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Serie Deutscher Montag 2 - issue management

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Deutscher Montag 2 - issue management

Es ist schon kurz vor neun, das briefing um halb zehn, ich muß noch mit Antje die topics durchgehen, ich hoffe die Praktikantin ist mit ihrer Arbeit fertiggeworden. Die verdammte Magnetkarte braucht wieder vier Versuche, bis die Tür sich endlich öffnet, diese Woche werde ich mir eine neue geben lassen, diese Woche ganz bestimmt, vielleicht habe ich morgen nachmittag Zeit. Nein, morgen nachmittag nicht. Mittwoch morgen muß ich mit Martin die issues für Klevers vorbereitet haben, dafür geht morgen der ganze Tag drauf. Mal sehen... heute vielleicht noch?

Ich nehme den Fahrstuhl bis in den Vierten, zuerst bei Antje vorbei, nein, heute geht auf gar keinen Fall. Als einziger senior consultant mit weniger als vier Projekten habe ich die Ehre die ganzen Neuen anzuleiten, die kommen immer montags, vor sechs werde ich vielleicht nicht einmal zum media screening kommen. Also erst Donnerstag. Gut. Donnerstag dann aber, vielleicht sollte ich mir freinehmen? Ich stelle mir vor: Johannes, ich brauche frei. Grund: Magnetkarte muß ersetzt werden. Ich brauche eine Viertelstunde. Bitte, Johannes, bitte. Ich stelle mir Johannes' Gesicht vor, vermutlich könnten wir gar nicht lachen, dabei wäre es urkomisch.

Der Kaffeautomat..., tempting..., ich lasse mir einen Becher heraus, verbrenne mir dieses Mal nicht wieder die Finger. Das Ding macht besseren Milchschaum als mein Lieblingscafé. Gut. Dafür ist der Hintern des Samstagskellners auch weit erfreulicher anzuschauen als die sterile Silberästhetik dieser Riesenmaschine.

Antje hängt im intranet, wir haben den audimax im Zweiten, Änderung, sorry, hatte vergessen, den anderen vorzumerken. Kein Problem, sage ich und denke: super. Der Raum ist klein, und wenn alle kommen wird das ein echter Spaß. Antje sieht ein wenig fertig aus, ich denke mir meinen Teil. Vermutlich am Wochenende Schluß mit ihrem lover aus Karlsruhe. Ich habe ein wenig Mitleid, sage, hey, ist wirklich nicht schlimm, die Sessel im Zweiten sind eh bequemer. Antje nickt dankbar, normalerweise würde sie sich nichts anmerken lassen, muß wohl ein ziemlicher crash gewesen sein. Sie muß sich aber auch jedesmal so einen verkrachten Typen aussuchen. Programmierer. Und es dann nicht bei dem belassen, was es eigentlich ist, sondern aufblähen, Liebe, Beziehung, Pläne. Da halte ich mich lieber an meinen Samstagskellner. Der weiß, wie er sich für sein Trinkgeld bewegen muß.

Die Zeit drängt, ich sage, laß uns schnell alles überfliegen, wir haben noch eine knappe halbe Stunde.

Als ich an meinen Arbeitsplatz komme, steht Nicole, die Praktikantin neben einem Neuen, ein wenig schmal auf der Brust, er trägt Hemd und Hose und fällt auf damit. Die Krawatte hat er wahrscheinlich schon verschwinden lassen. Ich bin Judith, ich strecke ihm die Hand entgegen, du beginnst heute ein Praktikum? Er nimmt die Hand, ich mag den unerwartet festen Druck. Ja, ich ... Wie lange? unterbreche ich ihn, vier Wochen, sagt er, ich wende mich zu Nicole, setz dich an meinen Tisch und vertreib' Dir die Zeit, weise ich ihn an, du kannst den Computer benutzen, Internet und alles, laß dir in der EDV im Erdgeschoß einen account anlegen, Nicole!, was hast du?

