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Der Fette

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08.11.2020
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Der Fette

So sehr ich auch hinüber starrte, ich konnte ihn nicht verstehen. Seit etwa einer Stunde saß ich dem Fetten nun direkt gegenüber an der Bar und beobachtete, wie er ein Bier nach dem anderen trank. Er musste beim siebten sein. Während dieser Zeit hatte er nicht ein einziges Mal seine Miene verändert, starrte ununterbrochen auf das Glas vor sich. Nur wenn er einen seiner tiefen Schlucke nahm, bewegte er sich langsam und stockend, ließ den Blick jedoch weiterhin auf denselben Punkt gerichtet. Mit einem Kugelschreiber skizzierte ich sein Gesicht auf dem Bierdeckel vor mir, im Versuch, diesen Ausdruck auf ihm zu bannen. Als der erste voll war, nahm ich den zweiten und den dritten. Die Glatze zu zeichnen war kein Problem, auch die breite Nase nicht. Aber es blieb mir unmöglich, das Gesamtbild zu erfassen.

„Willst du nicht lieber was Hübscheres zeichnen?“
Die Blonde auf dem Hocker neben mir grinste mich an.
„Keine große Leistung.“
„Scheint fast so, als wärst du verliebt.“
Ich musste lächeln.
„Er erinnert mich nur an etwas.“
„Woran denn?“
„Das weiß ich leider selbst nicht.“
„Es bringt nichts, sich unbedingt daran erinnern zu wollen. Wenn es dir einfallen soll, dann mach lieber was Spaßiges.“
„Was denn zum Beispiel?“
„Du könntest dich mit mir unterhalten.“
So kam eines zum anderen und meine Nacht endete im Schlafzimmer der Blonden. Als ich mit ihr schlief, sah ich in ihrem Gesicht nur seinen geraden Mund und die leeren Augen.

Auch am nächsten Tag saß er am selben Platz, schüttete unzählige Biere in sich hinein. Bei meiner Ankunft hängte ich meine Jacke an den Haken neben seinem Hocker und konnte ihn so einige Momente von der Seite mustern. Er trug eine ausgeblichene Jeans und einen grauen Hoodie. Seltsamerweise hatte er die Beine eines schlanken Mannes, während sein Bauch riesig war. Er passte kaum hinter die Theke damit. Diesmal hatte ich extra einen Bleistift und einen Collegeblock mitgenommen. Ich zeichnete immer wieder und wieder das Gesicht, füllte eine Seite nach der anderen, aber das Wichtigste fehlte. Irgendwann war ich so müde, dass ich fast auf dem Hocker einschlief. Ich bezahlte meine Rechnung und ging mit dem Gefühl, gescheitert zu sein. Erst auf dem Weg nach Hause fiel mir auf, dass sich der Fette in all der Zeit nicht ein einziges Mal von seinem Platz entfernt hatte. Nicht einmal, um zur Toilette zu gehen. Was für eigenartige Prozesse mussten da hinter seiner Haut ablaufen?

Am nächsten Abend setzte ich mich neben den Fetten, exte einen Schnaps und lehnte mich leicht in seine Richtung.
„Du kommst öfter her, oder?“
„Hm.“
„Ist ein netter Laden.“
„Ja.“
„Ich hab irgendwie das Gefühl, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Wie heißt du?“
„Will ich nicht sagen.“
„Okay, dann keine Namen. Kannst du mir trotzdem sagen, was du so machst? Nur damit ich weiß, ob wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind.“
„Hab Durst.“
Ich bestellte zwei Bier. So saßen wir einige Minuten schweigend nebeneinander und tranken.
„Schaffe nicht mehr. Arbeitsunfall.“
„Ah, tut mir leid, zu hören. Hatte mein Vater auch.“
„Und? Wie kommt er damit klar?“
„Na ja, er ... kam nicht gut damit klar.“
„Hm.“
Ich hatte schon lange nicht mehr an meinen Vater gedacht. Wie war mir die Zeit mit ihm so aus dem Gedächtnis geglitten? Nun, wo ich den Fetten so aus der Nähe sah, ähnelten seine Züge etwas denen meines Vaters. Als mir dies auffiel, fühlte ich mich seltsam benommen.
„Du kommst her, um zu sterben.“
Er drehte sich zu mir um, sah mich an, sein Gesicht ausdruckslos. Ich sprang auf, warf ein paar Scheine auf die Theke und eilte zur Tür hinaus.

 

@Klamm,

Finde die Geschichte gut, vor allem die Idee dahinter.
Der Titel macht neugierig, passt für mich letztlich jedoch nur bedingt. Der Mann wird zwar als fett beschrieben, das hat jedoch kaum Einfluß auf die Geschichte. Ist ohnehin fraglich, ob es dies Attribut überhaupt braucht.
Die Pointe, dass er im Gesicht des Mannes das seines scheinbar vollkommen unbeteiligt (erfordert sicher eine enorme Menge Willenskraft, gleichgültig stranguliert zu werden) verstorbenen Vaters wiedererkennt, kommt für mich zu früh. Was danach kommt, trudelt nur mehr aus. Würde versuchen, die Erkenntnis näher an das Ende zu rücken.

BG,
Sammis

 

So sehr ich auch hinüber starrte, ich konnte ihn nicht verstehen. Seit etwa einer Stunde saß ich dem Fetten nun direkt gegenüber an der Bar und beobachtete, wie er ein Bier nach dem anderen trank. Er musste beim siebten sein. Während dieser Zeit hatte er nicht ein einziges Mal seine Miene verändert, starrte ununterbrochen auf das Glas vor sich. Nur wenn er einen seiner tiefen Schlucke nahm, bewegte er sich langsam und stockend, ließ den Blick jedoch weiterhin auf denselben Punkt gerichtet. Was mich allerdings am meisten irritierte, war der Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich konnte ihn einfach nicht zuordnen. Lag darin Neutralität? Müdigkeit? Nein, nicht ganz. Es musste irgendetwas anderes sein. Aber was? Mit einem Kugelschreiber skizzierte ich sein Gesicht auf dem Bierdeckel vor mir, im Versuch, diesen Ausdruck auf ihm zu bannen. Als der erste voll war, nahm ich den zweiten und den dritten. Irgendwann hatte sich ein kleiner Stapel vor mir aufgetürmt. Die Glatze zu zeichnen war kein Problem, auch die breite Nase nicht. Aber es blieb mir unmöglich, das Gesamtbild seines Gesichts zu erfassen.

