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Der Biss der Sonne
Der Hunger nagt in meinen Adern. Mein Körper ist ausgezehrt. Dünn fließt der Lebenssaft und ich spüre starke Schwäche in mir, eine Schwäche, die ich früher nicht kannte.
Das schwache Mondlicht lässt die Schatten der Bäume tanzen und ich bade im Licht der Mutter Mond. Die fahlen Strahlen streicheln mein Gesicht und schenken mir Augenblicke des Wohlseins. Diese verflüchtigten sich aber schnell, denn der Hunger bohrt.
Was ist aus mir geworden?
Schlafe ich in den Morgenstunden todmüde ein, so erwache ich gerädert in der Abenddämmerung auf. Es gab Tage, vor vielen Dekaden, da wandelte ich sogar bei Tageslicht und suchte mir meine Beute. Das ist lange her! So lange. Wo sind sie geblieben: Chekova, Muldana, Hubertus und all die anderen? Meine Weggefährten. Meine Beißgenossen.
Wir tranken in wilden Orgien das Blut unserer Opfer. Ausgesuchter Opfer. Wir fällten nicht wahllos, nein, wir suchten uns nur das bekömmlichste Blut aus. Manche dieser Mahlzeiten waren uns viele Wochen und gar Monate gefällig. Einige wurden wie wir.
Lange ist es her. Heute streife ich alleine durch die Wälder und mehr und mehr schmerzt mich das Tageslicht. Ich bin allein. Und es gibt auch keine Opfer mehr. Ab und an gelingt es mir ein Tier zu überlisten. Doch das Blut der Fauna ist nicht so kräftigend wie das Blut der Menschen. Es stillt wohl meinen Hunger, doch schenkt es mir keine Kraft.
Ich fresse Beeren und Gras, um den Schmerz des Hungers zu stillen, aber nach kurzer Zeit breche ich den Brei wieder aus. Der wahre Hunger ist von anderer Art: Ich brauche Blut!
*
Heute gehe ich zur Straße, die von Osten nach Westen führt. Dort werde ich lauern, denn nur dort habe ich die Chance, auf Menschen zu treffen.
Menschen! Nennen sich Herren der Welt. Benehmen sich entsprechend, sich maßlos überschätzend, ihre Umwelt mit Füßen tretend. Ignoranten!
Fort sind sie! Irgendwann ging die letzten. Was taten sie uns damit an? Sie beraubten uns unserer Nahrungsgrundlage. Nach und nach verschwanden sie. Zum einen aus Angst vor uns, vielleicht, denn die meisten nahmen von uns keine Notiz und die Gebissenen versuchten ihren Makel zu verbergen, zum anderen aus der Not heraus in den großen Städten ihr Glück und Brot zu suchen.
Sie beraubten uns unserer Nahrungsgrundlage!
Zu spät bemerkten wir das Ausbleiben der Opfer. Die Kinder, die wir mit den Menschen zeugten, brauchten frisches Blut, nicht viel, aber dennoch reichte es nachher nicht mehr. In vielen Jahren schmolz unsere Population dahin; durch natürlichen Tod, durch die Hand eines Vampirjäger oder einfach, weil viele meiner Artgenossen auswanderten. Verschwanden!
Ich schaffte den Absprung nicht. Mir ging es lange gut und als ich bemerkte, dass es kaum noch Nahrung für mich gab, setzte meine Schwäche ein. Das Blut der Menschen mochte teilweise schwach gewesen oder mit Giften durchsetzt sein. Ich weiß es nicht. Es ist müßig, darüber nachzudenken.
So schleppe ich mich durch mein Revier, auf der sinnlosen Suche nach etwas Trinkbarem.
Menschen! Ich brauche Menschen.
*
Die Straße liegt verlassen vor mir im abendlichen Mondlicht. Ich lasse mich an einem Baum nieder, so, dass man mich nicht von der Straße aus sehen kann. Die Haut meiner Hände ist spröde und als meine Finger über meine Wangen streichen, lösen sich Hautfetzen ab. Ich trockne aus! So einfach.
Dann schaue ich den Baum hinauf, sehe dort den starken Ast. Dorthinauf muss ich! Von da aus kann ich dann auf das Opfer springen. Wenn denn eines auftaucht. Egal. Klagen nützt mir nichts. Es ist gleichgültig, was ich tue. Hauptsache, ich handle. Was bleibt mir sonst?!
