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Dasselbe Spiel

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20.10.2002
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Dasselbe Spiel

Sie kochte vor Wut. Was bildete er sich eigentlich ein? Jahrelang hatte sie für ihn geputzt, gekocht, gewaschen, sich um ihn gekümmert, alles über sich ergehen lassen. Anscheinend glaubte er, sie sei seine Leibeigene. Versoffenes Schwein! Heftig schlug sie die Wohnungstür hinter sich zu, stolperte über die alten Holztreppen nach unten. Den ewig sauren Geruch des modrigen Treppenhauses nahm sie kaum wahr. Vorbei an überquellenden Müllsäcken und Briefkästen. Sie drückte sich, ohne darüber nachzudenken, an die Haustüre des mehrstöckigen Plattenbaus und entschlüpfte auf die graue, regennasse Straße. In ihrer überstürzten Reaktion hatte sie vergessen, ihre Hausschuhe gegen die Stiefel zu tauschen, und schon nach ein paar eiligen Schritten waren die warmen Lammfellpantoffeln mit schmutzigem, öligem Wasser getränkt. Fluchend lief sie die Straße entlang, ignorierte die Menschentrauben, die ihr entgegenkamen und sie neugierig musterten. Nach wenigen Minuten hing das sonst sorgfältig aufgesteckte Haar in lockigen Strähnen über Stirn und Schultern. Scheiße! Dabei hatte der heutige Tag doch eigentlich ganz gut angefangen... Sie blieb einen Moment stehen, holte Luft, strich sich die Haare aus dem Gesicht und blickte sich orientierend um. Ohne nachzudenken war sie zu dem nahen Park gelaufen, ihrer Zuflucht, wann immer sie Kummer hatte oder nicht weiter wusste.

Herbst war es auch damals gewesen, sie erinnerte sich genau, der vierundzwanzigste Oktober, als sie ebenfalls hierher gekommen war, sich auf eine der einfachen Holzbänke gesetzt hatte und ihrem Leben abgeschworen hatte. Im Gegensatz zu heute war damals allerdings ein wunderschöner Tag gewesen, die Luft noch mild, voll mit bunten Blättern, Sonnenstrahlen, einigen Spatzen. Viele Andere hatten das gute Wetter ausgenutzt und waren spazieren gegangen, hauptsächlich Familien mit kleinen Kindern, Jogger. Verliebte Pärchen (an dem Tag hatte sie ihnen allen die Pest an den Hals gewünscht) besetzten die gegenüberliegenden Bänke. Niemand hatte von ihr auch nur Notiz genommen, an diesem perfekten Tag, wie sie, zusammengekauert und voll wildem Entschluss, auf ihrer Bank gesessen war.

Niemand außer ihm.

Und dann ging es wieder bergauf... Warum eigentlich? Sie hatte Mut geschöpft, einen neuen Anfang gewagt. Verdammt, hätte sie sich doch damals schon von der Brücke gestürzt!
Mit jedem Kerl wieder das selbe Spiel, das sie doch immer verlor.
Verwirrt und erschöpft hing sie ihren Erinnerungen nach, Gedanken an einige glückliche Tage, Wochen, Monate. Zu der Zeit glaubte sie, das Leben neu entdeckt zu haben, die andere Seite kennen lernen zu dürfen, bis sie statt dessen nach und nach die bittere Wahrheit, das Selbst ihres „Retters“ kennen gelernt hatte. Und verblüfft stellte sie fest, dass es sie nicht einmal sonderlich überrascht hatte.

Der Regen hatte nun auch ihren rasch übergeworfenen Mantel durchdrungen, im kalten Wind begann sie zu zittern. Tränen der Verzweiflung suchten sich einen Weg über ihr von Kummer zerfurchtes, von Gewalt entstelltes Gesicht.

Ohne dich kann ich nicht leben! Verlass mich nicht, bitte. Ich werde dich nie wieder schlagen, ehrlich.
Falsche Versprechungen, Lügen, Tag um Tag, Woche um Woche.
Du musst mir noch eine Chance geben!
Wie viele Chancen noch?
Ich werde aufhören, ich versprech´s dir...
Wenn er mit dem Trinken aufhörte, dann nur, weil kein Schnaps mehr im Haus war.

