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Der Beweis

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21.04.2004
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Der Beweis

Manela ging mit unruhigen Schritten auf die Tür ihres Elternhauses zu. Sie stand vor dem massiven Ding aus Holz und Metall, umfasste die Türklinke mit zitternder Hand und öffnete sie. Kurz bevor Manela aus dem Haus auf die alte Veranda hinaustrat umfasste sie eine Hand, zärtlich und wohlbekannt, an der linken Schulter. Sie drehte sich um und blickte in Vanessas Gesicht hinein wie in einen schrecklichen Zerrspiegel. Plötzlich blitzten grundlos Bilder aus ihrer Jugend in Manela auf und sie sah sich selbst und ihre Schwester lachend durch die vielen Hügel auf der dem Wald abgewandten Seite laufen. Vanessas Gesicht sah jetzt, im krassen Kontrast zu damals, zusammengefallen und schmerzverzerrt aus. Manela hätte ihr am liebsten eine gescheuert um jenen Gesichtsausdruck nicht mehr zu sehen, der sie so stark an ihre eigene Verzweiflung und ihren Schmerz erinnerte.

„Wohin willst du?“, fragte Vanessa mit abgehackter Stimme, als ließe sie das Weinen nicht mehr die Worte richtig aussprechen. „Auf die Veranda“, sagte Manela. „Ich halte es nicht aus, wenn soviel Menschen durch das Haus laufen. Die sind alle zu mir gekommen und haben mir die Hand geschüttelt und irgendwie wurde ich nie das Gefühl los, als ob sie alle Dämonen wären, die mich am Boden sehen wollen. Ich muss hier raus, sonst dreh ich durch.“ Vanessa nickte und löste den Griff. Vielleicht wollte sie mit auf die Veranda kommen. Bestimmt wollte sie das, dachte sich Manela. Doch es war einer jener Augenblicke zwischen den beiden Schwestern, die schon so oft vorgeherrscht hatten. Sie sahen sich an und sie wussten, was die andere dachte. Vanessa war es zweifellos bewusst, dass ihre Schwester alleine sein wollte, nur für ein paar Augenblicke. Deswegen sagte sie nichts mehr und drehte sich um. Manela drehte ebenfalls ihren Körper in Richtung Veranda und eine einsame Träne schoss ihr Gesicht herunter; sie zerplatzte auf dem Boden und schimmerte leicht in dem fahlen Licht einer Petroleumlampe, die einmal, vor vielen Jahren noch, auf der Veranda gebrannt hatte.

Sie ging hinaus und roch den seltsam einprägsamen Geruch jener Petroleumlampe, spürte die laue Sommernacht auf ihrer Haut und hörte irgendwo im Wald einen Vogel zwitschern. „Aber es ist schon fast Nacht“, dachte sie. „Müssen die nicht schlafen gehen?“ Sie sah die Welt wieder mit den Augen eines Mädchens. Alles schien größer zu sein als sie selbst. Am allergrößten sah zweifellos ihre Mutter aus. Sie saß auf einem mit Fell überzogenen Schaukelstuhl, wie eine wunderschöne Königin auf ihrem Thron, und strickte gerade einen Pullover für…

