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Der Mensch im Schafspelz
Langsam füllen sich die unbequemen Sitzbänke, neben und hinter mir. Das dumpfe Gedröhne der Orgel setzt ein, während eine hirnlos lächelnde Kirchentype die kleine Kapelle von links nach rechts durchquert. Ich sitze schon sein gut zwanzig Minuten hier. Arsch und Rücken schmerzen höllisch, aufgrund des ungepolsterten Holzes. Außen auf meiner Reihe sitzt der Inbegriff der grauen Kirchenmaus. Eine alternde Vettel, das unförmige Gesäß in eine enge, schwarze Jeanshose gepresst und Obenrum einen Strickpulli, der die wogenden, fetten Brüste so gut es eben geht kaschiert. Die kurzen, ergrauten Haare und die biedere Brille auf ihrer kleinen Stupsnase perfektionieren ihren langweiligen Teint. Hin und wieder steht sie auf um in den kleinen Raum unweit des Altars zu gehen. Jedes Mal wenn sie das tut, knickt sie halb in sich zusammen und verbeugt diszipliniert ihr Haupt. Ich schüttle unsichtbar den Kopf für soviel Torheit. Diese langweilige Bisamratte kam sich ja so unheimlich wichtig vor. Eine ehrwürdige Dienerin Gottes war sie allerdings nur in diesem Gemäuer und höchsten ein paar Stunden am Tag. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie Abends in ihrem Bett liegt und sich wiederwillig die Hand zwischen die fetten Schenkel presst. Wie sie von gut gebauten Engeln träumt, die ihren jungfräulichen Körper mit ihren weichgespülten Federn streicheln und sie mit Eunuchenhaften Stimmen betören. Aber vielleicht geh ich da auch ein bisschen zu weit. Diese Schlampe ist sicherlich derart diszipliniert, dass sie sich bei aufkeimender Geilheit selbst die Neunschwänzige über die Titten peitschen lässt. Ich schaue mich noch einmal um. Der Saal ist gut gefüllt. Spießige Kleinstädter, soweit das Auge reicht. Fette Tanten mit ihren quengelnden Kindern ebenso wie antiquittierte Ledertaschen mitsamt ihren Bierbäuchigen Kerlen. Ich lache boshaft in mich hinein, während ich versuche zu schätzen, wie viel Prozent der Männer hier wohl Impotent und Depressiv sind.
Dann läutet jemand die kleine, penetrante Kirchenglocke und ich bin mir sicher, dass es diese alte Hexe war, auf dass die Lämmer nun endgültig schweigen mögen. Die Tür des Kabuffs schwingt auf und ein alter, schmächtiger Mann tritt heraus. Seine üppige Robe wiegt sicherlich mehr als er selber. Er legt den Schmöker aus seiner Hand auf das Podium und schaut uns mit seinen Eulenaugen an. Wieder ertönt die Orgel und ich muss mich schwer beherrschen, nicht gleich das Schießeisen unter meinem Jackett hervorzuholen, um diesen glatzköpfigen Klimperkastenspieler mit einem sauberen Schuss in den Kopf lahm zu legen.
