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Der Pizzamann
1.
Ausgedehnte Volksfeste und das damit einher gehende ständige Gerangel durch die Menschenmassen machen hungrig, und das war auch der Grund, warum ich an jenem lauen Sommertag beschloss, bei dem kleinen Stand an der Ecke ein Stück Pizza zu verdrücken.
Als meine Augen gerade wenige Sekunden über das Sortiment des kleinen Lädchens schweiften, erinnerte ich mich an die eindringliche Empfehlung einer Freundin: „Du musst unbedingt die gefüllten Pizzas probieren, die sind mit Käse und Schinken – saulecker!“
Ich wollte gerade einen Schritt nach vorne machen und eine der Pizzas bestellen, als mir der Verkäufer plötzlich eine dampfende, gefüllte Pizza reichte, beide Arme ausgestreckt. Seine braunen, südländischen Augen waren weit aufgerissen und er blickte mich hoffnungsvoll an. Ich war verwirrt – hab ich etwa schon bestellt?
„Ähm, ich habe noch nicht bestellt, Sie verwechseln mich sicher“, sagte ich nach einigen Sekunden. Der Pizzaverkäufer legte die Stirn in Falten, wobei sich seine buschigen Augenbrauen in einen dichten Streifen schwarzen Haares verwandelten. Er sagte nichts.
„Nun ja“, murmelte ich langsam, „die Pizza ist sicher für jemand anders“.
In dem Pizzastand arbeiten zwei Verkäufer, und es ist ziemlich großer Andrang, da ist es durchaus möglich, dass die Bestellungen der Käufer durcheinander kommen, oder?
„Ist für dich.“
„Nein, äh -“
„Du wolltest doch eine. Hast doch gerade daran gedacht, oder nicht?“
Verdammt woher weiß der das?
Ich könnte genau so gut lieber eine Hawaii-Pizza haben wollen...
Das Gesicht des Verkäufers, der mir immer noch mit beiden Armen die Pizza entgegenstreckte, wirkte im fahlen Licht beinah bedrohlich. Hinter mir warteten noch einige andere Leute, und schließlich resignierte ich. Er hatte Recht – ich wollte ja tatsächlich eine gefüllte Pizza haben.
„In Ordnung, sie haben ja Recht.“ Ich nahm die Pizza und fummelte drei Euro aus meiner Tasche. Der Verkäufer nahm sie und nickte, jetzt freundlicher.
Aufgrund der Entspannung in der aggressiven Visage des Verkäufers brachte ich ein Lächeln zustande.
„Hellseher, was?“, fragte ich.
Der Verkäufer schüttelte den Kopf, biss sich mit ernstem Blick auf die Lippen und wandte sich ab.
Was soll´s...
Mit einem flauen Gefühl im Magen und absolut keinem Hunger mehr wühlte ich mich durch die lachenden und betrunkenen Massen, zurück zu meinen Freunden am anderen Ende der Straße.
2.
Die Band, eine halbgare und viel zu laute Mischung aus will-und-kann-nicht und not-gegen-elend, war langweilig und entsprechend flüssiger wurde das Bier. Es glitt unsere Kehlen hinab und nicht aus blieb, was nicht ausbleiben konnte:
Irgendwann mussten wir pissen. Ich ging mit meinem guten Kumpel Stefan die verstopfte Straße runter, in Richtung des kleinen Waldstücks, das schon vielen anderen Kerlen als Pinkelstelle seine Dienste tat. Vor den großen WC-Containern, die am Straßenrand aufgestellt waren, stand fortwährend eine nicht enden wollende Schlange von Frauen und Mädchen, die es sichtlich nicht mehr aushalten konnten.
Ich verspürte nicht im Geringsten Lust, in dem dreckigen Waldstück zu –
„Du und dein Kumpel, ihr könnt hier pissen!“
Beim ersten Mal nahm ich den Satz nicht bewusst war und Stefan, der neben mir lief, hörte ihn überhaupt nicht.
„Hey! Hier könnt ihr pissen!“
Ich wandte meinen Kopf zur Seite. Ein paar Meter neben mir sah ich plötzlich den Pizzaverkäufer von vorhin. Er schaute mich an und winkte mit den Armen.
„Was hat der denn?“, fragte Stefan.
Irgendwie ahnte ich es. Das Gesicht des Verkäufers beinah flehend.
Stefan zog mich am Arm. „Geil, wir können in seinem Laden pissen! Wie kommt der dazu?“, rief er, „egal. Komm, wir sind so tausendmal schneller. Er will sicher die überfüllten Container entlasten oder das kleine Wäldchen schonen.“ Stefan lachte.