Manelas Gedanken erstarrten. Der Zeitfluss versiegte; sie ging mit ruhigen Schritten auf ihre Mutter zu und setzte sich mit gesenktem Kopf vor ihr auf dem Boden, natürlich im Schneidersitz, so wie früher auch. Dann hob sie den Kopf und sah sie aus der Perspektive an, die ihr so bekannt und vertraut vorkam. „Es tut mir so leid“, sagte sie mit zittriger Stimme. Ihr Gesicht hatte nun starke Ähnlichkeiten mit Vanessas, zusammengefallen und mit abgrundtiefer Traurigkeit erfüllt. Sie sprach mit der Endgültigkeit, die ihr Schmerzen so tief werden ließ. „Ich weiß, ich habe dich sehr vernachlässigt und es tut mir so schrecklich leid. Vielleicht bemerktest du mein Fortbleiben nicht; ganz alleine warst du ja nie mit Vanessa an deiner Seite; doch ich denke, du weintest viele Nächte um mich und mein Verhalten und fragtest dich oft wieso.“ Manela sah wieder auf dem Boden als schämte sie sich, ihrer Mutter geradeaus zu sagen, was ihr so schwer auf dem Herzen lag, welche Torheit sie zu ihrem Verhalten trieb. „Unser Verhältnis war immer ein ganz Normales. Du warst die Mutter, ich die Tochter, du sagtest und ich folgte. Daran hatte sich kaum jemals etwas geändert, bis eines Tages vor etwa fünf Jahren wir wieder hier auf der Veranda saßen und dir zugehört hatten, wie du von Vater sprachst. Ich weiß es noch ganz genau. Es war ein lauer Sommerabend, die Lampe brannte, du stricktest einen Pullover und wir saßen zu deinen Füßen auf dem Boden, so wie wir das am liebsten taten. Wir, ich und Vanessa, hörten dir immer gerne zu wenn du vom Vater sprachst, denn dein Reden über ihn war sehr poetisch und anreizend. Du beschriebst den Vater immer als herausragende Persönlichkeit, als hübsch und gebildet und immer lustig. Mir und Vanessa schmeichelte solch Reden, denn wir schlossen daraus auf uns selbst. Was du ganz besonders hervortatst war der Ausspruch, er sei so ungewöhnlich gut zu dir gewesen, mehr als zu jener Zeit üblich. Er habe dich geachtet, sagtest du uns, und du ihn.“ Manela fing an zu weinen und strich mit zitternder Hand über ihr Gesicht, um die Tränen wegzuwischen, die ihr dick und erbarmungslos im Gesicht standen.

„Nach seinem tragischen Tod wolltest du nicht mehr heiraten. Du hast immer gesagt, eine neue Heirat würde das unabschätzbare Risiko einer Sklaverei mit sich bringen, für dich und für uns. Du wolltest uns alle nicht hinter einem Mann in Ketten laufen sehen, das sagtest du so oft, vor allem zu mir als Ältere deiner beiden Töchter, denn eine mögliche Heirat war bei mir nicht mehr lange hin. Da ich dich sehr achtete, glaubte und verinnerlichte ich irgendwann das alles. Doch eines Tages, nachdem ich Erich kennen lernte und er um meine Hand anhielt und ich dir erschrocken und verwirrt davon erzählte, hast du mir geraten ihn zu heiraten um ein bequemeres Leben als du führen zu können, ohne materielle Sorgen. Ich fragte dich was mit der Sklaverei sei und du meintest, es wäre für mich leichter und vor allem realistischer, eine Ehe in Sklaverei zu bewältigen als ein Leben auf mich alleine gestellt. Du sagtest, du wollest nicht aus dem Himmel heraus sehen, wie eine deiner Töchter einsam zugrunde ginge.“

Manela stand auf und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht. Sie sah noch einmal ihre Mutter an, drehte sich dem dunklen Wald links von sich zu und begann, immer schneller werdend und bald in panischem Laufen verfallend, zu ihm hinzurennen. Die Bäume vor ihr, die wie Wände aufgereiht zu sein schienen, drohten ihr sie zu verschlingen, wenn sie näher käme und alles zitterte, als sie mit jedem Schritt hart auf dem Boden aufkam und die Erschütterungen durch den ganzen Körper gingen.

Plötzlich hörte sie hinter sich Vanessa rufen, doch nicht mit der Stimme einer Frau sondern mit der Stimme eines jungen Mädchens. „Manela“, schrie sie aus voller Kehle. „Warte, Manela, lauf da nicht rein, halt“; doch sie hörte nicht auf ihre Bitten. Wut kam in ihr auf und sie wollte nur noch durch das kleine, in den Zaun geschnittene Tor rennen, es hinter sich zuknallen und inmitten des Waldes ihre Wut herausschreien. Sie hörte noch Vanessa rufen: „Sie hat das doch nicht böse gemeint“. Aber Manela war da anderer Meinung. Sie hatte es böse gemeint. Und damals wollte sie ihr beweisen, dass sie Unrecht hatte.

