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Der Ort

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27.07.2019
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Der Ort

Ein junger Mann läuft die einsame Straße entlang. Er streicht sich mit dem Ärmel seiner Uniform den Schweiß vom Gesicht. Er ähnelt einem bekannten Schauspieler, aber er mag es nicht, wenn Leute ihm das sagen. Eine Telefonzelle an der Straße lässt ihn kurz anhalten. Doch bevor er den Hörer abhebt, überlegt er es sich anders. Überraschung ist besser.

Er läuft weiter, bis er zu einem einsamen Haus am Ende einer langen Einfahrt. Kurz davor trifft er einen jungen Mann auf einem Skateboard, sein Freund Ben. Beide nicken; schweigend gehen und rollen sie nebeneinander weiter. Sie erreichen das Haus. Der Mann geht durch die breiten Flügeltüren hinein. Erst in der Halle fällt ihm auf, dass die Türen nicht gequietscht haben. Jemand muss sie geölt haben. Ein paar Schritte weiter, schon hat der das Haus durchquert und steht vor der breiten Fensterfront des Wohnzimmers. Er sucht, seine Eltern scheinen nicht zuhause. Er verlässt das Haus und geht zurück entlang der Straße, Ben wieder an seiner Seite.

Das Haus wird schnell zu einem Schemen, flimmernd in der heißen Luft. Er denkt an eine Geschichte, die er wohl einmal gelesen hat. Etwas über eine Suche nach einem Ort. Er hört Ben etwas sagen, doch seine Gedanken schweifen ab.

Ein weiteres Haus. Er geht allein hinein. In der Küche liegt ein dünner Gummihandschuh. Er erinnert sich. Zusammen haben sie damit gespielt, ihn aufgeblasen und ihn fliegen lassen. Es war nur ein kurzer Moment damals, das Gebilde hatte die Luft schnell verloren. Er nimmt den Handschuh, bläst ihn auf, freut sich kurz an der prallen Form und den flatternden Anhängseln, lässt ihn stotternd durch die Luft fliegen. Der Handschuh landet auf dem Boden. Eine junge Frau kommt herein. Sie sagt nichts, schaut auf den Handschuh und tritt ein paar Schritte näher. Sie fängt an zu weinen. Er legt seine Arme um sie. "Komm zurück zu mir!" fleht sie. Er ist hilflos. "Es ist nur ein Urlaub". Sie weint heftiger. Zusammen stehen sie eine Weile.

Sie verschwimmt.

Er öffnet seine Augen und schaut in die von Ben. Ben trägt wieder Uniform, voller Dreck. Kein Skateboard, nur das Gewehr. Ben hält seine Hand, der Mann bemerkt es, doch fühlt es nicht. "Bleib hier, bei mir!" schreit Ben. Der Mann spuckt, um den süßlichen Geschmack im Mund loszuwerden. "Das werde ich," entgegnet er und schließt die Augen.

 
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Hallo,

Sopra und willkommen hier! So eine richtige Kurzgeschichte ist das (noch) nicht, ich werde dennoch unabhängig davon auf den Inhalt eingehen und aufdeuten, was meiner Meinung nach schiefgelaufen ist. Dein Text kann nur schwerlich als Geschichte betrachtet werden, was hauptsächlich auf die Kürze des ganzen zurückzuführen ist. Mir wird zwar am Ende deutlich, dass es sich um eine Reminiszenz eines sterbenden Soldaten handelt, aber die Gefühle, welche mit dieser Szenerie einhergehend wohl auf mir lasten sollten, bleiben aus. Und das ist kein Wunder, in einem solch mageren Text ist es nahezu unmöglich, dem Leser überhaupt etwas zu vermitteln, geschweige denn, in ihm Gefühle zu erwecken. Zudem bleiben alle Personen der Geschichte komplett gesichts- und farblos, niemand schafft es in mein Herz, wie denn auch, es ist ja niemand da, nur schemenhafte Bens und Ers und Sies. Das ist natürlich ebenfalls mit der Kürze des Textes in Verbindugn zu bringen, es liegt aber auch an dem gewählten Format:

