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Der König der KFZ-Mechatroniker
Aus Bequemlichkeit fuhr sie erst gar nicht auf den Parkplatz, sondern ließ ihren roten Sportwagen einfach vor der Autowerkstatt stehen. Mit ihrer gewohnten Eleganz schwang sie ihre langen, wohlgeformten Beine aus dem Auto - und schon beim ersten Schritt blieb der Pfennigabsatz ihrer knallroten Stiefeletten in einer Ritze hängen. Sie versuchte mit den Händen das Gleichgewicht zu halten und konnte sich gerade noch an ihrem Auto abstützen. Aber dabei riss sie sich den linken, schweren Ohrring ab - und sah ihn gerade noch im Gully verschwinden.
"Verdammt!", rief sie völlig undamenhaft aus. Da kam auch schon ein großes, hässliches Wesen aus der Werkstatt gelaufen und wischte sich die ölverschmierten Hände eilig an einem ausgeleierten Arbeitsanzug ab, der einmal dunkelgrün gewesen sein könnte.
"Haben Sie sich verletzt?", er sah sie von oben bis unten neugierig an. Eine gute Figur, lange, blonde Haare und ein hübsches Gesicht haben Männer schon seit der Steinzeit gern betrachtet.
"Fassen Sie mich bloß nicht an!", zischte sie. Seine funkelnden, grünen Augen waren die einzigen Farmtupfer in seinem dreckigen Gesicht.
"Mein goldener Ohrring ist hier reingefallen. Holen Sie ihn wieder raus!"
"Was geben Sie mir dafür?", er grinste herausfordernd.
"Haben Sie schon mal was von Kundenservice gehört?", sie versuchte sich noch größer zu machen.
"Tut mir leid, aber das hier gehört nicht zu unserem Firmengelände." Er deutete auf den Gully. Sie schaute ihn verdutzt an.
"Also gut, was verlangen sie!", sie zuckte Ihr goldbesticktes Portemonnaie.
"Oh nein, kein Geld", er hob abwehrend die schmutzigen Hände.
"Ich möchte nur mit Ihnen zu Abend essen und einen Kuss von Ihnen. Mehr nicht!"
Vor Schreck wäre ihr fast die Geldbörse aus der Hand gefallen.
"Sie unverschämter Kerl! Ich bin doch nicht irgend so ein hergelaufenes Flittchen, das sich von jedem erstbesten Autoklempner anmachen lässt!"
"Heute heißt das nicht mehr Autoklempner, sondern KFZ-Mechatroniker", er lächelte jetzt verschmitzt. "Und außerdem bin ich der König der KFZ-Mechatroniker!"
"Das ist ja wohl die Höhe!" Aber die Ohrringe hatte sie erst letzte Woche zu ihrem zwanzigsten Geburtstag von ihrem Vater bekommen, sie waren mit leuchtenden Diamanten besetzt und mussten ein Vermögen gekostet haben. Sie musste diesen einen einfach wieder haben.
"Jetzt reicht es mir. Also gut, ich melde mein Auto jetzt zur Inspektion an und dann bekommen sie meinetwegen, was sie wollen", entschlossen klemmte sie sich ihr perlenbesticktes Handtäschchen unter den Arm und stolzierte entschlossen zum Haupteingang des Autohauses.
Als sie nach ein paar Minuten wiederkam, stand der jungen Mann schon gewaschen, in einem grünen, engem Rollkragenpullover und Jeans neben einem Firmenwagen. Halbwegs sauber wirkte er sehr schlank und nicht unattraktiv. In seiner offenen Hand glitzerte tatsächlich ihr goldener Ohrring.
"Oh prima!", sie griff danach, doch er schloss ganz schnell seine schlanken Finger um das begehrte Objekt.
"Erst die versprochene Belohnung!"
"Mein Vater erwartet mich zum Abendessen zu Hause", trotzig spielte sie ihren letzten Trumpf aus.
"Dann kann ich ihn ja gleich kennen lernen. Mein Kollege wird uns sofort dorthin fahren. Mein Auto ist nämlich auch gerade in der Inspektion."