Als sie vor dem Wald stand überkam sie eine so große Furcht vor dem Dunkel, dass sie auf die Knie fiel und anfing bitter zu weinen; teils über die erlittene Niederlage, teils über ihre Angst, dass sie unfähig war auch nur den Kopf zu heben und dem Wald entgegenzusehen. Vanessa kam mit großen Schritten, so schnell sie eben konnte, auf sie zugestürmt und fiel ebenfalls neben ihr auf die Knie. Sie keuchte, legte ihren linken Arm um ihre Schultern und sah sie an; Manela wusste, was sie ihr mitzuteilen versuchte. Sie hat das wirklich nicht böse gemeint, sie will doch nur das Beste für uns.

Aber Manela konnte in den folgenden Wochen und Monaten nicht mehr recht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester unter einem Dach leben, und so strickte sie sich eine Lüge zusammen, unter deren Deckmantel sie sich einigelte. Sie zog zum Studieren nach Freiburg, so weit vom elterlichen Haus entfernt wie irgend möglich. Erich hatte sie unmissverständlich klargemacht, dass sie nichts von einer Heirat mit ihm hielt, obwohl sie ihn doch sehr gerne hatte.

Manela lief davon. Sie war zu feige um sich ihre Niederlage einzugestehen und zu kindisch, um mit ihr gut umzugehen. Sie machte sich alles kaputt und erhoffte sich daraus vielleicht tröstliche Worte jener Person, der gegenüber sie sich geschlagen glaubte, ihrer Mutter. Doch der Trost blieb aus. Wie sollte das auch anders sein? Ihre Mutter wusste nichts von einer Niederlage, sie ahnte nie, welche Gefühle ihre Tochter ihr gegenüber hegte. Sie fragte nach und wunderte sich, war verzweifelt und ratlos über die Entscheidungen Manelas. Da diese ihr gegenüber plötzlich sehr verschlossen wurde und sich viele Jahre lang nicht meldete, gab die Mutter den Gedanken auf, jemals wieder etwas von ihr zu hören. Sie starb in der scheinbaren Gewissheit, ihrer Tochter sei nichts mehr an ihr gelegen. Wenn sie gewusst hätte was in jener Nacht vor dem Gartentor passierte, wäre alles sicherlich anders gekommen.

Manela stand auf. Sie starrte das Tor an, dann den Wald, dann wieder das Tor. Entweder sie würde es tun oder den Rest ihres Lebens davonlaufen wie bisher. Da es erst den Tod ihrer Mutter erforderte um sie wieder vor das Tor zu bringen, fühlte sie sich dazu verpflichtet, den Beweis nun zu vollbringen. Sie drückte, wie anfangs die Türklinke im Elternhaus, die Klinke des Gartentores nach unten und machte es auf. Doch dieses Mal war keine Hand da, die sich sorgte; sie war auf sich alleine gestellt. Sie trat durch das Tor, machte es zu und fing an in den Wald zu rennen, bis das Licht des Hauses nicht mehr zu sehen war.

 

Hallo dust,

du beschreibst in deiner Geschichte eine typische Situation - den Konflikt zwischen Eltern und Kindern. Die Details dieser Auseinandersetzung sind mir bis zum Schluss etwas unklar geblieben, zumindest hast Du keinen Dissenz angedeutet, der die Reaktion von Manela, sich gar nicht mehr zu melden, gerechtfertigt hätte. Auch hab ich mich gefragt, in welcher Zeit bzw. welcher Gesellschaft die Geschichte spielt, da einige Vorstellungen, z.B. über die Ehe, mir doch etwas antiquiert vorkamen.
Was dir wirklich gut gelungen ist, ist die Gegenwart und die Vergangenheit in deiner Geschichte miteinander zu verweben.

Ein paar Sachen sind mir aufgefallen:

Wir, ich und Vanessa, hörten dir immer gerne zu wenn du vom Vater sprachst, denn dein Reden über ihn war sehr poetisch und anreizend.
Ich hab bei einigen Sätzen überlegt, ob Manela in der Situation wirklich so "gestelzt" geredet hätte. Dieser Satz ist denke ich ein gutes Beispiel dafür.
Bestimmt wollte sie das, dachte sich Menala.
Ich glaube, sie heißt Manela, oder ;)
Aber Menala konnte in den folgenden Wochen und Monaten nicht mehr recht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester unter einem Dach leben und so strickte sie sich eine Lüge zusammen, unter deren Deckmantel sie sich einigelte.
und nochmal ein Buchstabendreher im Namen ;)
Außerdem fehlen glaube ich an einige Stellen Kommas, aber da bin ich leider auch keine Expertin :)

Hat mir im Großen und Ganzen ganz gut gefallen, deine Geschichte.
Liebe Grüße
Juschi

 
Zuletzt bearbeitet:

Erstmal vielen Dank für deine erfreuliche Kritik, Juschi :)
Dachte, meine Geschichte kann niemand leiden, da sie niemand kommentiert hat bis jetzt.