Ein junger Mann läuft die einsame Straße entlang.
Für einen ersten Satz ist das denkbar schlecht gewählt. Zum einen liegt eine komplett banale Gegebenheit vor: jemand läuft eine Straße entlang - nicht spannend, nicht verwirrend, nicht aufregend
Zum anderen handelt es sich hier nicht um eine konkrete Person, sondern um (irgendeinen) jungen Mann. Das kann stilistisch wichtig für eine Geschichte sein, gerade wenn man ausdrücken will, dass es ganz egal ist, wer diese Person ist, wem hier etwas widerfährt - es könnte jeden treffen. Gerade den Prota als schemenhafte Gestalt darzustellen, ist jedoch sehr schwierig, da eben dieser Charakter für den Leser interessant erscheinen sollte - das geht natürlich nicht, wenn mir eine gesichtslose Person präsentiert wird. Diese Unpersönlichkeit des Protas zieht sich durch die ganze Geschichte, mir wird nie wirklich ein Charakter vorgestellt, ich kann gar keine Beziehung zu dieser Person aufbauen, die ja keine Person ist. Und da hast Du von vornherein einen schematischen Fehler begangen, ein Paradoxon geschaffen, indem der Prota absichtlich keinen Namen, kein Gesicht, keinen Hintergrund erhält.
Das Ende der Geschichte soll in mir, dem Leser, die intensivsten Gefühle wecken, das geht aber nicht, wenn es keine Person gibt, mit der ich fühlen könnte, und die Personen in diesem Text werden vehement vor mir versteckt, so nebulös wie möglich gestaltet. Genau das Gegenteil sollte angestrebt werden.
Er ähnelt einem bekannten Schauspieler, aber er mag es nicht, wenn Leute ihm das sagen.
Das wäre ein spannenderer erster Satz. Hier wird mir auch etwas über diese Person preisgegeben, aber um sie mir tatsächlich nahezubringen, reicht das gewiss nicht. Zumal auch hier wieder möglichst unkonkret beschrieben wird, es handelt sich nicht um das Gesicht des Schauspielers xy, sondern um das von irgendjemandem. Das kann wie gesagt stilistisch begründet sein, im schlechtesten Falle allerdings, wird dem Autor hier vorgeworfen, es sich möglichst einfach gemacht zu haben.
Des Weiteren ist die Handlungsabfolge hier maximal erratisch und auch wieder unkonkret:
Er läuft weiter, bis er zu einem einsamen Haus am Ende einer langen Einfahrt. Kurz davor trifft er einen jungen Mann auf einem Skateboard, sein Freund Ben. Beide nicken; schweigend gehen und rollen sie nebeneinander weiter. Sie erreichen das Haus.
"Er" läuft hier irgendwo, irgendwann zu irgendeinem Haus, niemand weiß etwas, ich als Leser erfahre am allerwenigsten. Wenn es sich hier um eine Erinnerung des Protas handelt, die "glücklichen Tage" Einzug in die letzten Momente des Mannes erhalten, warum wird dann so unglaublich trocken und unkonkret über diese gesprochen? Auf diese Weise bleibt der Prota hier wieder maximal schemenhaft.
Und spätestens hier wird die Essenz meiner Kritik deutlich: unkonkret, unkonkret, unkonkret, unkonkret, unkonkret
Einem Maler würde man wohl vorwerfen, dass er einfach nur ein Strichmännchen gemalt hat.
Gib Deinen Charakteren äußere Merkmale, Eigenheiten, Marotten, Vorlieben, Idiome; statte die Erinnerungen mit authentischen Objekten aus, welche Farbe hatte das Haus, welche Gegenstände lagen vor dem Haus, liebte der Prota insbesondere das Efeu, das sich über die vermoosten lockeren Dachziegel schlängelt? Gib der Geschichte Farbe.

Das ist meine Meinung zu diesemText, ich hoffe, Du nimmst es als Anreiz, Dich mehr zu trauen, Details zu schaffen, der Geschichte Charakter zu geben.


MfG Putrid Palace

 

Hallo @Sopra,
herzlich Willkommen bei den Wortkriegern.
Ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat, aber er war klug: "Schreiben ist ganz einfach, man muss nur die richtigen Wort weglassen."
Hier fehlen ein paar Worte. PutrifPalace hat es sehr schön erklärt, darum widerhole ich es nicht.
Und tatsächlich hast du ein paar dieser Details in deiner Geschichte, diese Anker, die charakterisieren und Welten bauen, eben nur zu wenig.

Er ähnelt einem bekannten Schauspieler, aber er mag es nicht, wenn Leute ihm das sagen.
Ein toller Ansatz, um den Mann zu beschreiben.
Erst in der Halle fällt ihm auf, dass die Türen nicht gequietscht haben.
Auch so ein Anker. Beschreibt den Ort und die Verbindung zu ihm. Zeigt, dass Zeit vergangen ist und er lange nicht dort war.
Er denkt an eine Geschichte, die er wohl einmal gelesen hat. Etwas über eine Suche nach einem Ort.
Hier schreit es in mir nur: "Welche Geschichte? Welche Geschichte? Gib mir Infos, gib mir mehr! Was mach ich denn sonst mit dieser Zeile?"
In der Küche liegt ein dünner Gummihandschuh.
Wieder ein tolles Detail. Es transportiert seinen Humor, seine Beziehung.

Sonst ist die Geschichte zu vage. Ja, du musst nicht alles erklären und dieses Zitat oben mit dem Weglassen ist wichtig, aber wenn du mir zu wenig Konkretes gibst, kann ich in meinem Kopf nicht weiterspinnen, Lücken füllen und ... fühlen. Ich fühle erst etwas, wenn ich eine Verbindung spüre, wenn etwas im Text mit mir resoniert.
Mir hilft es immer beim Schreiben, wenn ich ein Bild voller Details, Informationen und unwichtigem Kram in meinen Kopf habe. Dann versuche ich so viel wie möglich wegzulassen, um den wichtigen Punkten den größtmöglichen Raum zu geben. Das kann schief gehen (wie in meinem ersten Beitrag hier, wo ich zu viel weggelassen habe), aber es beugt der "Blutleere" vor, die ich momentan noch in deinem Text sehe.

man liest sich
Huxley

 

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