Nicole blättert durch einen Stoß aufwendig gestalteter Seiten, sie hat sich Mühe gegeben, sehr gut, ich bin positiv überrascht. Nicht nur mit dem layout, sondern auch mit dem content. Sieht sehr gut aus, lobe ich sie und schaue ihr in die Augen. Wenn ich gezwungen sein sollte, zum reputation-management Material zu präsentieren, wird das ein piece of cake.

Nicole, beginne ich, zeig doch..., entschuldige, wie heißt du? Jens Rottkamp. Das Tempo muß er noch erlernen. Gut Jens, lächle ich, Nicole, könntest du Jens den Weg zur EDV zeigen? Und dann komm doch zum audimax im Zweiten, ich will dich beim briefing dabeihaben.

Schnell überfliege ich das Material, die wichtigsten Sachen kenne ich, aber die Strukturiertheit, mit der das Ding die Sachen zu gliedern wußte, erstaunt mich. Wirklich gute Arbeit. Ich hoffe schon beinahe, die facts zum sponsoring, das ganz offensichtlich nicht zum image des Kunden paßt, sowie seine bisher noch gute b2c relation zu presenten. Schade, daß sie's nicht gleich in Powerpoint gemacht hat.

Und es kommt dazu. Der Kunde wird wichtig, ich kann mit Verweis auf Nicole das Material bringen, verpflichte Nicole, das Ganze als pdf fürs Intranet zu überarbeiten.

Die Kleine sitzt mitten unter uns und fühlt sich zugehörig, man sieht ihr die Mischung von Scheu und Hochgefühl einfach an, es ist eine Droge, ich weiß es. Ich muß es wissen. Der Geschäftsführer hat bereits mehrfach geäußert, den Kontakt zu einem key account zu machen und jemanden dafür abzustellen, Johannes, der Abteilungsleiter hat Antje vorgeschlagen, sie hat sich aufgerappelt und macht in ihrer zugeknöpften grünen Bluse und der Jeans einen entschlossenen Eindruck.

Das meeting wird dann auf nächsten Dienstag gesetzt, Johannes, schon im Anzug, muß nach Hamburg, sein Flieger geht in zwei Stunden, Donnerstag wird er zurück sein, er will von mir einen Bericht über das Klevers issue-management. Auch er hat die Bildzeitung von Freitag gesehen. Ich bespreche mich kurz mit Martin und stimme mit ihm noch einmal die Arbeit für morgen ab.

Als ich an meinen Arbeitsplatz zurückkomme, finde ich den Neuen, wie war schon wieder sein Name, still und ordentlich vor meinem Tisch stehen. Offensichtlich hatte er kein Bedürfnis gehabt, emails zu schreiben oder im Internet herumzuspielen. Vielleicht wollte er einen schlechten Eindruck vermeiden. Oder er hat sich nicht getraut, sich in meinen Stuhl zu setzen. Gut, der braucht die harte Tour. Übersteht er die, gut; übersteht er sie nicht, auch gut. Hilft ihm und mir. Und uns.

Kennst Du Klevers, Klevers medical care? frage ich ihn, nein?, macht nichts. Du kannst den Arbeitsplatz vom Abteilungsleiter benutzen, hast du einen account bekommen?, er nickt. Wir gehen zum großen Schreibtisch am Ende des Raums, versuch dir einmal ein Bild von dieser Firma zu machen, alles was du für wichtig hältst, wenn du so weit bist, dann berichte mir darüber. Die Durchwahl der EDV ist 001, ruf dort an und laß dir deine Durchwahl auf den Apparat hier legen. Wenn du irgendwelche Fragen hast, kommst du auch zu mir, alles klar? OK.

