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Der Überfall
Ein Satz, ein Schrei. Ferdi packt unerbittlich zu. Jetzt oder nie. Ferdi Fuchs grinst über alle vier Backen. Er hat es geschafft. Die Beute kann er gut gebrauchen, sie hält eine Weile. Und Eier schlabbert er schließlich für sein Leben gern. Seltsam genug als Fuchs. Hermine Hase wehrt sich mit aller Kraft, hat jedoch keine Chance. Ein kräftiger Schlag mit seiner Vorderpfote beendet ihr Jammern und lässt sie bewusstlos in den Graben fliegen. Ihr Körper zittert am ganzen Leib, Blut rinnt ihr aus Maul und Nase. Ihr kurzes Leben schwebt wie ein Traum über ihrem hilflosen Körper. Alles, ab der Geburt bis zu ihrem ersten Rendezvous mit Hans, läuft wie ein Film vor gleißendem Licht vor ihrem inneren Auge ab.
Ferdi Fuchs packt das Geld und die Eier vorsichtig in seinen mitgebrachten Beutel und verschwindet wortlos. Hermine lässt er einfach im Graben liegen und zieht den mit Gras bewachsenen, selten begangenen Waldweg entlang seinem Bau zu.
Hans schaut nach links, er schaut nach rechts. Nichts. Nichts außer Bäumen und Gras. Es war ausgemacht, dass sie um diese Zeit hier entlang kommt. Was ist nur los mit ihr in den letzten Wochen? Man kann sich nicht mehr so recht auf sie verlassen. Aber so hat sie sich noch nie verhalten, einfach nicht zu kommen! Wie soll man sich denn auf sie verlassen können?
Gedankenverloren knabbert er an einem Blatt. Es schmeckt einfach nicht. "Was soll's," denkt er so bei sich. Er macht sich einfach Gedanken über sich und ihre Zukunft. Und über das Geschäft. HANS HASE GMBH, EIERGROSSHANDEL IN WALDHAUSEN. Davon lebt die ganze Familie. Missmutig läuft er an den Teich, um etwas zu trinken.
Schließlich zündet er sich sein Pfeifchen an, um sich zu beruhigen. Die leicht benebelnde Wirkung des Tabaks lässt nicht lange auf sich warten. Nachdenklich betrachtet er die Umgebung. Alles wirkt so friedlich, so ruhig an diesem Morgen. Leise knistert das alte Laub unter seinen Pfoten, wenn er sich bewegt. Vögel singen ihr Frühlingslied und fliegen von Baum zu Baum. Zartes Grün im Unterholz lässt an den kommenden Sommer denken. Der weiche Waldboden riecht modrig nach Pilzen. Hier und da sendet ein Sonnenstrahl Licht und Wärme in den Wald.
Sein Mobiltelefon hat er im Bau liegen lassen, als er sich auf die Suche nach ihr begab. Plötzlich reißt ihn jemand aus seinen Gedanken und Betrachtungen.
"Einen wunderschönen guten Morgen, Gevatter Hase!", lässt sich Karo Kröte vernehmen. Die Herausgeberin der Waldhäuser Nachrichten hockt inmitten ihrer Laichschnüre, die um Wasserpest gewickelt sind, und schaut ihn argwöhnisch an. "Was treibt uns denn heute so früh aus dem Bau?", will sie neugierig wissen.
"Grüß dich Karo, altes Breitmaul. Eigentlich geht es dich ja gar nichts an. Aber ich warte auf jemanden, der mir etwas bringen soll." Der blöden Karo Kröte werd' ich's grade noch erzählen, denkt er so bei sich. Sie ist ja die Tratschbase hier im Wald schlechthin, sie soll ruhig vor Neid und Neugier platzen.
"Du weißt das Neueste noch nicht!", flötet ihm Karo Kröte entgegen. Sie platzt geradezu vor Stolz, dem alten Hans Hase etwas erzählen zu können.
"Was wird's wohl schon sein, hier passiert doch nie was."
"Sag nicht, dass ich nicht über alles Wichtige Bescheid weiß. Hier am Wasserloch trifft sich doch Hinz und Kunz. Und ich krieg's mit, weil ich doch immer hier bin."
"Also?"
"Willst du es wissen?"
"Mach's nicht so spannend, sonst scheuer ich dir eine." Der alte Hase wird allmählich ärgerlich.
"Quak. Also, heute Nacht habe ich ihn wieder gesehen."
"Wen?"
"Na, was glaubst du, den Werwolf natürlich."
"Lass den Quatsch. Den gibt es nur in Hollywood-Schinken und in alten gruseligen Erzählungen." Trotzdem läuft Hans ein kalter Schauer den Rücken herunter, zumal er jetzt, da er genauer hinschaut, den Lauf einer Pistole aus dem trockenen Herbstlaub hervorblitzen sieht. Karo folgt seinem Blick.
