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Der Tod der Stadt

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16.08.2003
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Der Tod der Stadt

Er gießt sich einen Kaffee ein, zwei Milch, zwei Zucker, so trinkt er ihn schon immer. Der tastende Griff in die obere Schreibtischschublade ist vergebens, sein Aspirin hatte er am Montag aufgebraucht. Er sollte später daran denken, in der Apotheke vorbei zu gehen. Seit wann musste er solche Dinge eigentlich selber machen? Offenbar seitdem er nicht mehr in der Lage war, Anweisungen zu erteilen. So weit war es mittlerweile schon gekommen.

Der Duft des frisch gebrühten starken Kaffees steigt ihm in die immer noch verschnupfte Nase und erdet ihn ein wenig. Seine pochenden Kopfschmerzen lindert diese Droge allerdings nicht. Er schleppt die Grippe nun schon seit Wochen mit sich herum. Er hat ganz einfach nicht die Zeit, sie vollends auszukurieren. Woher sollte er sie auch nehmen, die Zeit. Da helfen selbst die allnächtlichen Erkältungstees, die Ruth ihm kocht, nicht. Es tut ihm dennoch jedes Mal gut, für einen kurzen Moment immerhin. Ein kleiner Ausflug in die Welt, als sie noch vollkommen war und das Leben einfach. Viel mehr konnte er wohl auch nicht erwarten.

Er nimmt umständlich die schon seit zwanzig Jahren unmodische Brille von seinem Kopf, auf dem die ergrauten Haare immer weniger werden. Sein Blick geht aus dem großen Fenster seines Büros auf die Stadt, die im Nebel liegt, dicht und feucht, und kaum zu erkennen ist in ihren sonst so kantigen Umrissen. Dieses Fenster diente ihm früher stets als riesiges Auge – als Auge, das ihn die wesentlichen Dinge erkennen ließ, ihn den Menschen dort unten näher brachte und regelmäßig in die Realität zurückholte. Selbst dieser Trick funktioniert schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Er lässt seinen Blick schweifen, über den belebten Marktplatz, den schmalen Kirchturm der nach dem Krieg mühsam wieder aufgebauten Lutherkirche, das überdimensionierte und protzige gläserne Bankgebäude, die überfüllte Fußgängerzone, ohne dass seine Augen irgendwo Halt finden. Die ersten Arbeiter beginnen gemächlich, die opulente Weihnachtsbeleuchtung an den Geschäften zu installieren. All das gehört zu ihm, schon immer, sowie er zu ihr gehört, seiner Stadt. Er stellt fest, dass dieser Moment des Innehaltens der erste Augenblick in dieser Woche ist, für den es sich gelohnt hat, sie zu beginnen. Es ist Donnerstagnachmittag, 16:03 Uhr.

Auch ein unaufmerksamer Beobachter würde bemerken, dass er erschöpft aussieht. Die Augenringe rot und tiefer als sie jemals gewesen sind, die Krawatte nicht zum Hemd passend und nur nachlässig gebunden, die Brille lediglich oberflächlich gesäubert, der Rücken gekrümmt wie noch nie, wie er so am Fenster lehnt. Glücklicherweise ist er allein. Irgendjemand hatte es an diesem Tag offenbar auch geschafft, aufdringliche Fotografen und Journalisten von ihm fern zu halten. Er hat nicht die geringste Ahnung, wem er dafür dankbar zu sein hat. Es interessiert ihn auch nicht.