Der Wind wurde schärfer, trieb ihr braun-matschige Ahornblätter ins Gesicht.

Bis auf einige Krähen, die durchs gelbe Gras stolzierten, kein Zeichen von Leben.

Die Tränen versiegten langsam. Und nun? Sie hatte den Schlussstrich gezogen, aber was kam jetzt? Der Nächste? Wohin sollte sie gehen? Doch die St.- Josefs - Brücke?

Langsam stand sie auf.

...

Zögernd betätigt sie, durchnässt und gebrochen, die Klingel ihrer Wohnung. Nichts rührt sich. Unsicher steht sie vor dem grauen, bedrohlichen Wohnblock, blickt hoffnungsvoll auf das schmierige Fenster im dritten Stock. Vielleicht hat er es ja wirklich ehrlich gemeint, diesmal...

 

Hallo Maus!

Willkommen auf kg.de! :)

Eine tolle Geschichte, die Du da als Einstand abgeliefert hast! :thumbsup:
Erst dachte ich ja schon, es würde in Selbstmord enden, wie so viele Geschichten... Aber dann war ich angenehm überrascht, daß Du hier ein wirklich gutes Bild von Abhängigkeiten geschaffen hast. - Weil niemand sonst sie beachtet, geht sie wieder zu ihm zurück. Eine gute Beobachtung!

Ein paar Kleinigkeiten, die Du mittels "Bearbeiten"-Button korrigieren kannst, habe ich gefunden:

der 24 Oktober
Zahlen bitte ausschreiben: der vierundzwanzigste Oktober
voll mit bunten Blättern, Sonnenstrahlen, einige Spatzen.
einigen Spatzen
Flasche Versprechungen
Falsche Versprechungen
Vielleicht hat er ja wirklich ehrlich gemeint, diesmal...
hat er es ja...

Liebe Grüße
Susi

 

Hi Susi, ernsthafte Frage:

Schreibt man Zahlen für gewöhnlich (natürlich auch nach Kontext, aber nach Faustformel eben) nicht nur bis zwölf aus?

 

Servus Maus!

Sehr eindrucksvoll hast du die Geschichte einer Frau rübergebracht, die sich ihre eigene Wertigkeit nicht bewusst machen kann. Abhängig ist von Anerkennung und doch nimmt sie keiner wahr. Außer ihm, der noch verlorener ist als sie, ihr "ich will ja, ich kann nicht - aber ich versuchs, für dich", vermittelt und eine Spirale erzeugt in der sie beide gefangen sind.
Ich finde den Text gut gelungen -

lieben Gruß schnee.eule

 

Schreibt man Zahlen für gewöhnlich (natürlich auch nach Kontext, aber nach Faustformel eben) nicht nur bis zwölf aus?
Ich kenne diese Regel für Briefe und offizielle Schriftstücke. Für Geschichten/Bücher gilt sie aber meines Wissens nach nicht - jedenfalls war es hier auf kg.de schon üblich, Zahlen auch über zwölf auszuschreiben, bevor ich gekommen bin...
Ich denke, sie auszuschreiben dient aber nicht nur der besseren Lesbarkeit sondern ist auch für die meisten Schreiber hier einfacher. - Denn es gibt auch Zahlenschreibregeln... ;)

 

Dann schreib mal bitte 12.946.728,873 aus. :baddevil:
Nein, im Ernst, ab 13 dürfen Zahlen durch Ziffern dargestellt werden.

Ugh

P.S. Sorry wegen dem off-topic.. :shy:

 

hallo Maus,

laß uns auf die Zahlen scheißen, ich habe ein andere Frage:
wie- sie war vor einem Jahr im Park und wollte sich da das Leben nehmen? indem sie von einer Brücke springt? im Park? ne Brücke? find ich komisch. gut gefallen hat mir daß du den letzten Absatz in der Gegenwart schreibst und die Prot ohne große Erklärungen zurückkehrt. so wie du geschrieben hast erkennt man das Warum selbst genau.
liebe Grüße, alex.

