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Der kleine Laden
Der kleine Laden war dunkel und stickig. Als die Ladentür zuviel und die Glocke verklang, schien es so, als sei dieser Raum völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Ein schlurfendes Geräusch erklang und zog den Blick des Besuchers in den hinteren Teil des Ladens, wo eine offen stehende Tür den Blick auf eine wackelige Holztreppe freigab. Sie knarrte hingebungsvoll und erweckte den Eindruck, bei der nächsten Gelegenheit zusammenzubrechen. Trotz der Tatsache, dass die Stufen klangen als wäre eine sehr schwere Person auf sie getreten, erwies sich der Inhaber als kleiner, dürrer Mann, mit ungesunder grauer Hautfarbe. Sein überproportional großer Kopf war fast kahl und hinter der dicken Hornbrille wirkten seine grauen Augen so verschwommen als seinen sie mit grauem Star überzogen. Der Besucher wartete höflich ab, bis ihn der Mann hinter der Theke ansprach. Dann erzählte er von seiner Notlage und davon, dass er nun einige Stücke verkaufen müsse, um die nächste Zeit zu überbrücken. Der kleine Mann schaute sich die mitgebrachten Dinge an und meinte, es sei nicht so viel Wert, wie der junge Herr wohl dächte. Diese Dinge würde er nicht loswerden, vor allem nicht in einem Nest wie diesem. Aber, führ er fort, er könne ihm vielleicht doch etwas abkaufen, oder zumindest etwas Gleichwertiges zum Tausch anbieten. Er bot dem Kunden eine Zigarre an, und dieser traute sich nicht sie abzulehnen. Sie setzten sich auf zwei Stühle, die beide zu einem alten Küchentisch zu gehören schienen und der junge Mann, den der Qualm in eine seltsam entspannte Schläfrigkeit getrieben hatte, erzählte seine Lebensgeschichte und durch geschickte Argumentation brachte der Verkäufer ihn dazu seine eigenen Skrupel und Ideale dafür zu verwünschen, dass sie seinen Aufstieg in dieser knallharten Geschäftswelt bislang verhindert hatten. Im Dunst seiner, irgendwie nebelhaften Wahrnehmung, bekam er nur noch mit, dass er einen Vertrag unterschrieb in dem er auf all seine Ideale und Träume verzichtete. Er fand sich erst wieder, als er von seiner Freundin geweckt wurde. Von diesem Tage an besserte sich seine Situation zusehends. Er wurde wohlhabend und angesehen. Aber bald merkte er, der Preis dafür war hoch. Seine Beziehung ging wegen seiner Lieblosigkeit zu Bruch, seine Freunde verließen ihn, wegen seiner Hartherzigkeit. Er war ein Mensch geworden, der für Geld und Ansehen alles tat. Seinen Vorgesetzten näherte er sich mit ekelhaft kriecherischer Unterwürfigkeit, seinen Untergebenen war er ein Tyrann. Schließlich merkte er, dass der Preis zu hoch gewesen war. Er war reich und angesehen, das stimmte, aber es gab niemanden, der ihn liebte, niemanden, der ihn Freund nannte. Er fand keinen Trost bei den Menschen und, weil er keinen Glauben mehr hatte, auch keinen Trost bei Gott. In seiner Verzweiflung ging er das alte Viertel, in dem der Laden gewesen war. Er hatte diesen Weg seit dem Tag vor mehr als zehn Jahren nicht mehr betreten und, wie er sich nun eingestand hatte ihn eine Angst, die er nicht zu ergründen wagte, immer davon abgehalten. Als er in das Viertel kam stellte er fest, dass sich in diesen zehn Jahren doch sehr viel verändert hatte Die alten Häuser waren luxussaniert worden und der Stadtteil gehörte jetzt dem gehobenen Mittelstand. Zu seinem Entsetzen sah er, dass der Platz, auf dem sich der Laden einst befunden hatte, von einer Arztpraxis beansprucht wurde. Er fragte einen alten Mann, der auf einer Bank im Vorgarten saß, nach dem Verleib des Ladens. Worauf dieser ganz erstaunt fragte, welchen Laden der Herr meinen würde. Auf diesem Platz hätte sich seit dem Kriegsende vor 50 Jahren nur eine zerbombte Ruine befunden, die vor fast zehn Jahren abgerissen wurde Den Mann befiel ein grauenhafter Verdacht, wer der graue Händler gewesen war, mit dem er den Vertrag abgeschlossen hatte.
Er fing an zu trinken und am Ende steckte er sich eine Pistole in den Mund drückte ab. Als seine Todesanzeige erschien, stand daneben folgendes Inserat:
Neueröffnung
Antiquitäten und mehr
Schillerstraße 13
Inhaber: Henry Deal
Postfach 312-66