Ich rülpste und kam mit. Was soll´s? In mir steigerte sich die Vorahnung, dass der Verkäufer entweder schwul war oder einfach nur einen kräftigen Knacks weg hatte.
Als wir auf der Hinterseite des kleinen fahrbaren Pizzastandes ankamen, gingen wir – Stefan voraus – die Stufen hoch und standen vor der winzigen Toilette. „Na endlich“, murmelte der schwule Verkäufer.
Stefan ging rein und ich wartete, mit nicht gerade geringem Unbehagen.
Beeil dich, Mann...
Der Pizzamann nickte und warf mir einen kurzen aber intensiven Blick zu.
Er lächelte. Grinste.
„So-de-le“, sagte Stefan nach einigen Sekunden, ganz wie es seine Art war, und trat aus dem Klo.
„Ach, weißt du, ich muss gar nicht pissen.“
“Hä? Das ist doch die Chance hier. Oder hast du Bock auf versiffte Bäume?“
„Ne, lass mal, ich trink noch ein Pils. Ich glaub´ ich komm gleich noch mal her“, log ich.
„Wie du willst“.
Von dem kleinen Kloraum aus konnten wir in den eigentlichen Laden schauen. Ein dicker, südländischer Typ bediente die Kunden, während der wundersame Pizzamann Brot schnitt. Er grinste immer noch.
Als er Stefan und mich anschaute, gingen wir zügig die Stufen hinab auf die Straße.
3.
Dann sah ich ihn – verdammt, immer wenn ich ihn sah, zog sich mein Magen zusammen. Mettur war das, was man einen Gangster nennen würde, wenn er sich beim Cool-Sein nur nicht so dumm anstellte. Ich hasste ihn. Er war der einzige, bei dem ich dieses Gefühl verspürte.
Dieser blöde Wichser. Warum muss ich ihm hier begegnen?
Vor etwa einer Woche habe ich auf dem Weg vom Bus nach Hause, ziemlich voll, aus Versehen eine Bierflasche fallen lassen, die daraufhin geräuschvoll zersplitterte. Mettur, der vor mir lief, dachte ich hätte sie nach ihm geschmissen. Er schrie und rannte auf mich zu – und schlug mir mit aller Kraft auf die Nase. Als ich am Boden lag und mir mein Blut über die tastenden Finger lief, spuckte er mir auf die Stirn.
Nicht daran denken...
Er stand vor dem Pizzalädchen und bestellte sich eine Thunfischpizza. Er hatte mich noch nicht gesehen. Dann drehte er sich um. Sein starrer Gangsterblick morphte, auf eine Art, die nur Typen vom Schlage Metturs beherrschen, in ein grimmiges Lächeln.
„Soso, der Jan. Was lungerst du hinter dem Laden rum, Junge? Hast du kein zu Hause?“
„Hey komm lass mich in Ruhe – “
Er kam näher. Ich roch seine Fahne, es stank stark nach Bier und noch anderem, härterem Zeug. Als er vor mir stand und mich aus dunklen Augen anstarrte, fragte ich mich, warum der Herr nicht so gütig sein und einen Blitzstrahl auf ihn nieder senden könnte.
„Heute keine Flasche dabei?“, lallte er stumpf und trat dabei einen Schritt weiter auf mich zu.
Ich hatte einfach Angst. Hinter Mettur standen noch zwei seiner Leute. Stefan hielt sich ein wenig im Hintergrund.
Verdammt, wegrennen geht nicht – zu viele Leute überall. Mein Kopf dröhnte von der Musik und ich musste dringend pissen.
Stirb doch einfach...
In diesem Augenblick hörte ich Glas zerbrechen. Der Pizzamann sprang über die Ladentheke. Dabei riss er die kleine Glaswand mit sich, die die Theke von den Pizzas trennte. Er kam auf der Straße auf und fiel hin. Er fluchte, dann stand er sofort wieder.
Mit einem entsetzlichen Schrei sprang er Mettur von hinten auf den Rücken und rammte ihm das blanke Brotmesser in den Nacken. Blut spritze nach allen Seiten. Ich sah, wie Metturs Augen schlagartig glasig wurden. Mettur, den Pizzamann immer noch auf dem Rücken, sackte zusammen.
Schreie überall, Blut auf meiner Hose. Mettur spuckte aus und stöhnte. Dann war es vorbei.
Der Pizzamann hockte über Mettur. So viel Blut auf der Straße... Ich hatte alles mit angesehen.
„Wie, Warum?“ schrie ich den Pizzamann an.
Er schaute mit großen, braunen Augen auf mich.
„Du hast doch vorhin daran gedacht, dass er stirbt, oder nicht?“
Mir war eiskalt und alles wurde schattig.
Es war das erste und letzte Mal, das ich in Ohnmacht fiel.