Er fährt erschrocken zusammen, als durch die Gegensprechanlage die durchdringende Stimme der Frau dröhnt, die ihm früher immer sein Aspirin besorgt hat.
„Herr Oberbürgermeister, der Finanzdezernent für Sie am Telefon.“
Der Angesprochene reibt sich die zerfurchte Stirn und löst sich nur widerwillig von der haltgebenden Wand. Er entgegnet kraftlos: „Jetzt nicht, Frau Michels.“
„Aber Herr Oberbürgermeister – es geht sicherlich um die Etatberatung morgen. Es ist wichtig, dass Sie sich vor der Fraktionssitzung nachher noch mal mit Herrn Dr. Duck abstimmen.“
Die Fraktionssitzung, die er den ganzen Tag verdrängt hatte. Ein Treffen von Heuchlern, die ihn alle schon lange nicht mehr ernst nahmen.
„Frau Michels – jetzt nicht, bitte“, sagt er fast schon entschuldigend. „Nicht den Finanzdezernenten und auch sonst niemanden.“
Auch diese Frau hatte sich daran gewöhnt, dass von ihm keine Befehle mehr zu erwarten waren und ist dazu übergegangen, ihm zu sagen, was zu tun ist. Er kann es ihr nicht verdenken. Und Herr Dr. Duck führte sich schon seit Monaten auf, als ob er diese Stadt regieren würde. Er selbst hatte es zugelassen, wahrscheinlich sogar herausgefordert.

Er lässt sich in den sorgfältig an seine Rückenmuskulatur angepassten Stuhl fallen und sackt langsam in sich zusammen. Wann hatte er zum letzten Mal eine Nacht durchgeschlafen, ohne dass sein rastloser Geist versucht hatte, die Probleme zu lösen, die er bei Tageslicht nie entwirren konnte? Ob Ruth sich wohl schämt für ihren Mann? Er würde auch heute Nacht nicht den Mut haben, sie zu fragen.

Wo war der rote Faden? Er kann sich nur noch dunkel erinnern, dass es ihn jemals gegeben hat. Und wann hat überhaupt das letzte Mal jemand nach ihm gefragt, von ihm verlangt, dass er ihn aufzeigt? Keine der Parteien mehr, seit Wochen nicht, in keinem Antrag im Gemeinderat, keiner Anfrage. Selbst die ewigen Kritiker hatten es mittlerweile aufgegeben, in Opposition zu gehen. Hauptsache, das Geld wurde eingespart. Egal wie. Das sollte seine Sorge sein, damit wollten sie sich die Hände nicht schmutzig machen, keiner von ihnen. Später würden sie behaupten, sie hätten es nie gewollt. Spätestens vor den Kommunalwahlen im Sommer.

Geld. Geld war das Kriterium, nach dem er gezwungen war, die Entscheidungen zu treffen, seitdem es immer schlimmer wurde. Von wegen Entscheidungen treffen: blindes Reagieren, nichts anderes. Neunzig Millionen Euro Haushaltsdefizit. Die aktuelle Steuerschätzung. Das Regierungspräsidium gleichzeitig im Nacken und vor Augen. Die Baugenehmigung für die neue Arena schon erteilt, die nächsten Millionen rannen ihm somit bereits durch die Finger, ohne die geringste Chance, das Rad noch anhalten zu können. Diese Tatsachen schwebten seit dem Frühjahr über seiner Stadt und machten ihm jedes Steuern dieses Schiffes, das er so sehr liebte, unmöglich. Seine Stadt. Er hatte seinen Vater bei ihrem Wiederaufbau beobachtet, sie selbst durch die unruhigen Jahre euphorisch begleitet und durch die guten sicher geführt. Und nun sieht er sie untergehen und ist zum ersten Mal nicht in der Lage, sie zu retten, ihr den Weg zu weisen.

Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt ein Ausschnitt der aktuellen Tagespresse, die Frau Michels ihm allmorgendlich zurechtlegt und von der sie erwartet, dass er sie liest. Schlagzeilen über Schlagzeilen, alle mit demselben Inhalt: Geld. Geld, das nicht mehr da ist. Geld, das nicht mehr da ist, das hinten und vorne fehlt und zu Personaleinsparungen, Schließungen von Einrichtungen, gekürzten Zuschüssen führt. Er kann nur ohnmächtig zusehen, wie alles zerstört wird, er seine Mitarbeiter, für die er stets gekämpft hat wie ein Löwe, in die Arbeitslosigkeit entlassen muss, die Stadt zerfällt. Er, ausgerechnet er, ein Sozialdemokrat wie er im Buche steht, muss sich nach all den Jahren des Abbaus sozialer Leistungen bedienen, sich an den Menschen seiner Stadt schuldig machen. Würde all das jemals enden? Hatte er überhaupt eine Chance, das alles zu beenden?
Es kostet ihn Überwindung, sich die Brille wieder aufzusetzen, um doch noch einen Blick in die Tageszeitungen zu werfen. Wenigstens hier, wenigstens in der Presse die vorsichtige Frage nach einem Konzept. Aber wer sollte dies vorlegen?
„Wir können nur hoffen, dass die morgige Etatrede von Oberbürgermeister Rehrig uns endlich einen Weg aus der unerträglichen Misere dieser Stadt aufzeigen und eine Perspektive jenseits der bisher praktizierten Einsparungen nach dem Rasenmäherprinzip bieten wird“, liest er. Er? Sein leises und verzweifeltes Lachen geht über in einen lange anhaltenden Hustenkrampf.

