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Der Schleifer

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25.08.2004
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Der Schleifer

„Rollt eure Schlafsäcke enger, die sehen ja aus wie vollgeschissene Socken!“
Feldwebel Grill benutzte stets eine Sprache, die von Herzen kam.
„Vorwärts, vorwärts!“, brüllte er und warf die Klappe des Zeltes hoch.
„Wir haben ja schließlich nicht den ganzen Morgen Zeit, und ihr Burschen kriecht herum wie Großmütter beim Sackhüpfen!“
Jetzt kam doch Bewegung in die Sache und die Rekruten beeilten sich, dem Feldwebel zu folgen. Ihr Marschgepäck mitschleppend, in der anderen Hand das G-3, stolperten sie ihm hinterher in die Dunkelheit.

*​

Martin hasste den ganzen Mist. Seine Einberufung zur Bundeswehr, die Grundausbildung, die schreienden und Menschen verachtenden Ausbilder und Unteroffiziere. Trotzdem blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Feldwebel und den anderen rekrutierten Heulbojen zu folgen. Im Dunkeln über schafsköttelverseuchte Wiesen zu kriechen, Gewehr bei Fuß (nachts im Schlafsack) und immer den Krieg zwischen Blau- und Rotland - zwei imaginäre Gegner – vor Augen.
Bella hatte ihn ja gewarnt, noch und nöcher.
„Werd’ Zivi, mach’ irgendwas im Altersheim oder Krankenhaus. Geh’ nicht zum Bund. Du wirst es bereuen!“, hatte sie ihm mehrfach geraten. Aber er musste seinen Dickkopf ja durchsetzen, nur um den einen oder anderen Monat zu gewinnen, den der Zivildienst länger dauerte.
Natürlich wurde er weit weg stationiert, konnte nicht jedes Wochenende nach Hause fahren. Jetzt waren auch schon wieder fast vierzehn Tage vergangen, seit er Bella das letzte Mal gesehen hatte. Seit sie sich aneinander gekuschelt hatten und intim geworden waren. Leidenschaftlich und voller Trauer auf die bevorstehende Trennung. Martin geriet tatsächlich etwas ins Träumen.
„Atemmasken auf, ihr Lahmärsche! Bewegt euch, Vorwärt, marsch marsch!“, donnerte Feldwebel Grill in bester Sadistenmanier.
Die Gruppe taumelte durch den noch nachtschwarzen Wald, schlaftrunken und viel zu schwer beladen.
Martins Stahlhelm rutschte ihm ins Gesicht, irgendwo heulten ein paar jämmerliche Rekruten im Dunkeln. Die befehlsgewohnte Stimme des Feldwebels hallte zwischen den Bäumen.
Unwillkürlich musste Martin grinsen. Hätten sie sich wirklich im Krieg befunden, wäre jeder Gegner schon von Weitem gewarnt worden. Aber stattdessen würden sie Platzpatronen verschießend Gutes Land - Böses Land spielen, dann noch etliche Stunden durch Brombeerbüsche kriechen. Abends durften sie ihr Lager ausgraben, Zelte aufbauen, Feuer machen und anschließend totmüde in den Schlafsack plumpsen, während die Feldwebel und Unteroffiziere noch gemütlich am Lagerfeuer sitzen und die eine oder andere Büchse Bier köpfen würden. So wie es die letzen drei Tage vorher auch schon gewesen war. Scheiß Ausbildung!
„Geh nicht zum Bund. Geh nicht zum Bund...“, hörte er Bella im Geiste sagen und verdammt noch mal: Sie hatte Recht behalten!
„Stellung!“, brüllte der Feldwebel, als sie den Waldrand erreichten.
Martin und seine Kameraden warfen sich in das lange Gras, und muckten sich nicht mehr. Irgendwo schniefte noch eine einsame Triefnase, die aber schnell verstummte.
„Der Feind lauert direkt vor uns, verschanzt euch!“, donnerte Grills Stimme über der Truppe.
„Grabt euch ein, bis ihr Erde scheißt! Los, los! Hintern runter, Rekrut Fontäne!“
Uff! Martin zog den Klappspaten aus seinem Rucksack und begann mit dem viel zu kleinen Ding zu graben. Als die Grube tief genug war - und er schweißnass gebadet - legte er sich, Gewehr im Anschlag, hinein. Er spürte die Feuchtigkeit des Bodens durch seine Uniform dringen. Ob seine Ausbildung und diese Übung nie enden würde? Verdammter Schleifer! Wer hatte sich so etwas nur ausgedacht?
„Alarm!“, brüllte Feldwebel Grill. „Der Feind kommt über die Wiese. Feuer!“

