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Der schiefe Turm von Düsseldorf

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30.12.2003
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Der schiefe Turm von Düsseldorf

Es ist beinahe zweihundert Jahre her, im Jahre des Herrn 1817, als ein junger Mann namens Harry in seinem Studierzimmer sitzt. Obwohl er kein kirchliches Amt anstrebt, kreist immer wieder ein Gedanke in seinem Hirn, findet er keine Ruhe. Während er überlegt, nimmt er ab und an den Folianten zur Hand, in welchem die Ränke des Bösen beschrieben sind. Sein romantisches Gemüt schwankt zwischen fleischlichem Begehren und Abscheu vor der Sünde. Ist Venus eine Ausgeburt des Teufels? Schon im Lied des Ritters Tannhäuser über seine Reise zum Venusberg heißt es:

"Herr Pabst, Ihr geistlicher Vater mein,
Ich klag Euch meine Sünde,
Die ich mein Tag begangen hab,
Als ich Euch will verkünden:

Ich bin gewesen ein ganzes Jahr,
Bey Venus einer Frauen,
Nun will ich Beicht und Buß empfahn,
Ob ich möcht Gott anschauen."

Der Pabst hat einen Stecken weiß,
Der war von dürrem Zweige:
"Wann dieser Stecken Blätter trägt,
Sind dir deine Sünden verziehen." *)

Das Herz des Jünglings erschauert vor der Sinnlichkeit des Weibes Mephistophela, denn in nämlicher Gestalt erscheint ihm Satan, und so nennt er sie. Die wildesten Szenen malt seine Fantasie sich aus; er fällt in eine Art Wachschlaf, in dem die Grenzen zum Traum sich verwischen:

Plötzlich sieht er eine Frauengestalt durch die Altstadt laufen, erst in Richtung zum Rhein hinunter, dann biegt sie am Burgplatz nach rechts ab. Hohl klingen ihre Schritte in den nächtlichen Gassen. Schließlich verhallen sie vor der Pfarrkirche St. Lambertus. Dort begehrt sie Einlass, welcher ihr gewährt wird vom Priester im Büßerhemd.
„Was führt dich zu mir zu dieser Stunde?“, fragt sie der Priester.
„Ich habe gesündigt, Vater“, antwortet sie. „Bitte nehmt mir die Beichte ab.“
Aber der Priester fährt auf: „Du hast mich im Gebet gestört, komme morgen wieder. Es ist nicht Zeit zur Beichte um Mitternacht.“
Erbleichend stammelt die Frau: „Zu spät, dann ist es zu spät. Ich bin verloren, der Böse wird mich holen.“
Unwirsch gibt der Priester nach und lässt sie ein. Da scheint die junge Frau einen Schwächeanfall zu bekommen, beginnt zu taumeln, klammert sich an ihn.
„Ich habe mein Keuschheitsgelübde gebrochen“, stammelt sie dicht an seinem Ohr. Ihr Atem streift ihn, und der Priester weiß nicht, wie ihm geschieht.
’Ich muss behext worden sein’, denkt er, und schon zieht er die beinahe Fallende ganz dicht an sich heran. Noch während der Priester um Klarheit ringt, beginnt sie ihn zu umkosen, und er denkt im letzten Moment: ’Nicht hier, nicht unter Seinen Augen.’ Dann führt er sie die Treppe hinauf zum Turm.
Es hebt ein Küssen an und Umgarnen, ein laszives Spiel verschlungener Glieder. Nun gesellen sich Musikanten dazu, ertönen süß die Klänge einer betörenden Melodie. Schon steht ein festlicher Tisch bereit mit auserlesenen Speisen und blutrotem Wein. Hübsche Dienerinnen sind bemüht, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Das Liebesspiel wird zum Bacchanal.
Bis der Schutzpatron der Kirche, der Heilige Lambertus, nicht mehr zusehen kann. Er fasst in sein Chorhemd, wo er die glühenden Kohlen aufbewahrt, um den Weihrauch zu entzünden. So hatte er es schon vor über tausend Jahren gehalten, als er noch als Diakon durch die Lande zog, und das Hemd blieb unversehrt. Er wirft die Glut nach den heidnischen Ketzern, um dem sündhaften Treiben ein Ende zu bereiten.
Da endlich kommt der Priester zu sich, Entsetzen breitet sich über sein Gesicht. Doch Mephistophela verteilt die Glut, bis der Dachstuhl Feuer fängt. Dann läutet sie die Glocken, bevor sie sich auf den Rücken des Priesters schwingt und mit ihm zur Kirche hinaus fliegt.