Bevor ich dazu überhaupt Gelegenheit bekomme, geht ein unruhiges Poltern durch die Reihen und neben mir stehen die Leute auf zum Gesang. Widerwillig richte ich mich nun ebenfalls auf, erleichtert darüber das mein Sitzfleisch sich nun wieder ein wenig erholen kann und sich die Kerben in meinem Rücken glätten. Die Pastorschnecke neben mir trällert hochtrabend wie eine fette Amsel und hinter mir höre ich ein paar Kerle heraus, die mit ihren tiefen Stimmen im brachialen, schrillen Geschrei der Frauen untergehen. Nach dieser Tortur will ich eigentlich nur wieder den im Gegensatz dazu wohltuenden Schmerz der Sitzbänke spüren, aber der Pfaffe vorne erhebt sein Wort zum Gebet. Er stößt ein paar leere Phrasen hervor und wartet auf die Zustimmung seiner Schafe. Ein Wechselspiel, dass nie seine Form verliert. Immerzu die gleichen Worte, fast wie eine Beschwörungsformel. Mir wird schlecht von diesem Gewäsch, dass stets zum Ventil meiner Wut avanciert. Menschen sind doch fast ausnahmslos dumme Wesen. Wieso können sie nicht einfach ihrem Instinkt folgen. Sich von ihren Gefühlen leiten lassen. Wofür brauchen sie diese Regeln und Gesetze? Sie brauchen das, weil sie schwach und feige sind. Sie brauchen Gott, um sich unterordnen zu können. Um nicht von ihrem eigenen, komplexen Wesen erdrückt zu werden. Ich muss die Wut im Zaum halten, denn ich kann schon spüren, wie sich meine Nackenhaare sträuben und das Adrenalin anfängt, sich in meinem ganzen Körper breit zu machen. Mit zittrigen Händen fühle ich die Ausbeulung unter meinem schwarzen Jackett. Diese Bastarde sind ihrer Erlösung so Nahe. Das was sie suchen, ist mitten unter ihnen. Ich sehe wieder nach vorne zum Altar. Die Messdiener stehen in einer Ecke und das dunkelhäutige Mädchen schaut gelangweilt auf den Boden. Der Knabe hingegen sieht richtig verstört aus und glotzt hin und wieder ehrfürchtig zum Pfaffen, der sich gerade damit abmüht seine Bibelzitate fehlerfrei abzulesen. Wahrscheinlich schlüpft er manchmal, während der Messe unbemerkt unter das Gewandt des Alten um seine schlaffe Nudel zu stimulieren. Ein kleines, abgerichtetes Balg. Schlimmer wie diese verfluchten Hunde waren nur Menschenkinder. Es ist Zeit, diesem Treiben jetzt ein Ende zu setzen. Es ist Zeit, diesen verblendeten Schafen einen Entscheidungsspielraum zu geben. Das ist mein kleines Spiel und ich freue mich schon auf eventuelle Gewinner. Ich stehe wortlos auf und gehe nach vorne. Die fette Schlampe neben mir stiert mir mit hervorstehenden Augäpfeln hinterher. Ich kann ihre Aufregung förmlich riechen. Mit dem Pfaffen werde ich anfangen. Wenn er nur halbwegs so fromm ist, wie er daherredet wird er keine fünf Minuten mehr zu leben haben ...
*
Marie schaute mit versteinerter Mine auf ihre Uhr. Diese blöde Messe ging erst knapp zehn Minuten. Ein Sechswochengedächtnistag für ihre verstorbene Großmutter. Sie hielt nicht viel von der Kirche, war aber von ihren Eltern und Angehörigen gezwungen worden daran teil zu nehmen. Sie spielte mit ihren goldenen Locken, während sie die Leute vor sich auf der Bank genau inspizierte. Rentner und biedere Mittelständler. Genau das Umfeld, von dem sich Marie eigentlich tunlichst fernhielt. Mit ihren neunzehn Jahren war sie durchaus im Stande, das Gewäsch des Pfarrers nach seinem Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Die Worte des Mannes gingen durch ihr Gedankliches Sieb. Einiges davon war sicherlich ehrenwert und erstrebenswert, aber das meiste purzelte unverarbeitet durch ihr Raster. Marie senkte den Kopf und musste an Mike denken, der sie vorgestern verlassen hatte. Der Grund dafür war sehr schmerzhaft für sie gewesen. Du lebst nicht wirklich in unserer kleinen Welt, Marie. Versuche doch einfach mal, nicht so viel nachzudenken. Gib dich endlich mit dem zufrieden was du hast, hatte er ihr vorwurfsvoll erklärt. Sie hatte daraufhin die Rolle des verständnislosen Opfers gemimt und ihm im Gegenzug auch ein paar Sachen an den Kopf geworfen. Aber insgeheim wusste sie, dass seine Worte zu hundert Prozent stimmten. Wieso nur konnte sie das träumen nicht lassen? Vielleicht war es einfach nur eine Realitätsflucht, vielleicht aber auch das Streben nach Erleuchtung und Macht. Die Menschen hatten oft genug auf ihr herum gehackt, erkannten nur ihre Schwächen, nicht aber ihre vielen Stärken an. Während Maries Gedanken anfingen, zum Teil bizarre Blüten zu tragen, richtete sich ihr Blick auf eine eindrucksvoll große Gestalt in der vordersten Reihe, die sich anschickte die zwei Stufen zum Altar heraufzuschreiten. Der Mann hatte wahnsinnig breite Schultern, die selbst in seinem schwarzen Jackett noch einschüchternd präsent waren. Als er oben angekommen war konnte Marie einen erstaunten Seufzer nicht unterdrücken. Dieser Kerl überragte den alten Schrumpfkopf neben sich um mindestens sechs Köpfe. Die Zweimetermarke war ihm jedenfalls gewiss und selbst da konnte man guten Gewissens noch zehn bis fünfzehn Zentimeter draufpacken. Als er den Pfarrer am Kragen packte, ihn mühelos anhob und zur Seite stellte, raunte ein schockiertes Stimmengewirr durch die Reihe der Anwesenden. Der Kerl stellte sich hinter das Podium und bog den Mikrophonhalter steil nach oben. Sein Blick wanderte langsam von rechts nach links über die sechs Sitzreihen, während der Pfarrer ihn belehrend und aufgebracht von der Seite ansprach. Seine dünne Stimme war ohne den Lautsprecher allerdings kaum hörbar.