*​

Zwei Jahre später:
Martin befand sich auf dem Weg nach Hause. Es war sehr spät geworden. Oder früh. Je nachdem, wie man die Sache betrachtete.
Bella hatte jetzt tief geschlafen, und wollte Martin noch ein oder zwei Stunden Schlaf ergattern, bevor er in die neue Arbeitswoche starten musste - er hasste Montage -, dann wurde es Zeit, nach Hause zu kommen. In sein eigenes Bett. Schließlich verlangte sein Lehrmeister einen pünktlichen und ausgeschlafenen Lehrling. Wann entschloss sich Bella nur endlich, zu ihm zu ziehen...
Die Straße war verlassen und leer. Regennass glänzte die Fahrbahn im Scheinwerferlicht seines Kleinwagens. Hinter der nächsten Kurve stach ein Lichtstrahl in die Baumwipfel. Ein Auto lag im Graben, eines der Räder drehte sich noch.
Martin bremste, und hielt neben dem verunfallten Wagen. Nervös stieg er aus seinem Wagen und lief auf das andere Auto zu. Die Fahrertür ließ sich Gott sei Dank leicht öffnen. Sofort entdeckte er den Verletzten. Sein Kopf lag seitlich auf dem Lenker, aus einer Platzwunde drang dunkles Blut. Der Verunfallte regte sich nicht. Stöhnte nur leise.
Martin versuchte ihn aus dem Wagen zu ziehen, ohne daran zu denken, das ein Schwerverletzter nur vom Notarzt bewegt werden durfte. Aber der Rauch, der aus der Motorhaube drang, machte ihn nervös. Vielleicht entzündete sich der Wagen ja noch?
Der Kopf des Verletzten dreht sich ihm entgegen. Aber der Mann ließ sich nicht aus dem Wagen ziehen, seine Beine waren im gestauchten Fußraum eingeklemmt.
Jetzt erkannte Martin den Mann. Es war der Schleifer! Feldwebel Grill, das mieseste Schwein, das ihm jemals untergekommen war! Sollte die Drecksau hier doch verrecken! Er würde keinen Handschlag tun und dem Kerl helfen. Nie im Leben!
Martin stieg in sein Auto und fuhr los. Aber nach ein oder zwei Kilometern bekam er Gewissensbisse.
Konnte er den Verletzten einfach so seinem Schicksal überlassen? Vielleicht starb er ohne Hilfe ja sogar. Aber es war der Mann, den er auf der Welt am meisten gehasst hatte. Ein abartiges, menschenverachtendes Schwein. Er selber hätte ihn damals mit eigenen Händen erwürgen können. Nur war er jetzt verletzt. Wahrscheinlich sogar schwer.
Verunglückt – Drecksau – hilflos – Schleifer – bewusstlos...
Martin wendete den Wagen, zog sein Handy aus der Tasche und wählte den Notruf.

 

Hi Nordwind!

An sich gefällt mir die Idee ja. Kommt mir aber vor allem am Ende zu erklärend rüber. Schon zu Beginn rechnet man fast schon damit, dass am Ende eine krasse Wendung kommt, in der Martin dem Feldwebel entweder für etwas dankbar sein oder ihn retten wird. Und so kommt es dann ja auch.

Vielleicht liegt das auch an der plakativen Form. Erst der Teil von früher und dann kommt der plötzliche Schnitt von "zwei Jahren später" und dann eine genau umgedrehte Situation. Das trägt viel zur Vorhersehbarkeit bei.
Man könnte die Form z.B. dahingehend ändern, dass Martin die Straße entlangfährt und das Auto sieht und den Insassen erkennt und dass dann Erinnerungsfetzen aufblitzen, wie er damals von dem Typen gequält wurde und dass er innerhalb von Sekunden damit ringt, ob er weiterfarhen oder Hilfe anordern soll. Also die Rückblenden von vor zwei Jahren in die Geschichte miteinfließen lassen und nicht einfach so davorsetzen.
Das mag Geschmackssache sein, ich hab das Gefühl, dass mir das deutlich mehr zusagen würde.