Moin,

less is more, denke ich. Wird klar, dass er an etwas dran ist und versucht.

„Willst du nicht lieber was Hübsches zeichnen?“
Die Blonde auf dem Hocker neben mir grinste mich herausfordernd an. Sie hatte sichtlich ihre Freude daran, mich aus meinen Gedanken gerissen zu haben.
„Keine große Leistung, hübscher zu sein.“
„Und trotzdem siehst du die ganze Zeit zu ihm rüber.
Scheint fast so, als wärst du verliebt.“
Ich musste lächeln.
„Er erinnert mich nur an etwas.“
„Woran denn?“
„Das weiß ich leider selbst nicht und ich komme auch ums Verrecken nicht drauf.
„Tja, sowas kenne ich. Meistens fällt es einem dann Tage später ein, wenn man gerade was völlig anderes macht. Wenn ich daraus eine Sache gelernt hab, dann die: Es bringt nichts, sich unbedingt daran erinnern zu wollen. Wenn es dir einfallen soll, dann mach lieber was Spaßiges.“
„Was denn zum Beispiel?“
Der Dialog an sich: bella. Doch auch hier ... mehr Geheimnis.

Rausgehen würde ich:

So kam eines zum anderen und mein Abend endete in ihrer Wohnung. Doch auch als ich mit ihr schlief, konnte ich an nichts anderes als an die Miene des Fetten denken. Die Blonde räkelte sich unter mir, doch ich sah in ihrem Gesicht nur seinen geraden Mund und die leeren Augen.

Da hast du alles auf einmal.
Auch am nächsten Tag saß er am selben Platz, schüttete unzählige Biere in sich hinein. Bei meiner Ankunft hängte ich meine Jacke an den Haken neben seinem Hocker und konnte ihn so einige Momente von der Seite mustern. Er trug eine ausgeblichene Jeans und einen grauen Hoodie. Seltsamerweise hatte er die Beine eines schlanken Mannes, während sein Bauch riesig war. Er passte kaum hinter die Theke damit. Das ganze Bier schien direkt in den Oberkörper aufgenommen zu werden. Diesmal hatte ich extra einen Bleistift und einen Collegeblock mitgenommen. Ich zeichnete immer wieder und wieder das Gesicht, füllte eine Seite nach der anderen. Erfolglos. Es gelang mir einfach nicht, auf das Papier zu bringen, was mich an diesem Gesicht faszinierte. Alles Aufgezeichnete dokumentierte zwar ungefähr die Form seines Mundes, seiner Augen und seiner Nase. Auch die Stellung seiner buschigen Augenbrauen. Aber das Wichtigste fehlte. Nur was war es? Irgendwann war ich so müde, dass ich fast auf dem Hocker einschlief. Ich bezahlte meine Rechnung und ging mit dem Gefühl, gescheitert zu sein. Erst auf dem Weg nach Hause fiel mir auf, dass sich der Fette in all der Zeit nicht ein einziges Mal von seinem Platz entfernt hatte. Nicht einmal, um zur Toilette zu gehen. Wohin verschwand das ganze Bier nur, das er in sich kippte? Was für eigenartige Prozesse mussten da hinter seiner Haut ablaufen?
Hier steht das Geheimnis drin. Nicht verraten! Die schlanken Beine deuten es an.
In dieser Nacht schlief ich unruhig. Mehrmals wurde ich wach und hörte mein Herz in der Brust hämmern. Es existierte kein anderes Geräusch in der Schwärze meines Schlafzimmers. Dann fiel ich zurück in einen Halbschlaf, sah bunte Bilder in die Dunkelheit eindringen. Leuchtendes Grün. Der Garten meiner Kindheit. Schwacher Wind, der durch die Bäume streifte. Ein Rauschen. Ich ging ins Haus und suchte nach meinem Vater, irrte durch riesige Räume, doch konnte ihn nicht finden. Nur auf dem Dachboden hatte ich noch nicht gesucht. Also stieg ich die Treppe hoch, sah meine dünnen Beine immer höher steigen. Dort oben fand ich ihn. Eine Schlinge um seinen Hals, schaukelte er sachte von links nach rechts. Es schien ihm egal zu sein, dass ich ihn sah. Er starrte nur an die Wand, auf einen Punkt irgendwo über mir. Auf seinem Gesicht lag kein Leiden, keine Verzweiflung. Seine Miene war dieselbe wie jeden Tag. Immer wenn er am Esstisch saß und ich ihm von meinem Schultag erzählte. Unbewegte Gesichtszüge.
Das würde ich ersatzlos streichen. Danach kann ja nichts mehr kommen, oder? Es wird klar, was er in dem Gesicht sieht. Warum auch nicht subtil in einem Dialog lösen?
Am nächsten Abend setzte ich mich neben den Fetten, exte einen Schnaps und lehnte mich leicht in seine Richtung.
„Sie kommen öfter hier her, oder? Hab Sie schon mehrmals gesehen.“
„Hm.“
„Ist ein netter Laden. Gibt zwar schönere, aber immerhin ist der Alkohol billig.“
„Ja.“
„Wissen Sie, ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Wie heißen Sie?“
„Will ich nicht sagen.“
„Okay, dann keine Namen. Könnten Sie mir trotzdem erzählen, was Sie so machen? Nur damit ich weiß, ob wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind.“
„Nein, danke.“
Ich bestellte ein Bier. So saßen wir einige Minuten schweigend nebeneinander und tranken.
„Sie kommen her, um zu sterben.“
Er zuckte zusammen, drehte sich zu mir um, sah mich an. In diesem Moment war es einfach, seine Miene zu deuten. Es war reines Entsetzen. Dann sprang er auf, warf ein paar Scheine auf die Theke und eilte zur Tür hinaus.