Der Turm verbrennt und muss erneuert werden, doch die Kirche bleibt zum Glück erhalten. Vergeblich forscht der weltliche Arm der Macht nach den Schuldigen. Der Priester ward von Stund an nicht mehr gesehen. Und der junge Harry Heine saß zuhause – er hatte lediglich einen Traum.

Bald erhebt sich der neu errichtete Turm stolz über der Pfarrkirche. Er hat nur einen Makel: In sich verdreht, strebt seine Spitze schief dem Firmament entgegen.
Der Küster erklärt, man habe zu feuchtes Bauholz verwendet. Vielleicht ist es auch die Seele des Priesters, die keine Ruhe findet, oder es ist eine Metapher für den Scheideweg zwischen Recht und Unrecht. Es kann auch eine Frage an den Himmel hoch droben sein, die noch nicht endgültig entschieden wurde.

*) Text nach Heinrich Heine „Elementargeister“

 

Hallo Illu,

erst mal danke für Dein Urteil und die Mühe, die Du Dir mit dem Text gemacht hast. Und natürlich ist Deine kritische Betrachtung hilfreich!
Zur Figur von Harry Heine (nach seinem Übertritt zum Christentum nannte er sich Heinrich, das war aber bedeutend später): Ich habe es hin und her probiert, ihn letztendlich aber wieder eingebaut, weil
a) diese Gedanken sehr gut zum jungen Heine passen und
b) dieser spezielle Ausdruck Mephistophela wohl auf ihn zurück geht – er hat diese Figur in seinem Ballett „Der Doktor Faust“ verwendet.
Letztlich passt es auch geographisch, denn er hat nur wenige hundert Meter von der Pfarrkirche entfernt gewohnt (in der Bolkerstraße), so dass seine wirren Gedanken gut die Mephistophela auf den Weg schicken konnten.
Ansonsten hat der Brand stattgefunden und auch den schiefen Turm hat die Kirche seit dem Wiederaufbau.
Wieder einmal ging es mir darum, eine Erklärung zu suchen für einen Sachverhalt, der mir durch „feuchtes Bauholz“ als Ursache eigentlich nicht so recht einzuleuchten vermag.
Vielleicht hilft Dir diese Erläuterung, besseren Zugang zum Text zu finden.

Gruß PP, und schönen Sonntag noch :)

 

Hi Pied,

so richitg begeistert hat mich der Text jetzt nicht, weil er in der Tat etwas schwer verdaulich ist.
Grundsätzlich finde ich die Idee sehr gut, weil es natürlich eine interessante Erklärung für den Brand und den schiefen Turm ist.
Trotzdem hättest Du aus dieser Story wesentlich mehr machen können, indem Du die Handlung ausschmückst und Deinen Prot tiefer charakterisierst.

Ich gebe Illu recht, dass Du Deine Linie sehr gut beibehälst. Du suchst, zum Teil hervorragend geschriebene, Erklärungen für vorhandene Namen oder Dinge. Ich bin mal gespannt, was da noch so auf uns zu kommt. :D

Bis demnächst.

Gruß
Jörg

 

Hallo Jörg,

danke für Deine kritischen Anmerkungen, die Mängel aufzeigen, ohne mit Lob zu sparen :D.