"Die hab ich zu meiner Sicherheit." Hans tastet vorsichtig an den Lauf und spürt noch etwas Wärme daran. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, denkt er bei sich und macht erschrocken einen Satz.
"Du hast vor kurzem erst geschossen?" Hans riecht an seinen Vorderpfoten und schüttelt verwundert den Kopf.
Karo sieht dies. "Ja, aber du brauchst keine Angst zu haben, die ist nur für den Fall, dass der Werwolf mich nachts anfällt. Ich glaub' nicht, dass ein Werwolf weiß, wie gut eine Kröte mit einer Pistole umgehen kann. Wart, ich zeig's dir aber, du bist ja mein Freund." Sie grinst hämisch, denn mit dem Schießeisen fühlt sie sich ziemlich stark. Hans zweifelt an der Aussage.
"Und ich glaub nicht, dass du blöde Kröte weißt, dass ein Werwolf unverletzbar ist," geht es dem Hasen durch denk Kopf, als er sich mit einem Satz in Sicherheit bringt.
PENG!!!
"Was war das?" Ferdi Fuchs stutzt. "Sollte mir die Polizei schon auf den Fersen sein? Es wäre schade, denn es ging bisher alles glatt. Hermine Hase zu überfallen, wenn sie auf dem Heimweg ist. Auf ihrem Heimweg mit Eiern und mit ihren Einnahmen der letzten Tage." Er hatte sich vorher sehr gut informiert. Die Firma Hase betreibt nämlich einen Eierhandel. Einmal im Jahr liefern sie große Mengen von Eiern an irgendwelche bescheuerten Menschenfamilien, die in schicken Häusern mit Designergärten vor sich hin vegetieren. Diese armen Geschöpfe leben in gefängnisähnlichen Bunkern und kommen nur selten vor die Tür. Dass die keiner mal befreit?
Kürzlich hatte er davon erfahren. Ferdi lauerte spät abends vor dem Hühnerstall und hat mitbekommen, dass die Hennen eifrig damit beschäftigt waren, eine große Lieferung für Firma Hase zusammenzustellen. Er war so fasziniert von ihren Gesprächen, die er belauschte, dass er seinen Hunger vollkommen vergaß. In ihm reifte ein Plan. DER PLAN. Er musste gelingen, und er gelang ja schließlich auch.
"Nur jetzt, was ist los?" Vorsichtig erkundet er die Umgebung, ohne seinen Sack auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. "Irgendetwas läuft hier schief. Irgendetwas."
Aus einiger Entfernung hört er einen jämmerlichen Laut. Gefahr droht.
Wie von einer Tarantel gestochen setzt Hans Hase sich auf. Er hoppelt auf Karo zu und versetzt ihr mit seinem Vorderlauf einen derartigen Schlag, dass sie schreiend im hohen Bogen über das Wasser fliegt und laut platschend mitten im Teich versinkt. Schimpfend taucht sie wieder auf. Mit verschränkten Vorderläufen und grimmiger Miene sitzt Hans auf der Pistole und schnauzt Karo an.
"Sieh mal einer an! Weißt du, ich kann mich auch wehren. Du blöde Kröte hast mich ganz schön erschreckt."
"Du Idiot! Schau mal lieber nach deiner Frau Hermine, als mich hier durch die Luft zu schleudern! Die wird irgendwo im Graben liegen und sich die Wunden lecken, die ihr der Fuchs heute Nacht zugefügt hat! Und schau nach den Eiern!" Wütend schwimmt die Kröte ans Ufer, um nach der Pistole zu sehen.
Aus Jux greift Hans nach der Waffe und schießt hinter der Kröte her. So wie die Kugeln auf das Wasser schlagen , gibt es ein recht hübsches Muster auf der Oberfläche. Aufgeschreckt stieben die Wasserläufer in alle Richtungen davon. Eine Kugel lässt er im Magazin. Für alle Fälle.
Mit wilden Sprüngen lässt er die Kröte Kröte sein, rast den mit Gras bewachsenen Waldweg entlang und sieht so im Vorüberhoppeln die schemenhaften Umrisse eines großen Fuchses, der etwas Sackähnliches in seinem Maul hält. Normalerweise würde er auf ein Schwätzchen anhalten, denn der alte Ferdi ist ihm eigentlich ganz sympathisch. Schließlich war er viel zu träge geworden, um noch auf die Hasenjagd zu gehen. Jetzt steht aber kein Schwätzchen an, denn jetzt sucht Hans seine Hermine. Er hatte sich ja vor nicht allzu langer Zeit in dieses sehr hübsche niedliche Hasenmädchen Hermine verliebt, und Nachwuchs ist auch schon unterwegs.