Die Tippfehler werd ich gleich eliminieren. Bei den Kommas ist es des öfteren bei mir so wie bei Kafka: solange die Rhytmik stimmt, achte ich kaum darauf (in Diktaten bzw. Briefen o.Ä. dafür umso mehr :Pfeif: ).

Die Gesellschaft ist in der Tat eine alte, welche genau, darauf wollte ich mich nicht festlegen.

Manela meldet sich nicht mehr bei ihrer Mutter, weil diese sie am Anfang dazu erzogen hatte, selbstständig zu sein, dann aber zu ihr sagte (als eine mögliche Hochzeit am Horizont auftauchte), sie solle lieber heiraten und quasi eine Sklaverei eingehen als selbstständig zu bleiben und dafür vielleicht einsam und arm zu sterben. Aber du hast recht, es kommt nicht so klar herüber. Ich verliere öfters einfach die Lust daran, bestimmte Gesichtspunkte und manchmal auch Wichtiges in meinen Geschichten zu ändern bzw. mehr heraus zu arbeiten. Das sollte ich unbedingt ändern :dozey:

Das mit Manelas aufgesetzter Sprache: da das Ganze in einer alten Gesellschaft spielt, irgendwann in der Vergangenheit, habe ich mich an manchen Stellen dazu entschlossen, solche Formulierungen einzusetzen. Findest du das störend?

Ich habe noch eine Frage an dich: wie bist du auf den Namen "JUSCHI" gekommen? Hört sich cool an, find ich

lg,
Dust

 

Hi Dust,
du hast es so gewollt, hier deine Kritik *g*

Manela ging mit unruhigen Schritten auf die Tür ihres Elternhauses zu.
mit unruhigen Schritten? Warum benutzt du hier einen Dativ des Mittels, wo es ein einfaches Adjektiv doch tut?
Du bist die Geschichte über in der Innensicht, warum also schreibst du in der Außensicht?

Sie stand vor dem massiven Ding aus Holz und Metall, umfasste die Türklinke mit zitternder Hand und öffnete sie.
Du hast hier eine doppelte Aufzählung, das klingt nicht so schön, wie es könnte

Kurz bevor Manela aus dem Haus auf die alte Veranda hinaustrat, umfasste sie eine Hand, zärtlich und wohlbekannt, an der linken Schulter

Plötzlich blitzten grundlos Bilder aus ihrer Jugend in Manela auf und sie sah sich selbst und ihre Schwester lachend durch die vielen Hügel auf der dem Wald abgewandten Seite laufen.
Das klingt wie ein Flashback aus einem Film - aber Film und Buch sind zwei völlig verschiedene Medien, du solltest nicht versuchen, sie zu verbinden.
Vorschlag: "Sie erinnerte sich an früher, als..."
Das mit der dem Wald abgewandten Seite klingt ein wenig geschraubt, das kannst du schöner formulieren.

Vanessas Gesicht sah jetzt, im krassen Kontrast zu damals, zusammengefallen und schmerzverzerrt aus.
Das es das in ihrer Jugend nicht getan hat, kann man sich denken, das ist hier überflüssig.

