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Die alte Polizeiwache

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10.04.2004
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Die alte Polizeiwache

Die Alte Polizeiwache (mit den Augen der Schreibfrau)

Nun weiß ich, dass ich verwöhnt bin. Eine höhere Tochter mit Grunewald-Touch. Kernig bin ich, sportlich und herb. Und was der krausen Dinge mehr sind. Von Schlesien hat er nichts gewußt. Und den Pastor in Braunschweig wollte er zu dicht in meine Nähe rücken.

Im älteren Eppendorf war es, eine Stichstraße tief in den Hintergrund hinein, wo man nicht weiß, ob es noch weitergeht: eine Villa, mit spitzem Giebel. Hohe Fenster, die hohl wirkten, unbewohnt, unbehaust.

Bis vor zwei Jahren war hier noch die Ausländerpolizei. Wilhelm zeigte
mir die beiden Arrestzellen mit bitteren Parolen innen an der Stahltür.

Mein Auto parkte vor dem Krankenhausgelände, Uni-Klinik. Ich fror, als ich in den kahlen Raum des Kulturladens trat. Wilhelm leitete die Literaturgruppe. Ich mußte ihn immer angucken, als er Thesen vorlas über Konsumwelt, Entfremdung und Rollenfindung des Einzelnen.

Wilhelm, dieser Name war, wie sich nun im Blick auf ihn herausstellte, die wirkliche und tatsächliche und auch die einzige Brücke zu ihm. Zu ihm, der in Briefen voller Ungereimtheiten war. Hatte er eine Frau, oder war sie nur sein Eintrittsbillett für den Frauenladen, an den er anerkennende Worte über den Plakatwettbewerb schrieb. Ein Brief, der liebenswürdig war - und weiterführend.

Klebebriefe schickte Wilhelm und Zeilen mit Aufforderungscharakter. War es ein schmeichelndes, ein beständig werbendes und eine Neugier fortwährend auf kleiner Flamme haltendes Sichbemühen und Sich-Interessieren?

Die Stoßrichtung war nicht klar. Was deutlich war: Ein Briefschreiber, der lebendig den Faden führte. Der Stich für Stich und im Zuge langer und kurzer Fäden, meistens sehr bunten, einen Teppich wirkte.
Fast orientalisch war das. Diese Arabesken, die Zwischenhöfe und dann wieder die verschlossenen abweisenden fensterlosen Räume.

Ich war während der Einführungsrunde enttäuscht. Wir lasen von halben Blättern, die uns gereicht wurden, jeder etwas vor. Kulturkritik, zustimmende und kritische Sätze, die so neutral waren, dass man zu ihnen ja und auch nein sagen konnte.

"Was soll ich hier?" fragte ich mich. Ich sah in die Runde. Mir war kalt. Ich nahm meine Füße hoch, steckte sie zum Yogasitz unter den Leib.

In der Frühe hatte ich zwei Äpfel gegessen, auf dem Weg in Richtung Elbe. Links und rechts die alten Weiden, die ich so liebe, mit ihren Wuschelköpfen. Für den Tagesablauf hatte ich mir vorgenommen, vor der Autofahrt noch zwei Seiten zu schreiben.

Lustlosigkeit, Antriebsschwäche, eine gewisse Pomadigkeit habe ich ganz gut abgeschüttelt, seitdem ich die Frauenarbeit mit der Gruppe mache. Ich schreibe wie eine, die dazu abgestellt ist. Im geordneten Hintereinander schreibe ich ruhig und mit ruhigem Atmen meine zwei Stunden hintereinander weg. Um halb drei aß ich noch das kalte Ei, das vom Morgen übriggeblieben war. Nun, nach zwei Stunden in der "Alten Polizeiwache" hatte ich Hunger.

Wilhelm dirigierte mich auf seine putzige Weise. Natürlich hatte er, wie zu allem, auch zu meiner Fahrweise seinen Kommentar. Im Café "Spieltrieb" saßen wir in einer Ecke auf der Holzbank. Ich bestellte eine Schüssel Erbsensuppe, ließ aber die drei Weißbrotscheiben liegen, während Wilhelm seine Goldzähne in ein Käsebrötchen schlug.

Das Gespräch, das muß ich ihm lassen, verlief ohne Klippen. Viele Dinge wurden (fast) geklärt. Die Frage blieb: Was bewegt ihn?

Was veranlaßt ihn, so intensiv in Menschen einzudringen. Im Café Spieltrieb wunderte ich mich, dass er nicht nach meiner Hand griff. Er wirkte "entfernt", ein wenig unkonzentriert, nicht festlegbar. Einer, der auf der Seekarte nicht eingezeichnet ist. Ich sagte ihm das. Dass ich mir gar nicht vorstellen könne, dass er im realen Leben existiere. Und wie er seinen Tag bestehe?