Der Dialog. Sagt er wirklich: Sie.

Kommst ja ziemlich oft her.
Guter Laden, oder,
Jaja, aber sag mal: Kenn ich dich irgendwoher?

Und hier gibt es die Y-Kreuzung in Geschichten. Wo willst du damit hin? Würde er ihn fragen: Willst du hier sterben? Nee, oder? Er müsste irgendwann drauf kommen: Dein Gesicht sieht so aus wie ... und dann ist es ER der die Scheine auf den Tisch knallt und abhaut. Er erträgt das nicht. Und das wird dann klar. Später. Der Fette kommt mit ihm vorher ins Gespräch und sagt, ich hab das und das gearbeitet, und der Erzähler denkt, GENAU wie mein Vater, und irgendwann - klick.

Du machst ja fast das Gleiche wie mein Alter.
Und, haste denn guten Kontakt zu dem?
Nee, der is ... also, mein Vater der, der hat sich ...
-FINE-

Der Erzähler erinnert sich. Der Fette bleibt passiv. Er hat keinen Grund zu gehen. Der Erzähler erschrickt vor dem Blick, den er kennt. Und dann bleibt beim Leser die Frage stehen. Offen. Ah, hat der sich umgebracht? Der HAT sich umgebracht.

Erinnert mich von der Anlage her an Raymond Carver, was nie verkehrt ist.

Also, alles drin in dem Text, bisschen mehr Schärfe, mehr Präzision, mehr Geheimnis, und bei den Dialogen ruhig mehr umgangssprachlich, wir sind inner Kneipe, Mensch!

Gerne gelesen.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Klamm,

„Sie kommen her, um zu sterben.“
Hier kippte es für mich endgültig ins "Seltsame" bzw. Absurde.

Die Grundidee finde ich nicht schlecht - dass der Prot diesen Gesichtsausdruck wiederfindet und entschlüsselt. @Henry K. würde das ausbauen und mehr in die Länge ziehen - für mich kratzt es jetzt schon an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit. Der Ausdruck ist dem Prot doch sehr vertraut, du schreibst, dass sein Vater den 1. immer hatte und 2. eben auch bei seinem Tod. Hier konterkariert übrigens 1. die Dramatik von 2. Und wenn er da jetzt tagelang rumzeichnet und grübelt, finde ich das merkwürdig. Wie alt ist der Prot denn, ist das schon so lange her? - Trotzdem, der Tod des Vaters ist doch was Einschneidendes. (Oder hier nicht? Warum?)

Klar, du brauchst eine erstmal unverfängliche Tätigkeit, bei der der Prot dann merkt: Huch, damit will sich ja einer umbringen. Aber Trinken in der Kneipe finde ich da ziemlich ungeeignet, denn du hast da auch noch Bier gewählt (nicht mal Schnaps?!), also, wie viele Jahr(zehnt)e dauert das denn, sich mit so was Schwachem totzusaufen? ;)
Überleg doch mal, ob dir da nicht noch was Besseres einfällt.

Und dass der dann eine komische Körperform hat (wie viele Jahre sitzt der denn da schon so? :D), ist ja nur so Beiwerk und in der Tat im Grunde irrelevant. Damit finde ich auch den Titel schwach, da würde ja eher "Der Ausdruckslose" oder so passen.

Von der Handlung her hat die Geschichte was Traumartiges, die Sprache ist aber eher nüchtern-rational. Könnte man eindeutiger aufeinander abstimmen.

Soweit, was mir durch den Kopf geht.
Viele Grüße
Maeuser

 

Hi @Henry K.,

ja, kann man so sehen, aber für mich weist da zu wenig auf diese Lesart hin, dass das so ein starkes Trauma ist. Dann müsste das tatsächlich ausgebaut werden, aber dann fände ich es auch noch unlogischer, dass der Prot so lange (und dann noch länger) braucht, um das zu entschlüsseln, wenn das dann doch ziemlich dicht unter der Oberfläche liegt..

Viele Grüße
Maeuser

 

Hey @Sammis,

danke dir für deinen Kommentar!

Der Titel macht neugierig, passt für mich letztlich jedoch nur bedingt. Der Mann wird zwar als fett beschrieben, das hat jedoch kaum Einfluß auf die Geschichte. Ist ohnehin fraglich, ob es dies Attribut überhaupt braucht.
Hmm, also ich habe es als äußerlicher Hinweis auf eine mögliche Krankheit des Mannes angelegt. Also die Kombination fetter Bauch und dünne Beine. Ob es das braucht? Na ja, kann man so oder so sehen.

Die Pointe, dass er im Gesicht des Mannes das seines scheinbar vollkommen unbeteiligt (erfordert sicher eine enorme Menge Willenskraft, gleichgültig stranguliert zu werden) verstorbenen Vaters wiedererkennt, kommt für mich zu früh. Was danach kommt, trudelt nur mehr aus. Würde versuchen, die Erkenntnis näher an das Ende zu rücken.
Du sprichst da schon einen wichtigen Punkt an. Der Aufbau der Geschichte ist vom Spannungsbogen her suboptimal, schätze ich. Da muss ich mir noch mal Gedanken drüber machen, wie ich das noch verbessern kann.
Zu der gleichgültigen Strangulation: Die Geschichte ist ja aus der Ich-Perspektive und der Protagonist beschreibt, wie ihm dieses traumatische Ereignis wieder in Form eines Traums einfällt. Das Auffinden des Vaters ist also nicht als Tatsachenbericht gemeint.

Danke dir für deine Zeit!


Hey @jimmysalaryman,

ich ziehe deinen Kommentar mal vor, damit ich auf die anderen zusammen antworten kann. In deinem Kommentar steckt echt eine ganze Menge drin. Ich finde es beim Schreiben sehr schwer zu entscheiden, was man ausführen muss und was man weglassen kann. Ich denke, ich werde die meisten deiner Anmerkungen so übernehmen und den Text dann in seiner neuen Form eine Zeit lang auf mich wirken lassen.

