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Der Blutmond
„Du darfst ihn nicht fressen lassen. Zieh die Zügel hoch.“ Mahali war schwer zu durchschauen. Ich wusste nicht, ob sie sich über mich ärgerte oder ob sie mich einfach nur belächelte. „Der hat heute Morgen schon gefressen. Zeig ihm, wer der Boss ist. Sonst bleibt du noch über Nacht hier unten.“ Mahali grinste.
Ich zerrte an den Zügeln. Widerwillig hob Erdbeere den Kopf, schnaubte und trottete wieder den anderen Pferden hinterher.
Wie kann man ein Pferd nur Erdbeere nennen, dachte ich.
Und warum ausgerechnet ich hier auf dem Rücken eines Pferdes ritt, war mir auch schleierhaft. Eigentlich mochte ich keine Pferde. Deswegen mochten sie mich wohl auch nicht. Doch Dani hat mir diesen Ausflug ins Waipio Valley wärmstens empfohlen. Das müsse man einfach gemacht haben. König Kamehameha der Grosse habe sich immer hierhin zurückgezogen, wenn er wichtige Entscheidungen für das Volk treffen musste. Aber erstens war ich nicht König Kamehameha der Grosse und ich hatte auch keine wichtigen Entscheidungen zu treffen.
Ich war auf Big Island.
Zum Surfen.
„Wenn der Tsunami-Alarm losgeht hat jeder hier im Tal fünfundvierzig Minuten Zeit, seine Sachen zu packen und das Tal zu verlassen.“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Mahali sich zurückfallen liess und neben mir ritt. „ Die Pferde dort drüben sind verwilderte Hauspferde. Beim letzten Tsunami mussten sie zurückgelassen werden. Irgendwie konnten sie jedoch den Wassermassen entkommen und überlebten.“
Mahali liess ihren Blick in die Ferne schweifen. Sie hatte ihr Haar zu einem Knäuel zusammengebunden. Ein paar dunkle Strähnen hingen über ihren braungebrannten Nacken, der sich mit ihren kräftigen Schultern und zierlichen Armen zu einer schwungvollen Linie verband.
Sie sah mich an.
Ich fühlte mich ertappt.
„Hm. Wohnst du denn hier unten?“, lenkte ich ab.
„Ja. Dort drüben.“ Sie zeigte auf eine kleine Holzhütte. Zwischen zwei Bäumen hing eine weisse Hängematte. „Dort bin ich aufgewachsen und dort wohne ich heute noch.“
Ich versuchte, mir das alles vorzustellen. Als würde sie meine Gedanken lesen können, fügte sie hinzu: „Um in die Schule zu kommen, musste ich jeden Tag die Strasse hinaufkraxeln.“
Mahali lachte. Zwischen ihren Schneidezähnen war ein kleiner Spalt. Sie schloss ihren Mund und lächelte.
Jeden Tag hinaufgekraxelt, dachte ich und lächelte zurück. Mir war schon mulmig, als Mahali, nachdem sie uns heute Morgen abgeholt hatte, den klapprigen Kleinbus den holprigen Weg hinuntersteuerte und während der Fahrt mit der rechten Hand weitschweifig ein paar Hintergründe zur Geschichte des Tals erläuterte und dabei haarscharf dem entgegenkommenden Verkehr auswich. Die Strasse hinunter ins Tal schien fast senkrecht hinabzufallen. Ich hatte versucht, während der Fahrt ein paar Bilder zu schiessen. Aber das wackelte zu sehr.
Mahali war inzwischen nach vorne getrabt, um die Gruppe anzuweisen. Die trägen Pferde drehten eine halbe Runde um eine Baumgruppe und trotteten im Entenmarsch hintereinander wieder den gleichen Weg durch das Bachbett zurück zum Stall. Als hätten sie Valium gefressen. Zum Glück. Denn schliesslich waren wir alle Touristen, die keine Ahnung vom Reiten hatten. Und doch schien mir, dass der eine oder andere nach dem Absteigen glaubte, er besässe ein gewisses Talent. Ich sah Mahali an und wir grinsten.
„Greg, bringst du die Leute wieder nach oben?“ Greg führte die Pferde zurück in den Stall, drehte sich um und nickte. Mahali warf ihm die Schlüssel des Busses zu und bedankte sich mit Handzeichen.
Sie drehte sich um zu mir: „Heute ist Blutmond. Bleibst du bei mir?“
Da war er wieder. Derselbe Blick, mit dem sie die wilden Hauspferde beobachtete. Ich war völlig überrumpelt und nickte.
Mahali machte ein paar Schritte, drehte sich um und bat mich mit einem Kopfnicken mitzukommen. Ich schloss auf und ging neben ihr her.