Manela hätte ihr am liebsten eine gescheuert, um jenen Gesichtsausdruck nicht mehr zu sehen, der sie so stark an ihre eigene Verzweiflung und ihren Schmerz erinnerte.
nicht mehr sehen zu müssen. Das kann man auch noch eleganter formulieren *g*

„Wohin willst du?“, fragte Vanessa mit abgehackter Stimme, als ließe sie das Weinen nicht mehr die Worte richtig aussprechen.
Das Weinen ist hier aktivisch, das finde ich unlogisch. Schreib lieber etwas wie "als könne sie vor lauter Tränen..." oder so. Vielleicht fällt dir ja noch eine Formulierung ein, die deutlich macht, wie sehr Manela ihre Schwester verabscheut - dieses "oh ja, tut mir Leid, dass du trauerst, das tu ich doch auch, aber..." Motiv ist ein wenig verbraucht.
Vorschlag: Manela trauert, verbirgt es aber in ihrem Innern - und sie verachtet ihre Schwester dafür, dass sie es so offen zeigt. Das würde die beiden Charaktere noch mal deutlich voneinander abheben und stünde auch dem späteren Storyverlauf nicht im Wege.

Ich halte es nicht aus, wenn soviel Menschen durch das Haus laufen.
so viele Menschen

Die sind alle zu mir gekommen und haben mir die Hand geschüttelt, und irgendwie wurde ich nie das Gefühl los, als ob sie alle Dämonen wären, die mich am Boden sehen wollten.
Das Beispiel klingt hier unnatürlich. Versuch, dich in die Lage deiner Prot zu versetzen - würdest du so etwas dann auch sagen?

Vielleicht wollte sie mit auf die Veranda kommen. Bestimmt wollte sie das, dachte sich Menala
bestimmt will sie das - der Gedankengang ist hier gleichzeitig. Deine Prot denkt ja in der Gleichzeitigkeit - wenn du hier nur berichten würdest, wäre es richtig.

Doch es war einer jener Augenblicke zwischen den beiden Schwestern, die schon so oft vorgeherrscht hatten
vorherrschen.. klingt ein wenig nach einem klinischen Bericht. "Die vorherrschenden Symptome..." Warum benutzt du nicht "stattfinden"? Oder "die es schon so oft gegeben hatte"?
Ich bin immer noch der Meinung, dass es einen deutlicheren Konflikt zwischen den Schwestern geben sollte. Manela war so lange weg - und da kommt sie zurück und alles ist wie früher?
Sie wusste, was ihre Schwester dachte, aber anders als früher machte es sie nicht mehr froh. Sie konnte die kleinen Gedanken huschen hören wie Ratten, sie waren genauso eklig wie Ratten. Kleingeistig, das war Vanessa, und das war das Leben gewesen, das sie geführt hatte. Würde sie jetzt, wo...

Vanessa war es zweifellos bewusst, dass ihre Schwester alleine sein wollte, nur für ein paar Augenblicke.
Hier hast du eine Wortdopplung von "Augenblicke", im Satz davor benutzt du das Wort auch schon.

Deswegen sagte sie nichts mehr und drehte sich um
Du bist in Manelas Innensicht, warum springst du hier zu ihrer Schwester? Das kann sie doch gar nicht wissen - sie sieht doch nur, dass sie sich wegdreht.

Manela drehte ebenfalls ihren Körper in Richtung Veranda und eine einsame Träne schoss ihr Gesicht herunter; sie zerplatzte auf dem Boden und schimmerte leicht in dem fahlen Licht einer Petroleumlampe, die einmal, vor vielen Jahren noch, auf der Veranda gebrannt hatte.
Sie sind doch auf der Veranda... oder nicht? Warum brennt denn die Lampe nicht mehr dort?
Das mit "Sie drehte ihren Körper" gefällt mir auch nicht so wirklich. Das klingt so distanziert... wie ein Pilot, "er drehte den Mech auf die feindlichen Linien zu"...
Das Bild mit der Träne ist auch wieder ein filmisches Mittel. Du kannst den Weg der Träne niemals so begleiten wie eine Kamera.
Sie fühlte, wie die Träne ihren Weg über ihr Gesicht nahm. Sie würde auf den Boden fallen und zerplatzen. Wusste der Boden, ob es eine Träne war oder ein Regentropfen, der auf ihn fiel?
Ach ja, wenn du in meiner Kritik schöne Formulierungen und/oder Rechtschreibfehler findest, darfst du sie behalten *g*

Sie sah die Welt wieder mit den Augen eines Mädchens. Alles schien größer zu sein als sie selbst. Am allergrößten sah zweifellos ihre Mutter aus. Sie saß auf einem mit Fell überzogenen Schaukelstuhl, wie eine wunderschöne Königin auf ihrem Thron, und strickte gerade einen Pullover für…
Bist du hier nachzeitig? Sieht sie ihre Mutter wirklich? Hat mich beim ersten Lesen irritiert. Schreib doch lieber "sie sah ihre Mutter vor sich..."

