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Der merkwürdige Spiegel

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23.07.2003
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Der merkwürdige Spiegel

Als Papa neben unserem Ferienhaus einparkte, fragte ich sofort: „Kann ich runter zum Strand gehen?“. „Natürlich“, lachte er. „Aber zieh dir einen dicken Pullover über“, sagte Mama, „es ist noch ziemlich kalt“. Wir wollten die Osterferien an der Ostsee verbringen, und meine Eltern hatten ein Ferienhaus in unmittelbarer Meernähe gemietet. Nur über die Rasenfläche, eine kleine Pforte aufgemacht, zwischen den Dünen hindurch, und schon lagen der breite Sandstrand und das blau-graue Meer vor mir. Ich stapfte durch den tiefen Sand, der unter meinen Füßen immer wieder wegrutschte, Richtung Wasser. Dort war der Boden fester, und das Gehen fiel leichter. Daher liefen dort auch viele Spaziergänger, die sich vom kühlen, kräftigen Wind und dem wolkenbedeckten Himmel nicht abschrecken ließen.

Ich drehte mich um und merkte mir, wo unser Ferienhaus lag. Dann lief auch ich langsam an der Wasserkante entlang, beobachtete die Segelboote auf dem Meer, schaute auf dem Boden nach schönen Steinen und Muscheln und sprang vor den auf das Ufer aufprallenden Wellen weg. Plötzlich weckte ein Gegenstand, der etwa 20 Meter vom Meer entfernt am Strand stand, meine Aufmerksamkeit. Das sah ja aus wie... nein, das war tatsächlich.... ein Spiegel. Als ich näher kam, sah ich, dass es ein sehr großer Spiegel war. Er war mindestens zwei Meter hoch und stand, ohne dass eine Befestigung erkennbar war, aufrecht im weißen Sand. Einen solchen Gegenstand hier am Strand zu sehen, war wirklich äußerst merkwürdig. Und das Merkwürdigste war, dass sich außer mir niemand für den Spiegel zu interessieren schien. Die Leute gingen an ihm vorüber, ohne ihm Beachtung zu schenken.

Ich war nun ganz nahe herangekommen und schaute hinein. Und was glaubt ihr, was ich sah? Ein achtjähriges Mädchen mit vom Wind zerstrubbelten Haaren? Nein, ich traute meinen Augen nicht, denn ich sah nicht mich in dem Spiegel, sondern - ein Männchen. Dieses Wort kannte ich bisher nur aus Kinderliedern und Märchen, aber es war für die Person im Spiegel absolut treffend. Sie war eindeutig männlich, denn zu beiden Seiten des Mundes hing ein dicker, rötlich-blonder Schnurrbart herab. Nur war die Gestalt gerade einmal so groß wie ich, größer als ein Zwerg, aber viel kleiner als ein Mann. Er hatte grüne Hosen an, ein weißes Hemd, eine schwarze Weste, eine rote Jacke und auf dem Kopf eine grüne Wollkappe. Ach ja, und er trug eine Nickelbrille, durch deren runde Gläser er mich völlig verblüfft anstarrte. Und ich starrte ebenso verblüfft zurück.

Er fand als erster die Sprache wieder: „Du wirst es nicht glauben, Trudhil; hier ist ein Menschenkind, das uns sehen kann“. „Waaas?“, klang eine aufgeregte Frauenstimme von der anderen Seite des Spiegels, „ein Menschenkind? Das uns sehen kann? Das bildest du dir doch wieder nur ein“. Neugierig ging ich um den Spiegel herum. Auf der gegenüberliegenden Seite zeigte er das Bild einer kleinen Frau, etwa einen Kopf größer als ich. Sie hatte ein langes dunkelgrünes Kleid mit einer schneeweißen Schürze an, und auf dem Kopf trug sie eine ebenfalls weiße Haube, unter der langes schwarzes Haar hervorsah. Als sie mich sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen: „Tatsächlich, es kann uns sehen!“.