Er dreht seinen Stuhl in Richtung Fenster und sieht für einige Minuten durch die Glasfront auf seine Stadt. Es ist immer noch trübe. Menschen sind von hier oben daher heute nicht zu erkennen, was ein Segen ist. Er könnte ihnen nicht einmal mehr guten Gewissens auf den Kopf sehen. Gegenüber von seinem Büro flattert das Transparent „Rettet die Städte jetzt“ unruhig im Wind. Unruhig und auffordernd. Er hat es bis heute nie wahrgenommen, hing es dort auch bereits seit Tagen. Rettet die Städte jetzt. Kam dieser Hilferuf bereits zu spät? War zumindest seine Stadt nicht längst verloren und er mit ihr?

Minuten später stellt er die leere Kaffeetasse schwungvoll ab und wundert sich selbst darüber, dass er soeben eine Entscheidung getroffen hat. Er durchschreitet sein Büro mit zwanzig großen Schritten und öffnet die schwere Tür zum Vorzimmer energisch. Die ungewohnte Dynamik lässt Frau Michels zusammenfahren. Hektisch streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht.
„Frau Michels – rufen Sie Herrn Dr. Duck an. Er soll in zehn Minuten in mein Büro kommen. Und dann verbinden Sie mich bitte mit diesem Menschen von der Baufirma der Arena, Herrn Monet. Anschließend machen Sie Feierabend.“
Frau Michels schaut mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch auf die große Wanduhr in Form des Stadtwappens. 16:22 Uhr.
„Machen Sie sich einen schönen Abend“, entgegnet er ungeduldig, als er ihren irritierten Blick zur Uhr wahrnimmt. „Und sehen Sie zu, dass Sie weg sind, bevor Herr Dr. Duck hier auftaucht. Wir wollen doch vermeiden, dass er auch ihnen noch den Tag verdirbt.“
Entschlossen dreht er sich um und geht zurück in sein Büro, so dass er nicht mehr sieht, wie Frau Michels ihm fragend nachschaut und ungläubig den Kopf schüttelt. Seit wann gab es Probleme mit Herrn Dr. Duck? Und wann hatte sie das letzte Mal solch eine eindeutige Direktive von ihm erhalten? Sie weiß es nicht. Sie tätigt den Anruf, stellt die gewünschte Verbindung her und verlässt das Rathaus.

Während der üblichen Begrüßungsfloskeln mit Herrn Monet läuft er unruhig mit dem Telefon zum Fenster. Er öffnet das größte von ihnen, das gestern erst von einem Fensterputzer gereinigt wurde. Eine klare Sicht gibt es immer noch nicht. Nun würde er dafür sorgen. Die kühle Novemberluft, die ungefragt hereindringt, erfrischt ihn und durchwirbelt die Etatrede auf seinem Schreibtisch. Der Nebel hatte seine Ziele, seine Stadt, den Sinn der letzten Jahre längst verschwimmen lassen. Hatte er sich in den letzten Monaten überhaupt jemals gelichtet? Es ist schon lange nichts mehr übrig von den ursprünglichen Konturen, dem Profil dieser Stadt und ihres Oberbürgermeisters. Wie hatte er dies nur zulassen können? Trüber Dunst, milchiger Einheitsbrei, unerträglich nichts sagend. Ärgerlich steigert er die Lautstärke seiner Stimme.
„Doch, Herr Monet, Sie haben mich richtig verstanden… Ja, darüber bin ich mir durchaus im Klaren. Lassen Sie den Gemeinderat mal meine Sorge sein.“ Er hatte beinahe vergessen, wie viel Freude es machen konnte, Entscheidungen zu treffen. Er war noch lange nicht bereit, mit ihr unterzugehen. Beschwingt streicht er mit seiner Hand den Staub vom Fenstersims.