Der Zeitfluss versiegte; sie ging mit ruhigen Schritten auf ihre Mutter zu und setzte sich mit gesenktem Kopf vor ihr auf dem Boden, natürlich im Schneidersitz, so wie früher auch
Das ist auch ein komisches Bild

„Es tut mir so leid“, sagte sie mit zittriger Stimme. Ihr Gesicht hatte nun starke Ähnlichkeiten mit Vanessas, zusammengefallen und mit abgrundtiefer Traurigkeit erfüllt.
Innensicht! Dein Autor ist allwissend - er ist IN Manela - er schwebt nicht hinter ihr..

Sie sprach mit der Endgültigkeit, die ihr Schmerzen so tief werden ließ
Umformulieren!

bemerktest du mein Fortbleiben nicht; ganz alleine warst du ja nie, mit Vanessa an deiner Seite; doch ich denke, du weintest viele Nächte um mich und mein Verhalten und fragtest dich oft wieso
Lies diesen Satz mal laut vor - und jetzt überleg dir, ob jemand ihn so fomulieren, ihn so sprechen würde...

Manela sah wieder auf dem Boden, als schämte sie sich, ihrer Mutter geradeaus zu sagen, was ihr so schwer auf dem Herzen lag, welche Torheit sie zu ihrem Verhalten trieb.
als würde sie sich schämen, ihrer Mutter zu sagen, welche Torheit sie zu ihrem Verhalten getrieben hatte!

Unser Verhältnis war immer ein ganz Normales
normales hier aus irgendeinem Grund klein

Daran hatte sich kaum jemals etwas geändert, bis eines Tages vor etwa fünf Jahren wir wieder hier auf der Veranda saßen und dir zugehört hatten, wie du von Vater sprachst.
Ich weiss nicht, ob es dir mal aufgefallen ist - aber das einfache Präteritum wird in wörtlicher Rede kaum benutzt. Vorschlag:
"Unser Verhältnis ist doch immer ganz normal gewesen... du warst die Mutter, ich die Tochter, du hast etwas gesagt, ich bin dir gefolgt... Das hätte sich nie geändert, wäre dieser Tag nicht gekommen..."
Ich bin auch mit dem gesamten Absatz noch nicht zufrieden. Sie redet mit ihrer Mutter über ein Ereignis, wo sie beide dabeigewesen sind. Sie wissen beide, wovon sie redet. Also musst du ihren Text so umbauen, dass es auch so wirkt.

Wir, ich und Vanessa, hörten dir immer gerne zu wenn du vom Vater sprachst, denn dein Reden über ihn war sehr poetisch und anreizend
Sorry, Kleines, aber so redet IRL (in real life) keiner! Um einen realistischen Dialog (oder meinetwegen auch Monolog) hinzukriegen, musst du darauf aufpassen, dass die Sprache so natürlich wie möglich klingt - ohne es zu übertreiben. Da musst du ein Mittelmaß finden...

Du beschriebst den Vater immer als herausragende Persönlichkeit, als hübsch und gebildet und immer lustig. Mir und Vanessa schmeichelte solch Reden, denn wir schlossen daraus auf uns selbst.
Wie gesagt - das klingt total gestelzt!

Manela fing an zu weinen und strich mit zitternder Hand über ihr Gesicht, um die Tränen wegzuwischen, die ihr dick und erbarmungslos im Gesicht standen.
Dieses "dick und erbarmungslos" sind mMn die falschen Adjektive, um Tränen zu beschreiben.
Auch hier finde ich die Charakterisierung nicht so toll. Wenn Manela wirklich die innere Stärke besessen hat, aus diesem Leben auszubrechen.. meinst du dann, sie offenbart ihre Tränen vor ihrer Schwester? Glaubst du nicht, sie empfindet Vanessa als schwach - und will nicht auf ihre Ebene herabsinken?
mMn ist weinen bei ihr verkehrt. Sie müsste sich selbst als stärker empfinden als ihre Schwester - ist nur meine Einschätzung.