„Wer seid ihr?“, fragte ich, immer noch völlig erstaunt. „Ich bin Tramber Sonderan, und das ist meine Gattin, Trudhil“, klang es von der anderen Seite des Spiegels. Während ich wieder auf Trambers Seite ging, stellte ich mich ebenfalls vor: „Ich heiße Jessica Schultze“ und fragte dann „Und was seid ihr? Denn Menschen seid ihr doch wohl nicht, oder?“. „Nein, nein, natürlich nicht“, antwortete er, „das Menschenwort für unser Volk kenne ich nicht. In unserer Sprache nennen wir uns die Majax“. Als nächstes wollte ich natürlich wissen: „Und warum seid ihr in dem Spiegel? Wieso steht der überhaupt hier am Strand?“. „Das ist eine lange Geschichte“, meinte Tramber. Also ließ ich mich ihm gegenüber in den Sand fallen und sagte: „Na, dann erzähl mal. Ich habe Zeit“.

„Vor vielen, vielen Jahren“, begann er, „ankerte hier am Strand ein großes Schiff. Es gehörte einem mächtigen Zauberer, und es war für die Menschen unsichtbar, aber wir Majax konnten es sehen. Und wie wir es sehen konnten. Es war nämlich wunderschön, aus glänzend poliertem Holz und überall mit Messingbeschlägen, die aussahen wie Gold. Du musst wissen, dass wir Majax glänzende und glitzernde Dinge über alles lieben“. „Und du musst wissen“, mischte sich nun Trudhil von der anderen Seite ein, „dass das vor allem für meinen Ehemann gilt, der darüber hinaus auch noch besonders neugierig und vorwitzig ist. Deshalb fasste er den Plan, sich das Schiff des Zauberers genauer anzusehen. Und damit nicht genug. Er überredete auch mich noch, dabei mitzukommen“. „Na, viel Überredungskunst war dafür aber nicht nötig“, meinte Tramber. „Ach, ich war jung und dumm und verliebt“, sagte Trudhil, „wir waren ja erst ganz kurz verheiratet. Aber ich hätte besser zu Hause bleiben und Brot backen sollen, dann säße ich hier jetzt nicht fest“.

„Na, wie auch immer“, machte Tramber mit der Geschichte weiter, „wir beide versteckten uns in der Nähe des Schiffes. Als wir sahen, dass der Zauberer wegging, kletterten wir hinauf. Es sah aus der Nähe alles noch viel schöner aus, und es machte Spaß, alles anzufassen. Und da war dann diese Tür, die nicht verschlossen war, so dass wir hineingingen. Dort gab es viele interessante glänzende Dinge, merkwürdige Instrumente und Maschinen. Wir gingen herum und sahen uns alles an und merkten gar nicht, dass der Zauberer inzwischen wiederkam“. „Gerade als wir in diesen Spiegel sahen, der in dem Raum in der Ecke stand, kam er herein“, fügte Trudhil hinzu. „Ja“, nickte Tramber, „gerade in dem Moment. Wir hatten gar keine Zeit, etwas zu sagen, uns zu entschuldigen oder so. Als er uns sah, hob er seine Hände, sprach fremde Worte, und dann gab es einen Blitz und ganz viel Rauch. Als der sich verzogen hatte, waren das Schiff und der Zauberer verschwunden, und der Spiegel mit uns darin stand so wie jetzt am Strand. Ich dachte erst, ich wäre allein. Doch dann hörte ich Trudhils Weinen von der gegenüberliegenden Seite“. Auch ihm kamen jetzt offenbar bei der Erinnerung einige Tränen, denn er wischte sich mehrmals mit der Hand über die Augen. Dann holte er ein großes Taschentuch hervor, in das er sich geräuschvoll schnäuzte. „Und kein Mensch konnte euch sehen?“, fragte ich. Tramber setzte zum Sprechen an, aber schüttelte dann nur den Kopf, während er sein Taschentuch wieder hervorzog. „Was ist denn mit dir los, dummer Kerl“, schalt ihn seine Frau, „all die Jahre bist du so ruhig, und jetzt fängst du an zu heulen. Das Kind muss doch Bescheid wissen. Also, Mädchen, ihr Menschen könnt uns Majax sowieso nicht sehen. Nein, viel schlimmer ist, dass wir und der Spiegel auch für unsere eigenen Leute unsichtbar sind“. „Aber warum sehe ich euch?“, wollte ich wissen. Tramber, der sich wieder gefaßt hatte, sagte entschieden: „Na, das ist doch wohl klar. Weil du uns erlösen sollst“. „Ich?“, rief ich, „aber wie soll ich das denn machen?“.