Sie ignorierte die Unterhaltung der beiden Männer vorne und zog es vor, vom ledernen Rücksitz aus schweigend zu beobachten, wie die Mehrfamilienhäuser am Straßenrand langsam rarer wurden. Hinter dem Park mit dem Wasserschlösschen sah man nur noch freistehende Einfamilienhäuser mit großzügigen Gärten. Bald schon hielt der Wagen vor der ihr so vertrauten Gründerzeitvilla mit den beiden Erkertürmchen. Ihr Vater kam ihnen in seinem eleganten Kaschmir-Anzug entgegen, der so hervorragend zu seinen graumelierten Haaren passte.
"Oh Papa, stell Dir vor, ich habe einen meiner neuen, wunderschönen Ohrringe verloren und dieser KFZ-Mechatroniker", sie betonte dieses Wort abfällig, "hat ihn wieder aus einem Gully herausgeholt! Dafür musste ich ihm versprechen, mit ihm zu Abend zu essen." Der Vater musterte den jungen Mann kritisch. Dieser kam selbstbewusst auf ihn zu.
"Guten Abend, mein Name ist Frederik Frog. Ich hoffe, ich störe Sie nicht allzu sehr. Ich konnte ja nicht wissen, dass diese junge Dame schon mit einem Herren zum Abendessen verabredet ist." sein Lächeln war einfach unwiderstehlich. Selbst für den alten Herren.
"Einen so höflichen jungen Mann begrüße ich doch gerne in meinem Haus. Mein Name ist König. Mein Prinzeschen, bitte decke noch einen Teller mehr!", wandte er sich liebevoll an seine Tochter.
"Dass Du mit einem dreckigen Autoklempner zu Abend essen willst, hätte ich wirklich nicht von Dir erwartet!", sie wurde rot vor Zorn.
"Regina! Wie oft habe ich Dir erklärt, wie wichtig es ist, ein Versprechen zu halten! Und ich habe auch einmal als einfacher Tellerwäscher angefangen. Wenn man nur ehrgeizig und so höflich wie dieser junge Mann ist, dann kann man es im Leben schon zu etwas bringen!", sie drehte sich schnell um, holte einen weiteren Teller mit Goldrand und knallte ihn auf den Tisch.
Während die Männer beim Abendessen ausgiebig über Autos fachsimpelten, schaute sich Regina den jungen Mann in Ruhe an. Eine wohlgeformte Nase, ein entschlossenes Kinn, die langen, schwarzen Wimpern und diese Augen – vielleicht könnte er ihr doch gefallen.
Nach dem Essen gingen sie auf ihr Zimmer.
"Und bekomme ich jetzt meinen Kuss?", er wirkte jetzt gar nicht mehr so selbstsicher.
"Na gut." Sie schloss die Augen und wartete gespannt. Bald schon konnte sie seinen schnellen Atem hören. Er roch immer noch ein bisschen nach Motoröl und Seife, aber das wirkte auf einmal irgendwie männlich, aufregend. Seine rechte Hand strich langsam über ihr langes, blondes Haar, weiter über ihre Schulter und ihren Rücken. Dann spürte sie seinen warmen Atem auf ihren Wangen. Sie hörte sein Herz schlagen, kräftig und schnell. Oder war es ihr eigenes? dachte sie ganz verwirrt. Da trafen seine weichen Lippen auf ihre und sie schmolz wie Butter in der Sonne dahin.
Als sie sich am nächsten Morgen gemütlich räkelt, schien die Sonne bereits hell ins Zimmer.
"Musst Du heute nicht arbeiten?", fragte sie leise.
Noch halb im Kissen verborgen, schlug er nur ein Auge auf. "Nein, ich habe glücklicherweise frei." flüsterte er.
"Ich – ich muss Dir etwas gestehen", sie wirkte fast schüchtern dabei.
"Ja?", er öffnete das zweite Auge.
