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Der Schäfchenstreik
Der Schäfchenstreik
Lea seufzte tief und warf sich in ihrem Bett mindestens zum zwanzigsten Mal auf die andere Seite. Sie konnte einfach nicht einschlafen! Hatte Papa nicht letztens gesagt, man müsse sich vorstellen, lauter Schäfchen hüpften über einen Zaun? Und sie dabei zählen?
Gut, das war bestimmt so grottenlangweilig, dass sie darüber einschlafen konnte!
Lea kniff also die Augen zusammen und stellte sich eine sonnige Wiese mit einem hölzernen Weidenzaun vor. So, und nun noch die Schafe dazu. Aha, dort am Waldrand war eine ganze Herde und bewegte sich langsam grasend auf den Zaun zu.
Das erste Schaf, ein helles mit gebogenen Widderhörnern, setzte mit Anlauf darüber.
"Eins, ..." , zählte Lea. Dahinter hopste eine ganze Gruppe mitsamt ein paar Lämmern über die Hürde. "Haaaalt!", rief Lea und klatschte in die Hände. Das machte ihre Turnlehrerin immer. "So geht das aber nicht! Wie soll ich euch denn da zählen, wenn ihr so durcheinander springt! Also jetzt mal schön alle nacheinander!"
Eines der Tiere, ein etwas dunklerer Hammel mit braunem Hals, hob den Kopf: "Ja, sag mal, spinnst du?", blökte er zu Lea gewandt. "Erst sollen wir uns für dich da rüber quälen, und jetzt vielleicht auch noch in einer Reihe? Wünschen Madame vielleicht zusätzlich einen Salto oder eine Flugrolle?"
Die Reihe der Schafe kam ins Stocken. Lea war sprachlos. So eine bockige Bande! Entrüstet stemmte sie die Hände in die Hüften. "Ich habe euch eben in meinem Kopf erfunden und ihr müsst genau das machen, was ich euch sage!"– "Pff ...", machte der Hammel, setzte sich auf sein weißes Schwänzchen und verschränkte die Vorderbeine. "Dann streiken wir eben!" Beifälliges Geblöke um ihn herum. Listig kniff er die hellbraunen Augen zusammen und legte den Kopf schief. "Jetzt kannst du sehen, wie du einschlafen willst, ohne uns!"
Prompt ließen sich die anderen Schafe rund um den Sprecher ins Gras fallen. Lea machte große Augen.
"Und jetzt?", fragte sie enttäuscht. "Ihr sollt mir doch beim Einschlafen helfen!"
Das Schaf mit dem braunen Hals kam wieder auf die Füße. "Wenn du uns zur Abwechslung höflich bittest, könnten wir vielleicht eine Lösung finden ..." Lea nickte erleichtert. "Oh ja, bitte Herr Schaf, helfen Sie mir!"
Der Hammel, der die Schafe anführte, sah Lea tief in die vertrauensvollen Kinderaugen. Nach kurzer Prüfung und Überlegung entschloss er sich dann, mit Lea offen und ehrlich zu sein: "Das Problem ist," sagte er, "dass so viele von uns sich die Läufe verrenken bei dem ewigen Über-den Zaun-Springen! Immer wieder gibt es dabei Unfälle, schau mal genau hin!"
Tatsächlich, als Lea einige Schäfchen genauer unter die Lupe nahm, entdeckte sie hier einen Verband, dort ein Schaf mit Krücken. Und ein Lämmchen humpelte sogar auf gleich zwei Gipsbeinen über die Wiese! Das Lämmchen tat Lea schrecklich Leid.
"Dabei", fuhr der Hammel fort, "könnten wir genauso gut außen herum gehen, um zum Einschlafen zu kommen. Komm Lea, wir zeigen dir den Weg, dann weißt du das nächste Mal gleich Bescheid."
Die große Schafherde wandte sich um und zog mit Lea zurück über die Wiese. Wirklich, dort in der Ferne sah Lea schon das große Schild mit der Aufschrift "Traumland". Und dort, versteckt zwischen ihren kleinen bunten Kinderträumen, entdeckte Lea einen ganz besonderen Wunsch-Traum, der sicher noch sehr lange dort in ihrem Traumbaum hängen würde: den Wunsch, später, wenn sie groß sein würde, verletzte Menschen und Tiere gesund zu machen. In ihrem wachen Leben als Ärztin und nebenbei im Schlaf würde sie allen Lebewesen im Traumland helfen ...