So sehr ich auch hinüber starrte, ich konnte ihn nicht verstehen. Seit etwa einer Stunde saß ich dem Fetten nun direkt gegenüber an der Bar und beobachtete, wie er ein Bier nach dem anderen trank. Er musste beim siebten sein. Während dieser Zeit hatte er nicht ein einziges Mal seine Miene verändert, starrte ununterbrochen auf das Glas vor sich. Nur wenn er einen seiner tiefen Schlucke nahm, bewegte er sich langsam und stockend, ließ den Blick jedoch weiterhin auf denselben Punkt gerichtet. Was mich allerdings am meisten irritierte, war der Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich konnte ihn einfach nicht zuordnen. Lag darin Neutralität? Müdigkeit? Nein, nicht ganz. Es musste irgendetwas anderes sein. Aber was? Mit einem Kugelschreiber skizzierte ich sein Gesicht auf dem Bierdeckel vor mir, im Versuch, diesen Ausdruck auf ihm zu bannen. Als der erste voll war, nahm ich den zweiten und den dritten. Irgendwann hatte sich ein kleiner Stapel vor mir aufgetürmt. Die Glatze zu zeichnen war kein Problem, auch die breite Nase nicht. Aber es blieb mir unmöglich, das Gesamtbild seines Gesichts zu erfassen.
less is more, denke ich. Wird klar, dass er an etwas dran ist und versucht.
Bei den ersten beiden Teilen stimme ich dir voll zu, aber braucht es nicht den letzten Satz, um seine Unzufriedenheit mit den Ergebnissen darzustellen? Ich hab es etwas gekürzt: "Aber es blieb mir unmöglich, das Gesamtbild zu erfassen."

„Willst du nicht lieber was Hübsches zeichnen?“
Die Blonde auf dem Hocker neben mir grinste mich herausfordernd an. Sie hatte sichtlich ihre Freude daran, mich aus meinen Gedanken gerissen zu haben.
„Keine große Leistung, hübscher zu sein.“
„Und trotzdem siehst du die ganze Zeit zu ihm rüber.
Scheint fast so, als wärst du verliebt.“
Ich musste lächeln.
„Er erinnert mich nur an etwas.“
„Woran denn?“
„Das weiß ich leider selbst nicht und ich komme auch ums Verrecken nicht drauf.
„Tja, sowas kenne ich. Meistens fällt es einem dann Tage später ein, wenn man gerade was völlig anderes macht. Wenn ich daraus eine Sache gelernt hab, dann die: Es bringt nichts, sich unbedingt daran erinnern zu wollen. Wenn es dir einfallen soll, dann mach lieber was Spaßiges.“
„Was denn zum Beispiel?“
Der Dialog an sich: bella. Doch auch hier ... mehr Geheimnis.
So kam eines zum anderen und mein Abend endete in ihrer Wohnung. Doch auch als ich mit ihr schlief, konnte ich an nichts anderes als an die Miene des Fetten denken. Die Blonde räkelte sich unter mir, doch ich sah in ihrem Gesicht nur seinen geraden Mund und die leeren Augen.
Rausgehen würde ich:
Da hast du alles auf einmal.
Auch in dem Absatz habe ich das meiste übernommen.

Auch am nächsten Tag saß er am selben Platz, schüttete unzählige Biere in sich hinein. Bei meiner Ankunft hängte ich meine Jacke an den Haken neben seinem Hocker und konnte ihn so einige Momente von der Seite mustern. Er trug eine ausgeblichene Jeans und einen grauen Hoodie. Seltsamerweise hatte er die Beine eines schlanken Mannes, während sein Bauch riesig war. Er passte kaum hinter die Theke damit. Das ganze Bier schien direkt in den Oberkörper aufgenommen zu werden. Diesmal hatte ich extra einen Bleistift und einen Collegeblock mitgenommen. Ich zeichnete immer wieder und wieder das Gesicht, füllte eine Seite nach der anderen. Erfolglos. Es gelang mir einfach nicht, auf das Papier zu bringen, was mich an diesem Gesicht faszinierte. Alles Aufgezeichnete dokumentierte zwar ungefähr die Form seines Mundes, seiner Augen und seiner Nase. Auch die Stellung seiner buschigen Augenbrauen. Aber das Wichtigste fehlte. Nur was war es? Irgendwann war ich so müde, dass ich fast auf dem Hocker einschlief. Ich bezahlte meine Rechnung und ging mit dem Gefühl, gescheitert zu sein. Erst auf dem Weg nach Hause fiel mir auf, dass sich der Fette in all der Zeit nicht ein einziges Mal von seinem Platz entfernt hatte. Nicht einmal, um zur Toilette zu gehen. Wohin verschwand das ganze Bier nur, das er in sich kippte? Was für eigenartige Prozesse mussten da hinter seiner Haut ablaufen?
Hier steht das Geheimnis drin. Nicht verraten! Die schlanken Beine deuten es an.
Hier bin ich mir wieder etwas unsicher. Genau genommen habe ich die Figur des Fetten in meiner Geschichte noch nicht beschrieben. Ich habe ihn nur als "den Fetten" bezeichnet. Verliert die Geschichte nicht etwas, wenn das Bild nicht gezeichnet wird, dass er kaum hinter die Theke passt? Ich nehme alles raus bis auf dieses Bild und den letzten Satz, da er für mich seine Obsession beschreibt und die Geschichte etwas weiter von der Realismusschiene nimmt.

Am nächsten Abend setzte ich mich neben den Fetten, exte einen Schnaps und lehnte mich leicht in seine Richtung.
„Sie kommen öfter hier her, oder? Hab Sie schon mehrmals gesehen.“
„Hm.“
„Ist ein netter Laden. Gibt zwar schönere, aber immerhin ist der Alkohol billig.“
„Ja.“
„Wissen Sie, ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Wie heißen Sie?“
„Will ich nicht sagen.“
„Okay, dann keine Namen. Könnten Sie mir trotzdem erzählen, was Sie so machen? Nur damit ich weiß, ob wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind.“
„Nein, danke.“
Ich bestellte ein Bier. So saßen wir einige Minuten schweigend nebeneinander und tranken.
„Sie kommen her, um zu sterben.“
Er zuckte zusammen, drehte sich zu mir um, sah mich an. In diesem Moment war es einfach, seine Miene zu deuten. Es war reines Entsetzen. Dann sprang er auf, warf ein paar Scheine auf die Theke und eilte zur Tür hinaus.
Der Dialog. Sagt er wirklich: Sie.

