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Der Schmerzvertilger
Das Erwachen war purer Schmerz. Die tausend Stecknadeln in meinem Hirn stachen in meine Gedanken und machten sie zu leeren Hüllen, die an der Decke zerplatzten. Mit lautem Knallen so kam es mir zunächst vor, aber der Körper neben mir unter der Decke dachte nicht daran sich zu regen, also durfte das Zerplatzen kein Geräusch gemacht haben. Genaugenommen waren die einzigen außerhalb des Schmerzes wahrnehmbaren Geräusche Kinderstimmen und Autoverkehr auf der Strasse. Durch die Fensterscheiben drang nur wenig Licht, denn sie waren seit Ewigkeiten nicht gewienert worden. Kein Verlangen nach dem alles einnehmendem Frühling gehabt bisher. Schmutzschichten schienen ehrlicher zu sein. Moment mal, wer war der Mann dort neben mir? Der, von dem nichts sichtbar war außer der linke Fuß, der unter der Bettdecke herausgerutscht war und einem Büschel schwarzer Haare auf dem Kopfkissen. Mein Verstand versuchte sich durch den pochenden Nebel zu kämpfen. Nichts zunächst. Kein Signal.
Roch das Zimmer nach Sex? Schwer zu sagen. Die Luft stand im Raum wie das Wasser in einem modrigem Tümpel. Alkohol war auszumachen. Was sonst. Verbrauchter Sauerstoff. Schweiß. Staub. Ich schloß die Augen. Dahinter tanzten bunte Funken, die die Stiche verstärkten. Mit den Funken kam keine Erinnerung. Nicht ein Fetzen. Wenn er bloß nicht aufwachte. Zumindest nicht allzu bald. Vorher mußte sie zurück sein, die Erinnerung an die vergangenen Stunden. Meine Gedanken versuchten sich an die Melodie seines Atmens zu hängen, vielleicht fand ich dort etwas Vertrautes. Es klang gleichmäßig wie das Schnurren einer alten Nähmaschine. So eine mit schmiedeeisernen Füssen wie sie meine Großmutter früher besaß. Ich hatte ihr gerne beim Nähen zugesehen, saß auf dem Boden zu ihren Füssen und beobachtete den Takt, den sie am Tretpedal vorgab. Seinen Atem mochte ich ohne Zweifel. Er weckte Erinnerungen, nur leider nicht an ihn. Sich auf seinen Geruch zu konzentrieren war im Wirrwarr der Abgestandenheit schwierig, wollte mir nicht gelingen. Wenn ich aufstehen würde und ein Glas Wasser trinken könnte, würde der Schmerz vielleicht „Adieu!“ hauchen und die vergangenen Stunden zurück in mein Hirn transportieren, aber ich erwähnte ja bereits, daß ich nicht daran dachte ihn zu wecken und Aufstehen hätte ihn sicher geweckt.
Überraschend bewegte sich unter der Bettdecke sein Bein und landete auf meinem. Ich hielt für einen Moment den Atem an. Im Schlaf vollzog sein Körper eine halbe Drehung zu mir hin. Dicht an mich heran. Seinen Mund spürte ich an meinem Nacken, der daran dachte sich zugleich in ein Gefäß zu verwandeln, welches die Tropfen seines Mundes dankbar entgegennahm. Ein Arm hatte die Drehung auf meiner Hüfte beendet, welches jene mit Kribbeln quittierte. Wie kann mein Körper bloß derart reagieren, fragte ich mich fast schon panisch, wo mich mit diesem Mann nichts verbindet? Kein Hauch eines Bildes, noch nicht mal die Farbe seiner Augen in meinem Gedächtnis, kein geteiltes Lachen. Verschwunden waren die Kopfschmerzen immer noch nicht, aber sein unbewußtes Herandrängen machten sie erträglicher, nahmen ihnen die Schärfe. Die Hand auf meiner Hüfte begann ein Eigenleben zu entwickeln. Sie wanderte herunter zu meinem Bauch und streichelte ihn sanft und doch nachdrücklich. Unmöglich, daß dieser Mann noch schlief, oder? Ich versuchte nicht mehr Bilder heraufzubeschwören, spürte lediglich, daß ich genoß und das war gut. Der Mund hatte Zähne, diese gruben sich in meinen Nacken während der andere Arm sich unter meiner Hüfte hindurchkämpfte. Er gewann die Schlacht und tauchte auf der anderen Seite an meiner Brust wieder auf. Seine Hand umschloß diese und es fühlte sich an, als wäre diese Hand nur dafür erschaffen worden meinen Busen zu umschließen, keine andere Tätigkeit zu verrichten. Ein Seufzer entschlüpfte meinen Mund. Er taumelte im Raum umher, bevor er ermattet auf einem Bücherregal Platz nahm( dort sitzt er noch heute, da ich ja so selten Staub wische). Die Hitze seines Körpers wärmte meinen Rücken. Meine Rückseite mußte bereits glutrot sein. Das Feste, was sich weiter unten durch meine Schenkel bahnte, hatte ich vor Minuten schon erwartet. Es wurde von einem warmen Ozean empfangen. Von diesem Augenblick an waren wir keine zwei Körper mehr, sondern nur noch einer. Wir klatschten gegen die Wände unserer Häute, gegen die Wände dieses Zimmers, an die Grenzen unseres Seins und gegen das Ende der Welt und wieder zurück. Jetzt war ich froh darüber so unerfüllt von Gedanken zu sein. Es erleicherte die Reise durch alle Stufen von Rot , bei deren Ende wir von der Zimmerdecke glücklicherweise wieder in die Laken fielen. Ich wußte, wie er schmeckt. Salzig. Seine Augenfarbe blieb Geheimnis. Zu schwindelig war mir zumute, um sie fangen zu können. Seine Stimme würde ich nur im Stöhnen wiederfinden. Nach der Reise fiel ich in tiefen Schlaf. Zu erschöpft, um im Hiersein zu bleiben.
Die Strassenlaternen arbeiteten schon, als ich erneut erwachte. Keine Spur von ihm. Weit und breit. Außer der, wie ich später vorm Spiegel bemerkte, dunkelroten in meinem Nacken. Ein stolzes Reisesouvenir. Ich steckte die Haare hoch, damit es alle sehen konnten. Auch beim Kaffee am Küchentisch wollten keine Bilder erscheinen. Nie mehr. Ich hatte vergessen, wie es zu alldem kam. Weg. Schwarzes Loch. Grinsend stellte ich fest, daß der Schlagbohrer in meinem Kopf die Arbeit eingestellt hatte. „Danke!“ sagte ich in Richtung Tür.