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Der Wunschbaum
Mephisto, der Widersacher zog sich in die hintersten und heißesten Winkel der Hölle zurück, so dass die Schreie der Gepeinigten nicht zu ihm vordrangen und er ungestört nachdenken konnte. Angestrengt überlegte er und zermarterte sich seinen gehörnten Kopf, dass die Schweißperlen auf der Stirn glänzten und das lodernde Feuer der Strafe sich darin spiegelte.
Ideen über Ideen purzelten in seinem vor Bosheit triefenden Hirn hin und her, doch keine schien gemein und fies genug, seine bittere Schmach zu tilgen.
Als er erkannte, dass alles Kopfzerbrechen zu nichts führte, beschloss er, einen Rundgang auf den Feldern und Seen der Menschen zu machen und die Ideen einfach auf sich zukommen zu lassen.
Wie ein eiskalter, schneidender Windhauch flog er über Stock und Stein, über Wald und Wiese, Stadt und Fluss und blickte und spitzte über alle Ecken und Mauern, in jedes Loch und jedes Haus.
Mitten in einem wuchernden, dichten Wald wurde er fündig, als er ein prächtiges, riesiges Schloss sah, das sich unter ihm erhob.
Weiße Fahnen ragten aus den Zinnen heraus und Posaunen sangen stolz und zitternd ein Loblied auf den König Elias. Unzählige Menschen wuselten wie fleißig Bienen durch den ummauerten Hof , trugen Körbe, priesen ihre Waren an oder hackten Holz für des Königs Kamin.
Der Schweiß der Arbeit und das Blut der Hingerichteten bedeckten den Boden, doch der Stolz und die Peitsche der Aufseher trieben die Menschen voran.
Lieber bedeckt von Schweiß als von Blut, dachten sie sich.
Der Teufel blickte in ihre Seelen und sah die Unzufriedenheit, die in jedem ihrer Herzen saß, selbst im schwarzen Herz des Königs Elias. Viele wünschten sich einfache Dinge, manche ausgefallene; eines hatten sie aber alle gemein: Sie waren unzufrieden. Unzufrieden mit sich selbst, mit der Arbeit, mit dem König, mit der Welt.
Da kam dem Teufel die Idee, die er so herbeigesehnt hatte.
Das Klopfen hallte durch die steinernen Mauern des kleinen Hauses weit abseits des Schlosses.
Der Wind pfiff hämisch und eisig um die Mauern, die Äste flüsterten boshaft miteinander.
Als sich darauf nichts rührte, pochte Marcus erneut an die marode, bemooste Holztür. Beim dritten Mal konnte er seine Angst nicht länger unterdrücken und hämmerte mit beiden Händen auf sie ein, als wolle er sie einschlagen. Als der weise Mönch Thaleus öffnete, sah er nur eine ihm schnell entgegen fliegende Faust, die ihn auch sicherlich getroffen hätte, wenn Marcus nicht geistesgegenwärtig inne gehalten hätte.
Thaleus verfügte über eine exzellente Menschenkenntnis und als er Marcus erkannte, verdüsterte sich seine Mine, denn er ahnte Unheilvolles.
Schnell schürte er Feuer im Zimmer, entzündete ein paar Kerzen und packte eine Decke um Marcus Schultern. Als er aber hörte, was geschehen war, fröstelten sie beide trotzdem.
Ungläubig steht Thaleus vor dem Baum, den es gestern noch nicht gegeben hatte. Direkt vor dem Schloss erhob er sich mit seinen galanten, rotgelben Ästen und den blutroten Blättern, die wie glühende Augen funkelten. Dunkle Flamme züngelten aus den Spitzen der Blätter, reckten sich von den dünnen wie dicken Ästen gierig gen Himmel und schwarzgrauer Rauch stieg über dem Baum bis scheinbar zu den Wolken im Himmel hinauf.
Eine bestialische Hitze strömte den Zuschauern entgegen, die sich um das Feuer scharten, wie Motten um das Licht, dass ihnen der Schweiß herunterlief und einigen sogar die Haare versengt wurden.
Doch das Schlimmste an diesem Frevel war der stechende, abscheuliche Geruch von Schwefel, der die Luft verpestete, sodass sogar die umliegenden Dörfer den Gestank wahrnahmen.
Die geschulten Augen Thaleus` sahen schon von Weitem, als der Baum nur als kleiner Lichtpunkt in der Ferne leuchtete, dass dies nicht das Werk des Herrn sein konnte.