Ich atme tief durch, erhebe mich und hangele den Baum hoch. Es gab Zeiten, in denen ich mich Kraft meiner Gedanken in ein fledermausartiges Wesen verwandeln und fliegend die höchsten Höhen erreichen konnte. Jetzt geht es nur noch auf menschlichem Wege. Mochte ich für einen Vampir schon recht schwächlich wirken und handeln, für einen Menschen, der mich beobachten könnte, sähe mein Aufstieg geschwind und behände aus. Als ich aber auf dem Ast sitze, fast liege, merke ich wieder meine Schwachheit. Schwer geht mein Atem und kalter Schweiß kriecht über meinen Körper. Ich hechele und schließe die Augen. Etwas Ruhe muss ich mir gönnen, denn falls wirklich Menschen auftauchen sollten, muss ich ausgeruht sein. Der erste Schlag muss gelingen.
*
Die Straße gehört zu den selten benutzten Wegen im Lande. Wichtige Wirtschaftswege der Menschen kreuzen sich scheinbar woanders. Vielleicht sind die Menschen ausgestorben? Durch irgendeine Seuche. Ihr Blut war oft schlecht genug. Oder es herrscht Krieg und sie schlagen sich in einer fernen Wüste des Goldes wegen die Schädel ein. Welche Verschwendung!
Meine Gedanken kreisen immer wieder um das gleiche Thema. Menschen! Ich kann an nichts anderes mehr denken. Der Gedanke an den herrlichen Geschmack des dunklen Saftes lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Menschen sind immer laut und reden immer fort. Ihr Blut wallt immer. Wenn sie wütend sind, wallt es noch heftiger. In ihrer Angst tobt das Blut gar durch die Adern. Aber immer plappern sie... Schon höre ich ihr Plappern!
Aber...
Das Plappern ist nicht in meinen Gedanken!
Ich höre menschliche Stimmen!
Meine Sinne sind hellwach und meine Augen werden zu schmalen Schlitzen. Ich konzentriere mich und blicke scharfen Auges in die Nacht. Der Schleier meiner Schwachheit verfliegt. Sollte mir das Mondglück hold sein?
*
Zwei Männer kommen von Osten. Zwei! Welcher Wahnsinn. Sie gehen schnellen Schrittes. Sie haben es eilig. Ich spüre ihre Unsicherheit. In ihre Ausdünstung der Anstrengung mischt sich Angstschweiß. Diese Männer sind auf der Flucht oder unterwegs, um rechtzeitig ein bestimmtes Ziel zu erreichen, an dem sie eine Entscheidung treffen müssen oder wo etwas geschehen ist, was sie direkt betrifft.
In ihrer Eile achten sie nicht auf die Umgebung. Sie wollen die Straße und den anliegenden Wald schnell hinter sich bringen.
Die richtigen Opfer für mich!
Sie werden nicht anhalten und ruhen. So werde ich sie nicht im Schlaf befallen können. Mir bleibt nur der erste Biss!
Ich lache in mich hinein und versuche mit dem Ast, auf dem ich lauere, eins zu werden. Die Männer werden mich nicht sehen.
*
Den Kleineren der Beiden werde ich nehmen! Er wirkt nicht so kräftig. Beide scheinen unbewaffnet, was mir sehr entgegenkommt. Auch normale Waffen verursachen mir Schmerz und zu normalen Zeiten hätten sie mich praktisch nur gepiesackt. Aber in meinem jetzigen Zustand würden sie mich wahrscheinlich vernichten.
Die Zuversicht in mir wächst. Ein machtvoller Strom pulsiert durch meine kalten Adern. Fast wie in alten Tagen. Das Blut der Beiden wird mich so weit stärken, um die Kraft aufzubringen, dieses öde Land zu verlassen.
Als sie unter mir sind, stoße ich ein Zischen aus. Unbewusst. Ich weiß, dass dies ein Fehler ist, sein muss. Es ist die Gier in mir. Die Gier nach Blut. Aber zur Korrektur ist es zu spät.
Geschmeidig gleite ich vom Ast, falle vom Baum und stürze, pfeilschnell wie ein Raubvogel, auf den kleineren der Männer. Ich meine, ich wäre pfeilschnell.