Er füllt seine Lungen mit frischer Luft und durchdringt den Nebel, der so lange seine Gedanken verschleiert hat, endlich. Herr Dr. Duck, der wenige Augenblicke später das Büro erreicht, erschaudert aufgrund der dort vorherrschenden Kühle und bleibt für einen Moment irritiert an der Türschwelle stehen. Langsam breitet sich ein zufriedenes Grinsen über das Gesicht des Oberbürgermeisters aus, als er ihn schließlich hineinkommen sieht. Er beendet das Telefonat, dessen letzte Worte dem Finanzdezernenten den Schrecken in die Augen getrieben haben. „Herr Dr. Duck – schön, dass Sie da sind. Gehen wir in die Fraktionssitzung?“ Im Vorübergehen greift er nach der Etatrede auf seinem Schreibtisch und lässt sie in den Papierkorb fallen. Dies würde eine lange Nacht werden.

 
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Hallo Juschi,


deine Geschichte habe ich mit gemischten Gefühlen gelesen. Einerseits fand ich das Verhältnis des OBM zu seiner Stadt sehr gut dargestellt und auch seine körperliche Verfassung kommt ganz bildhaft an. Es handelt sich ja um eine ziemlich politische Person, über die weißgott nicht jeder ein positives Bild hat. Demzufolge macht das den Protagonisten zumindest für mich interessant.

Andererseits habe ich gewaltig den berühmten Knick in der Handlung vermisst. So ist sie faktisch selbsterklärend, denn freilich ist die nächstliegende Reaktion einer gesundheitlich angeschlagenen, depressiven und demotivierten Person in einer aussichtslosen Situation wie dieser der Selbstmord, ein Motiv, dass auf KG.de zum Überfluss wiederverwendet und somit verblichen wurde.
Das heißt vor allem, dass Deine Geschichte leider, denn mehr ist für mich echt nicht drin, in die "Gelesen und vergessen"-Kategorie gehört. Nur meine Meinung.

An keiner Stelle in der Geschichte macht der Leser die Erfahrung, dass es sich die bisherigen Absätze gelohnt hat zu lesen. Das ist je nach Geschichte zu unterschiedlichem Maße notwendig, für diese, welche ja schon sehr traurig beginnt, jedoch unabdingbar. Deine Geschichte verleitet mich zu der Hypothese, dass ein Plot mit einem eher traurigen Anfang irgendwo eine Wendung zum Guten braucht, und umgekehrt ein schön beginnender Plot eine negative Wendung haben muss, um was her zu machen. Wendung kann das Ende heißen, kann aber auch wieder in einen Umschwung enden:
Lapidar: Depressives Mädchen -> Selbsmord
finale Wende: Depressives Mädchen -> rehabilitiert
oder
"Pseudo-"wende: Depressives Mädchen -> rehabilitiert -> Helfer verschwindet plötzlich auf Nimmerwiedersehen -> Rückfall, Selbstmord.

Das dürfte nicht mehr als eine Strategie der Spannungserzeugung sein. Der Clou bei einer Wende ist nämlich, dass der Leser sich nicht sicher sein kann, ob er aufatmen darf oder nicht :D.

Ich würde mich freuen, wenn Du das bei der Überarbeitung (?) berücksichtigst.


FLoH.

