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Der Befreiungsschlag

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19.03.2003
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Der Befreiungsschlag

Der Befreiungsschlag

Manchmal geschehen Dinge, die für sich betrachtet, gewöhnlich sind. Man muss ihnen keine besondere Bedeutung beimessen, weil ihre Wirkung kaum wahrgenommen wird.
Manchmal geschehen auch jene bedeutungslosen Dinge, die aber in ihrem Zusammenhang eine große Bedeutung haben. Das Tückische ist, dass das Zusammenspiel gleichfalls nicht wahrgenommen wird.
Erst wenn die Wirkung ein Ausmaß erreicht, dass wir gezwungen sind sie wahrzunehmen, erfahren wir die Bedeutung. Meist ist es schon zu spät, um entgegenzuwirken. Nur eine Erfahrung haben wir gemacht. Aber die Konsequenz, diese Erfahrung zu verinnerlichen wird erst durch deren Wiederholung vermittelt. Manchem gelingt es nie, einigen schneller als anderen. Man nennt es auch lernen.

Ich habe gelernt Dinge zu tun, die man aus Erfahrung besser nicht macht.
Zuerst war ich unerfahren, war gleich mit den anderen Unerfahrenen. Doch während sie, in ihrem Eifer es besser machen zu wollen, auf dem Pfad der Tugend wandelten, erkannte ich den Reiz des Verbotenen.
Was war schlecht daran Schokolade zu stehlen? Ich hatte ein Stück im Mund, spürte den zarten Schmelz. Das war wunderschön. Warum sollte ich diese Schokolade daher nicht stehlen, wenn sie mir doch schmeckt?
Warum durfte ich mich nicht mit meinen Mitschülern prügeln? Dieses Hochgefühl, ein Sieger zu sein, warum sollte ich es eintauschen mit dem eines Verlierers?

Natürlich hagelten Strafen auf mich herab. Ich verstand deren Sinn nicht. Die Ungerechtigkeit, die ich empfand. Warum verstanden sie mich nicht?

Ich musste mich ihrer wehren, indem ich die verbotenen Dinge heimlich tat.
Ich erlernte den Reiz des Verborgenen.
Ich war glücklich. Wenn etwas aufflog, konnte ich mich oft aus der Situation retten, indem ich die Schuld einem anderen zuwies. Als man mir glaubte, erkannte ich meine Größe.

Mein Leben war gezeichnet durch Macht und Erfolg. Niemand sah wie ich wirklich war. Selbst Gott, glaubte ich, würde nicht sehen, welch ein Scheusal ich war. Ich war fromm und pries die Tugenden deren Befolgung nur mir Vorteile brachte.

Bis zu diesem einen Tag.
Es war der Tag, an dem ich meine dunkle Seite offenbaren musste.

Herr Präsident, wir warten auf ihren Befehl!

Ich drückte den roten Knopf und die Welt versank. Ich lachte und fühlte mich endlich frei.

 

Not really bad - und auf jeden Fall nicht zu lang!

orthographische Anmerkung:
Bei: "Doch während sie in ihrem Eifer es besser machen zu wollen auf dem Pfad der Tugend wandelten, erkannte ich den Reiz des Verbotenen." würde ich "es besser machen zu wollen" in Kommata absetzen - dann ist es richtig, und man stolpert nicht so über den Satz.

G, DM

 

Hallo Goldene Dame!

Mit diesem Text machst Du deutlich, welch katastrophale Folgen zu spät bemerkter Größenwahn haben kann. Dein Prot. ist ein Soziopath, der sich hinter einer bigotten Maske versteckt, um tugendhaften Anschein zu wahren. Seine latente Gefährlichkeit wird erst offensichtlich, als es bereits für Gegenmaßnahmen zu spät ist.

Wenn etwas aufflog, konnte ich mich oft aus der Situation retten, indem ich die Schuld einem anderen zuwies.
Ein feiger Wesenszug, der meist mit Scheinheiligkeit einher geht.

Meinem Empfinden nach, wird hier nicht nur der verantwortungslose Mensch angeprangert, sondern auch eine Staatsform, die solchen Machtmissbrauch ermöglicht.

Kurz und aussagekräftig! Gefällt mir ausgesprochen gut!


Lieben Gruß
Antonia

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Marius,
Vielen Dank für deine Kritik.