"Ich glaube, ich muss mich bei Dir entschuldigen. Ich wusste nicht, dass Du soooo nett bist. Ich glaube, ich habe mich ein bisschen verliebt."
"Das ist ja wunderbar. Da haben wir ja etwas gemeinsam. Und Du wirkst auch nicht mehr so, entschuldige – zickig", er lächelte sie liebevoll an.
"Oh, ich weiß. Ach, ich werde von so vielen Typen angemacht, da schalte ich oft automatisch auf Abstand."
"Das kann ich sehr gut verstehen", erklärte er ernst. Dann sprang er plötzlich übermütig aus dem Bett. "Komm, wir fahren zu mir, ich muss Dir etwas zeigen!" er kramte sein Handy aus seiner Jackentasche und wählte sofort eine Nummer. "Hallo Heinrich, kannst Du uns gleich abholen und zu mir fahren? Ja, gut, in einer halben Stunde", er legte auf und zog sich schnell an.
"Warum hast Du es denn plötzlich so eilig?", sie räkelte sich noch genüsslich im Bett.
"Komm schon, Du wirst Augen machen", seine Augen blitzten jedenfalls schon jetzt vor Vergnügen.
Kaum hatten sie eilig gefrühstückt, hupte der Fahrer von gestern auch schon. Sie wollten keine Zeit verlieren und verbrachten die Fahrt knutschend auf dem Rücksitz. Plötzlich hörte man ein holperndes Geräusch. Frederik schreckte auf.
"Heinrich, Vorsicht, das Getriebe fliegt uns gleich um die Ohren!"
Der Fahrer drehte sich grinsend um. "Keine Angst, Mann, das sind nur die Steine, die mir vom Herzen fallen!"
"Wovon redet er?", wunderte Regina sich. Frederik schmunzelte geheimnisvoll.
"Ach, nichts. Das ist Männersache. Komm, wir machen weiter", er zog sie ungeduldig wieder auf den Sitz herunter.
Schließlich hielt das Auto an. Regina machte sich nichts vor. Ein KFZ-Mechatroniker wohnt sicher in einer einfachen Mietwohnung. Dann schlug sie die Augen auf, schaute aus dem Fenster – Nein, das konnte man nicht mehr eine Villa nennen, das war schon mehr ein Märchenschloss, fast hundert Meter breit, mit mehreren verspielten Türmchen, Erkern und Verzierungen. Die Wiesen, Eichen, Rosen und vielen anderen Pflanzen, aus denen der parkähnliche Garten sich zusammensetzte, reichte bis zum Horizont. Frederik stand schon draußen vor der geöffneten Autotür und schaute sie erwartungsvoll an. Ganz benommen stieg sie aus.
"Du wohnst doch nicht etwas hier?" sie zeigte skeptisch auf die Villa. Frederik platzte fast vor Freude.
"Doch. Zusammen mit meiner Familie, Familie Krösus. Ich habe nur ein bisschen gelogen. Frog ist der Name meiner Mutter", er zwinkerte ihr fröhlich zu.
"DER sogenannte König der Autohäuser?" fragte sie ungläubig.
"Ich habe Dir doch gesagt, dass ich der König der KFZ-Mechatroniker bin!" seine Mundwinkeln reichten jetzt von einem Ohr zum anderen.
"Aber – aber gestern hattest Du doch einen Arbeitsanzug an!"
"Das sind moderne Managementmethoden. Mein Vater möchte, dass alle Mitglieder des Vorstandes sich an mindestens einem Tag im Jahr ein Bild vom Zustand an der Basis machen. Mein Tag war zufällig gestern."
Heinrich ergänzte: "Und wir haben uns schon alle große Sorgen um ihn gemacht, denn er war in tiefe Depressionen gefallen, weil er immer dachte, dass alle Mädchen nur wegen des Geldes hinter ihm her waren. Er wollte so gerne eine Freundin haben, die ihn wirklich liebt."
Überglücklich fiel sie ihm um den Hals. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie sich noch heute.
Frei nach den Gebrüdern Grimm.