Ich fand, und das erfreute mein Schützinnenherz, dass ich ins Schwarze traf und keinen Widerspruch hörte, sondern Zustimmung. Ja, Zustimmung und Dankbarkeit, die er mit langsamer, etwas Hamburgisch dröhniger Stimme auf das ausdehnte, was ich ihm noch zu sagen hätte. Er ermunterte mich zur Offenheit.

Ich sagte ihm, dass vieles ja so sehr positiv gestimmt sei, was er da mit Pieksen und Stichen vorbringe. Als über solches Zudringen erstaunter Mitmensch hört man aber, sagte ich ihm, doch ein Grollen im Untergrund.

Wo wird das hinführen? Kommt der Katzenjammer oder die andere Seite der Medaille? Wo ist der Haken, fragte ich mich, bekam aber an diesem Abend keine Aufklärung.

"Das Fest des Lebens", so sprach Wilhelm, "das Schwingende", "die Höhepunkte", und steuerte noch die Seelenwanderung an. Er wunderte sich darüber, dass er mit mir über einen Altersabstand hinweg von 30 Jahren sprechen könne.
Er tat fast so, als müsse er mich über eine tiefe Schlucht hinweg ansprechen.

Als ich meinen Wagen aus der Parklücke fuhr und ihn wendete, fuhr ich noch an ihm vorbei. Die Scheinwerfer erfaßten einen kastenförmiger Mann mit dem Kopf eines Schalterbeamten. Dann sah ich noch nur den kurzen hochgestreckten Arm im Rückspiegel. Und fuhr davon.

"Traum des Lebens", ging es mir durch den Kopf, beschleunigend, Richtung Autobahn, "alles was schwingt", "die hellen Punkte auf der weiten Strecke, die Lichtpunkte" - lauter W.F.-Worte, die etwas zu enthalten und etwas zu versprechen schienen, was ich noch nicht begriffen hatte.

Der Nachgeschmack der Erbsensuppe vermischte sich mit dem unangenehmen Gefühl, das seine Bewertung meines Goldschmucks bei mir geweckt hatte. Dieses Gefühl hielt noch an. Was solls, dachte ich, gab auf der Autobahn Gas, eine batteriegetriebene Uhr, ein briefeschreibender Lyriker, und dann im Kulturladen die alternative Kochgruppe, die sich voller Eifer um ihre Messingwaage scharte.

Mir war noch nichts klar. Mir würde, das wußte ich, als in Krempe das Hoppelpflaster mich durchschüttelte, ein neuer Brief neue Proben und Zudringlichkeiten jener Waldwiesen-Psycho-Küche ins Wewelsflether Schreibehaus bringen. Darüber würde ich dann tagelang nachdenken können. Weil wieder Haken drin sind. Und Anknüpfungsfäden: anregend, aber, wie der ganze W.F. nicht knotenlösend oder abendfüllend.

Kurz vor Wewelsfleth, als es still war, hörte ich im gleichbleibenden Fahrgeräusch unterm beruhigenden Brummen der Maschine eine Stimme. Langanhaltend ruhig sprach sie das Hohe Lied, diese Brautgeschichte mit den Füchsen im Weinberg, die in die Weinstöcke steigen, die Augen gewonnen haben. Mir war heimelig zumute. Ich dachte an Kreuzberg, an den guten Menschen von Sezuan und an die Gemeinschaft der Heiligen. In dieser Reihenfolge.

 

Hallo Funkenflug,

herzlich willkommen auf kg.de! :anstoss:

Deine Geschichte lässt mich zwiegespalten zurück: Auf der einen Seite gefällt mir die Sprache, die mysteriös-poetisch ist, ebenso der Fluss der Geschichte, der einen wsanft immer weiter mitzieht, auf der anderen Seite bleiben mir aber zu viele Fragen offen. Wer ist der/die Protagonist/in? Wie haben sich Prot und Wilhelm kennengelernt? Und worum geht es eigentlich, außer um einen Abend im Weltladen (der zwischendrin zum Frauenladen wird), um das Schreiben und um schöne Assoziationen?

Eine Handvoll Anmerkungen habe ich noch:

Bis vor zwei Jahren war hier noch die Ausländerpolizei. Wilhelm zeigte
mir die beiden Arrestzellen mit bitteren Parolen innen an der Stahltür.
Zeilenumbruch bitte rausnehmen.
Ich nahm meine Füße hoch, steckte sie zum Yogasitz unter den Leib.
Dann ist es ein Schneidersitz - beim Yogasitz legt man die Füße jeweils auf den Oberschenkel des anderen Beines.
Im Café Spieltrieb wunderte ich mich,
vorher hast Du den Namen in Anführungszeichen gesetzt - ich würde bei einer Variante bleiben (und es ohne Anführungszeichen schreiben, aber was Du wählst, ist letztendlich Geschmackssache).

Lieben Gruß

chaosqueen

 

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