Du wolltest uns alle nicht hinter einem Mann in Ketten laufen sehen, das sagtest du so oft, vor allem zu mir als älterer deiner beiden Töchter
sie macht sehr lange Sätze, ist dir das auch schon aufgefallen?

Doch eines Tages, nachdem ich Erich kennen lernte und er um meine Hand anhielt und ich dir erschrocken und verwirrt davon erzählte,
um Hand anhalten ist mittelalter-Stil. Ist mir zwar schon passiert - aber das war auf einem Live-Rollenspiel...

Ich fragte dich, was mit der Sklaverei sei, und du meintest

Sie sah noch einmal ihre Mutter an, drehte sich dem dunklen Wald links von sich zu und begann, immer schneller werdend und bald in panischem Laufen verfallend, zu ihm hinzurennen.
Hier sind mir diese blöden Partizipien im Weg - du kannst viel schoener beschreiben, viel naeher an die Prot heran... wenn du näher darauf eingehst

Die Bäume vor ihr, die wie Wände aufgereiht zu sein schienen, drohten ihr sie zu verschlingen, wenn sie näher käme und alles zitterte, als sie mit jedem Schritt hart auf dem Boden aufkam und die Erschütterungen durch den ganzen Körper gingen.
dieser Satz ist eigentlich zwei. "Jeder Schritt war eine Erschütterung in ihrem ganzen Körper, ihr Kopf dröhnte unter den bronzenen Glockenschlägen ihrer Schritte. Die Bäume - aufgereiht wie Latten an einem Zaun warteten sie, um sie zu verschlingen..."

Plötzlich hörte sie hinter sich Vanessa rufen, doch nicht mit der Stimme einer Frau, sondern mit der Stimme eines jungen Mädchens.
Hier - Wortdopplung, stilistisch unschön. Ich finde immer noch, wenn du deutlicher auf die zwangsmäßige Entfremdung der beiden Schwestern umgehst, hast du hier viel mehr Potential. "Sie hörte Vanessa rufen - doch nicht die fremde Frau, die sie heute Nachmittag im Haus ihrer Mutter getroffen hatte, sondern ihre geliebte Schwester..."

Als sie vor dem Wald stand, überkam sie eine so große Furcht vor dem Dunkel, dass sie auf die Knie fiel und anfing bitter zu weinen;
Der zweite Satz ist hier unnötig - sie weint aus Angst vor dem Dunkel...

teils über die erlittene Niederlage, teils über ihre Angst, teils darüber, dass sie unfähig war auch nur den Kopf zu heben und dem Wald entgegen zu sehen.
Warum hier so ein langer Satz? Warum nur teils, teils, teils, und nicht und, und, und? *g*

Sie keuchte, legte ihren linken Arm um ihre Schultern und sah sie an
ihr den Arm... welcher, ist hier doch egal

Aber Menala konnte in den folgenden Wochen und Monaten nicht mehr recht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester unter einem Dach leben, und so strickte sie sich eine Lüge zusammen

Sie war zu feige um sich ihre Niederlage einzugestehen und zu kindisch, um mit ihr gut umzugehen.
Das ist hier eindeutig wertend. Warum lässt du den Leser nicht zu einem eigenen Schluss kommen?

Sie machte sich alles kaputt und erhoffte sich daraus vielleicht tröstliche Worte jener Person, der gegenüber sie sich geschlagen glaubte, ihrer Mutter.
Hatte sich alles kaputt gemacht - hier gleichzeitig, warum lässt du nicht Manela denken? "Ich habe alles zerstört, in der Hoffnung auf Trost, aber da war kein Trost, nur Scherben..."

Ihre Mutter wusste nichts von einer Niederlage, sie ahnte nie, welche Gefühle ihre Tochter ihr gegenüber hegte.
Warum schreibst du das? Warum lässt du Manela nicht zu dem Schluss kommen?

Sie fragte nach und wunderte sich, war verzweifelt und ratlos über die Entscheidungen Manelas.
Wie musste sie sich den Kopf zerbrochen haben! Wie musste sie gerätselt und geweint haben, die Entscheidung ihrer Tochter konnte sie nicht verstanden haben...

