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(Dem Licht ganz nahe) Ein Platz an der Sonne

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02.04.2002
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(Dem Licht ganz nahe) Ein Platz an der Sonne

(dem Licht ganz nahe) Ein Platz an der Sonne

Die Nacht breitete ihre Dunkelheit aus, der Vollmond hing wie ein Wächter der Welt am Himmel ohne wirklich Notiz von ihr zu nehmen.

„Der Satz ist mir zu lang. Schreib kürzere Sätze!“, forderte der kleine Kritiker. Er war sechs oder sieben Jahre alt und ich konnte seinem Bitten nicht wiederstehen. Ich löschte den ersten Satz und begann von neuem:
Die Nacht breitete ihre Dunkelheit aus.

„Was heißt das?“ Mein Leser hatte es verdient einen Text zu lesen, den er auch verstehen konnte, also versuchte ich es noch einmal:
Draußen war es schon dunkel. Der Mond schien.

„Ich habe Angst im Dunkeln“, erklärte der Knirps, „kann die Geschichte nicht tagsüber spielen?“ Ich überlegte kurz und merkte, dass diese Tatsache meine Geschichte nicht allzu sehr beeinträchtigen würde. Also löschte ich die letzten beiden Sätze und fing noch einmal von vorne an:
Es war ein schöner Sommertag. Lutz saß mal wieder auf den Gleisen der Strecke Kiel-Lübeck.

„Warum saß Lutz auf den Gleisen? Das ist doch gefährlich!“, erschrak der Erstklässler. „Ich bin in der Zweiten!“ ... erschrak der Zweitklässler und ich konnte es nicht verantworten diesen kleinen Kerl Alpträume zu verschaffen. Also begann ich noch einmal:
Es war ein schöner Sommertag. Lutz saß wieder einmal in dem Zug der Strecke Kiel-Lübeck.

„Schön, ich mag Zug fahren. Wo will er denn hin? Ich war noch nie in Lübeck.“ Langsam gewann ich seine volle Aufmerksamkeit.

Er war auf dem Weg zu seiner Freundin. Sie wollten in das Holstentormuseum.

„Das ist ja langweilig“, maulte mein kleiner Kritiker. Da es für die Geschichte nicht von Bedeutung war, wo Lutz hin wollte, änderte ich auch diesen Teil ab: Sie wollen an den Strand.

Der Kleine schien zufrieden zu sein und las nicht weiter. Ich las mir also noch einmal meinen Anfang durch:
Es war ein schöner Sommertag. Lutz saß mal wieder in dem Zug der Strecke Kiel-Lübeck. Er wollte zu seiner Freundin. Sie wollten zum Strand.

Lutz öffnete das Fenster und kletterte hindurch. Der Zug war schnell und Lutz liebte diesen Kick, durch den er sich richtig lebendig fühlen konnte.

„Dich kann man ja keine zwei Minuten aus den Augen lassen! Du machst mir schon wieder Angst“, meldete sich der Zweitklässler zurück. Ich fühlte mich ertappt, versuchte es aber nicht zuzugeben: Wieso? Kennst du Pippi Langstrumpf? Da klettern die Kinder doch auch auf den Zug. Du bist ein Angsthase. „Warum fühlst du dich dann ertappt?“ Ich fühle mich gar nicht ertappt. Langsam wurde es schwierig die Erwartungen zu erfüllen. Vielleicht hätte ich den Kleinen weiterschreiben lassen sollen. „Alexander“ Was? „Mein Name ist Alexander. Ich will nicht immer ‚der Kleine’ genannt werden.“ Alexander, du gehörst nicht einmal zu meiner Zielgruppe. „Warum nicht?“ Weil es keine Kindergeschichte ist. „Schade. - Kannst du keine Geschichten für Kinder schreiben?“ Nein. „Soll ich dir dabei helfen?“ Hey, es soll gar keine Kindergeschichte werden. „Ist Pippi Langstrumpf ein Actionfilm?“ Hä? „Du hast die Geschichte mit Pippi Langstrumpf verglichen...“

Ich gab mich geschlagen, wollte aber meine Geschichte nicht ganz über Bord werfen. Wie konnte ich jetzt noch über Herrn Wukler schreiben? „Wer ist Herr Wukler?“ Der Lokomotivführer. Lutz wird ihn... erschrecken. „Cool, so wie Michel aus Lönneberga?“ Ich musste etwas überlegen. Was hatte Michel angestellt? Mir fiel ein, wie er so tat als hätte seine Schwester Typhus und damit die ganze Stadt erschreckte. Ja, so in etwa. Nun hatte ich endlich wieder etwas Ruhe und konnte meine Geschichte weiter schreiben.