Ein kurzes, kehliges Räuspern genügte um ihn vollends verstummen zu lassen.
„Ihr Anwesenden habt heute wirklich großes Glück“, sagte der Mann in einer tiefen Stimme, die Marie eine prickelnde Gänsehaut bescherte. Noch nie zuvor, selbst bei ihren geliebtesten Rockbands, hatte sie eine solch tiefe Stimme gehört. Der Nachhall vibrierte in ihren Ohren und augenblicklich überkam sie ein wohltuendes Schwindelgefühl.
„Ich will euch eure Kostbare Zeit ganz gewiss nicht lange stehlen. Allerdings erwarte ich von euch, mir einen Gefallen zu erweisen.“
Marie sah wie gebannt in die Augen des Mannes. Diese mystischen, grünen Smaragde, umrahmt von dichten schwarzen Augenbrauen.
„Wir spielen hier und jetzt ein kleines Spiel“, sagte er gewollt provozierend.
„Ein Spiel, dass euren Glauben auf die Probe stellt.“
Eine mollige Frau aus der ersten Reihe stand auf und machte ein paar Schritte nach vorne.
„Was erlauben sie sich, Mann? Dies ist ein Gottesdienst. Störenfriede wie sie sollten nicht hier sein. Darf ich sie bitten zu gehen“, sagte sie mehr empört als erbost.
„Sie dürfen bitten, aber gestatten sie mir auch, diese Bitte abzuschlagen?“, sagte er ruhig und gelassen.
Die Frau starrte ihn entsetzt an. „Wie sie wollen, dann rufe ich jetzt die Polizei.“
Sie drehte sich entschlossen um und schaute noch einmal in die Runde.
„Bleiben sie einfach ruhig sitzen, der Gottesdienst wird gleich fortgesetzt“, sagte sie gespielt freundlich, aber dem Beben in ihrer Stimme ging ein gewisser Zorn voraus.
„Falsch, Schlampe. Du bist diejenige, die hier ruhig sitzen bleibt.“
Während die dickliche Frau zusammenfuhr, erhoben sich zahlreiche Stimmen auf den Bänken.
„Was hast du für ein Problem, Kerl?“, rief ein gut gebauter Mann mittleren Alters nach vorne und stand auf.
Maries Puls raste. Sie hatte ein wenig Angst, aber vielmehr war sie darauf gespannt, wie die Sache weiterging. Der Kerl, der sich aus ihrer Reihe zu Wort gemeldet hatte war auch eine ziemlich eindrucksvolle Gestalt. Bei weitem nicht so groß wie der Typ der vorne stand, aber mindestens genauso breit. Das Mädchen fühlte einen kribbelnden, wohltuenden Stich zwischen ihren Beinen.
„Was erlauben sie sich?“, sagte die Dicke anklägerisch und schritt unbeirrt in Richtung Eingangstor.
„Schlampe, ich habe dich gewarnt“, sagte der großgewachsene Kerl, schritt hinter dem Podium hervor und zückte eine kleinkalibrige Waffe.
Der donnernde Schuss hallte in Maries Kopf, nachdem sie sich krampfhaft die Handflächen auf die Ohren gepresst hatte.