Er wühlte sich durch die Menge und schob sich bis ganz nach vorne. In einiger Entfernung zu dem Baum stand ein Schild aus verfaultem, stinkenden Holz:
Darauf stand:
Der Baum der Wünsche.
Spreche nur wahrlich und unverhüllt,
dein Begehren – sachte und leis´.
Und dein Wunsch wird erfüllt im Handumdrehen,
doch nicht ohne zu zahlen den Preis.
Wage dein Vorhaben und fürchte dich nicht,
tritt vor den Baum und sein Angesicht.
Die Menschenmenge löste sich von ihrem entsetzten Schweigen und ein aufgeregtes Tuscheln nahm dessen Platz ein. Thaleus wusste, dass sie dem Angebot jetzt noch unentschlossen und ängstlich gegenüberstanden und sah seine einzige Möglichkeit, ihnen jetzt noch verständlich zu machen, dass dies nicht das war, was sie darin sahen oder sehen wollten.
Er wusste, dass dieser Baum nichts anderes als ein Finte des Teufels war.
Mit strenger Mine und angespannter Muskulatur trat er vor die Menschenmenge, hob die Arme in die Luft, als beschwöre er einen Zauber, und sprach:
“Höret ihr Leute! Lasst euch nicht von diesem gotteslästerlichen Trugbild täuschen! Dies ist nicht das Werk des Herrn! Fället den Baum noch heute und vertreibt diesen unreinen Geist aus unserem Dorf! Denn wenn ihr das nicht tut, wird Unheil und Unglück über uns kommen! Kehret ab, solange ihr noch könnt.”
Er atmete schwer und Schweiß lief ihm über die Stirn. Seine Rede hatte die Menschen scheinbar nachdenklich gestimmt. Er wartete ihre Antwort aber nicht ab, sondern ging sogleich.
Marcus musste ihn stützen, als er ihn zurück zu seinem Haus begleitete. Die Nähe zu dem Baum hatte Thaleus auf seltsame Weise geschwächt, er fühlte sich schwach und kraftlos.
Sie hatten beide geschwiegen, seit sie die Schlosstore passierten, doch nun gewann Marcus Neugierde die Oberhand.
“Werden sie auf dich hören, Thaleus?”, fragte er mit besorgter Stimme.
“Beileibe nicht!”, entgegnete der Mönch.
“Hoffen wir nur, dass sie sich nicht in ihr Verderben stürzen”, flüsterte er mehr zu sich selbst als zu seinem Gesprächspartner.
Gier und Moral sind zwei ungleiche Gegner. Die Versuchung war einfach zu groß und die Menschen kämpften nicht lange gegen sie an. Schon bei Sonnenuntergang am selbigen Tag schlich sich der erste Dorfbewohner aus der Stadt und trat vor den Baum.
“Großer Baumgeist, sei mir gnädig und mache mich reich!”, rief der Schmied vom fahlen, blutroten Licht des Feuers eingehüllt, das auf den Ästen loderte.
Nichts geschah und enttäuscht ging er nach Hause. Als er jedoch in seine bescheidene Hütte trat, fiel er aus allen Wolken. Säcke voll Gold, Schmuck und Rubine türmten sich in seiner Wohnung bis zur Decke, so dass er gerade noch Platz zum Stehen hatte.
Was er allerdings nicht wusste, war, dass die Reichtümer aus den Schatzkammern des Königs stammten.
Die Menschen aus dem Dorf waren keine schlechten Menschen, aber sie waren arm. Sie schufteten Tag für Tag, von früh bis abends, und konnten damit gerade sich selbst und ihre Familien ernähren.
Und so kam es dann, dass ein Wunsch auf den anderen folgte.
Noch in der selben Nacht schlichen sich alle einundneunzig Bewohner des Schlosses zum Wunschbaum, um sich Geld, Gesundheit, Liebe oder Glück zu wünschen.
Ein Wunsch jedoch, unterschied sich von allen anderen.
Schon seit dem Tag, an dem Velicitas, die Tochter des Königs, die geschlechtliche Reife erlangte, redete er auf den Elias ein. Ihre Locken wirbelten des Nachts durch seinen Kopf, ihre Augen machten ihn stumm und dümmlich, wenn sie ihn anblickte, obwohl er sonst klug daher redete wie ein Wasserfall. Er wollte sie besitzen, koste es, was es wolle.