In dem Moment sagte eine Stimme hinter mir: „Mit wem sprichst du denn da, Jessica?“. Es war Papa. „Wenn ich dir das erzählen würde, du würdest es mir doch nicht glauben“, erwiderte ich. Papa meinte: „Ach, du und deine Phantasiegeschichten. Komm jetzt nach Hause. Abendbrot ist fertig“. Gehorsam stand ich auf und ging neben ihm Richtung Ferienhaus. Als wir einige Meter gegangen waren, drehte ich mich um und rief: „Ich komme morgen wieder“. Papa drehte sich ebenfalls um, sah natürlich nur den Strand und die Ostsee und murmelte: „Also, von mir hat sie das nicht“.

In dieser Nacht lag ich noch lange wach. Mir ging die Geschichte der Sonderans im Kopf herum, und ich überlegte, was ich wohl tun musste, um sie zu retten. Vielleicht sollte ich den Spiegel zerschlagen, aber was wäre, wenn die beiden dabei auch in Stücke zerbrachen? Besser wäre es sicher, einen Zauberspruch aufzusagen, aber woher sollte ich den kennen? In Märchen mussten Menschen, die Verzauberte befreiten, immer jahrelang durch die Welt reisen und irgendwelche schweren Prüfungen bestehen. So gern ich den beiden Majax helfen wollte, ich hoffte, dass mir das erspart bliebe.

Irgendwann schlief ich doch ein, war aber schon ganz früh am nächsten Morgen wieder wach. Vorsichtig schaute ich ins Zimmer meiner Eltern. Sie schliefen noch ganz tief und fest. Ich zog mich schnell an, schlich dann aus dem Haus und rannte zum Strand. Fast hoffte ich, dass der Spiegel über Nacht verschwunden war, aber er stand noch an der gleichen Stelle wie gestern. Ich schaute in die beiden Spiegelflächen, und als ich die freundlich lächelnden Gesichter von Tramber und Trudhil sah, war ich doch froh, dass sie für mich sichtbar geblieben waren.

Ich stellte mich wieder auf Trambers Seite und fragte: „Also, was muss ich tun, um euch zu retten?“. Er zuckte mit den Achseln: „Keine Ahnung. Weißt du es denn nicht?“. Ich schüttelte mit dem Kopf. Ratloses Schweigen breitete sich aus, das ich mit der Frage unterbrach: „Wie lange seid ihr eigentlich schon in dem Spiegel?“. Tramber fragte zurück: „Welches Jahr haben wir denn jetzt?“. „2004“, antwortete ich. „Ich kenne mich mit der Menschen-Zeitrechnung nicht so genau aus. Es müssten so 100 oder 200 Jahre sein“, meinte er. Ich war entsetzt: „100 oder 200 Jahre?“. „Es sind genau 153 Jahre“, sagte Trudhil. Sie fügte mit einem gewissen Stolz in der Stimme hinzu: „Ich war früher in der Schule im Rechnen immer die Beste“. Ich konnte es noch immer nicht fassen: „153 Jahre? So lange?“. „Ach“, meinte Tramber, „das ist für uns Majax nicht lange. Wir werden viele Jahrtausende alt. Was sind da schon 153 Jahre?“. „Trotzdem würde ich den Rest meines langen Lebens gern außerhalb dieses Spiegels verbringen“, klagte Trudhil. Und damit waren wir wieder bei unserem Problem.

„Vielleicht kannst du unsere Leute um Hilfe bitten“, schlug Trudhil mir nach einigem Nachdenken vor. „Das ist ein guter Rat“, lobte ihr Mann, „bestimmt lebt die weise Thamar noch. Weißt du noch? Sie hatte dieses alte Buch mit den Zaubersprüchen, und wenn man Schmerzen hatte, konnte sie einem helfen“. „Aber ihr habt doch gesagt, dass wir Menschen die Majax nicht sehen können“, wand ich ein. „Papperlapapp“, meinte Trudhil, „wenn wir für dich sichtbar sind, dann sind es die anderen aus unserem Volk auch“. „Außerdem ist das die einzige Möglichkeit. Sonst sind wir sowieso verloren“, sagte Tramber leise.