Kommst ja ziemlich oft her.
Guter Laden, oder,
Jaja, aber sag mal: Kenn ich dich irgendwoher?

Und hier gibt es die Y-Kreuzung in Geschichten. Wo willst du damit hin? Würde er ihn fragen: Willst du hier sterben? Nee, oder? Er müsste irgendwann drauf kommen: Dein Gesicht sieht so aus wie ... und dann ist es ER der die Scheine auf den Tisch knallt und abhaut. Er erträgt das nicht. Und das wird dann klar. Später. Der Fette kommt mit ihm vorher ins Gespräch und sagt, ich hab das und das gearbeitet, und der Erzähler denkt, GENAU wie mein Vater, und irgendwann - klick.

Du machst ja fast das Gleiche wie mein Alter.
Und, haste denn guten Kontakt zu dem?
Nee, der is ... also, mein Vater der, der hat sich ...
-FINE-

Der Erzähler erinnert sich. Der Fette bleibt passiv. Er hat keinen Grund zu gehen. Der Erzähler erschrickt vor dem Blick, den er kennt. Und dann bleibt beim Leser die Frage stehen. Offen. Ah, hat der sich umgebracht? Der HAT sich umgebracht.

Mir gefallen deine Ideen dazu gut. Ich denke auch, dass ich da einige Sachen verändern muss. Meine ursprüngliche Idee war, dass der Fette sich durchschaut und ertappt fühlt und deshalb flieht. Aber da mache ich, glaube ich, ein weiteres Feld auf, was auf die Kürze des Textes vermutlich nicht so richtig funktioniert. Wahrscheinlich funktioniert es besser, wenn es sich ausschließlich um den Erzähler dreht. Und in der jetzigen Form musste ich ja die Auflösung nach vorne ziehen, um das drinnen zu haben. Insgesamt war ich mit dieser Flashback-Traum-Auflösung auch nicht zu 100% zufrieden.

Ich bin jetzt in der Überarbeitung einen Zwischenweg gegangen, bei dem ich deine Dialogauflösung und meinen Auflösungssatz etwas vermischt habe. Bin mir noch nicht sicher, ob diese Mischung so funktioniert wie erhofft. Mal sehen.

Erinnert mich von der Anlage her an Raymond Carver, was nie verkehrt ist.

Also, alles drin in dem Text, bisschen mehr Schärfe, mehr Präzision, mehr Geheimnis, und bei den Dialogen ruhig mehr umgangssprachlich, wir sind inner Kneipe, Mensch!

Gerne gelesen.

Das hat mich sehr gefreut, auch wenn ich von Raymond Carver bisher noch nichts gelesen habe. Wird wohl Zeit ihn auf die Leseliste zu schreiben.

Ich danke dir sehr für deine Zeit und den sehr inhaltsreichen Kommentar!

Grüße
Klamm

 

Hey @Henry K.,

danke dir für deinen langen Kommentar! Habe ihn nach hinten verschoben, damit ich gleichzeitig auf Maeuser antworten kann. Hoffe das ist okay.

die Geschichte liest sich gut runter, finde ich. Insgesamt schön formuliert, was die Dialoge und allgemeine Lebendigkeit der Figuren angeht, allerdings noch ausbaufähig.

Die Idee, also den Plot, finde ich nicht schlecht. Mich stört nur ein wenig, wie selbstverständlich hier schon sehr ungewöhnliche Dinge behandelt werden. Erst merkt man das vielleicht nicht, denn es ist ja eine Geschichte und damit erst mal eine eigene Welt mit eigenen Regeln.

Danke erstmal. Ja, ich kann verstehen, dass dich diese Punkte stören. Ich glaube, dass wir beide relativ unterschiedliche Zugänge zum Schreiben haben. Mir gefallen eigene Welten mit eigenen Regeln. Ich schreibe auch nahezu alle Texte in Ich-Perspektive, weil ich eine subjektive Wahrnehmung der Umwelt durch den Erzähler zeichnen will.

Aber ist es nicht bemerkenswert, dass der Erzähler einfach so seine Tage in einer Kneipe verbringt, ohne Kontext, ohne weitere Interaktion bis auf die mit der Dame, mit der er dann auch gleich mal eben nebenbei im Bett landet, und am Ende mit dem Wirt? Also auf den zweiten Blick ist das doch ein kurioses Szenario, über das ich gerne mehr erfahren würde.
Zum Beispiel dazu: Ob niemand der Gäste das bemerkt ist ja gar nicht gesagt, sondern der Erzähler sieht es nicht, weil er dieser Obsession (hab mir das Wort mal ganz frech geklaut :D) folgt. Zudem wird er ja zweimal darauf angesprochen. (In der überarbeiteten Version nur einmal.)

Und dann die Tatsache, dass er zeichnet. Ich zeichne auch ein wenig und um ein Gesicht naturgetreu und "live" zu zeichnen, braucht man jahrelange Übung, vor allem, wenn das Gegenüber dann auch noch irgendwo rumsitzt und sich bewegt. Und er kritzelt da so rum auf Bierdeckeln mit dem Anspruch, das Essentielle eines fremden Gesichts zu treffen? Also das zu erreichen, was grosse Kunst auszeichnet? Ist das nicht völlig vermessen? Und dann bringt er sogar einen anderen Bleistift mit, so als führe am Zeichnen kein Weg vorbei? Warum eigentlich? Ist er ein Künstler? Wenn ja, wäre das sicher auch erzählenswert.
Nein, in meinem Kopf sitzt er nicht mit Baskenmütze in der Bar und will die nächste Mona Lisa malen. Ich sehe das Zeichnen eher als eine Reaktion auf das Gesicht des Fetten. Er versucht es aufzuzeichnen, weil er vom Anblick alleine nicht draufkommt und versucht, ob er nicht in Zeichnungen drauf kommt. Die Bierdeckel sind das erste, das da ist und am nächsten Tag lässt ihn das Gesicht immer noch nicht los, deshalb geht er mit Block und Bleistift hin.