Maries Mutter schrie und krallte sich an ihrem Mann fest, der mit geweiteten Augen nach vorne auf die erschlaffte Gestalt am Boden starrte. Einige der Anwesenden stürmten nach hinten zum Tor und versuchten es zu öffnen. Mit blanken Fäusten schlugen sie auf das Holz ein und warfen ihre Körper dagegen. Nichts zu machen.
Ein paar andere, allen voran die älteren Mitbürger die eh nicht mehr gut zu Fuß waren, sackten auf ihren Bänken zusammen und zitterten.
„Ich schlage vor, wir beruhigen uns einfach wieder“, sagte der Mann, sichtlich genervt von den lauten Schreien. Doch die Masse tobte und drängte dem Ausgang entgegen. Immer noch hämmerten zahllose Fäuste auf das stabile Holz ein. Marie fragte sich, wie es sein konnte das dieses Tor abgeschlossen war. Im nächsten Moment donnerte wieder ein Schuss durchs Gemäuer und die aufgebrachte Menge war augenblicklich verstummt.
„Ich sagte doch, wir beruhigen uns erst mal wieder.“ Missmutig massierte sich der Mann die Schläfe.
„Ihr setzt euch jetzt alle hin, habt ihr verstanden? Wer nicht bei Drei wieder auf seinem Platz ist, kriegt von mir eine Kugel in den Kopf.“
Die Leute starrten regungslos nach vorne. Einige hörte man schluchzen, andere tuscheln.
„Wird’s bald“, schrie der Mann mit einer unsagbar lauten Stimmen, gegen die der Pistolenschuss wie eine Lappalie wirkte. Marie erschrak fürchterlich und sackte ebenfalls auf der Bank zusammen. Die Leute rannten nun wie von der Tarantel gestochen zu ihren Sitzreihen. Absurderweise erinnerte sich Marie an ihren letzten Kinobesuch, bei dem es ganz ähnlich abgelaufen war. Eine einzelne Frau wankte gezeichnet vom Schock, langsam hinterher. Sie war die einzige die noch nicht auf ihrem Platz saß und sich scheinbar nicht recht entscheiden konnte, wo sie eigentlich hin wollte.
„Gibt es irgendein Problem, Miststück?“ fragte der Mann mit fast authentischer Neugierde.
„Bitte, lassen sie mich gehen“, flehte die Frau mit weinerlicher Stimme.
Die Reaktion kam prompt, in Form eines weiteren Donners. Wieder schrieen ein paar Leute und Marie erwartete fast, dass das ganze Spiel von vorne los ging. Allerdings blieben alle ruhig auf ihren Plätzen sitzen und versuchten krampfhaft, jedes Schluchzen zu unterdrücken.
„Und jetzt zu meinem Spiel“, sagte der Mann erleichtert und schnappte sich danach den zitternden, alten Mann vom Boden und stellte ihn wie eine Puppe aufrecht hin.
„Und das eine sage ich euch im voraus. Wer nicht ehrlich ist, wird erschossen.“
„Ihr werdet jetzt ganz tief in euch hinein schauen und dann entscheiden, ob ihr fest an Gott und seine Gebote glaubt oder nicht.“
Marie erzitterte. Sie war verwirrt und verängstigt, konnte nicht klar erfassen was sie ihm darauf antworten würde. Sie hatte wahnsinnige Angst vor diesem Mann, aber da war noch etwas anderes in ihr. Sie wäre gar nicht fähig gewesen zu lügen. Diese Augen konnten durch sie hindurch sehen. Sie war Glas.
„Wenn ihr wirklich an seine Lehren glaubt und vollends dahinter steht, dann geht ihr auf seine Seite“, sagte er autoritär und zeigte dabei auf den alten Pfarrer, der unweit von ihm entfernt verwirrt in die Runde schaute.
„Er ist der Herr über die blinden, weißen Schafe.“
Dann lehnte er sich ein wenig nach vorne und ließ seinen Blick über die Bänke wandern.
„Wenn ihr allerdings diese ganze Farce hier satt habt und euch von allen Regeln und Zwängen befreien wollt, dann kommt ihr zu mir.“
„Ich bin der Herr über die sündigen, schwarzen Schafe.“
„Und ich sage euch das ein Allerletztes Mal. Seid lieber ehrlich zu mir. Ganz egal wohin ihr geht. Nur wer ehrlich zu mir ist hat eine Chance zu überleben“, sagte er mit beruhigender Stimme.