 

Hallo zusammen!

Vielen Dank für die nette Kritik. :shy:

@Häferl: vielen Dank für die Korrektur, was man selbst nicht alles übersieht...allerdings hatte ich auch diese Regel mit den Zahlen im Kopf (wie Batch Bota). Habs trotzdem mal geändert, Du kennst Dich da sicher besser aus. :)

@alexandra: es gibt auch Parks mit Brücken, ja. Aber die Brücke muss ja nicht unbedingt im Park sein, oder schließt Du das aus dem Text?

Freut mich total, dass euch die Geschichte gefallen hat.

schöne Grüße

Anne

 

Grüß Dich Maus! Gestatten, mein Name: Philo-Ratte! *tiefverneig* :D

Hach, da bin ich ja froh, dass ich hier als armer, kleiner Vierbeiner nicht mehr so alleine bin! :D Die ganzen anderen Ratten, die früher mal hier waren, haben sich nämlich schon nach schlappen 10-20 Postings nie mehr hier blicken lassen! :( Buuh!
Aber Mäuse sind da natürlich von einem ganz anderem Schlag, nicht wahr? Oder? Ja? ;)

Na, jetzt aber zur Geschichte: Ich kann mich meinen Vorrednern, besonders der schnee.eule, nur anschließen: Flüssig und eindringlich geschrieben, mit einer klaren, ernüchternden Aussage über die gegenseitige Abhängigkeit zweier Menschen.

Meiner Meinung geht es hier aber nicht nur um Ehrlichkeit oder Versprechungen. Es geht auch bereits um die bloße Fähigkeit der sich daraus ergebenden Verantwortung eines Menschen gegenüber sich selbst wie auch gegenüber anderen Menschen. Deshalb reicht es nicht, zu wissen, ob es einer wirklich ehrlich gemeint hat, sondern auch, ob dieser überhaupt auch nur fähig zu dieser Ehrlichkeit ist. Wie oft macht man sich bereits sich selbst gegenüber Versprechungen, die man eigentlich von vornherein gar nicht einlösen kann? Ehrlichkeit hin oder her. Spätestens in der Sucht verliert man nämlich ganz schnell seine Wertschätzung für einen Begriff wie die Ehre. Und warum sollte man dann noch ehrlich sein?


Gruß
Philo-Ratte

 

Hallo philo. Ratte!

Sind wir wirklich die einzigen? keine Kanalratten, Kirchenmäuse o.ä.? Ich bin überrascht....aber mit Dir ja trotzdem in guter Gesellschaft, oda? :D
Du hast Dir ja wirklich viele Gedanken zur Geschichte gemacht, und mit Deiner Interpretation (so wie auch die der Anderen) hast Du gut erkannt, worum es mir ging.

gute nacht, anne

 

Du bist ja eine wahre Vielschreiberin, Anne...
Den lobenden Worten meiner Vorredner kann ich mich nur anschließen. Du hast die Situation, in der die Frau sich befindet, gut vermittelt. Und sage keiner: "warum verlässt sie ihn nicht einfach?" So einfach ist das nicht. Ich kenne mindestens drei Frauen, denen es genau so geht wie Deiner Heldin. Seit Jahren.

Einzig mit dem Titel hadere ich ein wenig. Allerdings fällt mir auf Anhieb kein besserer ein.

Gruß
Bobo

 

Hallo Mausilein!
Da hab ich glatt deine erste Geschichte, die du hier gepostest hast, erwischt. ;)

Tja, was soll ich noch sagen? Die Geschichte ist dir sehr gut gelungen. Ruhiges Tempo, äußerlich ruhig, doch innerlich aufgewühlt. (verstehst du, was ich meine? :D)
Wie immer schöner Stil und die Begründung, dass die Prot. wieder zu ihm zurückgeht, hast du sehr schön fließend, wie ich finde, eingebracht. :)

bye und tschö

 

Hallo Bobo, hallo Moony!