„Heute ist der 7. Oktober. Du kannst heute den Blutmond sehen. Ich muss morgen wieder arbeiten. Ich fahr dich dann zurück.“
Ich hatte noch nie von einem Blutmond gehört. Mahali erklärte mir etwas von einer totalen Mondfinsternis, von rotwelligen Anteilen des Sonnenlichts, die den Mond blutig erscheinen lassen. Sie sprach auch von Früchten, die scheusslich schmeckten, aber heilende Wirkung haben sollten, und liess mich kosten. Mir war, als finge Mahali an zu blühen. Sie sortierte die Fetzen meiner Eindrücke und malte mir ein buntes Bild damit. Nach und nach wurde das Grün auch für mich satter. Nach und nach erschlossen sich auch mir die ungewöhnlichen Formen und Farben der tropischen Blüten. Nach und nach wehte auch um meine Nase die Brise, die vom Duft der Passionsfrüchte getränkt war.
Ich weiss nicht, wie lange wir unterwegs waren. Ich hatte lange Zeit nicht einmal die Dämmerung bemerkt. Erst dann, als Mahali meine Hand nahm und mich durch das Dickicht führte. Es war dunkel hier. Mahali blieb stehen. Ich auch. Wir lauschten den lauthals ausgetragenen Diskussionen der Frösche und fühlten uns nicht alleine. Bis wir ein paar Schritte weitergingen, der Weg sich lichtete und wir an einen Strand gelangten. Der Vollmond tauchte das Meer in Glitzer. Mahali legte sich in den Sand, klopfte mit der Hand auf die Stelle links neben sich und forderte mich mit einem Lächeln auf, mich zu ihr zu legen.
Ich legte mich hin. Ruckte noch etwas hin und her, bis mir bequem war und schaute. Über uns rollte sich der Sternenhimmel aus. Wir lagen da und sonnten uns im Licht des Vollmondes.
Mahali legte ihre Hand auf meine. „Psst. Jetzt beginnt es.“ Nach und nach, begleitet vom rhythmischen Rauschen der Wellen, legte sich ein Schatten über den Mond. Als wolle er uns an die Schattenseiten unseres Lebens erinnern. Noch war eine Sichel zu sehen. Mahali drückte meine Hand. Das silberne Mondlicht wich und nach kurzer Zeit schimmerte der Vollmond rötlich, als hätte ihn jemand in Blut getaucht.
Ich sah zu Mahali hinüber. Eine Träne rollte über ihre Wange. Sie richtete sich auf, drehte sich zu mir hinüber und setzte sich auf mich. Ihr Kopf verdeckte den Blutmond. Sie griff die Enden ihres ärmellosen Shirts, zog es über ihren Kopf, legte es zur Seite, griff hinter ihren Rücken, entfernte den BH, öffnete den Gurt meiner Hose und zog den Reissverschluss hinunter. Mein Atem wurde schwerer. Mahali stand auf zog auch noch ihre Stiefel, Socken und Hose aus, legte mein erigiertes Glied frei und führte es ein.
Mir war nicht klar, ob sie bei mir war. Sie war bei sich. Und doch erzählte sie mir alles, was sie bisher verschwiegen hatte. Mit einem Schrei, als brenne der Blutmond in ihrem Rücken, spannten sich sämtliche Muskeln ihres sehnigen Körpers, bevor sich ihr müde gewordener nackter Körper wie eine weiches Tuch über mich legte.
Das Rot des Blutmondes erblasste zusehends und wich danach der wiederkehrenden silbernen Sichel. Wir schauten noch zu, wie der Mond immer voller wurde. Doch kaum hatte er sein Licht wiedererlangt, schliefen wir ein.
Als ich aufwachte, war Mahali weg. Ich sammelte meine Habseligkeiten ein und suchte meinen Weg zurück zu den Ställen. Dort angekommen, hielt ich nach Mahali Ausschau. Fand aber nur Greg.
„Hey. Da bist du ja. Ich fahre dich gleich nach oben“, meinte Greg und deutete auf den Bus.
Ich zögerte. „Ne. Schon gut. Ich fahr mit Mahali. Sie hat ja gleich wieder eine Tour.“
„Mahali? Nein. Nach dem Blutmond arbeitet Mahali nie.“ Greg öffnete die Tür des Busses. Ich drehte mich noch einmal um und stieg dann ein.
Als ich in meinem eigenen Wagen wieder auf dem Weg Richtung Süden war, fielen mir die Kaktusse auf der Höhe von Waimea auf und ich musste an Dani denken.
Ich war auf Big Island.
Zum Surfen.