Ich wollte ihm nicht die Hoffnung nehmen, aber ich musste einen weiteren Einwand machen: „Wo soll ich die Majax denn finden?“. „Ach, das ist einfach“, erwiderte Trudhil, „direkt hinter den Dünen liegen unsere Katen. Weißt du, wir haben zwar vieles von den Menschen übernommen. aber wir leben trotzdem lieber in einiger Entfernung von ihnen“. Ich traute mich kaum, es zu sagen: „Direkt hinter den Dünen? Dort, wo all die Ferienhäuser stehen?“. „Oh“, sagte Trudhil und fuhr nach einem Moment des Schweigens fort: „Ferienhäuser, sagst du? Dann muss sich in den 153 Jahren doch einiges verändert haben“. „Mehr als du dir vorstellen kannst“, meinte ich. Tramber fiel mir ins Wort: „Aber die Majax können nicht weggezogen sein. Sie müssen sich noch irgendwo hier aufhalten“. „Ja, du musst sie suchen, Mädchen“, sagte Trudhil beschwörend. „Aber wo...“, fing ich an, doch Trudhil sprach schon weiter: „Majax bleiben immer in der Nähe des Meeres. Und sie meiden Behausungen der Menschen. Außerdem mögen sie keine Wälder. Einzelne Bäume und Büsche stören sie nicht, aber sie leben niemals im Wald“. Ich blickte links und rechts die Küste entlang und fand, dass es ziemlich viele Stellen gab, wo ich suchen musste. Aber ich wollte es versuchen.

Doch inzwischen hatte Tramber eine weitere Schwierigkeit entdeckt: „Trudhil, das Mädchen kann die Majax gar nicht finden. Denn wenn sie einen Menschen kommen hören, verstecken sie sich doch sofort“. Das verstand ich nicht: „Aber warum tun sie das? Sie sind doch sowieso unsichtbar“. „Damit die Menschen nicht unbeabsichtigt auf sie treten. Und damit die Menschen sie nicht hören“, erklärte Trudhil nachdenklich, „leider hat Tramber da etwas Richtiges gesagt. Aber ich weiß eine Lösung. Wir bringen dir einige Worte unserer Sprache bei. Dann wissen unsere Leute, dass sie dir vertrauen können“. Und sie sprachen mir vor: „Spramanx tumetei wachelei früden maharitel bomen jumax spergerger tum tebit lonbal lokbal tranter spax frastafal notten grandas tepetrom bulla tarmakola“. „Was heißt denn das?“, wollte ich wissen. „Ich tue euch nichts Böses, bitte helft mir“, übersetzte Tramber. „Ganz schön viele Wörter für einen so kurzen Satz“, murrte ich. „Tja“, meinte Trudhil, „wenn wir etwas zu sagen haben, so tun wir das gern ausführlich“.

Immer wieder sagten Trudhil und Tramber mir die Worte vor, und ich versuchte, sie zu wiederholen. Aber ich konnte und konnte sie mir nicht merken. „Ich habe eine Idee“, sagte ich, „ich hole aus dem Ferienhaus Papier und Stift und schreibe mir den Satz auf. Dann kann ich ihn besser auswendig lernen“. Ich rannte zurück zum Ferienhaus, wo ich auf meine inzwischen wachen Eltern traf. Mama rief erstaunt: „Du warst schon draußen? Ich wollte dich gerade wecken“. Jetzt musste ich natürlich erst mal mit meinen Eltern frühstücken. Mama fragte: „Was machen wir denn heute?“. Ich befürchtete schon, dass es irgendeine gemeinsame Unternehmung geben würde, so dass ich nicht zurück zu Tramber und Trudhil könnte. Doch Papa sagte: „Also, ich will heute nichts als einfach ausspannen. Und vor allem will ich endlich mal wieder in Ruhe ein Buch lesen“. Er liest nämlich unheimlich gern, kommt aber normalerweise, weil er immer so lange arbeiten muss, nicht dazu. Mama meinte: „Ich würde aber gern nach Rostock fahren, ein bisschen einkaufen“. „Ohne mich“, äußerte Papa entschieden. „Ich möchte auch viel lieber noch ein bisschen am Strand spielen“, sagte ich. „Ach, ihr seid einfach langweilig“, klagte Mama, „dann fahre ich eben alleine“.