Der König wurde des ständigen Flehens und Bettelns Fredericks allerdings bald überdrüssig und ließ ihn auspeitschen, während ein anderer Untertan ihm bei jedem Peitschenhieb die Worte “nie und nimmer” ins Ohr schrie, dass er Tage darauf auf diesem Ohr nichts mehr hörte.
Der Wunschbaum hatte seine dunklen Gedanken erleuchtet, die wütende Weißglut in ihm geschürt. Nun war seine Zeit gekommen.
Am frühen Morgen des nächsten Tages bei Sonnenaufgang trafen wie gewöhnlich die ersten Händler und Bauern aus der Umgebung ein und machten alle ein recht dummes Gesicht, als sie die Schlosstore passierten. Der Markplatz lag menschenleer und verlassen wie eine Geisterstadt da und sie vermuteten schon, das Dorf sei Opfer eines Überfalls geworden.
Der wahre Grund dafür aber war, dass alle Bewohner schliefen, denn in der Nacht zuvor hatte keiner von ihnen ein Auge zu gemacht.
Weder Kind noch Greis waren dem Wunschbaum fern geblieben und alle Wünsche waren erfüllt worden. Ausnahmslos.
Als die Tochter des Königs am nächsten Tag aufwachte, fiel bereits heller Sonnenschein durch das Fenster, denn auch sie war, wie jeder andere letzte Nacht, zum Wunschbaum gegangen und hatte die restliche Nacht bis in den späten Morgen geschlafen.
Sie hatte abgewartet, bis sich dicke Wolken vor den Vollmond schoben, dann war sie unbemerkt durch den Schlossgarten bis hin zum großen Wunschbaum geschlichen.
Ihr Leben lang hatte sie schon vom Leben außerhalb der Schlossmauern und sogar außerhalb der Landesgrenzen geträumt. Sie wollte ferne Länder mit weißen, glänzenden Sandstränden besuchen, an die sich das unendliche Meer anschließt. Sie wollte Wälder durchstreifen, in denen die seltsamsten Tiere lebten, und die Sonne vom höchsten Berg der Welt aufgehen sehen.
Nun, als sie sich sicher war, alleine zu sein, huschte sie aus ihrem Versteck hinter den Büschen hervor, lief etwas unbeholfen zum Wunschbaum und flüsterte sanft wie einem Liebhaber ihren Wunsch zwischen die Zweige.
Ohne abzuwarten, verschwand sie genauso schnell wie sie gekommen war und eilte wieder in ihr Zimmer.
Egal, wie viel jugendlichen Leichtsinn und Hoffnung sie auch in ihrem Herzen trug, so flossen doch Zweifel in ihrem blauen Blut. Zweifel, ob dieser Wunsch jemals in Erfüllung ginge.
Schnell entkleidete sie sich, huschte in ihr Bett und träumte unter der Bettdecke von all den exotischen Ländern und Menschen, die irgendwo da draußen waren.
Der wache Traum ging mit hinüber in den Schlaf und reifte und gedieh dort immer mehr zu einem Plan.
Vom Schlummer und dem süßen Traum noch leicht benebelt, stand sie langsam auf, um sich anzukleiden.
Dann sah sie es.
Ihre Händen waren über und über von einer grün glänzenden Schuppenschicht überzogen und ihre ehemals wohl gepflegten Fingernägel waren zu spitzen, langen, scharfen Raubtierkrallen geworden.
Ein langer, schriller Schrei steckte in ihrer Kehle, doch sie schluckte ihn hinunter.
Wie sie aber ihr Gesicht im Spiegel sah, da wollte sie schreien. Da wollte sie sich die Seele aus dem Leib schreien. Aber ihrer Kehle entwich nur ein heiseres, raues Krächzen, das wie das Schnurren eines Löwen klang.
Statt ihrer blonden Engelslocken hingen nun schwarze und graue Heusträhnen von ihrem verunstalteten Kopf, ihre Nase war zu einem unförmigen Etwas mutiert, das zentimeterlang bucklig und krumm nach vorne ragte. Lange, verfaulte, messerscharfe Zähne standen ihr aus dem zerfressenen und von Rufern überwucherten Mund und wie ihre Hände war das ganze Gesicht von grün schimmernden Schuppen übersät.
Ein kleines wimmerndes Krächzen entkam noch aus ihrer zugeschnürten Kehle, bevor sie in Ohnmacht fiel.
Schnell, wie sich Gerüchte nur in kleinen Dörfern verbreiten können, wanderte die Kunde von der Prinzessin von einem Mund zum nächsten, bis selbst der ärmste und dümmste Bettler um das Schicksal der hübschen Tochter des Königs wusste.
