Hi TurboFlo,
ich will´s mal so probieren:
Ich glaube, und der Blick auf´s Profil zeigt dies auch, daß Du eben erst begonnen hast, Deine Schritte auf dem literarischen Parkett zu gehen. Aus diesem Grunde kann ich Kristins Kritik nicht nachvollziehen. Vom Inhalt voll und ganz, von der Art etwas zu selbstverständlich und mmh...schnippisch eventuell.
Geradeso, als würde man einem alten Hasen, der bereits seine drei Romane hinter sich in der Schrankwand stehen hat, sein neuestes Machwerk um die Ohren hauen.
Darum will ich es mal anders machen, jedoch bedenken zu geben, daß ich die Weisheit auch nicht mit dem Löffel fresse und daß dies alle nur meine Ansichten sind.
Also wir haben hier eine kurze Episode aus einem Krisengebiet dieser Erde, die genaue Lokalität ist nicht so wichtig, ja man kann sogar reindeuten, daß gerade die Verallgemeinerung zeigen soll, daß es überall passsieren könnte.
Anderseits birgt gerade die Verallgemeinerung die Gefahr, daß etwas pauschalisiert wird.
Und hier sind wir gleich zu Beginn an einem Grundproblem:
Nämlich der Frage, warum Du uns diese Geschichte erzählst. Was ist das neue? Was ist das spezielle? Warum sollte sie uns interessieren?
Jeder, der einen Fernseher hat oder die Zeitung liest, weiß, daß täglich Kinder sterben. Durch Bomben, durch Kugeln, durch Hunger usw. Jeder weiß es und die heutige Gesellschaft ist damit überladen. Die meisten reagieren nicht mehr. Es gehört zum Alltag. Darum ist es gut, wenn man so ein Einzelschicksal hervorholt, aber es muß packen, es muß die Augen öffnen, die Leute müssen sagen: Ja genau, das hab´ ich mir noch gar nicht überlegt.
Ein Beispiel: Fast täglich hören wir, daß sich irgendwo in Israel eine Frau mit nem Gürtel Sprengstoff hochsprengt. Würdest Du jetzt beschreiben, wie die Kinder in einer Einkaufspassage spielen, wie sie hüpfen und lachen und dann plötzlich etwas knallt und überall Blut ist, dann würde jeder sagen, daß es zu einfach ist. Das stellen wir uns heute schon vor. Ja, wenn es die Leute im Bus, in der Kirche in der Disko erwischt, dann rechnen sie nicht damit.
Wenn Du jetzt aber das einfache Mittel des Zooms nimmst, also näher ran fährst, Dir eines der Mädchen rausnimmst. Das mit der roten Schleife, die so gut mit der Kreide malen kann. Wenn Du wegen mir, ihren Tag beschreibst, wie sie aus dem Kindergarten kommt und mit der Mutter drei Sicherheitsschranken passiert, wo die Soldaten für Sicherheit sorgen, wie sie ausgelassen ist, weil sie morgen Geburtstag hat und die Mutter sie fragt, was sie für einen Geburtstagskuchen haben will und wenn sie alles einladen will und ob sie sich schon denken kann, was Tante Agnes ihr schenken wird, ja dann bekommt der Leser eine Nähe zu dieser Person, dann rechnet er nicht damit, dann denkt er, es ist der Tag eines israelischen Mädchens. Dann hat er Sympathie für sie und dann geht es ihm nah, wenn die Frau, die sich eigentlich am Checkpoint sprengen wollte, nur durch einen blöden Zufall dort gesprengt hat, nämlich, weil sie sich gebückt hat, um dem Mädchen die Kreide zu reichen, die ihr entfallen ist.
Ich denke, dann ist die Chance größer, daß es den Effekt hat, den Du Dir wünschst.
Wie schon die anderen angeführt haben, liegt die Hauptkritik an den Klischees und Selbstverständlichkeiten in Deiner Geschichte.
- der Junge ist hübsch und hat blaue Augen (sein Aussehen ist eigentlich nicht relevant, ich schätze, daß Du uns das Gefühl geben willst, daß es besonders schade um ihn ist)
- er ist intelligent und auch wißbegierig (dieses "auch" macht es sehr deutlich. Er ist das und das und auch noch das => also ein ganz Lieber).