Nach dem Frühstück griff ich mir einen Schreibblock und einen Kugelschreiber und lief wieder zum Spiegel. Langsam sprach mir Trudhil die Worte nochmals vor, und ich schrieb sie mit. Als ich sie dann laut vorlas, kicherte Tramber auf einmal: „Du brauchst sie doch gar nicht auswendig zu lernen. Du musst sie einfach nur ablesen“. Natürlich, er hatte recht, und das bedeutete, dass ich sofort aufbrechen konnte, um die Majax zu suchen. Doch wo sollte ich beginnen? Wieder schaute ich rechts und links die Küste entlang. Zur einen Seite hin war nicht allzu weit entfernt schon der nächste Ort zu erkennen. Auf der anderen hörte die Ferienhaus-Bebauung dagegen bald auf und ging in eine zerklüftete Klippen-Landschaft über. Es erschien mir wahrscheinlicher, dass die Majax sich dorthin zurückgezogen hatten. Also beschloss ich, zunächst in dieser Richtung zu suchen.

Da ich möglicherweise einen Teil des Tages unterwegs sein würde, ging ich vorsichtshalber zurück zu unserem Ferienhaus. Allerdings ging ich ziemlich langsam, denn ich wollte sicherstellen, dass Mama bereits nach Rostock gefahren war. Ihr wollte ich nicht unbedingt erzählen, dass ich vorhatte, die Küste entlang zu wandern. Sie würde nur eine Menge Fragen haben und schlimmstenfalls ankündigen, mich zu begleiten. Als ich am Ferienhaus ankam, war Mama schon fort. Papa saß im Wohnzimmer auf dem bequemsten Sessel und las. „Papa!“, sagte ich. Er sah nicht einmal auf. „Papa!!!“, wiederholte ich, diesmal deutlich lauter, so dass er mich zur Kenntnis nehmen musste. „Papa, ich will ein Stück die Küste entlang gehen. Vielleicht bin ich etwas länger unterwegs. Das ist doch in Ordnung, oder?“. Er nickt geistesabwesend, murmelte „In Ordnung“ und vertiefte sich wieder in sein Buch.

Es war sicherlich besser, etwas zu essen und zu trinken mitzunehmen. Ich machte mir also in der Küche zwei belegte Brötchen, die ich zusammen mit einer Flasche Saft und zwei Bananen in meinen Rucksack packte. Als ich mich dann auf den Weg machte, kam ich mir vor wie ein Forscher, der zu einer aufregenden Expedition aufbricht. Am Erfolg meiner Mission zweifelte ich nicht mehr: ich würde bestimmt die anderen Majax finden, und gemeinsam würden wir Tramber und Trudhil retten. Sobald ich die letzten Ferienhäuser hinter mir gelassen hatte, holte ich den Zettel aus meiner Hosentasche und begann, laut zu lesen: „Spramanx tumetei wachelei früden maharitel bomen jumax spergerger tum tebit lonbal lokbal tranter spax frastafal notten grandas tepetrom bulla tarmakola“. Bald brauchte ich nicht mehr abzulesen, sondern wusste die Worte auswendig: „Spramanx tumetei wachelei früden maharitel bomen jumax spergerger tum tebit lonbal lokbal tranter spax frastafal notten grandas tepetrom bulla tarmakola“. Aber so oft ich den Satz auch wiederholte, es zeigte sich kein Majax. Der Weg stieg stetig an und bot bald einen weiten Ausblick über die Ostsee. Doch ich hatte dafür keinen Blick, sondern sah in alle anderen Richtungen, ob nicht irgendeine Bewegung mir die Anwesenheit eines Majax verriet. Aber es war nichts von ihnen zu sehen.

