin“, sagte die frisch gebackene Sexbombe. „Genau zwischen diesen beiden Wolken. Die linke sieht aus wie ein Mund, der einen unsichtbaren Schwanz bläst, die rechte wie ein Tausendfüßer. Die kleine, silbrig glitzernde Scheibe in der Mitte dort
„Jetzt seh ichs auch“, sagte Olli.
„Ich auch“, sagte ich.
„Was ist das?“ fragte Olli.
„Weiß nicht“, sagte ich.
„Das ist kein Hubschrauber und kein Flugzeug“, sagte Olli.
„Kein Ballon, kein Zeppelin, kein Satelit und auch kein geflügelter Wirbler“, setzte ich seine Ansage fort.
„Guck mal, jetzt bewegt es sich! – Mann, hast du das gesehn?“
„Ich habs gesehn. Es ist mit einem Zick-Zack vom westlichen an den östlichen Himmel gesprungen. Mindestens achtzig Kilometer. Einfach so, wie ein Grashüpfer. Hast du dasselbe gesehn?“
„Jawohl, ich habs genau gesehn!“
„Das gibt’s nicht! Kein Ding auf dem ganzen verdammten Planeten bewegt sich so schnell! Weder zu Lande, zu Wasser und schon gar nicht in der Luft!“
„Ein Ufo! Es gibt sie also wirklich!“
„Ich war dort oben bei denen“, unterbrach die Frau unsere Betrachtungen.
„Was?“ – Das kam gleichzeitig aus unserer beider Munde.
„Ich war oben bei denen, ich hab mit ihnen gesprochen. Sie haben mich geheilt.“
„Geheilt? Ach so, na ja. Aber was sind denn das für Kerle?“ fragte ich.
„Sie nennen sich Menschen. Ihre genaue Bezeichnung ist, glaub ich, Homo sapiens. Ich war die letzten drei Tage bei ihnen. Bin grade wieder zurück. Sie haben mich vom Rot des Abends trinken lassen.“
„Ich trink lieber vom Rot des Weines“, sagte ich und setzte die Flasche an. Hinter ihrem Rücken zwinkerte Olli mir zu und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Ich holte nach dem Schlucken nochmal Luft, dann sagte ich: „Wir haben dich doch erst vor ner knappen Stunde dort unten gesehn.“
„Ich war auch nur zwanzig Minuten weg.“ sagte die Frau. „Diese Wesen stammen aus einem anderen Zeit-Kontinuum. Und sie haben eine Blase dieses Kontinuums auf ihrem Schiff erzeugt. So konnten sie überhaupt erst hierher kommen, den weiten Weg durchs All.“
„Hmm, hmm“, machten Olli und ich.
„Wie dem auch sei“, sagte sie, „ich verlass euch jetzt mal. Mir egal, was ihr glaubt. Breche auf in mein neues Leben. Nur eins noch:“ – an Olli gewandt – „da du von Baumpilzen redest. Habt ihr gewusst, dass hier im Park wilde Champignons wachsen?“
„Wilde Champignons?“ fragte Olli. „Wo denn?“
„Gleich dahinten unter dem kleinen Fichtenhain. Ich hab sie alle gepflückt und aufgegessen.“
„Uups“, machte Olli.
„‘Uups‘? Warum machst du ‚Uups‘?“
„Nichts weiter. Ich dachte nur, so ne Menge Pilze können ganz schön auf den Magen schlagen.“
„Pah, die paar Pilze! Nach all den Medikamenten, die ich hab schlucken müssen, hab ich jetzt nen Magen wie ne Wanderheuschrecke. Aber all das ist ja jetzt vorbei. Für immer.“
„Nen schönen Abend noch“, sagte ich.
„Tschau, ihr zwei Hüschen!“
Sie ging.
„Scheiße wars“, sagte Olli, „jetzt müssen wir den nächsten Regen abwarten. So schnell wachsen die nicht nach.“
„Ich lass es in mich hineinregnen“, sagte ich, köpfte die dritte Weinflasche, setzte sie an. Es machte: ork, ork, ork.
„Was machen wir denn jetzt?“
Ich überlegte, während ich weiter trank.
„Wir könnten ins Simpli gehen.“ schlug ich vor. „Vielleicht ist Ricardo nicht da, und wir könnten die neue Bedienung verhackstücken und uns ihre Möse teilen.“
Olli stampfte plötzlich mehrmals heftig mit dem Fuß auf.
„He, wasn los?“
„Ach, bloß wieder eins dieser komischen Säugetiere! Jetzt ist es platt.“
„Jetzt nenn doch die Säugetiere, überhaupt die ganzen Wirbeltiere, nicht komisch!“ belehrte ich Olli. „Sie sind die Nahrungsgrundlage für unser globales Öko-System! Ohne die gäbs unsere ganze Zivilisation nicht!“ Ich warf die leere Flasche hinter mich auf den Rasen.
„Und wenn schon. Trotzdem sind sie lästig. Wie die überall rumwuseln. Wie im Zeitraffer.“
„Lass uns abhaun“, sagte ich.
Jetzt hatten wir kein Gepäck mehr und waren viel leichter. Wir spreizten unsere hauchdünnen Flügel, ließen sie vibrieren im Abendwind und hoben ab.

09. 03

 

Hi Hagen,

freut mich, wieder von Dir zu hören, bzw. zu lesen.

Warum sollte "Splatty" mich ärgern? :confused: Ich bin doch nicht Pierre Brice, der sich weinend die Uraufführung von "Der Schuh des Manitou" anschaut.

