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(Dem Licht ganz nahe) Ein Platz an der Sonne
(dem Licht ganz nahe) Ein Platz an der Sonne
Die Nacht breitete ihre Dunkelheit aus, der Vollmond hing wie ein Wächter der Welt am Himmel ohne wirklich Notiz von ihr zu nehmen.
„Der Satz ist mir zu lang. Schreib kürzere Sätze!“, forderte der kleine Kritiker. Er war sechs oder sieben Jahre alt und ich konnte seinem Bitten nicht wiederstehen. Ich löschte den ersten Satz und begann von neuem:
Die Nacht breitete ihre Dunkelheit aus.
„Was heißt das?“ Mein Leser hatte es verdient einen Text zu lesen, den er auch verstehen konnte, also versuchte ich es noch einmal:
Draußen war es schon dunkel. Der Mond schien.
„Ich habe Angst im Dunkeln“, erklärte der Knirps, „kann die Geschichte nicht tagsüber spielen?“ Ich überlegte kurz und merkte, dass diese Tatsache meine Geschichte nicht allzu sehr beeinträchtigen würde. Also löschte ich die letzten beiden Sätze und fing noch einmal von vorne an:
Es war ein schöner Sommertag. Lutz saß mal wieder auf den Gleisen der Strecke Kiel-Lübeck.
„Warum saß Lutz auf den Gleisen? Das ist doch gefährlich!“, erschrak der Erstklässler. „Ich bin in der Zweiten!“ ... erschrak der Zweitklässler und ich konnte es nicht verantworten diesen kleinen Kerl Alpträume zu verschaffen. Also begann ich noch einmal:
Es war ein schöner Sommertag. Lutz saß wieder einmal in dem Zug der Strecke Kiel-Lübeck.
„Schön, ich mag Zug fahren. Wo will er denn hin? Ich war noch nie in Lübeck.“ Langsam gewann ich seine volle Aufmerksamkeit.
Er war auf dem Weg zu seiner Freundin. Sie wollten in das Holstentormuseum.
„Das ist ja langweilig“, maulte mein kleiner Kritiker. Da es für die Geschichte nicht von Bedeutung war, wo Lutz hin wollte, änderte ich auch diesen Teil ab: Sie wollen an den Strand.
Der Kleine schien zufrieden zu sein und las nicht weiter. Ich las mir also noch einmal meinen Anfang durch:
Es war ein schöner Sommertag. Lutz saß mal wieder in dem Zug der Strecke Kiel-Lübeck. Er wollte zu seiner Freundin. Sie wollten zum Strand.
Lutz öffnete das Fenster und kletterte hindurch. Der Zug war schnell und Lutz liebte diesen Kick, durch den er sich richtig lebendig fühlen konnte.
„Dich kann man ja keine zwei Minuten aus den Augen lassen! Du machst mir schon wieder Angst“, meldete sich der Zweitklässler zurück. Ich fühlte mich ertappt, versuchte es aber nicht zuzugeben: Wieso? Kennst du Pippi Langstrumpf? Da klettern die Kinder doch auch auf den Zug. Du bist ein Angsthase. „Warum fühlst du dich dann ertappt?“ Ich fühle mich gar nicht ertappt. Langsam wurde es schwierig die Erwartungen zu erfüllen. Vielleicht hätte ich den Kleinen weiterschreiben lassen sollen. „Alexander“ Was? „Mein Name ist Alexander. Ich will nicht immer ‚der Kleine’ genannt werden.“ Alexander, du gehörst nicht einmal zu meiner Zielgruppe. „Warum nicht?“ Weil es keine Kindergeschichte ist. „Schade. - Kannst du keine Geschichten für Kinder schreiben?“ Nein. „Soll ich dir dabei helfen?“ Hey, es soll gar keine Kindergeschichte werden. „Ist Pippi Langstrumpf ein Actionfilm?“ Hä? „Du hast die Geschichte mit Pippi Langstrumpf verglichen...“
Ich gab mich geschlagen, wollte aber meine Geschichte nicht ganz über Bord werfen. Wie konnte ich jetzt noch über Herrn Wukler schreiben? „Wer ist Herr Wukler?“ Der Lokomotivführer. Lutz wird ihn... erschrecken. „Cool, so wie Michel aus Lönneberga?“ Ich musste etwas überlegen. Was hatte Michel angestellt? Mir fiel ein, wie er so tat als hätte seine Schwester Typhus und damit die ganze Stadt erschreckte. Ja, so in etwa. Nun hatte ich endlich wieder etwas Ruhe und konnte meine Geschichte weiter schreiben.
Es war ein schöner Sommertag, Lutz saß mal wieder in dem Zug der Strecke Kiel-Lübeck. Er wollte zu seiner Freundin. Sie wollten an den Strand. Lutz war langweilig, also träumte er vor sich hin. Er musste an Pippi Langstrumpf denken, die einmal mit ihren Freunden auf einem Zug saß. Lutz öffnete das Fenster und kletterte hindurch. Er legte sich auf das Dach des Zuges und sonnte sich. Plötzlich hatte Lutz keine Lust mehr nach Lübeck zu fahren. Er rief seine Freundin per Handy an und sie beschlossen sich auf Föhr zu treffen, wo seine Oma wohnte. Sie machte herrlichen Käsekuchen. Lutz ging ganz nach vorne und zog einen Edding aus seiner Tasche. Damit schrieb er ‚Wiek’ über das ‚Lübeck’ und der Lokomotivführer Herr Wukler war verwirrt, aber ließ den Zug dann per Funk nach Wiek umleiten.
„Du kannst wirklich keine Kindergeschichten schreiben. Ich les doch lieber Astrid Lindgren“, verabschiedete sich der Kleine.
Die Nacht breitete ihre Dunkelheit aus, der Vollmond hing wie ein Wächter der Welt am Himmel ohne wirklich Notiz von ihr zu nehmen.
Lutz saß mal wieder auf den Gleisen der Strecke Kiel-Lübeck. Nicht in Selbstmordabsicht, nein. Lutz wollte...