 

Hallo floh,

danke für´s Lesen der Geschichte und für Deine Rückmeldung.
Deine Kritik, dass diese Geschichte keinen Wendepunkt hat und somit nicht spannend für den Leser ist, gibt mir zu denken. Der Wendepunkt war in meinem Kopf bisher immer an der Stelle, an der der OB nach Monaten der Lethargie und Ohnmacht mal wieder eine Entscheidung trifft. Aber Du hast Recht, das Ende ist schon eher vorhersehbar als überraschend.
Ich muss zugeben, es fällt mir schwer, mir die Geschichte mit einem anderen Ende vorzustellen, liegt mit Sicherheit an meiner persönlichen Erfahrung mit diesem Thema. Aber Du hast auf jeden Fall dafür gesorgt, dass ich bereits darüber nachdenke und mich vielleicht doch noch mal an eine Überarbeitung mache.
Danke!

Liebe Grüße
Juschi

 
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Hallo Juschi,

mir geht es ein bisschen wie floh, wenn auch aus anderen Gründen.
Die kann ich leider auch nur ganz subjektiv beschreiben, denn dein Sprache ist in Ordnung, das Sujet ist stimmig und die Finanzmisere der Städte in der Tat ein gesellschaftliches Problem.
Auch, dass du dieses Problem anhand eines amtsmüden Oberbürgermeisters darstellst, der sich ausgelaugt und von Regierungs- und Oppositionsparteien im Stich gelassen fühlt, finde ich dem Thema durchaus angemessen. So kommt noch das ebenfalls durchaus gesellschaftliche Thema des Burnout Syndroms dazu, welches ich manchmal auch unserem Bundeskanzler attestieren möchte, wenn ich ihn graugesichtig im Fernsehen betrachte.
Er könnte zurücktreten, Verantwortung, der man sich nicht mehr gewachsen fühlt kann man abgeben. Sein Selbstmord ist also nicht zwingend, es sei denn seine Eitelkeit verhindert eine andere Entscheidung. Selbst dann wäre der Suizid natürlich nur ein Selbstbetrug.

Weshalb ich bei deiner Geschichte zwiegespalten bin, liegt leider schlicht daran, dass ich mich trotz des interessanten Plots beim Lesen gelangweilt habe, und dir leider noch ncht einmal sagen kann, woran es lag.
Vielleicht vermittelt sie mir einfach zu gut die Überlastung, die gähnende Leere in deinem Prot. Vielleicht walzt du sie aber auch über zu viele Sätze und Absätze aus.
Vielleicht hat floh es aber auch schon gut beschrieben, wenn er auf die Wende hinweist.

Trotzdem liebe Grüße, sim

 

Hallo,


In der Tat war die erste Entscheidung seit langem (dass er mit allem Schluss macht) ein kleiner Knick, oder sagen wir Delle in der Plotline, aber die muss ich offenbar zum Ende wieder vergessen haben, also hat sie nicht angeschlagen, zumindest bei mir nicht.

Um Himmels Willen, ich meine nicht (!), dass die Geschichte unbedingt ein Happy-End braucht, damit wäre am Ende sogar wenig bis nichts gewonnen. Sondern ein nicht allzu kleines punktuelles Gegengewicht zum Grundtenor (=Depression) benötigt sie in meinen Augen, wenn Du verstehst was ich meine, in diesem Fall wäre es ein - sagen wir "manisches Moment".

Du könntest zum Beispiel deinem OBM eine spontane, aus heiterem Himmel kommende Anwandlung spendieren, sodass er plötzlich einen Einfall bekommt, wie die Stadt wieder aus dem Schlamm gezogen werden kann. Du lässt ihn hübsch tatkräftig werden, gönnst ihm erste Erfolge, wachsende Anerkennung in Bevölkerung u.ä., und ...

... und entscheidest selber, ob die Geschichte so gut enden soll (s.o.), oder Du das Steuer wieder zurück ins Negative reißt ("Rückfall"), was dann auch durchaus einen Selbstmord rechtfertigen würde. Wenn Du ganz fies bist, lässte das Ende aber offen... :D


FLoH.

 

Hallo Juschi!

Dafür, daß dieses Thema mir eigentlich wenig sagt, hat mir die Geschichte gut gefallen. Einige Passagen im ersten Teil sind mir etwas lang. Vielleicht kannst du den Wendepunkt noch etwas deutlicher machen?