„Und jetzt steht auf und sammelt euch. Geht zu ihm oder zu mir. Wer sich mir anschließt setzt sich auf die linke Bankhälfte. Die anderen nehmen die rechte Hälfte.“
Marie schaute ihren Eltern verwirrt in die Augen.
„Bitte Mama, du musst die Wahrheit sagen“, flehte sie mit Tränen in den Augen.
„Komm mit Marie, wir gehen auf die rechte Seite“, sagte die Frau mit bebender Stimme während sie ihrer Tochter am Arm zerrte.
„Nein Mama.“ Marie schüttelte den Kopf. „Ich gehöre hier hin.“
„Verdammt Marie, dass ist ein gottverdammter Psychopath. Schau dir die andere Seite an. Da sitzt die Mehrheit. Wir müssen den Mann von seinem Irrglauben überzeugen“, sagte Maries Vater harsch und im Befehlston.
„Ich bleibe hier.“ Die Eltern schauten sich kurz an und blieben dann neben ihrer Tochter sitzen. „Nein, bitte. Es tut mir leid“, fügte diese ihren Worten hinzu.
„Wir schaffen das schon, mein Kind. Es wird alles gut.“
„Ich gehe davon aus, das sich alle entschieden haben. Wer jetzt noch Unstimmig ist, der möge sich ein letztes Mal umsetzen.“
Der Mann schaute in die Runde und wartete ein paar Sekunden.
„Nein? Also gut, dann fangen wir mal an.“
Er schritt hinter dem Podium hervor und lief rüber zu dem alten Mann, der sich krampfhaft bemühte auf den Beinen zu bleiben. Dahinter konnte er die kleinen Messdiener erkennen, die sich notdürftig hinter einem Vorhang versteckt hielten und zitterten.
„Ich gehe doch wohl recht in der Annahme, dass du auf dieser Seite richtig bist oder?“
Den Pfarrer überkam eine unsagbare Panik, als er tief in die Raubtierhaften Augen des Mannes blicken musste. Ein leichtes Kopfnicken war das einzige, was sein paralysierter Körper zustande brachte.
„Verdammter Lügner“, zischte die gewaltige Gestalt vor ihm und legte ihm zwei monströse Pranken um den Kopf. Ein kurzes, letztes Aufbäumen gegen diesen unglaublichen Druck und das Genick des Pfarrers drehte sich zusammen mit seinem Kopf um einhundertachtzig Grad.
Die Menge heulte wieder auf, als der leblose Körper des Gottesmannes auf dem kalten Marmor aufschlug.
Jetzt war es eben dieser eine, mutige Kerl von vorhin, der von seinem Sitzplatz aufsprang und nach vorne stürmte. Noch ehe sich der dunkel gekleidete Mann seiner Waffe bedienen konnte, bekam er einen gewaltigen Schwinger ins Gesicht und taumelte benommen zurück. Der nächste Schlag landete gezielt in seiner Magengrube. Während er keuchend in die Knie ging, krachte die Kniescheibe seines Angreifers in sein Gesicht und warf ihn nun vollends auf den Boden. Sichtlich überrascht von diesen gezielten Treffern nahm er eine verteidigende Position ein. Die Fäuste des Mannes welcher über ihm thronte, schlugen schmerzhaft auf seine Verteidigung. Dann gelang es ihm aber trotzdem, beide Fäuste abzufangen und festzuhalten. Scheinbar ohne große Mühe drückte er seinen Angreifer zurück und kam wieder auf die Beine. Der bärtige Mann schrie vor Schmerzen und ging zu Boden, als sein Gegenüber ihm die Handballen zerquetschte.
„Hey, Mann. Gar nicht übel. Hat ja fast schon weh getan. Aber bist leider genauso schnell fertig wie du angefangen hast“, spottete der Überlegende und zerrte sein Opfer zum Podium. Er schnappte sich mit einer Hand die Bibel und ließ nun die Hände des sich vor Schmerzen krümmenden Mannes los.
Er hob das schwere Buch mit beiden Händen über den Kopf und schlug ihm damit kraftvoll auf den Schädel. Marie hörte ganz deutlich das laute Splittern der Schädeldecke, bevor der Mann leblos in sich zusammen sackte.