Was das Ende angeht:

Aber nach ein oder zwei Kilometern bekam er Gewissensbisse.
Konnte er den Verletzten einfach so seinem Schicksal überlassen? Vielleicht starb er ohne Hilfe ja sogar. Aber es war der Mann, den er auf der Welt am meisten gehasst hatte. Ein abartiges, menschenverachtendes Schwein. Er selber hätte ihn damals mit eigenen Händen erwürgen können. Nur war er jetzt verletzt. Wahrscheinlich sogar schwer.
Das war mir zu erklärend. Der Leser weiß schon ohne diese Hinweise, was sich in Martins Kopf abspielt. Lieber diese Erinnerungsfetzen einbauen und Situationen von damals präsentieren, ohne sie mit diesen Erklärungen zu versehen. Der Leser checkt auch so, dass Martin diesen Mann eigentluich hasst, das muss man ihm nicht noch auf dem Silbertablett servieren. "Show, don't tell" ist hier angebracht.

Ginny

 

Danke, Ginny!

Das trägt viel zur Vorhersehbarkeit bei.

Bei dieser Geschichte kam es mir gar nicht darauf an, eine überraschende Pointe anzubieten. Vielmehr lag mir mehr daran, den Konflikt zu zeigen, einen Menschen aus positiver und negativer Sicht zu sehen.
Vielleicht wollte ich auch nur ein paar alte Bundeswehrerinnerungen aufarbeiten ;)

Gruß, Nordwind

 

Hallo MM,

Wenn Überflüssigkeit Staub wäre, würde ich mit dem Finger über deine Geschichte fahren, ihn dann einmal kräftig anpusten und Dich fragen „Sehen sie mich noch?“

Na na... Ich habe hier schon wesentlich nichtigere Geschichten gelesen. :D
Eigentlich ist das Thema sogar anspruchsvoll und voller Gefühlssituationen.


Eine an den Haaren herbeigezogene Extremsituation, die ihn nach Jahren Schmollens endlich zum „ moralischen Sieger“ über den Feldwebel macht.

Das war nicht Ziel der Geschichte. Einen moralischen Sieger sollte es nicht geben.
Ich hatte vor Augen, das auch ein Mensch einem anderen verzeihen kann, und wenn dieser noch so böse ist/war. Zwar nicht Nächstenliebe, aber zumindest Menschlichkeit sollte die Geschichte widerspiegeln.


Warum hattest Du nicht einfach auf „Bella“ gehört? Aber bestimmt verwechsle ich Dich gerade mit dem Protagonisten...

Ja. Diese Situation gab es natürlich nie.
Aber es soll ja tatsächlich solche Schleifer geben, also wäre die Geschichte zumindest denkbar.


Dabei mischt er den einen oder anderen witzigen Feldwebelspruch hinzu, um die Sache am Laufen zu halten.

Sind doch wirklich gut, die Sprüche, oder? :D

Gruß, Nordwind

 

hallo nordwind,

ich denke auch, dass der inhalt trivial ist. aber das ist nicht der kritische punkt. was deiner geschichte fehlt, ist der hass. ich konnte als leser nicht nachvollziehen, wo der tiefgründige hass des protagonisten herkommt! ich meine, du hast bis auf ein paar laute befehlstöne keine hassproduzierende diskriminierungen mit eingebaut. diese stelle der geschichte muss tiefer geschrieben werden. persönliche beleidigungen, persönliche schikanen - der leser muss mithassen. als ich an der stelle kam, an dem der protagonist seinen ehemaligen feldwebel als verletzten erkennt, hatte ich das vorgefühl, dass es aber ein nettes wiedersehen ist. das aber war nicht deine intention an den leser.
das schlechte gewissen solltest du, wie ginny es schon erwähnt hat, nicht erwähnen sondern beschreiben. dann kannst du dir nämlich auch die 1 bis 2 kilometer sparen. das kann der leser selbst abschätzen - besser den monolog, die auseinandersetzung mit hass und moral wesentlich mehr ausbauen.

aber was ich hier sehr lobend erwähnen muss, ist der wirklich schöne und saubere erzählstil. bis auf dass "Schlaf" doppelt vorkam, gefiel mir die lockere und klare art der erzählung.

meiner meinung nach: du kannst wirklich schön erzählen, es wäre aber nett, wenn du mehr in die tiefe erzählst, wenn es notwendig wird, oder noch besser, erzähle anspruchsvollere geschichten!

bis dann

barde

 

Hallo Nordwind,

auch ich fand die Idee gut. Die Umsetzung hat mir allerdings auch nicht so gut gefallen.