Einige Umschreibungen sind nicht richtig, z.B.:
"Ich erlernte den Reiz des Verborgenen." Richtiger wäre: "Ich lernte den Reiz des Verborgenen kennen." Da sind so einige Sätze dieser Art...
Ich habe die Worte mit Absicht so gewählt, weil ich damit eine gewisse Bedeutung vermitteln wollte. Meine Aussage wäre mit deiner sicher gängigeren Formulierung nicht mehr gegeben.
Was ich nicht gut finde, ist der Schluss. Ausgerechnet den
Ich weiss nicht, welchen Präsidenten du meinst. Aber ich habe mich nicht auf ein bestimmtes Staatsoberhaupt festlegen wollen. Sollte der rote Knopf nur die eine Supermacht für dich repräsentieren ist deine Schlussfolgerung natürlich obligatorisch. Ich denk noch mal darüber nach, was ich ändern kann.
Der allerletzte Satz "Ich lachte und fühlte mich endlich frei." hat mich sehr gewundert, denn in der ganzen Geschichte rechtfertigt der Protagonist sein kriminelles Verhalten, er erkennt seine Größe und "erreicht" etwas im Leben. Dann drückt er den Knopf und fühlt sich frei - dass er sich zuvor unfrei fühlte, hast Du nun wirklich nicht deutlich gemacht.
Gerade dieser Wesenszug sollte zum Nachdenken anregen. Warum meinst du rechtfertigt er sein Verhalten? Vielleicht weil er darunter leidet, so zu sein?
Auch das Lachen kommt in dieser Szene etwas zu diabolisch rüber für einen Menschen, der den "Befreiungsschlag" unternommen hat - einen Selbstmord.
Ich finde deinen Vergleich mit dem Selbstmord gut, denn warum wählen manche Menschen den Freitod? In meiner Geschichte wollte ich den Hilfeschrei, den Zorn quasi als Supergau(selbst)mord herüberbringen.
Ich würde den Protagonisten lieber anders auf die Schnauze fallen sehen - nicht gleich als diesen Präsidenten, der den roten "Klischeeknopf" drückt und damit gleich die ganze Welt mitreißt.
Diese Einstellung ehrt dich, aber das Diabolische an der Sache ist eben, dass niemand den Präsidenten als das wahrgenommen hat, was er ist.

@ Antonia, der Marburger, Ernst.
Danke fürs Lesen und Kommentieren, mein Statement kommt noch später:)

Liebe Grüße
An Euch
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

eine gute Idee - wenn die Welt nicht mit mir zurechtkommt, dann soll sie auch nicht mehr sein.
Allerdings sehe ich ein logisches Problem in Deiner Geschichte:
Der gute Mann stiehlt, prügelt, tut verbotene Dinge, wird bestraft, wies Schuld anderen zu und erst DANACH offenbart er seine dunkle Seite? Das DAVOR war seine helle Seite?

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo nochmal,
@ der Marburger
Vielen Dank für deinen Hinweis.
@ Antonia

Meinem Empfinden nach, wird hier nicht nur der verantwortungslose Mensch angeprangert, sondern auch eine Staatsform, die solchen Machtmissbrauch ermöglicht.
Fatal ist es aber auch, wenn die Staatsform demokratisch ist, aber der Bürger nicht sieht, dass ein Soziopath für die Dauer seiner Amtszeit sehr viel Schaden anrichten kann. Mich schüttelt es manchmal, wenn ich daran denke, wem man so ausgeliefert sein kann. Es gab mal eine Zeit in der der kalte Krieg mir Angst machte. Die Atomwaffen, die von Ost und West auf uns gerichtet waren... Ein Krieg der auf den Rücken Europas hätte ausgetragen werden können...Und heute? Ich denke an meine Kinder und hoffe für sie, dass die Vernunft eine bessere Welt entstehen lässt.
@ ernst
Danke für den Link.
Meine Geschichte ist deutlich anders, weil mein Protagonist kein guter Mensch ist. Bei mir ist er der Böse, der der Welt übel mitspielt, während in der Geschichte von aqualung ein Präsident seine Utopie verwirklichen möchte und nicht gegen Machenschaften ankommt.
@ gox
DANACH offenbart er seine dunkle Seite? Das DAVOR war seine helle Seite?
Nein er verheimlichte davor seine dunkle Seite, er stellte sie als helle für das Volk dar. Er selbst nur wußte, das er niemals eine helle Seite besaß.

Liebe Grüße an alle
Goldene Dame

 

Der Text stellt mich vor Probleme. Den Vorwurf, der Schluß sei zu explizit, teile ich. Wobei ich den Gedanken "Ich lachte und fühlte mich endlich frei." als konsequent empfinde. Der Protagonist ist des falschen Spiels müde.

Eine interessante Geschichte; das Leben eines Taugenichts. Der den Weg nach ganz oben findet. Aus irgendeinem Grund wirkt es auf mich dann aber doch nicht ganz rund, nicht ganz konsequent.

Der Protagonist hat seine Bedürfnisse und Wünsche. Um diese zu befriedigen, bedient er sich Mittel, die ethischen Grundsätzen zuwiderlaufen. Seine Entwicklung ist darauf beschränkt, Strafen zu vermeiden, sein Vorgehen zu tarnen. Seine Erfolge machen ihn glücklich und doch beschließt er am Ende, die Welt zu vernichten. Wieder eine egoistische Handlung, denn er befreit sich von ihr.

Hat mich angesprochen, doch etwas stört mich, was ich nicht formulieren kann.

 

Hallo cbrucher,

Erst mal danke ich dir fürs Lesen. Es freut mich, das die Geschichte dich ansprechen konnte. Schade, dass du nicht genau sagen kannst, was dich so stört.
Goldene Dame

 

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