Nach einem besonders steilen Stück Weg ließ ich mich auf eine Bank fallen. Es schien alles vergeblich zu sein. Entweder gab es hier keine Majax mehr oder ich konnte sie nicht sehen. Dann dachte ich daran, wie hoffnungsvoll Trudhil und Tramber ausgesehen hatten, als sie mir „Viel Glück für die Suche“ gewünscht hatten. Nein, ich durfte jetzt nicht aufgeben. Ich musste weitersuchen. Also trank ich etwas Saft und machte mich dann wieder auf den Weg. „Spramanx tumetei wachelei früden maharitel bomen jumax spergerger tum tebit lonbal lokbal tranter spax frastafal notten grandas tepetrom bulla tarmakola“. Müde sagte ich den Satz immer wieder vor mich hin. Auf einmal sagte neben mir eine Stimme etwas, das ich nicht verstand. Erschrocken fuhr ich zusammen. Neben mir stand ein Majax. Er war ähnlich gekleidet wie Tramber, aber wesentlich älter, denn sein Gesicht war voller Runzeln und Falten. „Was?“, sagte ich, „ich meinte natürlich: wie bitte?“. Schnell fügte ich hinzu: „Bitte, geh nicht weg. Ich bin doch schon so lange auf der Suche“. „Woher kannst du unsere Sprache“, wollte der Majax wissen. „Ich kann sie ja gar nicht“, entgegnete ich, „ich meine, bis auf die Worte, die ich eben gesagt habe“. Und dann erzählte ich Kusmar, so hieß nämlich dieser Majax, die ganze Geschichte. Als ich geendet hatte, nickte er bedächtig: „Ich kann mich an die beiden erinnern. Wir haben sie damals, als sie plötzlich verschwunden waren, überall gesucht“. Dann rief er einige Worte in der Majax-Sprache, und aus dem Gebüsch erschienen fünf weitere Majax. Kusmar sprach lange mit ihnen. Dann liefen zwei in unterschiedliche Richtungen davon, während die anderen drei sich Kusmar und mir anschlossen. „Bitte, bring uns zu dem Spiegel“, bat Kusmar.

Also gingen wir den ganzen Weg, den ich gekommen war, wieder zurück. Währenddessen erschienen immer neue Majax, die uns folgten. Bald war unser Gefolge zu einer riesigen Menschen- oder, besser gesagt, Majaxmenge angewachsen. Mit den unterschiedlichen Farben der Kleidung boten sie ein Bild wie eine bunte, laufende Blumenwiese. Es erschien unvorstellbar, dass so viele Majax den Menschen verborgen geblieben waren. Als uns jedoch eine Gruppe von Spaziergängern entgegenkam, zeigte sich, warum. Denn schneller, als ich sehen konnte, waren alle Majax spurlos verschwunden – und tauchten genauso schnell wieder auf, als die Menschen außer Sichtweite waren.

Als Trudhil und Tramber all die Majax sahen, traten ihnen vor Freude die Tränen in die Augen. Kusmar und die anderen Majax sahen dagegen etwas ratlos aus, denn sie konnten den Spiegel mit Tramber und Trudhil darin ja noch immer nicht sehen. Plötzlich teilte sich die Menge, um eine alte Majax-Frau hindurchzulassen. Sie war wirklich sehr, sehr alt. Ihr Gesicht sah aus wie ein verschrumpelter Apfel, und sie ging gebeugt und unsicher. Sie blieb vor mir stehen und sah mich durchdringend an. Mir schien, als ob sie in mich hineinsehen konnte und genau wusste, was ich fühlte und dachte. „Zeig mir, wo der Spiegel ist“, sagte sie mit befehlender Stimme. Ich wies mit der Hand auf die Stelle, doch sie schüttelte unwillig mit dem Kopf: „Nein, führe meine Hände an den Rahmen“. Etwas ängstlich ergriff ich ihre Hände und legte sie an den Rand des Spiegels. Zwei männliche Majax, die ein altes, ledergebundenes Buch schleppten, tauchten hinter ihr auf. Doch wieder schüttelte die Alte den Kopf: „Das brauche ich nicht. Tief in meinem Herzen sind die Worte, die ich sprechen muss. Ich kenne sie schon lange, aber ich wusste nie, was sie bedeuteten. Jetzt aber weiß ich es“. Und sie schloss die Augen und murmelte einige für mich unverständliche Wörter. Plötzlich blitzte es, und alles war voller Rauch, und als der sich verzogen hatte, waren der Spiegel, Tramber, Trudhil und all die anderen Majax verschwunden.

Ich habe sie nie wiedergesehen. Aber am nächsten Morgen, es war Ostersonntag, stand vor der Hintertür unseres Ferienhauses ein schön geflochtener Korb. Darin lagen, sorgsam in Moos eingepackt, ein selbstgebackenes Brot, ein Gläschen mit Honig, ein Käse und zehn Eier. „Wer mag das hierher gestellt haben“, fragte Mama verwundert. Papa vermutete: „Vielleicht ein Ostergeschenk von dem Ferienhaus-Betreiber“. „Oder der Osterhase hat’s gebracht“, lachte ich, denn ich wusste natürlich genau, wer die unbekannten Spender gewesen waren.