Ansonsten ist mir spontan der letzte Satz aufgefallen: Ist es nicht besser die Stadt "stirbt" in der Einzahl und mit ihr die Menschen in der Mehrzahl?

Ansonsten noch ein paar Kleinigkeiten als subjektive Anmerkungen:
Die Grippe sollte er HErumschleppen
die Erkältungstee kocht Ruth IHM (da fehlt das H)
Viel MEHR konnt er auch nicht MEHR erwarten (wdh.)
Geld war das Kriterium, das ihn zwang...
Geld, das nicht mehr da ist (genügt einmal, finde ich)

"Er ist einfach nicht länger in der Lage, diesen Kampf zu bestreiten" und "Dann eben mit ihr untergehen" im drittletzten Absatz (würde ich weglassen: die zwei Sätze kündigen schon zu sehr den Ausgang der Story an, finde ich.)
Vielleicht möchtest du das ein oder andere ändern
Viele Grüße
Karin

 

Hallo sim, hallo floh, hallo Karin,

vielen Dank an Euch für die hilfreichen Kommentare.

@sim: langweilen wollte ich mit der Geschichte eigentlich nicht, wie Du Dir vorstellen kannst. Dafür ist mir das Thema viel zu wichtig. Deshalb: wenn Dir noch eine Idee kommt, woran es gelegen hat - ich freue mich über jeden Hinweis.

@sim und floh: Ich werde auf jeden Fall in den nächsten Tagen nochmal an die Bearbeitung gehen, mal sehen was aus der Geschichte wird. Ich ärger mich gerade etwas darüber, dass mir das wenn ich mit einer Geschichte innerlich schon "abgeschlossen" habe sehr schwer fällt.

@karin: Die Fehler habe ich korrigiert, danke. Deine Anmerkungen bezüglich der Sätze, die zu früh das Ende ankündigen, werden bei der folgenden Überarbeitungen berücksichtigt.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo zusammen,

so, hier nun die angekündigte Überarbeitung. Einige Stellen sind gestrichen beziehungsweise gestrafft und der Schluss der Geschichte ist geändert.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hab Deine Geschichte gelesen, und jetzt gefällt sie mir sehr viel besser. Schreibe dir mehr in Kürze.

FLoH.

 

So. Wie gesagt, die Überarbeitung ist dir gelungen, wenn auch ich die gestrichenen Passagen vergessen habe nach dieser Zeit. Aber das neue Ende finde ich toll. Du reißt das Steuer für das letzte Fünftel des Textes scharf herum und lässt uns bzgl. seines Erfolges dennoch im Ungewissen. Das Ende ist grundoptimistisch und bietet somit einen Kontrast zum Bisherigen.

Sehr gut fand ich auch, dass du das Fenster miteinbeziehst. Da der OBM allerdings sich zu sehr auf das Telefonat zu konzentrieren scheint, ist diese Stelle so markant auch wieder nicht ausgefallen (leider?).

Die kühle Novemberluft, die ungefragt hereindringt, erfrischt ihn und durchwirbelt
u. ä. ebenso...

dessen letzte Worte dem zitternden Anwesenden den Schrecken in die Augen getrieben haben.
Das finde ich etwas gestelzt.


Soweit,
FLoH.

 

Hallo floh,

danke für Deinen erneuten Kommentar - es hat ja jetzt doch etwas gedauert mit der Überarbeitung. Schön, dass Dir die neue Version gefällt :)
Über die von Dir zitierten Formulierungen denke ich nochmal nach.

Liebe Grüße,
Juschi

 

Hallo Juschi,

auch mir gefällt deine Geshcihte nach der Überarbeitung besser. Vor allem das offenere Ende ist sehr gelungen. Auch ist die Geschichte in sich interessanter geworden.
Du neigst jedoch zu Füllwörtern, die immer wieder die Spannung blockieren und den Erzählfluss hemmen. Ein paar Beispiele habe ich dir mal rausgeschrieben.