Unter lautem Knacken legte der Sieger den Kopf von einer Schulter in die andere und ließ ihn einmal leicht kreisen. Dann lächelte er wieder erhaben in die Runde.
„Und jetzt zu euch. Ich hoffe, ihr seid ehrlicher gewesen als dieser alte Narr“, sagte er, während er die zwei Marmorstufen hinabstieg und sich Maries Seite betrachtete. Nur sie und ihre Eltern waren hier sitzen geblieben. Tante und Onkel, sowie alle anderen Kirchenbesucher saßen auf der Seite beim toten Hirten.
Marie konnte den Blicken des Mannes nicht ausweichen. Sie war wie hypnotisiert von seinen tiefgrünen Augen und dem markanten Gesicht. Zwei leuchtende Raubtieraugen strahlten ihr in den Kopf, während sie zwischen ihren Beinen wieder dieses kribbelnde Wohlbefinden verspürte. Jetzt konnte sie es zum ersten Mal ganz klar zuordnen. Sie war erregt und gebannt von der Männlichkeit, die sich ihr nun im vollen Maße widmete. Sie konnte den Schweiß auf seiner Haut förmlich riechen. Die rauen Lippen und dazu der kleine Unterlippenbart. Die markante Nase und die eng anliegenden, spitz zulaufenden Ohren. Das kurzgeschorene, schwarze Haar. Dieser Mann war nicht real. Er schien aus einem Märchen entsprungen. Ein dunkler Prinz, der sie vollkommen verzaubert hatte.
Dieses Bild wurde baldigst zerstört, denn im nächsten Moment zückte er seine Waffe und drückte ab. Unzählige Blutspritzer liefen dem Mädchen die Wange hinunter. Mit geweiteten Augen drehte sie sich nach links und erblickte ihre tote Mutter, deren Kopf durch den Aufprall des Geschosses in den Nacken geschleudert worden war. Sie sah ihrem Vater in die Augen, dessen Unterkiefer fassungslos nach unten klappte. Ein erneuter Schuss ließ auch seine Gesichtszüge entgleisen. Sein durchlöcherter Schädel fiel direkt in den Schoß seiner Frau. Das Blut sprudelte aus der Wunde und durchtränkte das Sonntagskleid ihrer Mutter.
Wortlos ging der Fremde weiter zu den Gottgläubigen. Ein Schuss folgte auf den nächsten. Marie konnte dieses Geräusch nur noch Dumpf hören. Der betäubende Schmerz hatte ihre Sinne vernebelt, sie willenlos gemacht. Ein paar vereinzelte Schreie von gegenüber. Nach dem nächsten Schuss ein leises Klackern. Sein Magazin war leer.
„Och, das ist jetzt aber unvorteilhaft. Soll ich euch anderen das Rückrad verlängern oder spielen wir noch ein bisschen weiter?“
„Gnade, bitte habt Gnade mit uns“, brüllt eine völlig aufgelöste Rentnerin.
„Vergiss es, Schlampe. Ich kaufe euch dieses Getue einfach nicht ab, tut mir wirklich wahnsinnig leid das sagen zu müssen, aber ihr seid gottverdammte Lügner.“
„Ihr törichten Menschen. Entweder ihr seid schwach und schaut Neiderfüllt auf eure Artgenossen, oder aber ihr fühlt euch über diese Erhaben und schaut auf sie herab. Ihr seid alle sündige Lämmer, schwarze Schafe, die nicht dazu stehen können. Die sich dafür schämen, ihre Gefühle zu zeigen. Euer sogenannter Gott ist eine verdammte, stetig brennende Fackel, die ihr in tiefster Dunkelheit, blind wie ihr seit bei euch tragt. Die euch anscheint und euch läutert. Aber nur, weil ihr das so wollt.“
Die Stimme des Mannes brannte sich tief in Maries Herz. Alles was er sagte. Die Wahrheit und dennoch für sie nur über Gefühle zu begreifen.
„Ihr kleinen Ficker. Macht doch einfach mal, was euer Instinkt verlangt. Es gab eine Zeit, da konntet ihr Menschen das noch.“
Der Mann lief durch die Reihe und zeriss einer junggebliebenen Mutter vor den Augen ihrer kleinen Tochter das Kleid.
