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Date mit Kimmy
Draußen explodierte das Leben, sangen die Vögel, strömten Menschen in Shorts und nach Sonnencreme duftend ins Freie. Die Bäume standen in voller Blüte, es waren die ersten Tage im Mai, außergewöhnlich heiß.
Gerhard Koch hatte anderes im Sinn. Er schloss die Tür, stellte den Arbeitskoffer unter die Garderobe und zog sein Sakko aus, hastig seine Schuhe, die Vorhänge zu. Zuviel Licht mochte er nicht, doch diesmal war Kimmy der Grund seiner Verdunklungsaktion.
Koch nahm eine Bierflasche aus dem Kühlschrank, öffnete es zischend mit einem Feuerzeug und nahm einen tiefen Schluck. Diese Kühle im Gaumen. Runterkommen. Den ewig gleichen Alltag hinter sich lassen. Ein kleines bisschen Leben spüren, war das zu viel verlangt?
Er war Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebs in der Innenstadt Hannovers. „Koch, Ihr Spirituosen-Experte, seit 1953“, prangerte in roter, wichtiger Schrift über dem Laden. Er mochte seinen Job nicht sonderlich, doch er kannte nichts anderes. Er duzte seine Stammkunden, er wusste, wer in der Gegend ein Doppelleben führte, ein normales als Anwalt, Hausfrau oder Lehrerin, ein anderes als Alkoholiker. Er kannte die Stadien, in denen einer war, er wusste, bei wem es zu spät war, und bei wem Hilfe noch etwas bewirken könnte. Doch das war nicht sein Job. Den Betrieb hatte er von seinem Vater übernommen. Der Job sicherte ihm ein sicheres Auskommen, ekelte ihn aber viel zu oft nur noch an. Auch ansonsten war Koch nicht gerade ein Lebenskünstler. Stundenlang verkroch er sich in seinem abgedunkelten Zimmer vor dem PC. Auf seinen Regalen stapelten sich DVDs und Computerspiele. Kaum Bücher. Ausflüge beschränkten sich im Wesentlichen auf gelegentliche Besuche bei seinen Eltern im Spessart und den Besuch der Kneipe im Erdgeschoss, in der er gelegentlich ein Bier trank. Bier verkaufte er nicht, Bier ging. Koch war nicht gefährdet, denn er sah tagtäglich zu, wie Menschen ihren Verstand und ihre Seele dem Abgrund entgegen lenkten. Freunde hatte Koch, aber richtige? Er ging ab und zu mit seinen Aushilfen zu 96. Ansonsten war nicht viel. Seit Lola weg war, hatte er an kaum mehr etwas Freude gefunden. Sich zurückgezogen. Sein Leben bestand im Grunde aus nichts als Routine. Bis Kimmy kam. Kimmy war Luxus.
Eine echte Freundin hatte Koch seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr. In Wirklichkeit waren es erst sechs Jahre, doch Koch fühlte sich eingerostet, als ob seine Lebensuhr langsam ablief, ohne dass irgendetwas Bedeutsames passierte. Lola war sowieso schuld an allem.
Er ging nicht mehr gern aus, fand nicht mehr die richtigen Worte. Von käuflicher Liebe hatte er schon lange genug. Er war kein Heiliger, aber je öfters er Prostituierte zu sich bestellt hatte – und das kam nach der Trennung von Lola häufig vor -, desto mehr taten sie ihm leid. Das Fass zum Überlaufen brachte die kleine Rumänin Mimi, um die 20, so süß, dass ihm die Vorstellung unerträglich vorkam, dass sie sich täglich von fremden Männern besteigen ließ. Ihr Körper war verbraucht wie der einer Fünfzigjährigen. Die Brüste hingen schlaff hinab. Falten am Bauch. Sie sah krank aus. Hatte kein Wort Deutsch verstanden, nicht einmal Englisch. Er hatte nicht mir ihr geschlafen, sie tat ihm leid, er hielt sie in seinen Armen und empfand zum ersten Mal wieder etwas Menschliches, nachdem die Trennung und die Jahre danach seine Gefühlswelt hatten erkalten lassen.
Bei Kimmy würde es gehen.
Das Gleitmittel fand Koch in seinem Nachtschränkchen. Auf der Kommode lag Kimmys Haarband. Die langen blonden Haare verbargen jetzt, wo sie kein Haarband mehr hatte, ihr hübsches, faltenfreies Gesicht. Vor zwei Wochen hatte Koch in seinem Briefkasten eine Karte gefunden. Er hatte sie bestellt, nun war sie gekommen. Er hatte sie bei seiner Nachbarin abgeholt, sie zu sich in die Wohnung genommen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie hatten Sex beim ersten Treffen, von vorn, von hinten, mehrfach.
Kimmy war schweigsam und stellte keine Ansprüche. Wenn sie auf ihm ritt, er ihre weichen Nippel liebkoste, fühlte er sich gut. Wenn er auf ihr lag und in sie eindrang, war er happy. Es war wieder soweit. Er legte Küchenpapier beiseite und zog die Hose aus. Aus der großen Plastiktüte kramte er die Luftpumpe hervor.