- Beitritt
- 19.03.2003
- Beiträge
- 1.908
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Der Befreiungsschlag
Der Befreiungsschlag
Manchmal geschehen Dinge, die für sich betrachtet, gewöhnlich sind. Man muss ihnen keine besondere Bedeutung beimessen, weil ihre Wirkung kaum wahrgenommen wird.
Manchmal geschehen auch jene bedeutungslosen Dinge, die aber in ihrem Zusammenhang eine große Bedeutung haben. Das Tückische ist, dass das Zusammenspiel gleichfalls nicht wahrgenommen wird.
Erst wenn die Wirkung ein Ausmaß erreicht, dass wir gezwungen sind sie wahrzunehmen, erfahren wir die Bedeutung. Meist ist es schon zu spät, um entgegenzuwirken. Nur eine Erfahrung haben wir gemacht. Aber die Konsequenz, diese Erfahrung zu verinnerlichen wird erst durch deren Wiederholung vermittelt. Manchem gelingt es nie, einigen schneller als anderen. Man nennt es auch lernen.
Ich habe gelernt Dinge zu tun, die man aus Erfahrung besser nicht macht.
Zuerst war ich unerfahren, war gleich mit den anderen Unerfahrenen. Doch während sie, in ihrem Eifer es besser machen zu wollen, auf dem Pfad der Tugend wandelten, erkannte ich den Reiz des Verbotenen.
Was war schlecht daran Schokolade zu stehlen? Ich hatte ein Stück im Mund, spürte den zarten Schmelz. Das war wunderschön. Warum sollte ich diese Schokolade daher nicht stehlen, wenn sie mir doch schmeckt?
Warum durfte ich mich nicht mit meinen Mitschülern prügeln? Dieses Hochgefühl, ein Sieger zu sein, warum sollte ich es eintauschen mit dem eines Verlierers?
Natürlich hagelten Strafen auf mich herab. Ich verstand deren Sinn nicht. Die Ungerechtigkeit, die ich empfand. Warum verstanden sie mich nicht?
Ich musste mich ihrer wehren, indem ich die verbotenen Dinge heimlich tat.
Ich erlernte den Reiz des Verborgenen.
Ich war glücklich. Wenn etwas aufflog, konnte ich mich oft aus der Situation retten, indem ich die Schuld einem anderen zuwies. Als man mir glaubte, erkannte ich meine Größe.
Mein Leben war gezeichnet durch Macht und Erfolg. Niemand sah wie ich wirklich war. Selbst Gott, glaubte ich, würde nicht sehen, welch ein Scheusal ich war. Ich war fromm und pries die Tugenden deren Befolgung nur mir Vorteile brachte.
Bis zu diesem einen Tag.
Es war der Tag, an dem ich meine dunkle Seite offenbaren musste.
Herr Präsident, wir warten auf ihren Befehl!
Ich drückte den roten Knopf und die Welt versank. Ich lachte und fühlte mich endlich frei.