Alle Bewohner des Dörfchens, denen noch ein Wunsch offen stand, waren nun von König Elias höchstpersönlich aufgerufen, der Prinzessin ihre makellose Schönheit wiederzuschenken, doch es gab nicht einen einzigen mehr, der seinen Wunsch nicht bereits vorgetragen hatte.
Der Wunschbaum hatte dem Wünschenden das gegeben, was er wollte, es jedoch rücksichtslos von anderen genommen und so lag jeder mit jedem im Streit. Die Hühnerzüchterin bezichtigte den armen Dorfbettler Franz, sich an dem Fleisch ihrer Tiere satt gegessen zu haben und der Dorfschmied drohte dem Ritter Alexander, sein silbernes Schwert wieder herauszurücken.
Der Verzweiflung nahe, als der König das Durcheinander in seinem Dorf erblickte, fiel ihm nur noch der Mönch Thaleus ein, der sich seit dem Erscheinen des Wunschbaumes nicht mehr hatte blicken lassen.
Mit Schwert und Gold bewaffnet, ritt nun ein Untertan zu seiner Hütte und erzählte Thaleus vom grässlichen Leiden der armen Prinzessin Velicitas.
Doch nachdem er Thaleus über die Tochter des Königs unterrichtet hatten, waren keine seiner Waffen nötig, denn der Mönch war ein guter Mensch und wollte Velicitas nicht leiden lassen.
Eilig sattelten sie ihre Pferde und ritten mit den Böen des Windes zum Wunschbaum.
Ein Schaudern überkam Thaleus, als er das bösartige Lodern der Flammen erblickte, wie die gierigen Mäuler aus Feuer förmlich nach Wünschen lechzten.
Der König wartete ungeduldig auf seine Ankunft und schilderte ihm unverblümt die Situation seiner Tochter. Todtraurig versteckte sie sich in ihrem Zimmer und wollte keinen Schritt mehr aus ihrem Zimmer setzen. Niemand sollte jemals mehr ihren Anblick zu Gesicht bekommen.
Thaleus hatte Mitleid mit der armen Prinzessin und trat sogleich vor den Wunschbaum. Der König wartete nicht ab, bis dieser seinen Wunsch ausgesprochen hatte, sondern hastete sogleich zu seiner Tochter.
Er konnte es nicht fassen, denn noch immer war ihr Gesicht übersät von Hässlichkeit und grün wie ein Frosch.
Thaleus wurde zu König Elias gerufen und zwei Ritter richteten ihre Klinge auf ihn, als er in den Saal eintrat.
“Thaleus, rede, was hast du dir gewünscht? Es hat sich nichts geändert. Velicitas ist immer noch auf das Entsetzlichste entstellt.”
Noch im gleichen Augenblick, als der König das letzte Wort aussprach, kam Velicitas aus ihrem Kämmerlein herausgestürmt und sang fröhlich und munter wie ein Vögelchen. Wie ein Kind hüpfte und tollte sie durch das Schloss und ihr heiseres, röchelndes Lachen schallte durch die steinernen Mauern.
“Ihr erzähltet mir, Eure Hoheit, wie traurig und niedergeschlagen eure Tochter sei. Mit Tränen in den Augen, habt ihr euch gewünscht Eure Tochter wieder lachen zu sehen. So was beklagt ihr Euch? Mein Wunsch lautete, Prinzessin Velicitas möge für immer glücklich und zufrieden sein.”
Thaleus drehte sich um, nachdem er geendet hatte und verließ des Schloss des Königs und das Dorf für immer.
Velicitas sprang herein und setzte sich auf des Königs Schoß und lachte und freute sich. Der König aber konnte ihren Anblick nicht ertragen, nahm sein Schwert und schlug ihr den Kopf ab.
Die Prinzessin aber ist glücklich. Selbst im Tod.
So zeigt sich doch an diesem Beispiel, dass der größte Wohltäter des Satans der Mensch selbst ist. Der größte Krieg, den die Menschheit zu führen hat, ist der gegen sich selbst.
Doch die Welt ist nicht nur ungerecht. Nachdem der König Elias seine Tochter ermordet hatte, trug er ihren Kopf in seine Schatzkammer und erkannte, dass diese leer war. Der Schlossschmied jedoch war mit seinem Wagen, vollgepackt mit Reichtümern, längst über alle Berge.