Ich muss Dir in einem Punkt widersprechen: Ich finde schon, dass Du einen eigenen Schreibstil aufzuweisen hast. Bei den Dingen, die wir tun, sind es oft die Kleinigkeiten, auf die wir selber gar nicht weiter achten und für selbstverständlich halten, die unsere Einzigartigkeit ausmachen. Und oft ist es einfacher diese Einzigartigkeit in der Schreibe anderer Autoren zu erkennen. als sich selber dahingehend zu beurteilen. Also, stell mal Dein eigenes Licht nicht so unter den Scheffel.

In diesem Sinne: Frohes Weiterschaffen.

Gruß. Splat :D

 

Warum sollte "Splatty" mich ärgern?

Ja, warum? War ja auch nicht dazu gedacht! Old Splatterhand (Pierre Brice hätte hier wohl auch geweint) ist halt recht lang, da musste einfach ein Spitzname her . (Punkt! ;) )

Und wo wir grade über Schreibstile diskutieren:

Bei den Dingen, die wir tun, sind es oft die Kleinigkeiten, auf die wir selber gar nicht weiter achten und für selbstverständlich halten, die unsere Einzigartigkeit ausmachen.

Splatty, ein hervorragender Ausspruch, mein Respekt. Kann mich dem nur anschließen. Und Du bezeichnest Dich als "nicht besonders intellektuell".
Hiermit von mir: stell auch Du hier dein Licht ma nicht so unters Sofa ...

Erwarte also demnächst auch mal eine schöngeistige Geschichte von Dir ...(ja, die Punkte ...:D )

So, und um nicht völlig offtopic zu sein:
Auch wenn Suizid verboten ist, ist das keine Erklärung dafür

1)das man für den Versuch in die Klapse anstatt den Knast kommt

2)das Dein Prot so Sachen sagt wie "Und es gab nichts Blöderes als einen berauschend qualvollen Tod mit einem nassen Arsch." Das impliziert, dass er die Erfahrung schonmal gemacht hätte, und ist mMn immer noch verwirrend.

Schoene Gruesse,
Charousek

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallöchen Charousek,

allmählich machst Du mir echt Spaß, aber jetzt mal Spaß beiseite und zurück zum Thema:

Wieder mal wegen der Logik: Wenn Du hierzulande (natürlich verbotenerweise) bei einen Suizid-Versuch von der Polizei erwischt wirst, landest Du sofort in einer geschlossenen Abteilung der Psychiatrie.
Besser, Du gehst dann freiwillig mit, denn falls die Bullen dann (z.B. mitten in der Nacht) einen Amtsrichter bemühen müssen, drückt der Dir eine längere Zeit in der Geschlossenen auf. 3 Tage zum Selbstschutz und zur Beobachtung in der Geschlossenen sind die normale Folge eines misslungenen Selbstmordversuchs - und nicht Knastaufenthalt! Von ner Srafanzeige wird gewöhnlich abgesehen, wenn Du keine anderen Personen gefährdet hast. - Ich weiß das zufällig ganz genau, weil ich selber Pflegefachkraft bin. Diese Vorgehensweise hab ich glatt auf diesen Parallel-Planeten übertragen. Da seh ich noch keinen logischen Bruch.

Jetzt erlaubt mir mein Bekenntnis zum Beruf einen kurzen Schwenk zum Thema "intellektuell". Ich habe keinen familiären bildungsbürgerlichen Hintergrund und sehe mich auch jetzt als Arbeiter. Mein Berufsalltag lässt mich die Realität von ihrer harten, krassen und völlig unromantischen Seite erleben. Natürlich kann das auch sehr inspirierend sein, aber was Schöngeistiges kommt dabei nicht raus. Meine Bemühungen gehen daher eher in die Richtung, möglichst authentisch zu sein.

Dann noch die Sache mit dem "nassen Arsch" und dem "Psych-Müll", welche einen von nem herrlich qualvollem Tod ablenken. Klar, haste Recht. Ist vielleicht nicht 100%ig logisch und vielleicht sogar verwirrend. Aber manchmal, wenn ich mitten in einer Story stecke und eine Pointe sich spontan anbietet, lass ich mich auch einfach hinreißen. Entscheidend war für mich, dass die bd. Prot. sich mit Suizid so gut auskennen wie andere Leute z. B. mit dem Aufbröseln von Haschisch. - War vielleicht in der Form dilettantisch, zugegeben.

Überhaupt halte ich "Das Ufo" eigentlich für eine meiner schwächeren Absonderungen, freue mich natürlich trotzdem, Leute wie dich u. A. näher kennenzulernen bei dieser Gelegenheit und im Anhang dieses Textes. Macht richtig Laune! Trotzdem bleibt mein Ärger darüber bestehen, dass sich zu dem Text "Muttersöhnchen" (mein 2. posting. "Das Ufo" ist mein 3.) noch keine Sau geäußert hat. 0 Antworten, nur 1e von Uwe Post, dass er die Story, auf meinen Wunsch, von "Seltsam" nach "Satire" verschoben hat.

Unterhalten wir uns doch lieber an o.g. Stelle weiter, oder, wenn ich mal dazu komm, eine Deiner Stories zu kritisieren. (Hab leider wie o. erw. wenig Zeit. Aber ich komm garantiert dazu.) Über die "kleinen" Schwächen in der Story "Das Ufo" rumzudiskutieren, langweilt mich allmählich ein Bisschen.

Hoffe, wir hören weiterhin voneinander.

Gruß: Splat

 

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