Da habt ihr ja meine allererste wieder rausgekramt... :shy:

Vielen Dank für Eure gute Kritik, das hätte ich garnicht erwartet. ICh galube ich würde heute einiges anders schreiben, aber es freut mich natürlich, dass sie euch so gefallen hat. :)

Bobo: den Titel fand ich damals echt gut... aber aus jetziger Sicht hast Du damit recht... ich werd mal überlgen, ob mir was besseres einfällt und villeicht auch ncoh mla überarbeiten... Danke auf jeden Fall. :)

schöne Grüße an Euch
Anne

 

hilfe, Jo, das ist meine älteste!

Danke :shy:

Tja, keine Ahnung, warum so viele immer wieder zurückgehen ... villeicht Optimismus? ;)
Hat mich auf jeden Fall gefreut, danke fürs Lob.

schöne Grüße
Anne

 

Die Zerrissenheit kommt sehr gut rüber: gehen oder bleiben, leben bleiben oder sterben gehen?
Kann mich nur anschließen: tolles Debut!

 

Ich bin von der Geschichte vollkommen begeistert. Der Text liest sich flüssig, wie von selbst. Die Psychologie der Protagonistin, der Wahrheit angesichtig und doch unfähig, ihr Leben zu verändern, ist sehr gut dargestellt. Mehr habe ich nicht zu sagen, nur noch zwei Anmerkungen:

  • Was das Ausschreiben angeht, so kenne ich die Regel, alle (maximal) zweisilbigen Zahlen auszuschreiben. Also auch hundert, tausend. Doch selbst, wenn wenn das die "24" erlaubt hätte, liest sich vierundzwanzig ohne Probleme. Und der Wahrig gibt lediglich an: "Zahlen von 1 bis 12 werden meist in Buchstaben ausgeschrieben" (Ob darunter auch 2,71828182845904523536 fällt? Eine Frage für schnee.euler...). Also keine verbindliche Regel.
  • Und zum Titel: Ist nur ein Vorschlag, aber wie wäre es mit "Auszeit", "Das selbe Spiel" (kommt im Text vor) oder irgendetwas mit "Chance"?

 

Gleich vorab: Der Text hat mir nicht sonderlich gefallen.

Ich fand ihn zu sehr von Klischees durchtränkt, die ich einfach schon zu oft gehört oder gesehen habe. Hm, vielleicht bin ich schon zu abgestumpft dafür - wer weiss.

Flüssig lesen kann man ihn auf jeden Fall, stilistisch hab ich auch gar nichts auszusetzen - aber das macht für mich noch keine gute Geschichte aus.

Der Inhalt über eine Frau, die verprügelt wird und letztlich doch wieder zurückgeht, mag schon schlimm sein - keine Frage - aber rübergebracht hast du das für mich persönlich (für andere mag das anders sein) leider nicht - im Hinterkopf hatte ich dabei eben nicht Mitleid oder Sorge etc. sondern eher "war ja klar", "nächstes Klischee" etc.

Aber es war (damals) ja deine erste Geschichte und ich bin sicher, dass die jüngeren Sachen von dir besser sind :)

Liebe Grüsse
Mala

 

Hallo Claus, hallo Mala,

Claus, vielen Dank für Dein Lob. Es überrascht mich immer wieder, wie dieser erste Text immernoch so positive Kritik bekommt – und freut mich natürlich.

Habe den Titel in das selbe Spiel geändert. Du hast recht, es wirkt glatter.

Mala, ich kann nachvollziehen, was Du meinst. Nachdem ich einige Zeit auf kg. bin, habe ich mittlerweile ebenfalls extrem viele Text zu dem Thema gelesen. Das Ende allerdings wäre noch klischeehafter, würde sie sich umbringen: Selbstmord ist ein sehr beliebtes, sehr einfaches und billiges Ende. Wenn ich mich mit der Thematik erneut beschäftigen würde, wäre der Text mit Sicherheit anders. (ob besser, kann ich nicht beurteilen. ;) )

Vielen Dank Euch beiden – Anne

 

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