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Der Weg zum Bahnhof

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15.08.2004
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Der Weg zum Bahnhof

Der Weg zum Bahnhof

Eigentlich hatte der Tag gut angefangen, die Sonne schien, es war aber noch nicht so heiß, dass einem der Schweiß in Tropfen, die sich zu kleinen Rinnsalen am Körper zusammenschlossen, vom Körper floss und durch dunkle Flecken auf dem T-Shirt erkennbar war. Er ging raus, streckte kurz sein Angesicht in die Morgensonne, um dann durch das relativ kühle Vorderhaus auf die Straße zu treten. Entlang des Bürgersteigs lagen ein paar leere Bierflaschen, die später von Alkoholikern eingesammelt werden würden. Ihm kam bis zur Ecke ein hübsches Mädchen entgegen, nach dem er sich noch mal kurz umdrehte, nur um zu wissen, dass er wach war, etwas weiter entlang des Weges kam ihm eine Frau entgegen, die offensichtlich mit der Kleidung von Vietnamesenständen vom Wochenmarkt eingekleidet war und einen großen Hund mit sich führte. Ganz kurz überlegte er, ob der Hund wohl abends auch anderen Zwecken diente, als nur Gassi geführt zu werden, verwarf aber den Gedanken als pervers. Ein blauer Müllsack der etwas aufgerissen war und aus dem Müll quoll lag auf der rechten Seite an eine Hauswand gelehnt, an der ein Gerüst stand.
Er wollte zum Bahnhof und ging an der Ecke nach rechts und lief der noch im Aufgang begriffenen Morgensonne entgegen, die etwas blendete, aber nicht unangenehm war. Er hielt vor einem Gemüseladen, in dem er sich eine Schachtel Zigaretten kaufte, die angenehm stark waren.
Die Bedienung der arabischen Kneipe stellte die ersten Möbelstücke auf, wo später hippe Weststudenten sitzen würden und ein Weizenkristall mit einer Zitrone bestellen würden. Ein Müllwagen zwängte sich durch die Straße, in der durch Überbelegung der Parkplätze, viele Autos in der zweiten Reihe standen. Ein Mann in Sandalen und Jesusfrisur kreuzte seinen Weg und war bekifft. Er blieb kurz im Schatten eines kleinen Baumes stehen und beobachtete zwei Polizisten bei einer Diskussion mit einem Autofahrer. Er verstand nicht worum es ging, lief weiter und stellte sich vor wie es wäre, mit einem Polizeiwagen hundert Km/h durch die Innenstadt zu fahren, obwohl er selbst nicht mal einen Führerschein besaß. Eine Kreuzung kam, die an sich ziemlich klein war, aber dennoch von Autos stärker frequentiert war. In einem freien Moment ging er über die Straße, genau an der Ecke, wo der griechische Ladenbesitzer gerade die Marquise seines Lebensmittelladens heraus kurbelte. Er erschrak leicht, als ein BMX-Fahrer mit Rastalocken, an ihm vorbei fuhr. Ein Mann mit Anzug und gegeltem Haar stieg in einen Smart, der für eine Versicherung warb, die man ausgezahlt bekommen würde, wenn man tot ist. An der Ecke liefen drei junge Mädchen vorbei, von denen nur eine hässlich war, sie trugen sommerlich-aufreizende Kleidung, dass gefiel ihm. Zum Bahnhof dachte er, ich muss mich beeilen. Ein Penner saß auf der Blumenbeetbegrenzung aus Stein und trank aus einer Flasche Korn. Er guckte ihn mit Verachtung an und ging vorbei. Erste Blumen wurden am Blumenladen gegenüber der Bank auf die Straße gestellt, damit Leute durch den Geruch dazu angehalten wurden ihren Partnern Blumen mitzubringen. Eine alte Frau musterte das Sortiment an Balkonpflanzen und schien unschlüssig. Er ging zur Bank auf der anderen Straßenseite und musste dazu erst eine Ampelphase abwarten, die er als lang empfand. Der Geldautomat bot ihm an, statt zehn Euro, gleich fünfzig Euro abzuheben, er ging zu einem der das nötige Kleingeld bereit stellte. Er setzte den Weg zum Bahnhof fort, wo jemand mitten auf den Gehweg gekotzt hatte, es roch süßlich und widerlich. Ein Hund roch daran, der Besitzer rief: „Pfui, weg, aus!“. Er stieg die Treppen runter auf den Bahnsteig lief nach hinten, erste Schweißperlen bildeten ein Muster auf der Stirn. Die Bahn sollte in fünf Minuten kommen, also rauchte er eine Zigarette. Die Bahn fuhr mit hoher Geschwindigkeit hinter der Kurve hervor, einen kurzen Moment reflektierte die Sonne auf der leicht gewölbten Scheibe, es sah aus wie ein leichtes Blitzen. Der Schweiß auf der Stirn wurde stärker. Während die Bahn heranschnellte, ging er ein Stück Richtung Rand des Bahnsteigs. Im Gleisbett lagen einige Zigarettenstummel und eine Verpackung eines Marsriegels, die ausgewaschen wirkte. Ein zusammengeschrumpelter Mann kam schon vorsorglich aus dem Schaffnerhäuschen um bei Ankunft der Bahn, die üblichen Sprüche über die Lautsprecheranlage an den Mann zu bringen. Die Bahn war jetzt am Signal am Anfang des Bahnsteigs angekommen, er warf seine Zigarette weg, atmete aus. Als die Bahn bis auf zwanzig Meter an herangefahren war, sprang er ins Gleisbett und wurde überrollt. Die Bahn machte eine Vollbremsung, die Windschutzscheibe des Zugführers war jetzt schmutzig, die Wartenden wurden aufgefordert sofort den Bahnhof zu verlassen. Die Frau die eben noch neben ihm gestanden hatte, bekam einen Schock und heulte, sie sah sehr genau wie der Zug ihn erfasste und er unter die Räder gerissen wurde, wo er sich in eine Art abstraktes Gemälde verwandelte. „Keine offene Aufbahrung“, dachte ein abgebrühter Jugendlicher in Baggies. Drei Stunden später war der Zugverkehr wieder normal, eine Zeitung mit auffälligen Überschriften, verzeichnete für den folgenden Tag eine Mehrauflage um 6,7%, als darüber berichtet wurde, die Angestellten gingen Essen um den Erfolg zu feiern. Es gab sogar ein Foto davon, dass veröffentlicht wurde, aber es war etwas unscharf.

 

Hallo Angua,

danke für deine Kritik, ich werd mal überlegen, ob ich daran was ändere. Als ich die Geschichte anfing zu schreiben, wußte ich noch nicht was am Ende dabei herauskommen sollte.
Ich bin aber der Meinung, dass man beim durch die Straßen gehen, genau solche unwichtigen Details bewusst wahrnimmt. Dabei ging es mir auch nicht um die Frage: "Was denkt man, was nimmt man wahr, wenn man sich vor die S-Bahn wirft", sondern eher darum was man so generell von der Außenwelt so wahrnimmt. Im Prinzip sind eigentlich alle beschriebenen Details relativ unwichtig. Da würde mir als Leser besonders die Stelle mit dem Geldabheben auffallen, weil es ja vor dem Ende nicht mehr ausgegeben wird.
Ich werd mal überlegen, ob ich die von Dir angesprochenen Stellen ändere.

Grüße

Rüsti

 

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