Es war ein schöner Sommertag, Lutz saß mal wieder in dem Zug der Strecke Kiel-Lübeck. Er wollte zu seiner Freundin. Sie wollten an den Strand. Lutz war langweilig, also träumte er vor sich hin. Er musste an Pippi Langstrumpf denken, die einmal mit ihren Freunden auf einem Zug saß. Lutz öffnete das Fenster und kletterte hindurch. Er legte sich auf das Dach des Zuges und sonnte sich. Plötzlich hatte Lutz keine Lust mehr nach Lübeck zu fahren. Er rief seine Freundin per Handy an und sie beschlossen sich auf Föhr zu treffen, wo seine Oma wohnte. Sie machte herrlichen Käsekuchen. Lutz ging ganz nach vorne und zog einen Edding aus seiner Tasche. Damit schrieb er ‚Wiek’ über das ‚Lübeck’ und der Lokomotivführer Herr Wukler war verwirrt, aber ließ den Zug dann per Funk nach Wiek umleiten.

„Du kannst wirklich keine Kindergeschichten schreiben. Ich les doch lieber Astrid Lindgren“, verabschiedete sich der Kleine.

Die Nacht breitete ihre Dunkelheit aus, der Vollmond hing wie ein Wächter der Welt am Himmel ohne wirklich Notiz von ihr zu nehmen.

Lutz saß mal wieder auf den Gleisen der Strecke Kiel-Lübeck. Nicht in Selbstmordabsicht, nein. Lutz wollte...

 

Hallo Hastdunmotto,

:thumbsup:
Nette kleine ironische Art, sich über die Gedanken, die man so hat, wenn man einen Text verfaßt, lustig zu machen. Hat mir gut gefallen. Man könnte dies sogar noch weiter ausbauen, und neben Kindern, noch die Forderungen von alten Leuten, Moralisten, Pedanten, Schwachnasen, Logikern und so weiter einbauen. Also vielleicht für eine nächste Geschichte mal.
Ich will dir jetzt nicht für diese Geschichte diese Vorschläge machen, weil ich finde, in ihrer Kürze hat sie genug Inhalt.

In einem Punkt bin ich allerdings etwas ins Schleudern geraten, weil es dort so klingt, als seien es zwei Kinder, die dem Protagonisten ihre Wünsche sagen:

"Das ist doch gefährlich!“, erschrak der Erstklässler. „Ich bin in der Zweiten!“ ... erschrak der Zweitklässler und ich konnte es nicht verantworten diesen kleinen ..."
Wenn es tatsächlich zwei sind, wäre es vielleicht besser, sie noch mehr individuell zu gestalten, also ihnen mehr Originalität einzuhauchen. Vielleicht irgendeine Besonderheit beschreiben. Wenn es nur ein Kind sein sollte, dann würde ich mich auf höchsten zwei Beschreibungen beschränken und ihn nicht mal Erstklässler, dann Zweitklässler, dann kleiner Kritiker, der Kleine, dann Knirps, kleiner Kerl, mein Leser nennen. Da machst du, so finde ich, des Guten zuviel.
Aber ansonsten fand ich deine Geschichte höchsterfrischend zu lesen und musste leicht schmunzeln.

Ach und noch eine Kleinigkeit: ich habe mal irgendwo gelesen, dass man, ohne dass ich jetzt Fanatiker der Anwendung der deutschen Sprache geworden bin, lieber den deutschen Ausdruck verwenden soll, wenn es einen gibt. Suizidaler Absicht kann bequem in Selbstmordabsicht umbenannt werden und klingt dann harmonischer. Aber gewiß ist dies wiederum reinste Geschmacksache.

Lieben Gruß
lakita

 

danke Lakita :)

Es sollte eigentlich nur ein Kind sein; die Autorin vermutet einfach, es sei n Erstklässler und er verbessert die Autorin dann ;) Nur so, um noch mehr zu verwirren :D

 

Hallo hastdunmotto,

herrlich! Für mich drückt diese Geschichte (die gut auch in "Satire" stehen könnte) hervorragend aus, was passiert, wenn man versucht, es jedem Kritiker recht zu machen. Ich wiederhole mich nicht gerne, aber in einer Antwort auf die "Rede an die Nation" habe ich neulich geschrieben (sinngemäß), daß Kritiker und Autor halbwegs auf einer Linie liegen müssen, damit das ganze Sinn macht. Insofern hast Du hier ein Thema angepackt, das das innerste Wesen von kg.de berührt - Zufall, oder eher Ergebnis entsprechender Erfahrungen?