Vier Becher Kaffee später habe ich die Zeitungen vom Wochenende gescreent, meine Kommunikation besorgt, Nicoles pdf Korrektur gelesen, in einigen Punkten hatte ich Details zu bemängeln. Ich überzeuge sie, ihren Namen auf die erste Seite zu bringen. Und ans Ende auch. Sonst: allerhand weitere Kleinigkeiten erledigt, mir in der Kantine einen Salat, am Automaten ein Croissant zugeteilt. Und doch konnte ich nicht widerstehen, als sich Lena anbot, mir vom Burger King beim Paradeplatz eine Tüte Pommes mitzubringen.

Um sechs Uhr schicke ich den Neuen nach Hause. Der erste Tag war vermutlich ziemlich anstrengend für ihn, zu Hause wird er sofort ins Bett fallen, da bin ich mir sicher. Ohne zuvor seiner Freundin von seinem ersten Tag zu berichten. Wenn er denn eine hat... Vielleicht sollte ich mir am Samstag außer dem latte macchiato auch den Kellner gönnen.

Ich sitze im Atrium bei meinem letzten Kaffee, bevor ich mich an das analyzing von Klevers mache, ein Radio läuft, es gibt Nachrichten.

Das wäre ein Kunde, da in Berlin. Mangelndes change management und auf die issues überhaupt nicht vorbereitet. Wenn nicht schon alles zu spät ist, könnten wir das mit geschlossenen Augen, ich bin mir sicher.

 

Hallo cbrucher,

hab aus Neugierde jetzt auch den zweiten Teil gelesen. :)

Ich nehme an, es handelt sich dabei um eine eigenständige, in sich abgeschlossene Episode einer Reihe, die du unter dem Titel "Deutscher Montag" geschrieben hast? Dementsprechend müssten die beiden Texte in "Alltag-Serien" verschoben werden. PM an einen der zuständigen Mods genügt.

Diesmal tat ich mir leichter, den Kern des Inhalts zu erfassen, und wenn ich damit richtig liege, geht es wohl um die Amerikanisierung der deutschen Sprache. Jedenfalls kamen mir Wörter wie "senior consult", "tempting", "key account" und zahlreiche weitere englische Wörter etwas zu häufig vor, um Zufall sein zu können. Und wenn ich damit richtig liege, gehst du mit dem Text kritisch an diese neumodischen Ausdrücke heran, der Leser soll sich Gedanken machen, was er selbst von der Amerikanisierung der deutschen Sprache hält. Ein diskussionswertes Thema.
Du kannst mich aber auch gerne verbessern, wenn ich damit daneben liege...?

Sprachlich ist die Geschichte locker geschrieben, es macht Spaß, Sätze wie

Dafür ist der Hintern des Samstagskellners auch weit erfreulicher anzuschauen als die sterile Silberästhetik dieser Riesenmaschine
zu lesen. :D

Viele Grüße,

Michael :)

 

Wow, das ging schnell. Vielen Dank für Eure Kommentare. Das motiviert natürlich auch, wollte die 'Serie' ohnehin noch fortsetzen (das sollte eine Drohung sein, nehmt euch in acht).

Eine Vorbemerkung zu den Fachbegriffen: Zwar hatte ich einen Informanten 'from inside', ich kann aber dennoch nicht völlig sicher sein, alle Termini richtig gebraucht zu haben.

@Michael:

Wegen der Serien-Geschichte: Maus hat mich bereits angeschrieben und meinen Geschichtchen eine Frist von einer Woche gewährt. Dann kommen Sie in den entsprechenden Ordner.

Amerikanisierung der deutschen Sprache? Nein, eher nicht. Ist eher ein Nebenprodukt, gehört eben zur Realität, zum biz (als Pinguin-Fan erfahre ich immer wieder, auch an mir selbst, daß man nicht jeden Begriff erst übersetzen kann, bevor er verwendet werden darf, ist einfach zu langsam, schafft zu viele Mißverständnisse). Sprache in ihrem status quo ist immer Produkt basisdemokratischer Entscheidungen durch Gebrauch mit geringer Halbwertszeit; halte ich für recht natürlich.