 
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Hallo Wossibär,

eine witzige Idee, die Majax im Spiegel!

Ich finde aber, Du solltest Dich um einen lesefreundlicheren Stil bemühen. Ein paar Beispiele:

Ich schüttelte verneinend mit dem Kopf
Immer wieder ein wichtiger Ratschlag ist: Vermeide überflüssige Wörter! Das "verneinend" kannst Du weglassen, ohne den Sinn zu ändern.
Als ich, den Rucksack aufgesetzt, dann auf dem Weg, der an den Ferienhäusern vorbeiführte, Richtung Steilküste ging, kam ich mir vor wie ein Forscher, der zu einer aufregenden Expedition aufbricht.
Sechs Kommas in einem Satz sind für eine Kindergeschichte sehr viel! Wie wäre es mit: "Mitsamt dem Rucksack ging ich auf dem Weg an den Ferienhäusern vorbei in Richtung Steilküste und kam mir vor wie ein Forscher zu Beginn einer aufregenden Expedition." Vielleicht übertreibe ich hier etwas, ich möchte Dir nur zeigen, daß von den sechs Kommas kein einziges wirklich notwendig ist.
Spramanx tumetei wachelei früden maharitel bomen jumax spergerger tum tebit lonbal lokbal tranter spax frastafal notten grandas tepetrom bulla tarmakola.
Es fällt mir schwer, diesen Satz hierherzukopieren, denn ich kann ihn eigentlich nicht mehr sehen! Und das, obwohl ich ihn schon beim zweiten Mal nur noch überflogen habe. Nun stell Dir mal vor, ein Vater oder eine Mutter muß das einem Kind neunmal vorlesen (ich hoffe, ich habe mich nicht verzählt) - wird derjenige wohl beim nächsten Mal wieder eine von Deinen Geschichten aus dem Regal ziehen? ;)

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

danke für deine konstruktive Kritik. Ich werde mich am Wochenende mal hinsetzen, versuchen, den Text stilistisch zu vereinfachen und entsprechend ändern. Vielleicht schaust du nächste Woche noch mal rüber; eine (hoffentlich) positive Rückmeldung wäre hilfreich?!

Dass ich den Majax-Satz so oft wiederholt habe, war eigentlich bewußt. Ich wollte damit die relativ lange und (zunächst) frustrierende Suche des Mädchens plastischer machen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das beim Vorlesen wirklich so nervig ist. Möglicherweise kann das auch ganz witzig sein, wenn der Vater oder die Mutter über einzelne Wörter immer mal wieder "stolpert". Muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen, ob ich das ändere oder nicht.

Gruß

Wossibär

 

Hi Andrea,
Also ich habe ein bisschen gebudelt und dabei diese KG gefunden:)
An meinem Grinsen kannst du sehen das mir die Geschichte eigentlich sehr gefallen hat, aber ich finde, dass dir die Überarbeitung auf Roys Kommentar noch nicht ganz gelungen ist.;)
Alleine schon im ersten Absatz bin ich gestolpert:

...und meine Eltern hatten ein Ferienhaus in unmittelbarer Meernähe gemietet.

Wenn ich eine Vokabel wie unmittelbar gebrauche, dann doch eher selten wenn ich einem Kind erkläre, dass das "Meer ganz nahe ist".
Es wirkt auf mich zu kompliziert für eine Kindergeschichte.

Nur über die Rasenfläche, eine kleine Pforte aufgemacht, zwischen den Dünen hindurch, und schon lagen der breite Sandstrand und das blau-graue Meer vor mir. Ich stapfte durch den tiefen Sand, der unter meinen Füßen immer wieder wegrutschte, Richtung Wasser.