Und warum merkt der Fette das nicht? Menschen sind in der Regel recht aufmerksam. Wer mal versucht hat, in der Öffentlichkeit fremde Leute zu zeichnen, weiss, dass sie dauernd zu einem herübergucken und man muss dann dauernd absetzen oder was übers Blatt legen, wenn man nicht entdeckt werden will. Dabei fühlt man sich auch schuldig, denn man dringt irgendwie in die Intimsphäre ein. Solche Gefühle hat der Erzähler alle nicht. Das wundert mich. Wenn die Leute es dann doch mitbekommen, dass man sie zeichnet oder gezeichnet hat, ist das erst recht peinlich und ab dann kann man sie auch nicht mehr einfach so mal zeichnen, denn dann sind sie unsicher und reagieren auf einen.
Danke für diesen Einblick. Ich zeichne nicht und habe auch noch nie versucht eine fremde Person zu zeichnen, also glaube ich dir das einfach mal. Na ja, ich schreibe ja mehrmals, dass der Fette die ganze Zeit auf einen festen Punkt starrt. Er nimmt ja sowieso nicht am Leben um sich rum teil, sondern ist die ganze Zeit in Gedanken oder eher gedanklicher Leere. Insofern würde ich argumentieren, dass er es einfach nicht mitkriegt oder zumindest so tut.

Letztlich kommt da auch diese Obsession zu den Punkten dazu. Die nimmt der Erzähler unterm Strich schon recht schulterzuckend hin: Huch, da bin ich doch plötzlich von einem fetten Fremden in einer Bar besessen und weiss gar nicht, warum. Was willste machen? Muss ich eben jetzt jeden Tag dahin und ihn zeichnen! Was sonst?
Ist es noch eine Obsession, wenn man sich dabei hinterfragen kann?

Ich finde, und das ist ganz klar nur eine persönliche Meinung, dass Texte wie der hier davon profitieren, in die Breite zu gehen. Ja, Minimalismus etc. ist en vogue und generell gilt es immer erst mal als kunstfertig, Dinge wegzulassen. Aber manchmal wird es dann doch sehr bruchstückhaft und löchrig am Ende. Hier wäre in meinen Augen viel mehr Wucht dahinter, wenn sich das Ganze über Wochen abspielen und langsam steigern würde, mit zwischenzeitlichen Aufs und Abs, immer neuen Versuchen, das Ganze zu enträtseln, dabei aber auch immer wieder alles reflektierend und am Sinn der ganzen Rätselei zweifelnd, ein langsamer, "realistischerer" Abstieg in einen (grundlosen?) Wahn :-)
Ich bin da unschlüssig. Was gerade en vogue ist, weiß ich nicht. Ich schreibe einfach gerne kurze Texte und es ist mir ein Graus Sachen dazu zu stecken, wenn in meinen Augen die Geschichte erzählt ist. Für mich fühlt es sich dann an, als würde ich die Geschichte einfach nur mit Füllmittel aufblasen. Ob das so funktioniert, wie ich das mache? Keine Ahnung. Ich bin in der ganzen Theorie zum Schreiben auch nicht versiert, sondern schreibe einfach Texte, die mir selbst gefallen.
Ich werde mir nochmal in Ruhe überlegen, ob ich den Text verlängere und da hast du mir ja mit deinen vorherigen Punkten schon einige Anmerkungen mitgegeben, wo man noch ausweiten könnte. Danke dafür! Und auch danke für die Fotografen-Idee. Die werde ich in meine Überlegungen mit einbeziehen.

Gerade kommt mir noch die Idee, den Mann zu einem Fotografen zu machen, der einen Laufkunden für Porträtaufnahmen hat und absurd lange rumknipst, bis es schon peinlich wird. Immer stört ihn was, aber weil er natürlich durch seine Arbeit und die ständige kurze Kommunikation abgelenkt ist, kann er nicht gross in die Tiefe gehen und das im Moment selbst ergründen. Erst im Nachhinein macht es dann "Klick" haha. Dann hätte man im Text eine Rechtfertigung für eine Abbildungssituation und der Protagonist wäre auch direkt mit dem Fremden in Kontakt. Nur wie man den Tod dann noch in die Gleichung bekommt ... Vielleicht ist der Fremde trotz jeder Beleuchtungsart und jedem Filter blass 💀 ... I don't know. Anyway, bin gespannt auf die Antworten, Klamm.

Also dir vielen Dank für die Kommentare und deine Zeit!

Hey @Maeuser,

danke auch dir für deinen Kommentar!

Die Grundidee finde ich nicht schlecht - dass der Prot diesen Gesichtsausdruck wiederfindet und entschlüsselt. @Henry K. würde das ausbauen und mehr in die Länge ziehen - für mich kratzt es jetzt schon an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit. Der Ausdruck ist dem Prot doch sehr vertraut, du schreibst, dass sein Vater den 1. immer hatte und 2. eben auch bei seinem Tod. Hier konterkariert übrigens 1. die Dramatik von 2. Und wenn er da jetzt tagelang rumzeichnet und grübelt, finde ich das merkwürdig. Wie alt ist der Prot denn, ist das schon so lange her? - Trotzdem, der Tod des Vaters ist doch was Einschneidendes. (Oder hier nicht? Warum?)
genau den Gedanken hatte ich auch. Darum schrieb ich von "(grundlosem?) Wahn" - das Szenario funktioniert für mich überhaupt nur, wenn es nicht wirklich der Ausdruck oder die Miene des Vaters ist, um die es geht. Es geht um die Obsession. Im besten Fall bleibt am Ende offen, ob da überhaupt eine Ähnlichkeit war oder ob nicht viel mehr die Suche selbst, also diese obsessive und völlig willkürlich erscheinende Beschäftigung mit einem Fremden, ein Abwehrreflex bzw. Symptom von Verdrängung ist, also ob der Protagonist nicht aus unbewältigter Trauer den Verstand verliert. (Denke die ganze Zeit an Hunger von Knut Hamsun, aber kann nichts darüber schreiben, weil ich mich eigentlich an nichts mehr konkret erinnern kann, ausser an den Plot: Mann leidet Hunger und verliert den Verstand, ausgebreitet auf hundertfünfzig Seiten oder was.)
ja, kann man so sehen, aber für mich weist da zu wenig auf diese Lesart hin, dass das so ein starkes Trauma ist. Dann müsste das tatsächlich ausgebaut werden, aber dann fände ich es auch noch unlogischer, dass der Prot so lange (und dann noch länger) braucht, um das zu entschlüsseln, wenn das dann doch ziemlich dicht unter der Oberfläche liegt..
@Maeuser und @Henry K., ich schreibe einfach die Idee dahinter mal runter. Nicht, weil ich euch unbedingt den Text erklären will, sondern um drüber zu reden. Ich habe Hunger übrigens gelesen und für sehr gut befunden. =D