- er kann sich das alles um ihn herum nicht erklären (ich glaube, die Kinder in den Krisengebieten lernen sehr schnell, was dort an der Tagesordnung ist, sie werden schneller erwachsen, als man glaubt)
- böse Männer mit großen Gewehren (diese Kindersicht ist somit ebenfalls nicht realistisch)
-verwüstete Kirche (ja, der Krieg macht nicht vor dem Kreuz halt)
Gut fand ich dagegen das Bild mit der "überlebten Eiche". Das ist nicht so dick aufgetragen und läßt einiges an eigener Vorstellung zu, wenn es nur wenige Bäume geschafft haben.
- die zwei, die bestimmt nicht lachen können (das wiederum ist unrealistisch, denn die Kinder spielen eigentlich Fußball und warum sollten sie die Streife, die sie schon 100 mal gesehen haben, plötzlich bemerken und mit Worten bedenken?)
- das der Ball dazwischenkommt ist ziemlich voraussehbar
- das keiner den anderen verrät kommt sehr heroisch rüber
- der Schuß von dem grantigen Soldaten ist etwas unmotiviert und widerspricht völlig dem De-Eskalationstraining, daß Soldaten in Krisengebieten wahrscheinlich absolviert haben müssen
- das Bild mit dem Stein ist kein neues
- und die Reaktion des Soldaten überzogen
- und die Nachrichten natürlich auch nicht betroffen
In der Summe wirkt alles sehr durchschaubar und konstruiert. Und man merkt, da gibt sich jemand Mühe, der mir das sagen will, was ich sowieso schon weiß. Es überrascht nicht und fesselt nicht und darum wendet man entweder anderen Dingen zu oder es berührt nicht.
Auch das Ambiente ist für mich nicht stimmig. Wenn es in den südlichen Gefilden spielt (es gibt nicht sehr viele Konfliktherde in der nördlichen Hemisphäre) und darauf deuten auch für mich die Namen Siad und Kalimero hin, dann passen nicht:
- blaue Augen
- Marlon als Name
- die Eiche als Baum
Das ist aber wirklich absolut subjektiv, kann ja auch im ehemaligen Jugoslawien spielen. Aber bei mir baut sich eben eher so ein südländisches Bild auf, wenn Du so vieles offen läßt.
Auch solltest Du nochmal recherchieren:
- haben Soldaten nicht immer einen Helm auf, besonders auf Streife (oder gab´s einen Grund diesen abzunehmen?)
- welche Waffen hat man heutzutage bei der Armee (doch eher Maschinengewehre, die evtl. auf Einzelschuß gestellt werden können, deren Kaliber aber kein riesiges Loch auch im Bauch eines Jungen erzeugt)
Aus technischer Sicht wurde ebenfalls schon viel gesagt.
Scheinbar versuchst Du es ein bissl aus der Sicht des Jungen zu beschreiben.
- böse Männer
- große Gewehre
- fiese Glatze
- Mami sagte immer (warum Vergangenheit?)
- der große Knall, denn es immer plötzlich gibt (die Kinder wissen, was ein Schuß ist)
Viele andere Fehler wurden ja schon aufgeführt. Exemplarisch hier dieser Satz
Wenn er seine Mami fragt was die bösen Männer mit den großen Gewehren wollen, sagt sie immer es wären Männer die andere Vorstellungen von der Welt hätten und über uns bestimmen wollen.
1. Kommasetzung
2. Hier wechselst Du in die wörtliche Rede
Evtl.
"Wenn er seine Mutter fragt, was die bösen Männer mit den großen Gewehren wollen, sagt sie immer, es wären Männer, die andere Vorstellungen von der Welt hätten und über die Menschen in diesem Land bestimmen wollen."
Wobei ich vom Inhalt 2 Schichten wegnehmen würde, sonst wird´s zu dick.
Fazit:
Es ehrt Dich, daß Du Dich gleich zu Beginn an so ein kompliziertes Thema, wo jeder bestimmte Vorstellungen und Meinungen hat, heranwagt und somit die Einschätzung sehr einfach machst. Was die technischen Probleme angeht, so hast Du hier ja genügend Input bekommen. Was den Inhalt betrifft, so würde ich Dir raten, weniger allgemein, sondern sehr konkret das zu zeigen und zu schreiben, was Du sagen willst. Je spezieller, unerwarteter und ungewohnter, desto besser. Ich persönlich finde es immer raffiniert, wenn man die Lehre und die Moral selber findet, zwischen den Zeilen oder erst durch das Beschäftigen mit dem gelesenen. Das allzu deutliche schreckt eher ab, weil keiner gern belehrt werden will (Thema: Erhobener Zeigefinger)
Insofern denke ich, daß Du erst am Anfang stehst und mit Hilfe dieser Geschichte möglicherweise gleich ziemlich viel mitnehmen kannst.
Viele Grüße
mac