Bevor ich mein Opfer erreichen kann, starrt er nach oben und stößt einen Schrei aus. Sein Gefährte wirbelt herum. Dann bin ich heran und kralle ich mich fest, bin im Nacken des Kleinen. Sein panisches Schreien durchstößt gellend die Nacht.
Ich öffne meinen Mund weit zum Biss, aber wir stürzen und ich halte mich an der Brust des Mannes fest. Wir wälzen über den Boden. Der kleine Mensch ist wider Erwarten stark und ich kann meinen Biss am Hals nicht ansetzen.
*
Da rast gewaltiger Schmerz durch meinen Körper!
Er geht von meiner rechten Hand aus. Es brennt wie Feuer!
Ich kann es nicht fassen! Was trägt dieses Menschentier um seinen Hals?
Als der Mann auf den Bauch rollt, stoße ich mich von seinem Rücken ab. Mein Blick fällt auf die rechte Hand, oder auf die Verkrüppelung, dort, wo sie sein sollte. Meine Augen wollen nicht glauben, was sie wahrnehmen. Drei meiner Finger sind zerfallen. Die Hand qualmt und ich sehe mit an, wie eine Art Feuer die Hand entlang kriecht. Es zerfrisst meine Finger.
Der kleine dicke Mann springt auf und ich starre ihn ungläubig an. Auf seiner Brust blinkt es silbern im Mondlicht. Ein Kreuz. Nein! Das ist es nicht. Es kann mir nicht schaden. Es ist ein aber ein Holzkreuz, versetzt mit Silber. Meine Gedanken rasen, mein Fleisch wird zu Staub. Dann rieche ich es. Knoblauch! Das Kreuz, getränkt in Knochlauchsaft. Verfluchte Brut! Knoblauch in Verbindung mit jenem Eichenholz, mit dem die Jäger uns pfählen. Ich reagiere allergisch auf Knoblauch. Ich vertrage es nicht. Jetzt, in meiner Schwachheit schon gar nicht!
Verflucht...
*
Dann knallt etwas auf den Hinterkopf. Der Schädel springt mir fast von den Schultern und ich stürze vornüber. Meine Sinne schwinden. Erneut trifft mich ein Schlag auf den Kopf. Der zweite Mann. Dann werde ich bewusstlos.
*
In der Hölle ist es heiß. Denn dort herrscht immerwährende Hitze. Es scheint Stunde um Stunde die Sonne, die uns versengt und doch nicht verbrennt. Die Hölle der Vampire. Denn ein anderes Jenseits gibt es für uns nicht. Keine Ewigkeit. Das ist unser ewiger Traum, ein immerzu währender Albtraum.
Denn eigentlich sind wir unsterblich. Eigentlich.
Ich schlage die Augen auf und weiß, dass ich nicht in der Hölle bin.
Aber das ist auch egal.
Denn über mir steigt die Sonne zum Himmel.
Es ist früher Morgen. Die ganze Nacht lag ich hier bewusstlos. Bewusstlos! So schwach bin ich, dass mich einige simple Schläge in die Bewusstlosigkeit schicken können!
Meine rechte Hand ist zerstört, ein schrumpeliges Etwas ohne Finger. Das Gift des Knoblauchholzes hat sie restlos zersetzt. Ich bin nur noch einhändig. Ein einhändiger Vampir!
Ich versuche mich zu erheben, schaffe es aber nicht. Ich drehe mich zur Sonne. Ihre Strahlen sengen mein Gesicht. Es schmerzt.
In vergangenen Tagen wandelte ich oft unter der Sonne, zwar meist im Schatten, aber sie schadete mir nicht. Jetzt ist es nicht mehr so.
Meine Haut zischt.
Mit tödlicher Sicherheit hat es heute ein Ende mit mir! Ich habe es nicht geschafft. Ich fand kein stärkendes Blut für mein Leben. So werde ich enden wie meine Vampirvorfahren, die das Licht der Sonne nicht sehen durften.
Der schützende Schatten ist unendlich weit entfernt. Zwei Meter!
Nein! Ich werde es nicht mehr schaffen! Keuchend ziehe ich die Beine an, aber die Kraft meiner Arme reicht nicht aus, mich voranzuziehen. Matt falle ich aufs Gesicht.
Und im Nacken spüre ich den Biss.
Den finalen Biss. Den Kuss des Todes.
Es ist der Biss der Sonne, der mich zu Staub zerfallen lässt.
ENDE
Ostern/Sommer 2004