Wenn sie gewusst hätte was in jener Nacht vor dem Gartentor passierte, wäre alles sicherlich anders gekommen.
passiert war

Entweder sie würde es tun, oder den Rest ihres Lebens davonlaufen wie bisher.
Vor was laeuft sie davon? Und wann hat sie es überhaupt erkannt?

Da es erst den Tod ihrer Mutter erforderte um sie wieder vor das Tor zu bringen,
erfordert hatte

Sie drückte, wie anfangs die Türklinke im Elternhaus, die Klinke des Gartentores nach unten, und machte es auf.

So, jetzt zum Inhalt, zum Gesamteindruck.

Manela bleibt mir hier zu blass - du hast exzellente Möglichkeiten, sie zu charakterisieren, aber was weiß ich über sie? Sie sehnt sihc nach der Liebe ihrer Mutter, kann diese jedoch aus irgendeinem Grund nicht annehmen. Außerdem finde ich , dass du die von mir vorgeschlagene Änderung in Manelas Charakter gut einbringen könntest. Sie hat lange Jahre allein gelebt. Sie weiß, wer Schwäche zeigt, wird von den Tieren zerrissen. Meinst du nicht, da würde sie ihre Tränen verstecken, vielleicht auf ihre Schwester herabsehen, die sie so offen zeigen kann? Irgendwie so etwas fehlt mir in der Story, etwas, das dem Leser schon zeigt, wie fremd sich Manela und Vanessa sind, bevor es aus der Geschichte deutlich wird.

Mit dem Plusquamperfekt scheinst du so deine Schwierigkeiten zu haben. Es wird verwendet, wenn eine Handlung, die in der Vergangenheit passiert ist, abgeschlossen ist. Beispiel:
Meine Mutter erzählte mir immer von Drachen, Elfen und Trollen.
Situation: Mutter erzählte es, könnte es immer noch erzählen.
Meine Mutter hat mir immer von Drachen, Trollen und Elfen erzählt.
Situation: Die Mutter hat es immer gemacht - aber sie macht es nicht mehr, kann es nicht mehr. Die Handlung ist abgeschlossen, das Märchen zuende...

Die Geschichte hab ich aber gern gelesen - schreibe, lese, lerne, Dust! *gg*

lieben Gruß
vita

 

Hi Vita,

so viel Arbeit für meine Geschichte? Vielen Dank

Als erstes muss ich dich enttäuschen, du scheinst zu glauben, ich sei weiblich, aber Gott wollte es anders. Woran hast du deine Meinung festgemacht?

Ich werd auf deine Vorschläge eingehen, aber erst in den nächsten Tagen. Das mit der Sprache, innerer Monolog, etc.: Ich war mir bewusst, dass so wie in meiner Geschichte niemand reden würde, wenigstens heutzutage nicht. Ich wollte es einfach "alt" klingen lassen (spielt auch in der Vergangenheit).
Plusquamperfekt, hmm, dachte nie, jemand würde etwas an den Zeiten zu kritisieren haben. Ich lese mir die Geschichte unter diesem Gesichtspunkt noch einmal durch. Aber du musst wissen, in meiner Geschichte wechselst die Zeit sehr oft zwischen Manelas Zeitpunkt des erzählens, zwischen ihrer Vergangenheit usw. Teils auch im selben Satz. Vielleicht ist das unüblich, aber das bin ich :) Versprochen, werds mir nochmals so durchsehen, dass ich auch ganz genau darauf achte wann ich welche Zeit unter welchem Kontext verwendet habe.
Das mit der Kamera: ich habe gerade das versucht, die Träne wie mit einer Kamera zu begleiten. Außerdem sind Vanessa und Manela da nicht auf der Veranda, sondern im Haus.
Hmm... Vanessa wird vielleicht schwächer von mir dargestellt, aber meine Intention war folgende: ich wollte sie als die niedliche, kleinere Schwester der "unabhängigen Amazone" Manela darstellen, nicht unbedingt geistig schwächer. Zwischen den beiden Schwestern wollte ich ganz und gar nicht (aus irgend einem Grund widerstrebt es mir) unterschiedlich darstellen.

Ich werde schreiben, lesen, lernen, dusten :D

Vielen vielen vielen herzlichen Dank für deine Mühen, sie werden nicht umsonst sein :read:

lg,

Dust

 

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