So weit war es mittlerweile nämlich schon gekommen.
das nämlich würde ich weglassen, es hat so etwas plauderhaftes ;)
Sie legt dennoch Wert darauf, und es tut ihm trotzdem jedes Mal gut, für einen kurzen Moment immerhin.
Da hast du gleich drei Einschränkungen in einem Satz. ;)
nach dem Krieg mühsam wieder aufgebauten Citykirche
Vielleicht ein anderer Name für die Kirche? Wenn sie nach dem Krieg mühsam wieder aufgebaut wurde, hätte sie auch einen traditionelleren Namen verdient.
Geld. Geld, das nicht mehr da ist. Geld, das nicht mehr da ist, das hinten und vorne fehlt
War die zweifache Nennung von Geld, das nicht mehr da ist Absicht?

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

schön, dass bei Dir das neue Ende auch angekommen ist, dann scheint es ja funktioniert zu haben. Das freut mich besonders, da ich selbst immer noch etwas unzufrieden bin - ich glaube es ist mir nun ein wenig zu optimistisch ;)
In Bezug auf die Füllwörter - ich bin mir etwas unschlüssig, in wieweit sie Teil meiner Sprache sind oder wirklich überflüssig. Ich werd mir die Geschichte nochmal unter diesem Gesichtspunkt ansehen, danke. Insbesondere mit Deinem zweiten Zitat hast Du mit Sicherheit Recht, das ist zu viel des Guten.
Die Citykirche wird geändert. Zu Deiner letzten Anmerkung: die Wiederholung war in der Tat Absicht.

Schön, auch in der zweiten Runde nochmal Denkanstöße von Dir zu bekommen, danke Dir!

Liebe Grüße,
Juschi

 

Hallo Juschi,

die Füllwörter mögen wirklich Teil deiner Sprache sein. Sie haben aber eine Funktion in Texten. Zumeist bewirken sie einen ironischen Abstand des Erzählers zu seiner Handlung (besonders gut in den Geschichten von Maniac hier zu sehen), oder sie vermitteln den Eindruck einer gewissen Beiläufigkeit und wirken somit spannungsmindernd. Ich kenne das Gefühl, Sätze wären ohne sie weniger rund. Leider ist im geschriebenen Wort (fast) immer das Gegenteil der Fall. Also gerade wenn sie Teil deiner Sprache sind, wäre es schön, wenn du sie noch einmal überdenken würdest.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

wie angekündigt bin ich die Geschichte nochmal in Hinblick auf die von Dir genannten Füllwörter durchgegangen. Ich habe tatsächlich viele gefunden, und einige sind bereits gestrichen. 10 um genau zu sein ;)
Warum ich ein paar ganz bewusst habe stehen lassen, hast Du selber erwähnt - sie sind mir glaube ich insbesondere in den ersten Absätzen der Geschichte so wichtig, weil sie die Distanz erzeugen, von der Du schreibst. Im Endeffekt geht es um eine Distanz, die der OB zu seiner eigenen Person und seinem Handeln hat, was z.B. an Sätzen wie

Seit wann musste er solche Dinge eigentlich selber machen? Offenbar seitdem er nicht mehr in der Lage war, Anweisungen zu erteilen. So weit war es mittlerweile schon gekommen.
deutlich wird.
Die Wörter "eigentlich", "offenbar" und "mittlerweile" werde ich deshalb hier beibehalten.
Dennoch hat es mich erstaunt, wie viele Wörter tatsächlich auch aus meiner Sicht nur Füllwörter waren - besonders im ersten Teil. Ich werde versuchen, in Zukunft stärker darauf zu achten.
Danke Dir zum dritten Mal :) Bei so einer Kritik macht es Spaß, an der Geschichte zu arbeiten.

Liebe Grüße,
Juschi

 

Die Geschichte hat mich angesprochen. Der Protagonist wurde lebendig in seiner scheintoten Ohnmacht, ich konnte ihn mir vorstellen.

Das Ende, das die Botschaft transportiert, man müsse die Dinge nur anpacken, hat mich allerdings etwas unbefriedigt zurückgelassen. Abhängig davon, welches offene Ende der Text andeuten soll, so wäre vielleicht ein weiterer Bezug auf die Krankheit nötig. Gut, er öffnet trotz seiner chronische Erkältung das Fenster, läßt die kalte Luft herein, ein Sinnbild für ein entschiedenes Trotzdem. Die Stelle

Er füllt seine Lungen mit frischer Luft
benötigt meiner Ansicht nach noch ein wenig mehr: Ist diese Luft heilsam oder beschleunigt sie sein Ende?

