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Der Violinenspieler

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10.03.2004
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Der Violinenspieler

Bein ersten schrillen klingeln des Weckers streckte ich mich. Dehnte meine müden Sehnen und schlang die Beine aus dem Bett. Barfuß schlürfte ich aus dem Schlafzimmer ins Bad und begutachtete mich im kreisrunden Spiegel.
Meine dunklen Haare standen in alle Richtungen ab und unter meinen Augen zeichneten sich schwarze Tuschreste ab. Natürlich hatte ich gestern mal wieder vergessen mich abzuschminken. Also griff ich kurzerhand zu den Wattepads und der Creme und beseitigte die Überreste meines Make-ups.
Während ich mir die Zähne putzte, lief das Wasser unablässig weiter in den Abfluss, was für eine Vergeudung. Aber wie das nunmal so ist, lassen sich schlechte Angewohnheiten nur schwer ablegen.
Ich wusch mein Gesicht und stellte danach das warme Wasser der Dusche an.
Schlüpfte aus meinem Shirt und dem Slip und stellte mich unter den warmen Wasserstrahl, liess das Wasser über mein Gesicht laufen.
Mutig stellte ich das Wasser auf kalt und gab einen stöhnenden Laut von mir als der eiskalte Strahl meinen Körper erreichte. Schnell drehte ich das Wasser ab und wickelte mir das Badetuch um den Körper.
Wanderte zurück ins Schlafzimmer und zog mich an. Dabei schaute ich aus dem Fenster, auf die Strasse. Drehte das Radio an und prompt drang die Melodie von "Never met a girl like you" von Edwin Collins an mein Ohr.
Ich tänzelte durch die Wohnung und sang lauthals mit. Was kümmert es mich was die Nachbarn von mir denken, schliesslich lebe ich.
Ich warf einen Blick auf die Küchenuhr, war noch Zeit für einen Kaffee?
Halb Acht, na und ob!
Wenige Minuten später war der Kaffee fertig und sein Duft erfüllte die Wohnung. Schlaftrunken kam Columbo angetrottet, streckte seine Schnauze in die Luft und liess ein freudiges Bellen vernehmen als er mich erblickte.
Schwanzwedelnd kam er auf mich zu und bettelte um einige Gute-Morgen-Streicheleinheiten. Mit meiner Kaffeetasse bückte ich mich zu ihm hinunter und kraulte sein faltiges, speckiges Fell. Er liess es sich gefallen und plumpste prompt vor mir auf den Boden, damit ich mich auch seinem Bauch widmen konnte. "Du bist mir schon ein verwöhntes Ding, Columbo." Ich lächelte in mich hinein.
Pünktlich um zehn vor Acht zog ich die Tür hinter mir zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Im Treppenhaus war es totenstill, langsam stieg ich die Treppen hinunter und schlang mir dabei den Schal um den Hals. Gutgelaunt trat ich auf die Strasse, blickte nach links, dann nach rechts. Sah zum blauen Himmel und machte mich auf den Weg zur Bahnhaltestelle. An mir vorbei rauschten Menschen, die keine Zeit für Ruhe zu haben schienen. Die Hektik war ihnen ins Gesicht geschrieben. Niemand hob den Blick, niemand schenkte dem anderen Aufmerksamkeit oder auch nur den Ansatz eines Lächelns.
Interessieren sich die Menschen denn überhaupt nicht füreinander?
Nimmt denn niemand vom anderen Kenntnis?
Ich runzelte die Stirn. Kaum war ich an der Haltestelle angekommen, traf auch schon die Bahn ein und ich stieg ein. Viele Leute waren nicht da und so fand ich direkt einen Sitzplatz. Mir gegenüber sass eine Frau mit Mahagonifarbendem Haar, die aus dem Fenster starrte. Als ich mich setzte, schaute sie kurz auf und ich schenkte ihr ein Lächeln. Die Frau sah schnell weg und starrte weiter aus dem Fenster. Was war an einem Lächeln denn so schlimm? Oder hatten die Menschen vergessen wie das geht?
Zu meiner anderen Seite sass eine jüngere Frau mit ihrem Kinderwagen, in dem ein Kleinkind schlief. Ich sah es an, wie es dort lag, friedlich schlummernd.
Ich merkte kaum wie ich begann zu lächeln, doch als ich hoch schaute, bemerkte ich wie die Mutter mich mistrauisch ansah, als hätte ich soeben beschlossen ihr Kind zu entführen. Ich zwinkerte ihr aufmunternd zu, doch sie starrte mich weiter schweigend an. Schliesslich wandte ich den Blick ab und sah ebenfalls aus dem Fenster. An mir vorbei zogen Häuser, kleine , grosse, Bürogebäude, Geschäft nach Geschäft. Der Himmel war noch immer blau, aber inzwischen hatten sich kleine Wolken hinzu geschummelt.
Bemerkten die Menschen in dieser Bahn überhaupt was für ein wunderbarer Tag heute war? Oder blickten sie blind in die Welt hinaus?
Endlich konnte ich aussteigen. Die frische Luft tat mir gut und ich zog den dicken Mantel noch enger um mich. Beschwingt ging ich weiter, sah in viele Gesichter, doch keines leuchtete oder lachte. Sie waren leer und farblos, wie die Gesichter von Steinfiguren.
Ich überquerte eine Strasse und ging an verschiedenen Geschäften vorbei, in denen mürrisch aussehende Ladenbesitzer und Verkäufer standen. Manche von ihnen starrten auf kleine Flimmerkisten, hoben nur den Blick sobald ein Kunde hereinkam.
Einige Häuserblocks weiter hörte ich leise eine Violine, die eine fröhliche Melodie spielte. Langsam wurde die Musik lauter und ich sah an einer Strassenecke einen Obdachlosen sitzen. Er hatte die Augen geschlossen, konzentrierte sich auf die Melodie. Ich musterte ihn, er war mittleren Alters, durch sein mit grauen Strähnen durchzogenes Haar war noch seine ürsprüngliche Haarfarbe zu erkennen. Sein Gesicht hatte kaum Falten und auf seinen Wangen lag ein wenig schwarzer Schmutz, als habe er sie sich mit Kohle eingerieben. Ich stand genau vor ihm, doch er bemerkte mich anscheinend nicht. Der Verkehr hinter uns ging unermüdlich weiter.
Plötzlich öffnete er die Augen und sah mich an. Sein Blick funkelte lustig.
Als die Melodie zu ende war, hörte er auf zu spielen und legte den Kopf schief.
"Wunderbarer Tag, nicht wahr?"
"Ja", antwortete ich. "Herrlich!"
Der Obdachlose schaute hinauf zum Himmel und dann wieder zu mir.
"Sie spielen wirklich sehr schön." Ich lächelte ihm zu.
Seine blauen Augen leuchteten in der Sonne besonders intensiv.
"Danke mein Fräulein."
Und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte jemand zurück.

 

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