@Angua, @Michael:

Zum Sprachstil: sicher, diese Geschichte liest sich lockerer (unterhaltsamer?) als die erste der "Serie", aber ich glaube, die Sprache ist jeweils der heraufbeschworenen Atmosphäre angemessen. Klärt mich auf, wenn ich falsch liege.

@Angua:

Es freut mich sehr, daß Dir der Schluß gefallen hat, ich habe ihn mehrfach überarbeitet. Und, ja, ich befürchte: sie meint es ernst.

Dein Vorschlag, daraus eine Satire zu machen, spricht mich momentan eigentlich nicht an. Das Thema ist sicher interessant, man denke an 'wag the dog', oder die Sendung, die es erst vor drei Tagen auf swr2 über Woodstock und die CIA gab... Guck doch mal auf: www.swr.de/swr2/ -> Programm -> 15.8.2004, 23:05

 

Hallo Claus,

hat mir gut gefallen, besser als der erste Teil der Serie, wobei man die beiden Episoden natürlich nicht vergleichen kann. Liegt vielleicht auch daran, dass ich mich hier eher an meine Wochenstarts erinnert fühle ;) Die Diskrepanz, die ja nicht nur typisch für Deutschland ist, zwischen zuviel und zuwenig, die kommt gut rüber. Interessant und zutreffend fand ich auch die Beschreibung dieser Geschäftigkeit als Droge. Das ist mit Sicherheit so, und die Praktikantin wird so langsam mit reingezogen. Witzigerweise war ich überrascht, dass die Erzählerin eine Frau ist, ich bin von einem Mann ausgegangen.

Sprachlich verdeutlichst du die Hektik schön, die Verzahnung zwischen Handlung und Gedanken, die Gleichzeitigkeit von vielen Dingen, ist dir gelungen. Wie oft tut man etwas (oder mehrere Dinge) und ist gedanklich schon zwei Schritte weiter. Multitasking halt ;)
Bezüglich der englischen Begriffe fand ich ihre Verwendung an einigen Stellen übertrieben, ein Beispiel:

Ich hoffe schon beinahe, die facts zum sponsoring, das ganz offensichtlich nicht zum image des Kunden paßt, sowie seine bisher noch gute b2c relation zu presenten.
das "presenten" ist mir hier schon zu viel, zu übertrieben.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass du auch die englischen Begriffe klein schreibst, die schon in unseren Sprachgebrauch übergegangen sind, Intranet, Lover zum Beispiel.

Zwei Sachen noch:

Sie muß sich aber auch jedesmal so einen verkrachten Typen aussuchen.
Burger King beim Paradeplatz
Ich glaub´s nicht, wo spielt denn diese Geschichte, na? :D Aber: der Burger King ist ein gutes Stück vom Paradeplatz entfernt :teach:

Liebe Grüße
Juschi

 

@Juschi:

Es freut mich, daß Dir der zweite Teil gefallen hat. Und ich bin froh, daß meine Darstellung der Arbeitsatmosphäre dann doch halbwegs überzeugend wirkte, ich denke, daß Du das viel besser beurteilen kannst, als ich.

Die vielen englischen Begriffe sind natürlich Absicht und vielleicht an einigen Stellen übertrieben. Allerdings kamen keine Beschwerden von seiten meiner Quelle. Und ja, ich schreibe die englischen Begriffe alle klein, auch längst eingedeutschte. Ich wurde dafür schon einmal kritisiert. Aber ich will es beibehalten, aus zwei Gründen: zum ersten, um es so zu schreiben, wie es im Englischen auch geschrieben wird, zum zweiten, um es kenntlich zu machen. Vielleicht ein wenig verrückt.

Den Fehler werde ich korrigieren, danke.

Und, ja, wo die Geschichte spielt, ist schon recht eindeutig. Was die Entfernung zum Paradeplatz angeht, so sehe ich das nicht so eng. Ich habe eben nicht "am Paradeplatz" geschrieben, das wäre sicher falsch, sondern "beim". Da bin ich als Auswärtiger nicht so genau.

 

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