Meine Idee dahinter war, dass der Protagonist den Tod des Vaters verdrängt hat, wobei in diesem Fall vielleicht Amnesie durch ein traumatisches Erlebnis die eindeutigere Bezeichnung ist. Das Gesicht des Fetten erinnert ihn an dieses Ereignis, weil die Person oder der Ausdruck dem Vater ähnlich sieht, oder der Erzähler zumindest denkt, er sähe ihm ähnlich. Er versucht mit dem Zeichnen an diese verdrängte Erinnerung ranzukommen.
Ich war der Meinung, dass dieser Flashback-Traum, in dem er sich als Kind sieht, sehr in diese Richtung zeigt. Hm. Dass der Protagonist das nicht sofort erkennt, sondern dafür eine Zeit braucht, liegt ja in der Natur einer Verdrängung.

Klar, du brauchst eine erstmal unverfängliche Tätigkeit, bei der der Prot dann merkt: Huch, damit will sich ja einer umbringen. Aber Trinken in der Kneipe finde ich da ziemlich ungeeignet, denn du hast da auch noch Bier gewählt (nicht mal Schnaps?!), also, wie viele Jahr(zehnt)e dauert das denn, sich mit so was Schwachem totzusaufen? ;)
Überleg doch mal, ob dir da nicht noch was Besseres einfällt. Und dass der dann eine komische Körperform hat (wie viele Jahre sitzt der denn da schon so? :D), ist ja nur so Beiwerk und in der Tat im Grunde irrelevant.
Hm, na ja. Damit ist ja nicht gemeint, dass der Fette sich das konkrete Ziel gesetzt hat: "Heute mach ich Schluss!". Ging mir mehr um Selbstzerstörung. Musste beim Schreiben an ein Gedicht von Bukowski denken:

"I went to the worst of bars hoping to get killed.
but all I could do was to get drunk again.
worse, the bar patrons even ended up liking me.
[...]"

Damit finde ich auch den Titel schwach, da würde ja eher "Der Ausdruckslose" oder so passen.
Hmmm, aber es spielt ja schon eine Rolle in dem Text, dass die Person fett ist. Mag den jetzigen Titel eigentlich ganz gerne.

Von der Handlung her hat die Geschichte was Traumartiges, die Sprache ist aber eher nüchtern-rational. Könnte man eindeutiger aufeinander abstimmen.
Ja, da hast du recht. Werde ich versuchen zu verbessern.

Ich danke dir jedenfalls für die Zeit, die du dem Text gewidmet hast.

Grüße
Klamm

 

Hey @Klamm,

find ich gut, den Text. Sehr kurz und flott gelesen, sprachlich gut. Und am Ende auch ein bisschen traurig. Da fragt man sich schon, wer da alles in der Bar auch so betrübt rumsitzt, wenn man dann mal weggeht. :D

So sehr ich auch hinüber starrte, ich konnte ihn nicht verstehen. Seit etwa einer Stunde saß ich dem Fetten nun direkt gegenüber an der Bar und beobachtete, wie er ein Bier nach dem anderen trank. Er musste beim siebten sein. Während dieser Zeit hatte er nicht ein einziges Mal seine Miene verändert, starrte (er) ununterbrochen auf das Glas vor sich. Nur wenn er einen seiner tiefen Schlucke nahm, bewegte er sich langsam und stockend, ließ den Blick jedoch weiterhin auf denselben Punkt gerichtet.
Ich würde hier zum Einstieg evtl. etwas kürzen, damit der Leser schneller drin ist. Was ich rausnehmen würde, habe ich mal markiert. Ist aber nur ein Vorschlag, am zu Beginn evtl. etwas mehr Zug zu haben.

Das Gespräch mit der Frau erscheint mir nicht sonderlich realistisch. Klingt eher, als wäre der Prota in einem Freudenhaus und sie versucht, ihn schnell für sich zu gewinnen. Verstehst du, was ich meine? :D Besser wäre vielleicht, wenn sich die beiden schon länger kennen bzw. schon zusammen sind. Dann fragt man sich nicht so, wer die eigentlich ist und warum die sofort so versessen auf den Prota ist.

Ansonsten ein guter Text, hat mir sehr gefallen.

Ich wünsche ein erholsames Wochenende.

Liebe Grüße
gibberish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Klamm,
ausnahmsweise habe ich mal die Kommentare gelesen, wollte keine Textanmerkungen unnötig doppelt machen.
Ob die Geschichte zu kurz ist, oder ausgebaut werden muss ist meiner Ansicht nach in diesem Fall eher eine Angelegenheit von Vorlieben. Dein Text enthält alle Informationen, die man braucht, um die Situation zu verstehen.
Was mich stört, ist das 'Abenteuer' mit der Frau. Nicht weil es so etwas nicht gibt, sondern weil man es zu oft liest. Wenn Themen und stilistische Elemente immer wieder reproduziert werden, führt dies zu Langeweile (ist bei deinem Text nicht passiert, es gibt schließlich nur dieses eine, für mich kritikwürdige Element. Ob der Plot an sich verbraucht ist ... ist wahrscheinlich eine Sache der Empfindung/Leseerfahrung).