Schöne Grüße
Roy

 

Hey Motto,

Ich finde die Geschichte sehr schön. Auch denke ich, dass ein "Kritiker" völlig ausreicht. Allerdings finde ich die Geschichte weniger seltsam als humorvoll, aber das ist wahrscheinlich Interpretionssache.

Insbesondere faszinierend finde ich, dass der Kleine ("He, ich habe einen Namen!") nicht nur den eigentlich Text kommentiert, sondern auch noch das, was daneben, auch über ihn, geschrieben wird.

Liebe Grüße,

Markus

 

Hallo Hastdunmotto!

Es ist schon eine ganze Weile her, daß ich dem Licht ganz nahe gelesen habe, aber die Geschichte ist mir noch gut in Erinnerung.

Diese hier hat im Gegensatz dazu viel Humor und zeigt auch ein bisschen, wie Kinder die Welt sehen oder sie sich zurechtbiegen. Da will die Protagonistin eine traurige Geschichte schreiben, und dann kommt so ein unbefangener Knirps daher und zeigt ihr, daß die Welt ganz anders sein kann, beeinflußt sie zu Änderungen im Text...

Natürlich kann man hier auch die Beeinflussung der Autorin durch Kritiker herauslesen, aber es gefällt mir trotzdem sehr, wie der Kleine zum Beispiel statt der nächtlichen Dunkelheit die Sonne scheinen läßt und Lutz plötzlich statt auf den Gleisen im Zug drin sitzt. :)

Ich finde die Geschichte gut erzählt, und ich finde es obendrein sehr erholsam, daß ich keine Liste mit Fehlern schreiben muß... ;)
Nur ein kleiner ist mir da aufgefallen:

"ich konnte es nicht verantworten diesen kleinen Kerl Alpträume zu verschaffen"
- diesem kleinen Kerl

Ach ja: Nachträglich noch alles Gute zum Geburtstag! :)

Alles liebe,
Susi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anika!

Hier also mein Kommentar zum "Platz an der Sonne" :

Wie gesagt, die Geschichte hat mir enorm gut gefallen!

Angenehm ruhig, mit einer herzerfrischenden Leichtigkeit, wie ein Flötenkonzert im Frühling. :)
Ja, was bleibt mir noch hinzuzufügen? Der Kleine und die Art, wie Du ihn auftreten lässt, haben mir einfach wunderbar gefallen.

Und dann so nette Anstöße wie hier:

„Schön, ich mag Zug fahren. Wo will er denn hin? Ich war noch nie in Lübeck.“
Einfach schön, wie hier die kindliche Art zu entdecken, weiterzuspinnen, weiterzuüberlegen durchkommt. Da möchte man fast selbst noch mal Geschichten mit den Augen eines Kindes lesen können...

Schön natürlich auch der kritische Aspekts des Umdeutens des schwarzen "Dem Licht ganz nahe" in eine sonnige Landschaft auf Wunsch des Kritikers, was natürlich schiefgehen muss, man kanns schließlich nicht immer allen recht machen.

Ja, hm, bin immer noch höchst erfreut, so eine nette Geschichte gefunden zu haben. Meine Gratulation!


Schoene Gruesse,
Innozenz Charousek

P.S. "Michel aus Lönnerberger" - Ist das Absicht (Lönneberga)?

 

P.S. "Michel aus Lönnerberger" - Ist das Absicht (Lönneberga)?
öhhm... nö :D
habs schon geändert, danke ;)

Bis vor Kurzem geriet die Geschichte fast in Vergessenheit, doch dann habe ich eine Minidisk gefunden, auf der ich zur ersten Lesung das Vorlesen geübt habe *ggg*

Eigentlich habe ich die Geschichte gar nicht so gerne gemocht, aber langsam freunde ich mich mit ihr an ;)

hmm... hab nu nix weiter dazu zu sagen...

Bis denne
Anika

 

Hallo Anika,

mir gefällt die Grundidee der Geschichte. Selbst wenn ein Autor keinen persönlichen Kritiker als Beobachter hat, macht er sich unter Umständen das Schreiberleben selbst schwer, einfach weil er sein Tun hinterfragt. Hier wäre eine Möglichkeit ins Seltsame überzugehen: Wer ist dieses fragende Ich...? Deine Geschichte ist eher das Frühstadium einer Satire, die Grundidee reicht für so ein Vorhaben, nicht aber die Durchführung: wenn immer nur das Kind aus seiner kindlichen Perspektive kritisiert, ähneln sich die Kritiken und somit der Inhalt. Dies ließe sich durch lakitas guten Vorschlag vermeiden (Moralist, Logiker ...).

Tschüß... Woltochinon

 

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