Auch ich fand den Bruch zwischen "früher" und "heute" etwas zu krass. Ich fand zum Beispiel auch die Schilderung der Beziehung zu Bella für die Geschichte total unnötig. Sie hat eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun, so dass es fast scheint du hättest sie nur eingebaut um dem Prot. ein Privatleben zu geben.

Ich fand auch, dass du den Hass deines Prot. nicht ausreichend genug geschildert hast. Ich glaube die Ausbilder bei der Bundeswehr sind im Allgemeinen nicht sonderlich beliebt und sicherlich werden sie sogar von manchen gehasst. Doch es gibt Hass und Hass - wie sehr muss dein Prot. den Ausbilder gehasst haben um überhaupt auf die Idee zu kommen, ihm nicht zu helfen?
Das müsstest du m.E.n. noch besser rüber bringen, damit ich es als Leser besser verstehe.

LG
Bella

 

Hi.

Prima, das euch die Geschichte im Groben gefallen hat!


was deiner geschichte fehlt, ist der hass. ich konnte als leser nicht nachvollziehen, wo der tiefgründige hass des protagonisten herkommt! ich meine, du hast bis auf ein paar laute befehlstöne keine hassproduzierende diskriminierungen mit eingebaut.

Stimmt wohl. Ist ja auch nur ein Ausschnitt der Ereignisse. Aber, ja. Ich hätte es besser rüberbringen sollen.


meiner meinung nach: du kannst wirklich schön erzählen, es wäre aber nett, wenn du mehr in die tiefe erzählst, wenn es notwendig wird, oder noch besser, erzähle anspruchsvollere geschichten!

Ich versuche es. Diese Geschichte war einfach nur ein lockerer Versuch.


Ich fand zum Beispiel auch die Schilderung der Beziehung zu Bella für die Geschichte total unnötig. Sie hat eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun, so dass es fast scheint du hättest sie nur eingebaut um dem Prot. ein Privatleben zu geben.

Ich wurde des öfteren kritisiert, dem PROT mehr Leben einzuhauchen. Ihm ein Privatleben zu geben, um ihn interessanter erscheinen zu lassen. Das hatte ich hier versucht :)


die Schleifer, die Schweine. Aber heute lache ich über sie. Erst recht, wenn ich an das Bild denke, wie ich an einem warmen Frühlingstag, Anfang April, zusammen mit den anderen auf dem Antreteplatz stand. Ich war der einzige, der schon die "leichte Sommermütze" trug.

"Mann, haben Sie den Arsch offen?", brüllte mich der Spieß an. "Marsch, Marsch, zuürck auf die Stube und holen Sie ihre Pelzmütze. Noch immer ist Winter befohlen!" Also, diesen alten Trottel von Spieß würde ich auf alle Fälle retten, wenn ich ihn irgendwo verunglückt wiedersehen würde.


Ja ja, die guten alten Erinnerungen :D
Dazu fällt mir ein, das "meine" Schleifer ähnlich reagierten, als ich mit Spiegelsonnenbrille beim Appell erschien.
Noch besser war aber dieser Spruch hier:

"Kann jemand Klavier spielen?"
Drei, vier Hände werden zaghaft gehoben (selber schuld).
"Dann meldet euch in der Offiziersmesse. Ein Klavier muß in den zweiten Stock getragen werden!"

Gruß, Nordwind

 

Hi pf.

Ha! Da meinte ich wohl deine beiden Vorgänger.
Na, immerhin hab' ich dich dazu gebracht, Anekdoten zu erzählen. Was du nicht getan hättest, wenn dir die Grundidee nicht gefallen hätte. :D :thumbsup: :Pfeif:

Gruß,
Walter Nordwind

 

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