Das Ganze ist nicht hochspannend (wann gibts das schon), aber unterhaltsam.

So sehr ich auch hinüber starrte, ich konnte ihn nicht verstehen.
Wenn man auch starrt, nicht angespannt lauscht, sich anstrengt etwas zu hören, dann versteht man auch nix. :D
Während dieser Zeit hatte er nicht ein einziges Mal seine Miene verändert, starrte ununterbrochen auf das Glas vor sich
Hier findest du sicher noch einen Ersatz für "starrte", um die Wiederholung zu vermeiden und den mimischen Ausdruck zu variieren.

Beste Grüße,

Woltochinon

 

Hallo @Klamm

Ich habe bereits die initiale Version deiner Geschichte gelesen und muss sagen, dass sie mir besser gefallen hat. Gerade im Kontext von Weird/Seltsam, da ist durch die strikten Kürzungen doch etwas verloren gegangen, finde ich. Eigentlich vermisse ich gar nicht viel, nur einen Aspekt: Ursprünglich habe ich die Story so interpretiert, dass der Prota vom Fetten in der Bar irgendwie angezogen wird, weil ihn dessen Gesicht(sausdruck) an seinen Vater erinnert, an dessen Tod, als der sich auf dem Dachboden erhängt hat. Dann ist der Prota schleichend selbst 'zum Fetten' geworden, weil er auch tage- und nächtelang in dieser Bar sass und soff. Wahrscheinlich hätte ihn irgendwann ein ähnliches Schicksal ereilt wie seinen Vater zuvor oder er hätte sich vielleicht ebenfalls zu Tode gesoffen, wie er das bei dem Fetten vermutet. Das fand ich einen schönen Twist und deshalb gut gelungen. Deine Änderungen und Kürzungen zeigen mir aber, dass meine Interpretation von Dir wohl so nicht wirklich beabsichtigt war ... Nichtsdestotrotz finde ich es etwas schade, dass das weggefallen ist! ;-)

Nun ist die Story wirklich 'bare bones' und könnte gut auch als Flash Fiction durchgehen, denke ich. Sie gefällt mir immer noch, nicht falsch verstehen. An gewissen Stellen könnte aber etwas mehr beigefüttert werden, finde ich, z.B. was die künstlerische Ader des Protas anbetrifft, das Zeichnen, das würde den Charakter etwas mehr vertiefen. Vielleicht auch ein, zwei Sätze zusätzlich, was seinen Vater anbetrifft. Dann die (jetzt auch stark gekürzte?) Szene mit der Barbekanntschaft, die schwebt so etwas losgelöst im Raum, die könnte noch etwas mehr Fleisch auf die Knochen vertragen. Vielleicht kriegt der Prota keinen hoch, weil er eben den Fetten, oder gewisse Merkmale von ihm, in den Gesichtszügen der Frau erkennt, oder er rollt sich irgendwann schockiert von ihr runter, weil ihm bewusst wird, was oder wen er da sieht, irgend sowas. So wird das in einem einzigen Satz nur ganz kurz angerissen und wirkt etwas aus der Luft gegriffen, weil es nicht wirklich etwas mit dem Prot macht, es wird zwar gut gezeigt, wie er von dem Gesicht des Fetten verfolgt wird, aber da ginge noch mehr, finde ich, vor allem konkret(er): Wie fühlt er sich dabei?

Als ich mit ihr schlief, sah ich in ihrem Gesicht nur seinen geraden Mund und die leeren Augen.
Vielleicht würde sich auch ein kurzer Dialog anbieten. Schlussendlich haut er dann beschämt, verunsichert, verstört, whatever ab. Nur ein Vorschlag natürlich. Im Gegensatz zu meinem Vorkommentator hat mich die Szene nicht gestört, aber ich finde, sie könnte noch etwas mehr mit der restlichen Story verzahnt werden.

So sehr ich auch hinüber starrte, ich konnte ihn nicht verstehen.
Der erste Satz hat mich direkt verwirrt. Wie soll er durch sein Starren den Fetten verstehen/Verständnis für ihn aufbringen können? Ich habe den Satz initial so gelesen, dass er ihn akustisch nicht verstehen kann, aber das macht ja noch weniger Sinn, wenn er nur starrt und nicht lauscht und der andere sowieso nichts sagt ... Ja, glaube, ich habe nicht recht verstanden, was der Satz eigentlich aussagen soll.

Seit etwa einer Stunde saß ich dem Fetten nun direkt gegenüber an der Bar und beobachtete, wie er ein Bier nach dem anderen trank.
Könnte etwas entschlackt werden. Vielleicht noch etwas umstellen: Seit einer Stunde saß ich dem Fetten an der Bar gegenüber und beobachtete, wie er ein Bier nach dem anderen trank.

Als der erste voll war, nahm ich den zweiten und den dritten.
Ich bin selbst kein 'Porträtist', aber fragte mich hier, wie klein er die Gesichter zeichnet, wie viele Versuche da auf einen einzelnen Deckel passen. So ein Deckel hat ja keine grosse Fläche, denke ich. Vielleicht zeichnet er einfach einen Versuch pro Deckel?

So kam eines zum anderen und meine Nacht endete im Schlafzimmer der Blonden. Als ich mit ihr schlief
Kleinigkeit: Wortdoppelung.

Bei meiner Ankunft hängte ich meine Jacke an den Haken neben seinem Hocker und konnte ihn so einige Momente von der Seite mustern.
Vorschlag: Ich hängte meine Jacke an den Haken neben seinem Hocker und konnte ihn so einen Moment von der Seite mustern. Dass er seine Jacke bei Ankunft dort hinhängt, dürfte klar sein.

Er passte kaum hinter die Theke damit.
Streichen, Füllwort.

Was für eigenartige Prozesse mussten da hinter seiner Haut ablaufen?
Würde ich auch streichen, sowas in die Richtung denkt sich der Leser vielleicht selbst.

Nun, wo ich den Fetten so aus der Nähe sah, ähnelten seine Züge etwas denen meines Vaters.
Könnte auch entschlackt werden.

Gerne gelesen, trotz der Kürzungen.

Beste Grüsse,
d-m

 

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