Hier sind immer noch Kommamonster unterwegs :D

Als Fazit kann ich sagen, du hast zwar eine sehr schöne Geschichte geschrieben die stilistisch sehr sauber und vom Inhalt her begeisternd ist. Aber ich bin mir nicht sicher ob sie für ein Kind verständlich ist. Ich denke dabei daran, dass Kindergeschichten ja nicht nur von den Erwachsenen vorgelesen werden, sondern dass wenn so ein Hosenmax dann in die Schule kommt natürlich ab der zweiten dritten Klasse wenn er "richtig" lesen kann eine Lieblingsgeschichte aus der Zeit als Mama und Papa jeden Abend vorgelesen haben selbst lesen möchte. Das wird schwierig, als Erwachsener kann ich immer noch mit der Betonung spielen und faxen machen damit die Kinder die Geschichte verstehen aber wenn sie sie dann selber lesen wollen wirds kompliziert.
Ansonsten, die Idee hat mir wie geschrieben sehr gut gefallen.:)

Ich grab mal noch ein bisschen
Nice

 

Hallo Nice,

danke, dass du eine meiner Geschichten "ausgebuddelt" hast. Du hast sicher recht mit deiner Kritik, dass manches nicht kindgerecht ausgedrückt ist und viele Sätze (trotz Überarbeitung) noch immer zu lang sind. Ich finde es aber auch immer viel schwerer, eine Geschichte umzuarbeiten und zu kürzen als sie "locker-flockig" runterzuschreiben..... :)

Wobei das Hauptproblem bei dieser kg. sicher ist, dass sie mir auch beim Schreiben nicht so locker von der Hand ging. Ich hatte vorher eigentlich eher kg. geschrieben, die sich mit realen Personen beschäftigte und wollte mit den Majax mal was neues ausprobieren. Also: kurz gesagt, die Geschichte gehört einfach nicht zu meinen eigenen Lieblingsgeschichten. Oder, um es anders auszudrücken: ich habe meiner Meinung nach schon wesentlich bessere geschrieben (vielleicht stößt du ja beim "Graben" auf die eine oder andere :D ).

Liebe Grüße

Andrea

 

Hi Andrea,

ich finde, deine Geschichte ist eine schöne Abenteuerstory für die ganz Kleinen. Ein gut nachvollziehbarer Spannungsbogen, der aber so geschlagen ist, dass niemand Angst haben muss; es passiert nichts Schlimmes oder Dramatisches. Eben für ab Dreijährige, die nach dem Lesen keine Alpträume haben. ;)
Gerade deshalb finde ich es nicht schlimm, dass die Sprache an manchen Stellen nicht Erst-Lese-tauglich ist. Es ist ein Unding anzunehmen, dass alle Geschichten so geschrieben sein müssen, dass auch Leseanfänger sie selbst erlesen und verstehen können. Eben dafür liest man doch vor und liest eben auch großen Kindern immer noch vor. Nur so können die Kinder ihren Wortschatz erweitern, lernen das Gefühl für einen tollen Satzbau kennen und probieren im Zweifelsfalle eben das Nachfragen aus. Welche Frage muss ich stellen, um mir den Inhalt erschließen zu können. Wobei ich ehrlich gesagt nicht so ganz sehe, wo in deiner Geschichte so große Probleme auftauchen sollten. Meine Meinung zu den Kritikern davor.

Aber jetzt weiß ich nicht, ob ich noch genauer auf den Text eingehen soll, weil du ja darunter geschrieben hast, dass es keine deiner Lieblingsgeschichten ist usw. Hast du vor noch etwas daran zu machen oder bleibt die jetzt so? Wenn zweiteres dann spare ich mir jetzt nämlich das Tippen. ;)

Kitana

 

Hallo Kitana,

interessant, dass du die Geschichte eher für kleinere Kinder als geeignet ansiehst. Meine Zielgruppe waren beim Schreiben eher die ca. 8-jährigen. Meinst du für die Altersgruppe wäre die kg. nicht das Richtige? Und bei den Kleineren, wäre da nicht ein Problem, dass Jessica 8 Jahre alt ist?

Gerade weil ich selbst nicht so 100-prozentig hinter der kg. stehe, wäre für mich schon wichtig, noch Hinweise zu Stilistischem u.ä. zu bekommen. Beí den Geschichten, die ich selbst toll finde, fällt es mir sowieso immer viel schwerer, Verbesserungsvorschläge zu akzeptieren ;) . Also wenn du mal nichts besseres vorhast....... :D

Liebe Grüße

Andrea

 

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