Wäre es möglich, daß er, wider alle Erkenntnis, zu handeln beginnt, obschon sein Scheitern gewiß ist? Daß sein Handeln im Untergang endet, der in der Krankheit Ausdruck findet?

Es mangelt mir gerade an der Fähigkeit, meinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, entschuldige.

Einige Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen:

  • "auf dem auch die ergrauten Haare immer weniger werden." - Was wird denn sonst noch weniger auf seinem Kopf?
  • "Selbst dieser Trick funktionierte schon seit geraumer Zeit nicht mehr." - Sollte das nicht Präsens sein: 'funktioniert'?
  • "Er lässt seinen Blick versunken schweifen" - Versinken oder schweifen? Erscheint mir widersprüchlich.
  • "über den belebten Marktplatz, den schmalen Kirchturm der nach dem Krieg mühsam wieder Lutherkirche," - da fehlt ein 'aufgebauten'; zudem war der Aufbau wohl kaum mühsam, eher kostspielig
  • "Diese Tatsachen schwebten über seiner Stadt seit dem Frühjahr" - Umstellung: 'schwebten seit dem Frühjahr über seiner Stadt'
  • "wie alles den Bach heruntergeht" - dieser Ausdruck ist Deiner unwürdig!
  • "Gegenüber seines Büros flattert das Transparent "Rettet die Städte jetzt" unruhig im Wind." - 'Gegenüber von seinem', oder?

 

Hallo Claus,

bald hast du alle durch, was? ;) Danke für´s Lesen und deine Anmerkungen! Die Fehler werden selbstverständlich sofort korrigiert. Ich finde es immer spannend, ältere Geschichten heute zu lesen. Manches würde ich heute anders formulieren, scheue aber meist vor zu wesentlichen Eingriffen zurück, weil die Geschichten natürlich auch einen Entwicklungsschritt dokumentieren.
Zum Inhalt:

Die Geschichte hat mich angesprochen. Der Protagonist wurde lebendig in seiner scheintoten Ohnmacht, ich konnte ihn mir vorstellen.
Das freut mich, da es ja doch um eine Person geht, die den meisten Menschen recht fern ist.
Bezüglich des Endes muss ich zugeben, dass ich keine bestimmte Richtung vorgeben wollte - weder positiv noch negativ. Es ist offen. Was deutlich wird, dass die Geschichte eine positive Wendung nimmt und somit Hoffnung besteht, dass sie auch positiv weitergeht und er es schafft. Ganz bewusst also keine Andeutung von mir (im Gegensatz zum ursprünglichen Ende, das seinen Selbstmord beinhaltete), sondern lediglich die Botschaft: zu handeln, egal wie und in welche Richtung ist besser, als nichts zu tun. Die Sache anzupacken, wie du schreibst, ist in der Tat oft der erste Schritt. Ob dem ein zweiter folgt - man weiß es nicht. Interessant, dass du eher von einem negativen Ende ausgehst. Natürlich ist die Krankheit Symbol seiner Schwäche und ganz bewußt eingesetzt, dennoch reden wir hier nur von einer Erkältung, die ja durchaus überwunden werden kann ;)

Liebe Grüße
Juschi

 

Interessant, dass du eher von einem negativen Ende ausgehst.

Vielleicht bin ich ein penetranter Pessimist? Nein, ich glaube nicht. Ich denke, das liegt schon, wie Du auch vermutet hast, an diesem Krankheitsmotiv. Und, sicher, man kann eine Erkältung überwinden. Aber sein Schicksal ist an das der Stadt gekoppelt. Geht sie unter, so auch er. Und die Zeichen stehen schlecht...

Zudem: ja, vielleicht finde ich die glückliche Rettung weit weniger interessant. Erwischt. Schuldig im Sinne der Anklage.

 

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