Natürlich hast Du völlig Recht, dass hier eine Menge drin steckt, das es verdient hätte, weiter ausgebaut zu werden. Allerdings habe ich ziemlich lange gegrübelt, ob ich das überhaupt in der Form poste, ohne Gefahr zu laufen, unbeabsichtigt irgendjemand in seinem Glauben zu verletzen. Das ist manchmal ein ziemlicher Drahtseilakt. Ich habe auch das Problem des Zölibates mit drin gehabt, es dann aber wieder heraus genommen. Baue ich die Story weiter aus, dann ergeben sich schnell Abgrenzungsprobleme.
Ich denke unter dem Strich so: Die Geschichte wird evtl. mal erweitert, allerdings über den Rahmen einer KG hinaus. Das Thema läuft mir nicht davon, ich habe es eh schon recht lange mit mir herum getragen.
Mal sehen, was ich demnächst angehe. Mir spukt einiges im Kopf herum ...
Gruß PP :)

 

hi pied piper,

mir hat die geschichte gefallen, ich habe sie auch auf anhieb gut verstanden. ich habe an der sprache und dem stil nichts zu kritteln und kann auch die inhaltliche kritik nicht nachvollziehen, da sie sich mir (wie gesagt) sofort erschlossen hat...

glg, cherry

 

Hi Cherry,

danke für den Zuspruch, der Dir mit Deinem Kommentar gelungen ist. Ich habe mich sogleich innerlich etwas aufgerichtet.
Na ja, das wäre also ein Drittel, von dem die Story auf Anhieb verstanden wird :D; ich werde weiter an mir arbeiten!

LG PP :)

 

Eine schöne Geschichte über die Lambertuskirche in Düsseldorf.
Schön, wie du eine Legende um den Brand 1817 strickst, könnte man glatt in einem Stadtrundgang verwenden.

Wer sich die verdrehte Spitze mal anschauen will:
http://www.lambertuskirche.de/

 

Hallo Webmaster,

danke für Dein Lob :) und besonders für den Link zum Schiefen Turm ;).
Aber Du bringst mich auf eine Idee - ich könnte die Story der Fr. Oxenknecht zukommen lassen (Heine-Spektakel '97 und Altstadtherbst). Wie denkst Du darüber?

Gruß Pied Piper

 

Auf jeden Fall! Schaden kanns so oder so nicht.

 

Hi Pied,

tolle Idee um den schiefen Turm der Lambertuskirche eine solche Geschichte zu spinnen. Wer weiß, vielleicht war es wirklich so?
Wenn ich das nächste mal über den Burgplatz in Richtung Rhein gehe, werde ich auf jeden Fall mit anderen Augen zu der Kirchturmspitze aufblicken als bisher.
Ich finde die Länge der Geschichte und die Tiefe, mit der die einzelnen Szenen beschrieben und erzählt werden, genau richtig. Im Grunde ist es ja eine neu erfundene 'Legende', die sich um den Brand von 1817 rankt. Und im Stile von Legenden/Sagen passt sich deine Geschichte genau ein. Das Wichtigste wird erzählt, bestimmte Schlüsselszenen näher ausgeführt, der Rest bleibt im Dunkeln.
Gefällt mir wirklich gut. Auch würde ich Heine auf jeden Fall als Rahmenhandlung belassen, er passt inhaltlich, geographisch und in seiner Gedankenwelt zur Geschichte.

Ach so, du setzt die Satzzeichen innerhalb der wörtlichen Rede wieder hinter den Anführungsstrichen. Andersrum. ;)

 

Hi Kitana,

danke für Deinen netten Kommentar. Ja, die wörtliche Rede hat’s irgendwie mit mir; habe ich geändert.
Die Idee drängte sich mir durch das Patronat des Hl. Lambertus mit den glühenden Kohlen in seinem Chorhemd auf. Da fehlte nur noch der Teufel, um die Kirche in Brand zu stecken :D.

Gruß PP

 

Hi Pied,

Deine Geschichte wirkt totall wie eine authentische Sage,
Nach "modernen" Gesichtspunkten ist der Einstieg etwas vermurkst, weil Henry zur Geschichte nicht notwendig ist.
Allerdings passt es genau, wenn - und hier unterstelle ich dir einfach- du eine Geschichte schreiben wolltest, die so vor 200 Jahren erzählt wurde. Da paßts für mich und die Idee gefiel mir sehr gut.

Grüße Bernhard

 

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