Unter einem Haselbusch mit frischem, grünem Laub sieht er sie schließlich liegen. Schläft sie oder ist sie tot? Für diese Fragen hat er keine Zeit. Behutsam hebt er ihren Kopf, der vollkommen zerkratzt ist. Am Vorderlauf hat sie eine Bisswunde. Ihr Korb ist leer. Zaghaft bewegt sich ihr Schwänzchen, dann öffnet sie vorsichtig die Augen.
"Hallo", sagt sie zaghaft und lächelt ihn gequält an.
"Hallo meine Süße", haucht er ihr entgegen. "Wie geht es dir? Kannst du laufen?"
"Beschissen. Ich hab Kopfweh und mir ist schlecht. Laufen kann ich, aber langsam. Und das Sprechen fällt mir schwer."
Mühsam stützt sie sich mit der rechten Vorderpfote auf ein Stöckchen und hakt sich mit der linken bei Hans unter. "Wir müssen zur Polizei gehen", meint sie kläglich.
"Das liegt ja sowieso am Weg. Am besten gehen wir gleich bei Kommissar Häher vorbei. Der meldet doch immer alles gleich im Wald und weiß über alles Bescheid."
Bei ihm angekommen, klopfen sie unten am Baum. "Was gibt's so dringendes, dass man mich sprechen will? Die Stimme sitzt weit oben in einer Astgabel.
"Meine Frau wurde überfallen, verletzt und ausgeraubt. Wir brauchen deine Hilfe."
"Moment, ich komme runter." Häher schwingt sich herunter auf einen ganz niedrigen Ast. "Wo und wann ist das passiert?"
"Vor einer Stunde am Wiesenweg," gibt Hermine kläglich von sich. "Meine Eier und mein Geld sind weg. Es war ein großer Fuchs."
"Das erinnert mich ganz stark an einen Fall im vergangenen Jahr. Der wurde mir zu spät gemeldet. Wir hatten damals einen älteren Fuchs in Verdacht, konnten ihm aber letztendlich nichts mehr nachweisen und mussten ihn laufen lassen. Wir wollen gleich mal bei ihm vorbeischauen." Häher schnallt sich seine Dienstwaffe um.
"Mir nach!", ruft er im Losfliegen. So schnell es eben geht, folgen ihm die beiden.
Vor dem Bau angekommen, greift sich Häher seine Waffe, schaut sich um, blinzelt in das Loch und ruft: "Ferdi Fuchs, bist du zuhause? Ich bin Kommissar Häher von der Kripo Waldhausen. Ich komme jetzt rein." Als Antwort ein Knall, eine Kugel saust Häher sirrend um den Kopf, er duckt sich und antwortet mit seiner Waffe. "Ferdi, komm raus, sonst belagern wir dich hier."
Hinter Häher plötzlich ein Klicken.
"Langsam umdrehen, sonst puste ich dir das Hirn raus. Und leg die Waffe vorsichtig auf den Boden. So, und jetzt ganz langsam umdrehen." Häher blickt verwundert Ferdi Fuchs direkt ins Gesicht. Er ist mit einer Pistole bewaffnet. "Fritz, du kannst rauskommen. Hier hab' ich alles im Griff." Fritz Fuchs, Ferdi's Bruder, kommt, ebenfalls bewaffnet, heraus.
"Ziemlich aussichtslos," denkt Häher bei sich. Doch wo sind die Hases? Die beiden Brüder Fuchs halten Häher in Schach und fühlen sich ziemlich sicher. "Ab mit dir in den Bau," gibt Ferdi ziemlich rüde von sich. Häher verschwindet im Dunkeln, den Lauf von Ferdis Waffe im Nacken spürend. Was sich im Gebüsch tut, merkt keiner der drei.
Karo Kröte, Herausgeberin der Waldhäuser Nachrichten und professionelle Werwolfjägerin, hatte von weitem die Stimmen gehört, hatte ihre Ersatzpistole eingepackt und ist ihrem untrüglichen Instinkt gefolgt. Schließlich trifft sie auf Hans und Hermine, die die Pistole mit nur noch einer Patrone halten und nicht wissen, was sie tun sollen. Sie gibt ihnen ein Zeichen, zu schweigen, und positioniert sich etwas entfernt von ihnen. Per Blickkontakt deutet sie Hans an, Ferdi außer Gefecht zu setzen. Sie selbst hat das gleiche mit Fritz vor.
Zwei Schüsse donnern los und hallen wider im großen Wald. Ferdi ließ vor Schmerz seine Waffe fallen. Er wurde in der Vorderpfote getroffen, die stark blutet. Hans zittert beim Schuss und verletzt Fritz mit einem Streifschuss an der Schulter, die ebenfalls blutet. Erschrocken blinzelt Häher aus dem Fuchsbau heraus.
"Alles noch da, Eier und Geld. Aber, hey Leute, das war verdammt knapp!"
"Dann können wir Harry ja morgen doch die zwanzigtausend Euro für die Bank mitgeben." Hans lächelt zufrieden, sie gequält.
Und Karo Kröte hat eine neue Story.