„Los, Schlampe. Du wirst jetzt auf der Stelle deinen Mann ficken. Ich hab es doch vorhin schon die ganze Zeit an dir gerochen. Die Geilheit. Ihr alle hier stinkt nach Geilheit. Selbst die Alten. Ihr werdet euch jetzt sofort hier ausziehen und es gemeinsam treiben.“
Marie schaute angsterfüllt auf die Gestalt des Mannes. Auf die Muskeln, die sich bis ins unermessliche auszudehnen schienen. Die Augenbrauen, die sich langsam mit dem Haaransatz vereinten. Der Anzug wurde einfach weggesprengt. Klauenartige Pranken fuhren über die Gesichter der Menschen und hinterließen blutige Klumpen aus Fleisch und Haut.
„Na gut, dann werde ich euch hiermit ficken. Ich reiß eure Gefäße in tausend Stücke, vielleicht können sich wenigstens eure sündigen Seelen vereinen.“
Während das gewaltige Untier die Leute wie Stoffpuppen von ihren Plätzen fegte und sie noch in der Luft zeriss, ließ sich Marie zu Boden fallen und kroch mit Tränenbehangenden Augen unter den Bänken in Richtung Ausgang. Aus allen Ecken der Kirche hallten ihr schmerzerfüllte Schreie und Hilferufe entgegen. In ihrem Kopf drehte sich alles, die Glieder waren schwer wie Steinklumpen. Kurz bevor sie die fünfte Sitzreihe passiert hatte, waren alle Schreie verstummt. Sie hielt kurz inne und zu ihrem Glück wurde das Zittern von den kalten Kirchenfliesen unterdrückt. Dann robbte sie weiter, unfähig irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Als sie die letzte Reihe hinter sich gebracht hatte, erblickte sie zu ihrem Entsetzen zwei große, nackte Füße auf kaltem Stein. Zitternd und langsam hob sie den Kopf. Ein stark behaarter, nackter Männerkörper bäumte sich vor ihr auf. Sie schaute in die Augen des Mannes, der sich genüsslich mit der Zunge über die rauen Lippen leckte. Sie waren anders als vorher. Diesmal dominierte das Schwarz in ihnen. Die erweiterten Pupillen umrahmte nur noch ein hauchzarter, grüner Ring.
„Warum versuchst du wegzulaufen, Schlampe?“, fragte er mit spielerischer Neugierde.
„Bitte Sir, ich mache alles was sie wollen.“
Der Mann zupfte an seinem Bart und streckte ihr mit der anderen Hand sein Gemächt entgegen.
Marie schaute verwundert und heftig schluchzend zwischen seine Beine.
„So einen Schwanz hast du noch nie gesehen, was Mädchen?“
Marie kroch ein wenig weiter auf ihn zu und ihre glitzernden, blauen Augen verloren sich in seiner unendlichen Schwärze.
„Ich mache alles was du willst“, wiederholte sie unterwürfig und griff mit zitternden Händen nach seiner Männlichkeit.
„Pech für dich Schlampe, aber ich stehe nicht auf Frauen“, spottete er boshaft, während er nach ihrem Hals griff, ihn umklammerte und fest zusammendrückte.
Ein letztes, gurgelndes Geräusch von Marie, dann traten ihre Augen aus den Höhlen hervor und sie verschluckte sich an ihrer eigenen Zunge.
„Schade eigentlich, dass du es letztendlich doch nicht konsequent genug wolltest. Ich hätte für dich den Zaun eingerissen. Du wärst dieser trostlosen Spielwiese entkommen.“
Dann plötzlich hörte man auf der anderen Seite des Tores lautes Gehämmer.
„Verdammt Marek, du schwuler Köter. Wie lange brauchst du da drinnen noch?“
Marek antworte nicht, sondern drehte sich stattdessen noch einmal um zu dem toten Mädchen.
„Mein Kumpel hier hätte dir sicherlich gerne das Fell über die Ohren gezogen, Rotkäppchen. Aber für den finden wir schon noch ein rassiges Mädel.“
Marek schaute sich noch einmal das von ihm angerichtete Massaker an und zuckte dann mit den Schultern.
„Morgen auf dem Punkrock Konzert läuft es sicherlich besser“, sagte er leise zu sich selber und klopfte nun ebenfalls an das verschlossene Tor ...